Schwerhörige Mitarbeiter lehnt techn. Hilfsmittel ab (Fragen zu einer Behinderung)

Tahsa, Worms, Saturday, 04.05.2024, 18:41 (vor 14 Tagen)

Hallo an Alle,

ich habe folgende Konstellation, in dem ich euren Rat / Erfahrung benötige:

Eine/e schwerbehinderte/r Mitarbeiter/in (61 Jahre), welche/r CI Implantate (Cochlear Implante) trägt, hat seit 1 Jahr so starke Einschränkungen, dass sie/er Kollegen und Kolleginnen nicht mehr verstehen kann. Der techn. Hilfsdienst des Integrationsamtes war bereits letztes Jahr im Herbst zu einem Termin vor Ort und hat eine Vielzahl von techn. Hilfsmittel aufgezählt.

Vor einigen Jahren hat sie von der Krankenkasse den Roger Pen erhalten (über Selbstantrag). Den benutzt Sie lediglich zu Hause für den TV.

Der Mitarbeiter des techn. Hilfsdienstes hat Apps und z.b. einen Table Mic (Nachfolgesystem des Roger-Pens) der/dem schwerbehinderte/r Mitarbeiter/in vorgestellt. Dies könnten wir als Betrieb als Hilfsmittel anfordern, oder der schwerbehinderte/r Mitarbeiter/in selbst. Ich bin als SBV mit ihr verblieben, dass sie/er einmal den Roger Pen von zu Hause mitbringt, damit wir dies einfach nochmals testen im Betrieb. Sie/er hat den Pen einen Tag mitgebracht und dann gesagt, damit kommt sie/er nicht zurecht, das "Technische" sei ihr zu kompliziert. Auch auf die App und den Table Mic möchte sie/er verzichten.

Nun ist die Problematik, dass direkte Kolleg/innen nicht mehr mit ihr/ihm kommunizieren möchten, da man mehrfach die Sätze wiederholen muss bzw. er/sie Arbeitsanweisungen nur noch via Email verstehen kann. Dadurch entstehen viele Fehler bei der/dem schwerbehinderte/r Mitarbeiter/in. Wenn man dies anspricht, erhält man leider nur Aussagen, dass man ja nichts für die Schwerhörigkeit kann.

Termine beim IFD finden seit mehreren Monaten statt. Der Betrieb erhält eine geringe Ausgleichszahlung.

Nächste Woche findet ein neuer Termin mit dem Integrationsamt statt. Ich bin leider etwas ratlos, wie ich die Kolleg/in noch unterstützen kann.

Hattet Ihr schon einmal so einen gelagerten Fall? (Die/der Kollege/in ist seit über 35 Jahren in dem Unternehmen).

Vielen Dank für eure Ratschläge

Schwerhörige Mitarbeiter lehnt techn. Hilfsmittel ab

Phönix, NRW, Sunday, 05.05.2024, 12:19 (vor 13 Tagen) @ Tahsa

Hallo Tasha,

selbst habe ich eine schwere Hörminderung mit hohen Diskriminationsverlusten, trage beidseitig Hörhilfen, bewege mich auch im Bereich der Selbsthilfegruppen für Hörgeschädigte und Gehörlose und nutze einen Phonak Roger One (als Tisch- oder Dozentenmikrofon) und bis zu vier Roger Table Mic II bei größeren Meetings und Schulungen.

Die Hörminderung und der Umgang damit ist ein sehr sensibler Bereich, welcher viel Verständnis, Geduld und Akzeptanz bei allen Beteiligten erfordert. Auch sollte man sich von der Vorstellung trennen, dass technische Hilfsmittel ohne Vorbehalte angenommen werden (können).

Daher würde sich zunächst die Frage stellen, wie der/die Betroffene überhaupt zu der Hörminderung steht. Wer die eigene Hörminderung nicht akzeptiert, dem können auch Hörhilfen und Zusatztechnik nur wenig helfen.

Als Mensch mit Hörminderung muss ich mein Umfeld darüber informieren und angeben, wie man die Kommunikation am besten gestalten kann. In der Praxis, ob nun im persönlichen oder fernmündlichen Gespräch, weise ich darauf hin, dass ich Hörhilfen trage und welche Verhaltensweisen eine Kommunikation erleichtern.

Sind Kollegen genervt, könnte dies ein Zeichen dafür sein, dass die erforderliche Akzeptanz nicht gegeben und auch der Umgang miteinander ungeklärt ist.

So weise ich z.B. daraufhin: "Sie brauchen nicht lauter sprechen, sprechen sie nur langsam und deutlich!" Und so gibt es noch viele Hilfestellungen und Verhaltensweisen wie z.B. den Blickkontakt bei der Ansprache, die Distanz, die Ausleuchtung usw. und damit lässt sich die Kommunikation schon deutlich verbessern.

Hilfreich könnte auch ein Wochenendseminar für Menschen mit Hörminderung und deren engsten Kollegen sein, angeboten und finanziert vom Inklusionsamt. Hier lernt man als Hörender, was eine Hörminderung bedeutet und wie man dieser begegnen kann.

Ist der Bereich abgeklopft, kann man schauen, ob die Kommunikation mit Zusatztechnik verbessert werden kann, denn Hörhilfen (Hörgeräte) und Cochlear Implante haben eins gemeinsam, eine qualitativ begrenzte Reichweite. Bei mir persönlich lässt die Verständlichkeit ab 2 Meter Distanz zum Sprechenden schon deutlich nach und dies ist keine Frage danach, ob meine Hörhilfen anders eingestellt werden müssen.

Die Zeit spielt auch eine entscheidende Rolle, je länger ich zuhören muss, umso drastischer nimmt die Verständlichkeit ab. Bei Beratungsgespräche setze ich daher auch Tischmikrofone ein, obwohl man nur einen Meter auseinander sitzt.

Leider gibt es nur wenige Angebote für technische Hilfsmittel am Markt.

Abschließend noch die Frage, ob die Beratung durch den IFD von jemanden geleistet wird, der explizit für den Bereich Hörminderung qualifiziert ist?

Gruß
Phönix

Schwerhörige Mitarbeiter lehnt techn. Hilfsmittel ab

Tahsa, Worms, Sunday, 05.05.2024, 12:36 (vor 13 Tagen) @ Phönix

Hallo Phönix,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

In unserer Region (ca. 15 km entfernt) gibt es vom Bundesverband für Lautsprache und Integration hörgeschädigter Menschen e.V. einen speziellen IFD. Der wird leider nicht angenommen. Der/die Kollege/in sieht sich nicht so stark beeinträchtigt und geht zum normalen IFD. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre es praktisch, sich hinter der Beeinträchtigung "zu verstecken".

Der/die Beeinträchtigte/r möchte auch nicht, dass andere Kollegen/innen von der Beeinträchtigung wissen. Ich habe versucht zu erklären, dass dies jedoch wichtig ist, da sonst Kollegen/innen nicht wissen, was los ist. Als Beispiel: eine Kollegin hat versucht ein Telefonat mit der/dem Beeinträchtigen zu führen und wusste nicht, dass die Nutzung des Telefons verweigert wird. Ich habe schon sehr viele Gespräche geführt, bin aber leider an der Grenze meiner Möglichkeiten gekommen. :-(

Danke für den Tipp mit dem Seminar. Nur leider vermute ich, dass die Kollegen/innen im direkten Umfeld dies Angebot nicht annehmen werden... Aber ansprechen und sensibilisieren kann man ja.

Viele Grüße Tahsa

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