Onlinebewerbungen (Einstellung)

rehbach2010, BW, Friday, 02.06.2017, 10:35 (vor 2514 Tagen)

Hallo zusammen,

mich bewegt in den letzen Tagen ein Thema besonders:

Bei uns (öffentlicher Dienst) werden Bewerbungen fast ausschließlich online gemacht.
Bei dem Verfahren wird der Bewerber gefragt, ob er schwerbehindert oder gleichgestellt ist, er kann dann entweder ja, nein oder keine Angabe ankreuzen. Sobald er das Feld ja ankreuzt, öffnet sich ein Fenster in dem auch angezeigt wird, dass die SBV zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Sollte er es nicht wünschen, dann kann er ein bestimmtes Feld ankreuzen und es erscheint dann "ich verzichte auf die Beteiligung der SBV"
Ich halte das für manipulativ, aber mein AG will das Verfahren nicht ändern und die Wortwahl auch nicht!

Für mich ist klar, dass im Gesetz der Begriff ".....ausdrücklich ablehnt" steht und auf etwas zu verzichten etwas vollkommen anderes ist!

Leider habe ich bemerkt, dass in der letzten Zeit sehr viele Bewerber dieses Feld angekreuzt haben, da sie dem vermeintlich neuen AG keine Umstände machen wollten Motto: (ich habe zwar eine Behinderung, aber brauche sonst keine Hilfe)

Was meint Ihr dazu?

Onlinebewerbungen

WoBi, Friday, 02.06.2017, 17:55 (vor 2514 Tagen) @ rehbach2010

Hallo rehbach2010,

laut AGG-Kommentar (4. Auflage) von Christiane Nollert-Borasio / Martina Perreng wird zu § 2 Abs. 1 AGG zum Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung unter der Randnummer 17 ausgeführt:
„Eine Diskriminierung liegt grundsätzlich auch in einer Frage nach einer Behinderung, soweit die Behinderung nicht die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit einschränkt oder ausschließt und damit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung gem. § 8 darstellt.“
Mit § 8 ist § 8 AGG gemeint = Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen

Laut gängiger Rechtsprechung vom BAG ist die Angabe der Behinderteneigenschaft im Bewerbungsanschreiben und/oder Lebenslauf an vorgehobener Stelle ausreichend. Auf eine „Arbeitserleichterung“ kann sich ein öffentlicher Arbeitgeber nicht berufen.
Durch die beschriebene Gestaltung kann sich der Arbeitgeber möglicherweise AGG-Klagen wegen Diskriminierung einhandeln.

Ein weiterer Grund für ein Indiz der Benachteiligung wegen einem Merkmal aus § 1 AGG kann durch die beschriebene Gestaltung in der von dir beschriebenen vermutlichen „Erwartungshaltung“ des künftigen Arbeitgebers liegen und der Verhinderung der Unterstützung durch die SBV. Die Gestaltung kann eine „abschreckende Wirkung“ auf die behinderten Bewerber haben und die behinderten Bewerber werden dadurch in ihren Schutzrechten unzulässiger Weise beschnitten.

Eine Änderung der Gestaltung wird spätestens nach Klagen von Bewerbern durch den Arbeitgeber durchgeführt werden, sollte eine Einsicht durch die Erklärungen der SBV nicht vorher fruchten.

Deine Arbeit als SBV wird mindestens erschwert, wenn nicht sogar behindert. Der Wunsch der Nichtbeteiligung muss vom Bewerber unaufgefordert kommen und darf nicht durch den zukünftigen Arbeitgeber angeregt werden. Nach Rechtsberatung z.B. Gewerkschaft könnte eine Klage auf Unterlassung wegen Behinderung der Ehrenamtstätigkeit (§ 96 Abs. 2 SGB IX) und davor vorbereitende Aktivitäten erfolgreich sein. Also zuvor mit dem Dienststellenleiter / Beauftragten sprechen und zur Beweissicherung schriftlich zur Änderung auffordern. Argumente wie beschrieben.


Rechtliches zum Situationsvergleich
Es gibt ein Urteil vom LAG Baden-Württemberg zur einer "abschreckenden Einladung" - ist also nicht ganz passend. Az.: 1 Sa 13/14 vom 03.11.2014
"Leitsätze
Gemäß Ÿ82 Satz 2 und 3 SGB IX hat der öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich. Ein öffentlicher Arbeitgeber macht den gesetzlich intendierten Chancenvorteil des schwerbehinderten Bewerbers zunichte, wenn er diesem zwar die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Aussicht stellt, gleichzeitig aber dem schwerbehinderten Bewerber mitteilt, dessen Bewerbung habe nach der Papierform nur eine geringe Erfolgsaussicht, weshalb der schwerbehinderte Bewerber mitteilen möge, ob er das Vorstellungsgespräch wahrnehmen wolle. Eine solch "abschreckende Einladung" begründet gemäß Ÿ22 AGG die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung."

