Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher (Allgemeines)

Ipsen, Schleswig-Holstein, Monday, 08.01.2018, 10:25 (vor 2299 Tagen)

Liebe Kollegeinnnen und Kollegen,

habe als "Fachmann" eine Anfrage von ausserhalb eines jungen Mannes erhalten, der im Rollstuhl sitzt und sich eine Ausbildung zum Erzieher wünscht. Mit diesem Wunsch ist er zum Arbeitsamt gegangen und hat um Unterstützung gebeten, worauf er dort die Auskunft erhielt, dass ein Rollstuhlfahrer kein Erzieher werden könne...

Hat jemand von euch da einen Tipp?

Habe keine Vorstellung, warum ihm dies verweigert werden könnte.

Soll er sich vielleicht einen Rechtsanwalt nehmen?

Vielen Dank für die Hilfe im Voraus!

Lieben Gruß
Kai

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Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann.
(R.v.Weizsäcker)

Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher

albarracin, Baden-Württemberg, Monday, 08.01.2018, 10:57 (vor 2299 Tagen) @ Ipsen

Hallo,

der Betroffene sollte mal nachfassen, auf welcher Grundlage denn diese Aussage zustande gekommen ist.
Ich sehe im Rollstuhl kein grundsätzliches Hindernis für den Erzieher-Beruf. Das riecht eher nach Diskriminierung der gedankenlosen Art.
Vielleicht sollte der Betroffene sich auch an die örtliche Reha-Servicestelle (solange es sie noch gibt) wenden um evtl. das volle Instrumentarium der Teilhabe-Leistungen einschl. Eignungsüberprüfung etc. geltend zu machen.

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&Tschüß

Wolfgang

Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher

Ipsen, Schleswig-Holstein, Monday, 08.01.2018, 15:48 (vor 2298 Tagen) @ albarracin

Hej Wolfgang,

vielen Dank für Deine schnelle Antwort!

Werde ich so weitergeben.

Lieben Gruß
Kai

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Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann.
(R.v.Weizsäcker)

Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher

garda, Berlin, Monday, 08.01.2018, 15:51 (vor 2298 Tagen) @ Ipsen

Hallo,

so pauschal ist das sicher nicht richtig. Mir wäre keine Vorschrift bekannt die es Rollifahrern verbieten würde Erzieher zu sein oder zu werden.

Ob es für jede Altersgruppe sinnvoll ist und wie es geht steht auf einem anderen Blatt. gerade für integrative Kitas kann das doch sehr sinnvoll sein. Wenn da nicht weitere Einschränkungen bestehen, die hier bisher nicht thematisiert wurden, würde mich die Ablehnung wirklich interessieren. da ich im Zivilberuf Arbeitsvermittler im Jobcenter bin, schaue ich bei bedarf auch gerne rüber.

Noch ein Tipp: die Ablehnung einer Weiterbildung sollte immer schriftlich angefordert werden, gegen mündliche Auskünfte gibt es keine Rechtsmittel. ;-)

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Mit freundlichen Grüßen

Michael

Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher

Hendrik1, Niedersachsen, Monday, 08.01.2018, 15:59 (vor 2298 Tagen) @ Ipsen

Moin Moin Ipsen,

Ihr könnt mich jetzt totschlagen, aber ich kann die Antwort der Agentur für Arbeit teilweise nachvollziehen.

Gesundheitlich eingeschränkte sollten möglichst in Berufe oder Ausbildungen vermittelt werden, in denen sie ohne Einschränkung arbeiten können.
Dieses sehe ich bei einem Rollstuhlfahrer in vielen Bereichen, in denen Erzieher/innen arbeiten, nicht gegeben, zumindestens wenn keine Restgehfähigkeit vorhanden ist, oder Aufstehen nicht möglich ist. Er könnte nicht in einer Krippe voll eingesetzt werden, da beim Vorbereiten und Aufräumen die Krippenkinder je nach Altersstruktur noch wenig mithelfen können. Auch Wickeln auf einem Wickeltisch wäre nur mit Umbau desselben möglich, wenn dies räumlich machbar ist und der Wickeltisch unterfahren werden und er von der Armkraft her das Kind sicher auf denselben heben kann. Auch im Kindergarten und Krippenbereich ist er, wenn z.B. im Außengelände ein Kind von der Schaukel in den Sand fällt, oder vom Klettergerüst stürzt, nicht einsetzbar, da ein Rollstuhl im Sand kaum geländegängig sein dürfte. Die Küche müsste so umgestaltet sein, dass er an Geschirr, Töpfe Herd usw. ohne Probleme herankommt.
Dieses sind nur Dinge, die mir auf den ersten Blick einfallen. Sie sind lösbar, wenn dies in der bestehenden Einrichtung möglich ist, oder aber die Kollegen/innen müssten die Aufgaben, die er nicht kann, mit übernehmen. Es bleibt aber ein Berufswunsch mit deutlichen bleibenden Einschränkungen.

Auch in Heimen ist er nur in barrierefreien Einrichtungen einsetzbar und auch nur je nach Alterstruktur der Kinder (Säuglinge bis hin zu Jugendlichen).

Wäre ich Sachbearbeiter, würde ich deshalb zumindestens nachfragen, in welchem Bereich er nach der Ausbildung arbeiten wollen würde und ob es Alternativen für ihn gäbe, in denen er mit weniger Einschränkungen arbeiten könnte und ihn bitten, hierüber noch einmal nachzudenken.

