Frage zum Urteil: Kündigung der SBV (Lektüre / Gesetze)

Ironie, Friday, 09.09.2011, 07:51 (vor 4612 Tagen)

Guten Morgen,

bei dem folgenden Urteil komme ich ins Schleudern:

Kündigung der SBV

Die außerordentliche Kündigung des Mitglieds einer Schwerbehindertenvertretung
bedarf laut LAG Hamm der Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung und nicht
der des Betriebsrates.
Es um eine Frau (GdB von 50), die als Helferin in einem Seniorenzentrum
arbeitete. Sie war als Vertrauensperson Mitglied in der
Schwerbehindertenvertretung und gehörte zusätzlich dem Betriebsrat an.
Nachdem sie in den Verdacht geraten war, Waren auf Kosten einer Bewohnerin
für ihren eigenen Gebrauch beschafft zu haben, beantragte der Arbeitgeber
beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, die
erteilt wurde. Ebenso beantragte er beim Betriebsrat die Zustimmung zur
außerordentlichen Kündigung, was dieser aber verweigerte. Das Arbeitsgericht
gab dem Arbeitgeber Recht, woraufhin Betriebsrat und Arbeitnehmerin
Beschwerde einlegten.

Das LAG gab der Beschwerde statt – hier müsse anstatt des Betriebsrats die
Schwerbehindertenvertretung beteiligt werden. Diese sei als eigenständige
Repräsentantin der schwerbehinderten Menschen in ihrer amtlichen Funktion
unmittelbar in ihrer Zusammensetzung betroffen. Vertrauenspersonen der
schwerbehinderten Menschen besitzen gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche
persönliche Rechtsstellung, namentlich was den Kündigungsschutz angeht, wie
Mitglieder des Betriebs- oder Personalrates. Wenn solchen außerordentlich
gekündigt werden soll, müsse auch das Gremium, dem sie angehören, die
Zustimmung erteilen. Dafür spreche entscheidend auch der Sinn und Zweck des
im BetrVG aufgestellten Zustimmungserfordernisses bei einer außerordentlichen
Kündigung.
Neben dem Schutz des jeweils betroffenen Amtsträgers soll verhindert
werden, dass ein demokratisch gewähltes Gremium durch den Verlust einzelner
Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität der
Amtsführung beeinträchtigt wird. Dieses Ziel ist nach Auffassung des LAG nur
dann (effektiv) zu erreichen, wenn das jeweils betroffene Gremium selbst über
die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung entscheidet, hier also die
Schwerbehindertenvertretung.

LAG Hamm, Beschluss vom 21.01.2011, Az: 13 TaBV 72/10

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Immer wieder wird betont, dass es sich bei der Schwerbehindertenvertretung um
ein Ein-Personen-Mandat handelt, die Stellvertretung jedoch ein ruhendes
Mandat inne hat, demnach also auch nichts entscheiden kann.
Hier aber wird mehrfach von der Schwerbehindertenvertretung als Gremium
geschrieben.

Quo vadis>

Danke und lieber Gruß

Ironie

Frage zum Urteil: Kündigung der SBV

hackenberger, Friday, 09.09.2011, 10:19 (vor 4612 Tagen) @ Ironie

Hallo,

ja, manchmal ist es halt nicht so einfach zu verstehen. Das Urteil, besonders der von Dir fettgedruckte Teil, bezieht sich auf den BR. Denn der § 103 BetrVG stammt ja auch aus diesem Bereich. Weil aber die SchwbV die gleiche Rechtstellung hat wie der BR und das SGB IX keine Regelung entsprechend des § 103 BetrVG hat, wird dieser wegen der gleichen Rechtstellung angewandt.

Einfach einmal folgendes Beispiel: Auch ein BR der gemäß BetrVG nur aus einem BR besteht, ist rechtl. ein Gremium und es gibt Ersatzmitglieder. Also Gremium bedeutet nicht > einem der AKTIV ist. Bei Verhinderung rückt dann das Ersatzmitglied nach.

Also die SchwbV ist auch ein Gremium bestehend aus EINER aktiven Person. Bedeutet, es entscheidet IMMER nur EINER. Somit spricht man zur Klarheit von der 1-Personen-Vertretung.