Das Urteil ist z.B. unter https://openjur.de/u/756098.html nachlesbar

--
Gruß
Wolfgang

Onlinebewerbungen - Verfahrensdiskriminierung

Cebulon, Saturday, 03.06.2017, 15:36 (vor 2513 Tagen) @ rehbach2010

Sollte er es nicht wünschen, dann kann er ein bestimm­tes Feld ankreuzen und es erscheint dann "ich verzichte auf die Beteiligung der SBV"

Wird dann, wenn "ich verzichte" angekreuzt wird, etwa auch die SBV nicht von dieser Bewerbung unterrichtet? Und was ist mit der Unterrichtung des PR gemäß § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX "unmittelbar nach Eingang"?

Selbst eine Ablehnung würde nichts an dem all­ge­mei­nen Beteiligungsrecht der SBV gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX ändern, da insoweit kein Ablehnungsgrund geregelt ist. Die Anhörungs- und Unterrichtungsrechte der SBV werden durch die Ablehnung eines einzelnen schwer­be­hin­der­ten­ Bewerbers gerade nicht ausgeschlossen laut BAG vom 22.08.2013, 8 AZR 574/12, Rn. 48. Demnach verhindert die Ablehnung eines schwerbehinderten Be­wer­bers lediglich die Erörterung seiner Bewerbung, die Einsichtnahme in seine Bewerbungsunterlagen und die Teilnahme an seinem eigenen Bewerbergespräch.

Ich halte das für manipulativ, aber mein AG will das Verfahren nicht ändern und die Wortwahl auch nicht!

Dieses ist "suggestiv", daher unzulässig bzw. klar diskriminierend nach der Fachliteratur. Ist aber leider nicht die einzige "kreative" Dienststelle, die so verfährt bzw. mit solchen "Trixereien" das Gesetz auszuhebeln oder zu umgehen sucht (ausführlich Prof. Dr. Knittel, SGB IX, § 81 Rn. 36; ebenso Prof. Düwell in LPK-SGB IX, § 81 Rn. 152). Ist nur eine reine Frage der Zeit, bis da jemand Entschädigung einklagt nach AGG wegen Verfahrensdiskriminierung, weil offensichtlich (vgl. z.B. NJW-Spezial, 20/2013, Seite 626/627). Auf ein schuld­haf­tes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an laut BAG.

Behindertenverbände können auch das Ver­bands­kla­ge­recht (§ 63 SGB IX) in Anspruch nehmen, mit dessen Hilfe sie an Stelle und mit dem Einverständnis der be­trof­fen schwerbehinderten Bewerber deren Rechte geltend machen können, teils auch Gewerkschaften, zum Beispiel der DGB und neuerdings die IG Metall (Düwell, jurisPR-ArbR 28/2006 Anm. 7).

Für mich ist klar, dass im Gesetz der Begriff ".....ausdrücklich ablehnt" steht und auf etwas zu verzichten etwas vollkommen anderes ist!

Das hast Du vollkommen richtig erkannt: Nicht nur die Frage nach SB ist idR "unzulässig" (ArbG Stuttgart v. 16.3.2011, 30 Ca 1772/10; BAG, Urteil vom 18.09.2014, 8 AZR 759/13, Rn. 40), sondern natürlich auch die Frage nach "SBV-Verzicht" ist illegal (vgl. BVerwG vom 08.12.2010, 2 WD 24.09, Leitsatz 3 sowie Rn. 12-14). Das BVerwG hat da schon vor Jahren die "Notbremse" gezogen bei der Bundeswehr sowie festgestellt, dass schwerer Verfahrensfehler (Rn. 10/11). Unzulässig ist nach Knittel aber auch eine Befragung, ob eine Be­tei­li­gung der SBV "gewünscht" oder "ausdrücklich ab­ge­lehnt" werde, da ein solches Fragerecht nicht bestehe (Knittel, SGB IX § 81 Rn. 36). "Dies könnte nämlich dem Betroffenen den Eindruck vermitteln, die als gesetzlicher Regelfall vorgesehene Einschaltung der SBV sei dem Arbeitgeber nicht willkommen und eine Ablehnung ihrer Beteiligung durch den Bewerber erwünscht."

Welche rechtliche Begründung gibt denn diese Behörde dafür an, dass sie nach einer Schwerbehinderung fragt? Und welche dafür, dass sie ggf. nach einem Verzicht fragt? Die beiden Fragen sollten mal gezielt dem AG gestellt werden. Auf die Antworten bin ich gespannt...

