Basiskommentar (Umgang mit Arbeitgeber)

Jürgen II, Thursday, 11.04.2013, 09:33 (vor 4057 Tagen)

Liebe Mitstreiter,

ich hoffe, dass ihr alle Ostern gut überstanden habt. Ich habe von meiner Dienststelle ein dickes (faules) Osterei erhalten! :lookaround:

Unsere Dienststelle ist in vier Standorte in einer großen Stadt aufgeteilt. Die Fahrzeiten zwischen den Standorten dauern manchmal bis zu einer Stunde. Hin- und zurück sind das schon zwei Stunden. Eine Vollfreistellung habe ich nicht, weil wir nur 60 Schwerbehinderte haben. Da bei uns nichts mehr mündlich geht, wird alles schriftlich mit der Dienststellenleitung gemacht. Es türmen sich Papierberge auf, die ich irgendwie abbauen muss. Stellungnahmen zu Stellenbesetzungen, BEM, Anfragen usw. sind mittlerweile Standardaufgaben in der SBV. Ich habe teilweise Kolleginnen und Kollegen mit bösartigen Erkrankungen die einen erheblichen Betreuungsbedarf haben und ich muss Stunden lang Papier bearbeiten!!! Nun habe ich meinem Vorgesetzten mitgeteilt, dass ich täglich von 8:00 bis 10:00 Uhr SBV Arbeit mache (meine Büroarbeit). Beratungsgespräche kommen noch extra. Meine dienstlichen Aufgaben müssen dann liegen bleiben. Die Dienststelle ist nun der Auffassung, dass ich erst einmal meine dienstlichen Aufgaben zu machen hätte und dann die SBV Büroarbeit. Ich habe auf § 96 SGB hingewiesen (Die Funktion der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen ist ein Ehrenamt. Das Ehrenamt wird frei von Weisungen geführt.) Und im Basiskommentar (Feldes/Kamm/….) steht: Die Erledigung der Aufgabe als Interessenvertretung der schwerbehinderten Menschen hat Vorrang vor der Tätigkeit in der Eigenschaft als Arbeitnehmer. Eigentlich soweit alles klar! Nö denkste! Die Dienststelle lehnt den Basiskommentar ab und ist der Auffassung, dass nur der Gesetzestext für sie ausschlaggebend ist. Und nu> Klage vor dem Sozialgericht> Jetzt wird’s richtig belastend. Wie verhalte ich mich jetzt richtig>

LG Jürgen

Basiskommentar

hackenberger, Thursday, 11.04.2013, 12:55 (vor 4057 Tagen) @ Jürgen II

Hallo Jürgen,

ja, Du hast grundsätzlich Recht. Die Mandatsarbeit hat Vorrang, jedoch muss hier die SchwbV auch die Belange der Dienststelle beachten bei der zeitlichen Lage sofern möglich. Also Planen und Handel nach bestem Wissen und Gewissen und unter Beachtung der Notwendigkeit.

Auszug aus dem Knittelkommentar
§ 96 Persönliche Rechte und Pflichten der Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen
Rn 63
Maßstab für die Beurteilung ist allein, ob die Schwerbehindertenvertretung ihre Amtstätigkeit nach pflichtgemäßem Ermessen aufgrund der ihr bekannten Tatsachen für notwendig erachten durfte. Dies kann nur unter Abwägung aller bekannten Umstände, nicht zuletzt im Hinblick auf die Zahl der zu betreuenden schwerbehinderten Menschen und Gleichgestellten unter Berücksichtigung der Interessen des Betriebes oder der Dienststelle beurteilt werden (LAG Düsseldorf Urteil vom 11. Juli 1977 – 19 Sa 39/77 = EzA § 23 SchwbG Nr. 2). Nach ständ. Rspr. des BAG kann die Erforderlichkeit einer Amtstätigkeit nicht nach Erfahrungs- oder Richtwerten bemessen werden, sondern erfordert stets eine Einzelfallbetrachtung (BAG Urteil vom 15. März 1995 – 7 AZR 643/94 = BAGE 79, 263 = AP Nr. 105 zu § 37 BetrVG 1972 = NZA 1995, 9 m. w. Nachw.). Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit der Vertrauensperson (LAG Sachsen-Anhalt Urteil vom 30. April 2002 – 11 Sa 782/01, zit. nach JURIS). Durfte eine Vertrauensperson nach gewissenhafter Prüfung zu der Einschätzung kommen, die Tätigkeit sei erforderlich, bleibt der Entgeltanspruch bestehen, auch wenn sich später herausstellt, dass die Erledigung der Aufgabe objektiv nicht notwendig war (vgl. BAG Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 63). Ebenso wenig ist in diesem Fall eine Abmahnung wegen Arbeitsversäumnis zulässig (vgl. BAG Urteil vom 6. August 1981 – 6 AZR 1086/79 = BehindertenR 1982, 67 = DB 1982, 758 = AP Nr. 40 zu § 37 BetrVG 1972; Urteil vom 31. August 1994 – 7 AZR 893/93 = NZA 1995, 225 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 98).