Auch in den Fällen des § 95 Abs 1 Satz 3, also der dauerhaften Aufgabenübertragung, entscheidet immer nur EINER. Also dann der Stelli für die Ihm dauerhaft übertragenen Aufgaben. Ggf. dann auch wenn die VPSchwb anderer Meinung ist. Sie sollten sich aber absprechen.

Hier einmal auch noch ein Ausszug aus dem Knittelkommentar zum § 95. Rn 32
Durch die Heranziehung eines stellvertretenden Mitgliedes wird die Schwerbehindertenvertretung nicht zu einem kollegialen Beschlussorgan. Denn der Stellvertreter wird zuständig allein für die ihm übertragenen Aufgaben. Jedoch sind die Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung bei ihrer Aufgabenwahrnehmung zu wechselseitiger Abstimmung verpflichtet (Abs. 1 Satz 5). Der Gesetzgeber hat es für notwendig gehalten, diesen an sich selbstverständlichen Grundsatz entgegen der Kritik des Bundesrates an einer „unnötigen Regulierung” ausdrücklich festzuschreiben, um damit „im betrieblichen Alltag aufgetretene Schwierigkeiten” zu beseitigen (vgl. oben Rdnr. 10g).

Anmerkung: "Kollegiales Beschlussorgan" das wird mit dem Begriff "Gremium" stets gemeint.

Hinweis: Dieses Urteil findet bei Kündigungen NUR Anwendung auf die VPSchwb, nicht auf den Stelli. Denn Stelli fallen wie die Ersatzmitglieder des BR nicht unter den § 103 BetrVG. Hier gilt "nur" der nachwirkende besondere Kündigungsschutz der unter § 102 BetrVG fällt. Anders ist es nur für die Zeitraum der Verhinderungsvertretung, denn dann nimmt der Stelli wie das Ersatzmitglied des BR die Aufgaben mit allen Rechten und Pflichten der VPSchwb wahr.

Möchte also ein AG einen Stelli in der Zeit in welcher er wegen Urlaub/Krankheit die Aufgaben der VPSchwb wahrnimmt kündigen, so müsste er dieses wieder beachten oder aber die Rückkehr der VPSchwb abwarten, da dann "nur" wieder der nachwirkende besondere Kündigungsschutz gilt. Eben wegen des ruhendes Mandates.

Wie es in den Fällen des § 95 Abs 1 Satz 3 wäre, müsste ggf. wieder ein Gericht entscheiden. Man könnte hier aber sagen, es ist quasi eine "dauerhafte Verhinderungsvertretung". Aber ohne, dass daher die Regelung der 1-Personen-Vertretung aufgehoben wird.

Die Besonderheit beim § 103 im Gegensatz zum § 102 BetrVG ist, dass hier der BR oder im Falle der SchwbV diese einer Kündigung zustimmen muss. Erfolgt hier KEINE Zustimmung, so muss der AG vor das ArbG um sich dort die Zustimmung ersetzen zu lassen.

Bei Kündigungen welche unter den § 102 BetrVG fallen, kann der AG auch kündigen, wenn der BR / SchwbV sich nicht äußern oder gar der Kündigung "nicht zustimmen".

Im Falle, dass eine VPSchwb gekündigt werden sollte, also der § 103 BetrVG zu beachten ist, müsste dann wegen der eigenen Betroffenheit der Stelli hier das Mandat wahrnehmen. Vergelichweise wie bei 1-er BR in kleinen Betrieben. Ungeklärt ist auch hier wieder, was ist, wenn es kein Stelli gibt> Wäre dann die GSchwbV ggf. die welche handen müsste> Hier müsste man dann prüfen, wie ist es in vergleichbaren 1-er BR.

Mandatsträger können nur außerordentlich gekündigt werden, das bedeutet bei VPSchwb/BR die Beachtung des § 103 BetrVG und bei Stelli und Ersatzmitgliedern des BR (nachwirkender Kündigungsschutz) § 102 BetrVG.

Es zeigt auch einmal wieder, dass SchwbV nicht nur Kenntnisse im SGB IX haben müssen sondern auch Grundkenntnisse im BetrVG bzw PersVG/MAVG

Ja, nicht immer alles gleich ganz einfach ;-)

Kontextlink:
Kündigungsschutz für besondere Personengruppen

Frage zum Urteil: Kündigung der SBV

Ironie, Tuesday, 13.09.2011, 08:53 (vor 4608 Tagen) @ Ironie

Sorry, hat sich erledigt.

Wer lesen kann, hat mehr vom Leben. :-D

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