Arbeitsassistenz und Mitarbeitervertretung (Kirche)

jakobF, Berlin, Wednesday, 22.07.2009, 10:59 (vor 5423 Tagen)

Ich bin Vorsitzender einer Mitarbeitervertretung bei einem diakonsichen Träger. Für die Funktion bin ich voll freigestellt. Ich bin per Definition blind und habe beim Integrationsamt eine Arbeitsassistenz beantragt (Vorlegen, Mobilitätshilfe bei Reisen zu diversen Standorten in verschiedenen Bundesländern. Das Integrationsamt hat Antrag und Widerspruch abschlägig beschieden. Grund: Es darf nur die Arbeit als Erzieher gefördert werden. Personalvertretung sei ehrenamtlich - nicht förderungswürdig. Der Betrieb müsse die Kosten tragen.
Ich kann das nicht nachvollziehen, da ich den Job als Erzieher nicht mehr leisten kann (u.a. Aufsichtspflicht etc.). In der Beratung kann ich weiterhin tätig sein, wenn Unterstützung erfolg. Gegenüber anderen Kandidaten für die Wahlen zur MAV bin ich somit stark benachteiligt, da ich zu der Belegschaft nur eingeschränkten Kontakt halten und aufbauen kann.
Hat jemand ähnliche Erfahrungen sammeln müssen. Vieliehct auch andere - positive - Enscheidungen.
Für Hinweise wäre ich sehr dankbar.
Gruss jakobF

Arbeitsassistenz und Mitarbeitervertretung

hackenberger, Wednesday, 22.07.2009, 11:17 (vor 5423 Tagen) @ jakobF

Hallo "jakobF",

als Neuer hier im Forum erst einmal ein willkommen. :flower:

Zu Deinem Anliegen.

Auch ich kenne bisher nur die Aussagen, dass der AG hier alle Kosten zu tragen hat und hier keine Leistungen aus der Mitteltopf der IA gem. SchwbAV in Anspruch genommen werden können. Die entsprechende Rechtsgrundlage ist § 40 BetrVG und § 96 SGB IX, sowie § 30 MVG. Alle besagen, die Kosten im Zusammenhang mnit der Mandatsausübung hat der AG zu tragen.

Doch ich habe nochmals mit meinem IA kontakt diesbezgl. aufgenommen.

Das Integrationsamt hätte lt. der Aussage meines IA Arbeitsassistenz die Kostenübernahme hierfür zu mindest im begrenzten Umfang tragen. Mindesttens aber die Kosten welche ohne Mandat auch entstehen würden. Hier gibt es aber u.U. auch unterschiedliche Auslegungen / Handhabungen der Rechtsgrundlagen. Auch weil es hier es sich einmal um technische Hilfen und einmal um Kosten bzw. Bereitstelung eines Budget für eine Arbeitsassitenz handelt.

Denn beim Thema Arbeitsassistenz also z.B. Vorlesekraft für Blinde, besteht seit Oktober 2000 ein Rechtsanspruch. Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz. Aber auch nur im Rahmen der Möglichkeiten lt. der zur Verfügung stehenden Mittel.

Es gibt aber auch hier Höchstgrenzen für diese Leistungen siehe Beschluss des OVG Bremen, Beschluss vom 15.10.2003 - 2 B 304/03 - in: br 3/2004, S. 84 und weitere Urteile zum Thema Arbeitsassistenz

Anders wäre es wenn es sich um technische Arbeitsplatzausstattungen handelt (z.B. PC), dann hätte das IA mit seiner Entscheidung recht, wenn ich die Aussage meines IA zu Grunde lege. Möglicherweise ist hier also dieses verwechselt worden.

Da es hier unterschiedliche Rechtsauslegungen gibt und auch in den mir bekannten Gesetzen (SchwbAV) dieses nicht zwingend klar (Rechtslage bei Mandatsträgern) geklärt ist, müssten dann die Gerichte letztlich entscheiden. Es sind mir leider keine Rechtsentscheidungen von Gerichten bezgl. der Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz für Mandatsträger/ Mandatsaufgaben bekannt.

Auch handelt es sich bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben um "Kannleistungen" bei welchen verschiedene Fakten einwirken. Ein Fakt ist das Thema "Pflichtquotenerfüllung" aber auch Zumutbarkeit des AG zur Kostentragung. So werden auch die hier möglichen Leistungen unterschiedlich erbracht. Diese Erfahrung musste auch ich in meiner aktiven Zeit machen, da ich mit IA in verschiedenen Bundesländern zusammengearbeitet habe. In einem Bundesland gab es so z.B. Mittel aus der SchwbAV für behindertenbedingte besondere Stühle im anderen Bundesland gab es diese grundsätzlich nicht.

Rechtsgrundlagen
§ 102 Abs. 4 Sozialgesetzbuch IX in Verbindung mit
§ 17 Abs. 1a Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung
Rechtliche Quellen zum Thema "Arbeitsassistenz"

Kontextlink:
Achtung dort sind 2 Urteile aufgeführt, bitte das 2. (untere) Urteil beachten.
VG Schleswig, Urteil vom 27.11.2002, 15 A 23/02, bestätigt durch das
OVG Schleswig, Beschl. v. 18.11.2003, 2 LA 46/03 = br 1/2004, S. 16.

Es gibt sofern ohne entsprechende Hilfsmittel die Beschäftigung bedroht ist weiter die Möglichkeit, dass als Leistungsträger die deutsche Rentenversicherung in Anspruch genommen werden kann.

Diese kann dann auch im Rahmen von Einzelfallentscheidungen dann darüber hinausgehende Leistungen erbringen. Dieses besonders wenn sonst die Verrentung drohen würde.