Gruß,
Cebulon

Onlinebewerbungen - Verfahrensdiskriminierung

rehbach2010, BW, Sunday, 11.06.2017, 17:33 (vor 2505 Tagen) @ Cebulon

Hallo Cebulon,

danke für Deinen Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG -

ich glaube, das sollte mir konkret weiterhelfen :-)

Onlinebewerbungen - Verfahrensdiskriminierung

Cebulon, Monday, 12.06.2017, 12:53 (vor 2504 Tagen) @ rehbach2010

Hallo, auch die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg scheint jetzt endlich nach Jahren kapiert zu haben, dass die Frage nach einer Schwerbehinderung grundsätzlich unzulässig ist, weil diskriminierend nach EU-Recht bzw. § 81 Abs. 2 SGB IX laut Erlass der BA Zentrale, RP, vom 22.05.2017 wie folgt auf Seite 7:

"Im Zeitablauf haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Nunmehr darf nach überwiegender Rechtsmeinung der Arbeitgeber im Bewerbungs- bzw. Einstellungsverfahren nicht nach der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (d.h. statusbezogen) fragen, da dies eine Diskriminierung darstellt..."

Gruß,
Cebulon

Onlinebewerbungen - Verfahrensdiskriminierung

Cebulon, Saturday, 03.06.2017, 16:18 (vor 2513 Tagen) @ rehbach2010

Bei uns (öffentlicher Dienst) werden Bewerbungen fast ausschließlich online gemacht. Bei dem Verfahren wird der Bewerber gefragt, ob er schwerbehindert oder gleichgestellt ist, er kann dann entweder ja, nein oder keine Angabe ankreuzen.

Vergl. auch Düwell, jurisPR-ArbR 22/2017 Anm. 1, zum kürzlich beschlossenen Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz (DSAnpUG-EU):

"Beispiel: Die bei den Einstellungsverhandlungen gestellte tätigkeitsneutrale Frage nach dem Vorliegen der Eigenschaft „schwerbehinderter Mensch“ ist danach unzulässig. Es handelt sich um ein besonders geschütztes Gesundheitsdatum i.S.v. § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG n.F. Weder ist dessen Kenntnis zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit des Sozialschutzes erforderlich, noch besteht kein Grund zu der Annahme, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt. Erforderlich könnte die Kenntnis allenfalls für die Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht sein, wenn wegen der Art oder Schwere der konkreten Behinderung die vorgesehene berufliche Tätigkeit ausgeschlossen wäre. Dazu wäre jedoch nur eine tätigkeitsbezogene Frage sinnvoll. Am Ausschluss der tätigkeitsneutralen Frage besteht stets ein schutzwürdiges Interesse der betroffenen behinderten Person, weil sie sich bei Zulassung der Frage einem hohen Diskriminierungsrisiko aussetzt."

Gruß,
Cebulon

Onlinebewerbungen

albarracin, Baden-Württemberg, Tuesday, 06.06.2017, 09:57 (vor 2510 Tagen) @ rehbach2010

Hallo,

Cebulon hat Dich ja schon auf Düwell im LPK-SGB IX hingewiesen. Der zentrale Satz in Rn 152 zur Ablehnung der Teilnahme der SBV am Bewerbergespräch lautet übrigens:
"Die Initiative muss vom Betroffenen ausgehen und wortwörtlich als Ablehnung formuliert sein."

Davon, das die Initiative vom Betroffenen ausgeht, kann in Deinem Fall natürlich nicht die Rede sein.
Da Deine sonstigen Informations- und Anhörungsrechte natürlich trotzdem bestehen, solltest Du diese bei einer derartigen Ablehnung natürlich besonders intensiv nutzen.

Ansonsten stellt sich für mich noch die Frage, ob der AG überhaupt bei Einführung dieses Online-"Formulars" seinen Beteiligungsrechten ggü. SBV und PR nachgekommen ist. Personalfragebögen (und darum handelt es sich ja) unterliegen mW auch der Mitbestimmung eines PR.
Wie verhält sich denn der PR in dieser Angelegenheit ?

Auch wenn natürlich leider Sanktionsmöglichkeiten dieser Behinderung fehlen, stellt sich mE schon die Frage, ob hier nicht wegen Diskriminierung ein Beschlußverfahren vor dem ArbG in Frage käme.

--
&Tschüß

Wolfgang

Onlinebewerbungen

rehbach2010, BW, Wednesday, 07.06.2017, 20:43 (vor 2508 Tagen) @ rehbach2010

Hallo zusammen,

danke für Eure ausführlichen Kommentare - ich sehe es wie ihr und werde nun noch mal auf dem Verhandlungsweg probieren, das Problem zu lösen. Ein Wunder ist auch, dass bisher noch keine Klagen nach dem AGG erfolgt sind - wahrscheinlich pures Glück für meinen AG. Eigentlich hätte der Part mit der Ablehnung der SBV auch bei der Novelle des SGB IX gestrichen werden können, denn nun kann die SBV ja auch (analog zum BR/PR befangen sein und die Teilnahme absagen. Ich bin mal gespannt was dabei rauskommt.

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