Wie gesagt, Ihr könnt mich totschlagen, dass ich hier die Anfrage auch - ohne Kenntnis der genauen Einschränkungen des Rollstuhlfahrers - erst einmal kritisch sehe.

Liebe Grüße

Hendrik

Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher

WoBi, Monday, 08.01.2018, 19:49 (vor 2298 Tagen) @ Hendrik1

Hallo,

ob eine derartige Ausbildung "sinnvoll" und "zukunftsorientiert" ist, wird mit viel Für und Dagegen diskutiert werden können.
Doch im Zeichen von Inklusion und den Grundwerten unseres Rechtstaates verweise ich auf das Grundgesetz Artikel 12:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Dies auch in Verbindung mit Artikel 3 und 2 GG:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

und

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

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Gruß
Wolfgang

Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher

Hendrik1, Niedersachsen, Monday, 08.01.2018, 23:36 (vor 2298 Tagen) @ WoBi

Moin Moin Wolfgang,

ich habe ja auch nicht geschrieben, es ist unmöglich für ihn in diesem Beruf zu arbeiten. Aber in einem Kindergarten, der sich nur an die gesetzlichen Mindestanforderungen von zwei Erzeher/innen pro Gruppe hält, sehe ich es als schwierig an. Es kommt immer wieder vor, dass in einer Krippe die Kinder gewickelt werden müssen, wenn er dann alleine mit den anderen ist, uns ein Kind stürzt, kann er ggf. mit dem Rollstuhl nur schwer hinkommen und das Kind aufheben bzw. versorgen, wenn er den Rollstuhl nicht kurz verlassen kann. Der/die Erzieher/in kann aber das andere Kind nicht auf dem Wickeltisch lassen, sondern muss dieses erst sicher ablegen, bevor sie/er zu Hilfe kommen kann .... das sehe ich als Sicherheitsfragen an. Sollte der Sturz im Freigelände(Schaukel oder Klettergerüst im Sandkasten, die nicht rollstuhlzugänglich ist) sein, kann es sogar sein, dass die andere Kraft diese Notsituation aufgrund der räumlichen Trennung (Sanitärraum ist außerhalb des Gruppenraums und damit unter Umständen mehrere Türen vom Außengelände entfernt) nicht mitbekommt und derjenige die anderen Kinder sogar alleine lassen muss, um Hilfe zu holen ...... Ich bin bei uns im Betriebskindergarrtenausschuss und kenne daher solche Situationen. .

Klar ist dieses z.B. in Heimen mit älteren Kindern und/oder Inklusionskindertagesstätten anders, wenn die Personalausstattung dementsprechend ist.
Daher habe ich gesagt, dass ich fragen würde, in welchem Bereich er hinterher arbeiten möchte.

Vielleicht wäre dieses eine Lösung auch für die Agentur für Arbeit:
Ich würde an seiner Stelle um eine Hospitation in einem von ihm gewünschten Bereich bitten, um sich ein eigenes Bild von der Situation vor Ort machen und selber prüfen und mit den Beschäftigten vor Ort besprechen zu können, ob dieser Berufswunsch realisierbar ist.

Liebe Grüße

Hendrik

Ausbildung Rollstuhlfahrer zum Erzieher

knorpeli, Tuesday, 09.01.2018, 10:08 (vor 2298 Tagen) @ Ipsen

Hallo liebe Leute!
Ich zitiere mal Prof. Dr. em. Peter Trenk-Hinterberger, Marburg (Rechtsdienst 1/2012 - Rechts- und Sozialpolitik):

„Anzustreben ist ein inklusiver Arbeitsmarkt“. Es ist die Leitidee, dass Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld „inklusiv“ sein müssen (so die verbindliche englische Version – „inclusive“ –; unzutreffend hingegen die Übersetzung „integrativ“ in dem im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Text der BRK).9 Übersetzt man aber mit „inklusiv“, dann kommt in der Regelung zum Ausdruck, dass es nicht nur darum gehen kann, Menschen mit Behinderungen an einen unverändert vorgegeben Arbeitsmarkt anzupassen, diese Menschen also „marktkonform“ einzugliedern, sondern dass es zugleich
darauf ankommt, diesen Arbeitsmarkt so umzugestalten, dass er seinerseits an die Lebenslage Behinderung angepasst wird. Dabei geht es nicht nur um eine Rechtspflicht der Vertragsstaaten zu Maßnahmen der Bewusstseinsbildung (vgl. auch Art. 8 Abs. 2 Buchst. a) iii) BRK), sondern auch um die Rechtspflicht zu Maßnahmen, die dazu führen, dass behinderte Menschen mit ihren Fertigkeiten und Fähigkeiten in einer entsprechend veränderten Arbeitswelt tätig werden können.

Wie sollen die Ziele der UN-BRK verwirklicht werden, wenn (in diesem Fall) einem Rollstuhlnutzer die Ausbildung und Ausübung eines Berufes verwehrt wird, in dem zudem die Erfahrungen als beeinträchtigter Mensch der Berufsausübung zugute kommen? Mal abgesehen von den Grundsätzen des GG und AGG.....

Eigentlich ein Fall für den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Genf, im Sinne des Fakultativprotokolls........

Herzlichen Gruß!

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