Hierzu wäre es aber notwendig als Versicherter, denn die Deutsche Rentenversicherung Bund fördert immer nur den Versicherten nie den AG, dort einen Antrag auf Teilhabe am Arbeitsleben stellt (Antrag/ Fbl G 100). Diesem Antrag muss dann neben der Erklärung, dass ohne diese Leistung die Verrentung drohen würde, da eine anderweitige Beschäftigung nicht möglich ist, der ablehnende (negative) Bescheid des Integrationsamtes beigefügt werden.

Arbeitsassistenz und Mitarbeitervertretung

Doris, Wednesday, 22.07.2009, 15:30 (vor 5423 Tagen) @

» Die Urteile beziehen sich ja nur auf eine technische Hilfe und nicht auf Assistenzkräfte. Insofern sehe ich schon gewisse Chancen für ein erfolgreiches Klagen, weil es für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist, die Assistenzkräfte zu finanzieren...

Hallo,

darauf, dass sich das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts sowie der Beschluss des OVG für das Land Schleswig-Holstein vom 18.11.2003, mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wurde, "nur" auf technische Arbeitshilfen und nicht auf Arbeitsassistenz bezieht, kommt es schon deshalb in diesem Zusammenhang nicht an, da es sich in beiden Fällen um begleitende Hilfen im Arbeitsleben handelt, für die der gleiche Arbeitsplatzbegriff nach § 73 Abs. 1 SGB IX maßgeblich ist, und demnach eine Differenzierung nach Leistungsarten willkürlich wäre und daher ausgeschlossen ist.

Ebenso wenig kommt es auf die Frage der "Zumutbarkeit" an etwa nach § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX bei Schwerbehindertenvertretungen oder nach § 40 BetrVG bei Betriebsräten, da diese Vorschriften nicht das Tatbestandsmerkmal der "Zumutbarkeit" enthalten, das Gesetz also stets eine Zumutbarkeit annimmt.
Die Kosten der Mitarbeitervertretung hat der Dienstgeber zu tragen nach § 30 des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Mitarbeitervertretungsgesetz).

Rechtsgrundlage dafür, dass keine Leistungen des Integrationsamts erbracht werden dürfen, soweit sie vom Arbeitgeber zu erbringen sind, ist § 18 Abs. 1 Satz 1 SchwbAV.

--
Viele Grüße
Doris

Arbeitsassistenz und Mitarbeitervertretung

Deafsaxonia, München (Bayern), Friday, 31.07.2009, 10:52 (vor 5414 Tagen) @ Doris

Liebe Doris,

ich habe mal aus SGB IX die Paragraphen § 96 und § 27 gegenübergestellt.
Die VP darf ja in der Ausübung ihres Amtes nicht behindert werden. Was wäre, wenn ein AG die VP nicht behindern möchte, aber auch die Arbeitsassistenz nicht finanzieren kann. Ich sehe hier ein Ansatzpunkt der Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber aus § 27, die teure Arbeitsassistenz zu finanzieren, auch wenn der Arbeitgeber nach § 96 (8) verpflichtet ist.

Eine technische Hilfe ist für den Gesetzbeber im Rahmen der Tätigkeit als VP eine zumutbare Anschaffung, obendrein ist sie oftmals auch für die reguläre Tätigkeit nutzbar wie in dem Urteil der blinden Person mit der mobilen Braillezeile. Diese blinde Person hat doch bestimmt auch reguläre Arbeitssitzungen, für die so eine technische Hilfe sinnvoll wäre. Ich frage mich, warum AG oder die sb Person diese mobile Hilfe nicht für ihre reguläre Tätigkeit beantragt hatte> (Ich glaube, sie war nicht völlig freigestellt>) Manchmal wird den behinderten Menschen selbst und auch dem Arbeitgeber erst durch neue (insb. kommunikative) Herausforderungen und durch den Einsatz wirklich sinnvoller Hilfsmittel klar, wie sehr sie unterstützend wirken in ihrem Arbeitsleben und in ihrer Karriere. Ich erlebe es ja oft, dass manche behinderte Menschen bestimmte Hilfsmittel gar nicht für ihre eigene reguläre Tätigkeit beantragen, insbesondere Hilfsmittel, welche die Kommunikation fördern. Und gerade die Kommunikation ist heutzutage nicht mehr aus dem Arbeitsleben wegzudenken, egal ob in regulärer oder in ehrenamtlicher Tätigkeit.

Evtl. Begriffe Beschäftigung/Tätigkeit und Arbeitsplatz in der Gesetzgebung näher betrachten, um den Anspruch daraus zu konstruieren.

Viele Grüße
Deafsaxonia

§ 96
Persönliche Rechte und Pflichten der Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen
(2) Die Vertrauenspersonen dürfen in der Ausübung ihres Amtes nicht behindert oder wegen ihres Amtes nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.
(8) Die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten trägt der Arbeitgeber. Das Gleiche gilt für die durch die Teilnahme des mit der höchsten Stimmenzahl gewählten stellvertretenden Mitglieds an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach Absatz 4 Satz 3 entstehenden Kosten.


§27 Leistungen bei außergewöhnlichen Belastungen
(2) Außergewöhnliche Belastungen sind überdurchschnittlich hohe finanzielle Aufwendungen oder sonstige Belastungen, die einem Arbeitgeber bei der Beschäftigung eines sb Menschen auch nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten entstehen und für die die Kosten zu tragen für den Arbeitgeber nach Art oder Höhe unzumutbar ist.

RSS-Feed dieser Diskussion