Vergleichbare Aussagen findet man auch in dem Kommentar von Herrn Düwell, ehemaliger vorsitzender Richter des 9. BAG Fachsenates.

Weiter gibt es den § 98 Beauftragter des Arbeitgebers
– die Schwerbehindertenvertretung ihr Amt ohne Behinderung wahrnehmen kann (§ 96 Abs. 2 SGB IX).

Also, den BASchwb einmal darauf hinweisen und auffordern seinen Pflichten nachzukommen. Auch gleich den Hinweis, dass sollte er hier seinen Pflichten nicht nachkommen, dass SGB IX hier persönliche Folgen für ihn vorsieht.

Ein Verstoß des Beauftragten gegen die ihm obliegenden Pflichten kann ggf. als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Bedeutet, ihm droht persönlich ein deutliches Ordnungsgeld nach § 156 SGB IX. Also bis zu 10.000,- €

Aber, täglich diese feste Arbeitszeit für Mandatsaufgaben könnte auch bei einer Klage die Frage der unbedingten Notwendigkeit aufbringen. Daher solltest Du dir Notizen über die Tätigkeiten (Art und Umfang) fertigen. Denn der Richter darf danach fragen und würde es wohl auch.

Erkläre dem AG, dass Du dann leider einen Anwalt beauftragen würdest die Rechte der SchwbV im Klageverfahren, zuständig ist hier übrigens das ArbG, durchzusetzen. Auch gegen den hier handelnden AG-Vertreter und den BASchwb persönlich die möglichen rechtlichen Schritte einzuleiten.

PS: Die Aussage des AG betreffend des Inhaltes von Kommentaren zu Gesetzen, hier dem SGB IX ist Nonsens. Doch auch der Gesetzestext ist in den Aussagen ganz klar.

Basiskommentar

Jürgen II, Friday, 12.04.2013, 07:03 (vor 4056 Tagen) @ hackenberger

Hallo Bernhard,

Danke für Deine Zeilen. Immer wenn man denkt es läuft so halbwegs, wird von der Dienststelle eine neue Baustelle aufgemacht. Informationsverweigerungen, "Nonsens" oder Machtgehabe prägen die Zusammenarbeit mit meiner Dieststelle! Mein trost ist es, dass es meinem PR nicht anders ergeht. Der ist ja schon mehr beim Anwalt und im Gericht als im PR Büro. ;-)
Okay, vielleicht gehe ich wirklich von den festen Zeiten ab und mache es nach Bedarf. Wobei es hier noch länger dauern könnte. Muss erst einmal eine klare Linie finden. :cool:
Machen wir also eine Dienststellenfortbildung zum Thema Basiskommentar (selbstverständlich nur schriftlich)! :-D
Jooo ... den Beauftragten SB sollte ich mehr einspannen! Mal sehen wo der sich versteckt hat (in diesem Jahr noch garnicht gesprochen)!
Also nochmals Danke. Ich darf jetzt zu drei BEM Gesprächen (Tagesausflug!).
Gruß Jürgen

RSS-Feed dieser Diskussion