Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW (Umgang mit Arbeitgeber)

rehbach2010, BW, Friday, 26.01.2018, 11:32 (vor 2254 Tagen)

Moin zusammen,

das Urteil ist mal wieder der Hammer und zeigt wie ungenau unsere Rechte definiert sind.
Ich sehe auch eine gewisse Diskrepanz zu vorherigen Urteilen diverser anderer Gerichte.
Wenn die Abmahnung einmal ausgesprochen wurde, ist sie auch sehr schwer wieder zu entfernen.

Soll die Reihenfolge nun "erst abmahnen, dann reden" sein? Da kann ich mir die Prävention fast sparen.

Wie seht Ihr das Ganze?
Hat jemand das vollständige Urteil?


Die SBV hat keinen Anspruch auf eine generelle Beteiligung vor dem Ausspruch einer Abmahnung.

Eine Beteiligungspflicht kann aber bestehen, wenn es um den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile i.S.v. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gehe.
Das könnte möglicherweise dann der Fall sein, wenn ein Mitarbeiter wegen verspäteten Erscheinens am Arbeitsplatz abgemahnt werde und seine Schwerbehinderung im Zusammenhang mit einer Gehbehinderung stehe.

Eine Beteiligungspflicht bestehe also nicht, wenn die Abmahnung keinen Bezug zur Behinderung des betroffenen schwerbehinderten Menschen aufweise. Es kommt also auf den Einzelfall an.

LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.04.2017 – 7 TaBV 1/17

Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW

MatthiasNRW, Friday, 26.01.2018, 13:53 (vor 2254 Tagen) @ rehbach2010

Rein praktisch gefragt: Wie soll der Arbeitgeber wissen, ob ein abmahnungswürdiges Fehlverhalten im Zusammenhang mit einer Behinderung steht?

Die konkreten Beeinträchtigungen sind diesem in der Regel nicht bekannt. Eine Reduzierung der Beurteilung, ob etwas mit der Behinderung im Zusammenhang steht, auf offensichtliche Behinderungen abzustellen, würde auch zu kurz greifen. Häufiger bestehen neben offensichtlich sichtbaren Behinderungen noch weitere, nicht sichtbare, Behinderungen, die selbstverständlich auch im Zusammenhang mit Gründen für eine Abmahnung stehen können.

Genau dies im Blick zu haben und den Arbeitgeber darüber aufzuklären, gehört meines Erachtens zu den Aufgaben der SBV.

--
Gruß
Matthias

Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW

rehbach2010, BW, Friday, 26.01.2018, 16:14 (vor 2254 Tagen) @ MatthiasNRW

Hallo zusammen,
Ich sehe die Gefahr, dass die SBV erst eingeschaltet wird, wenn die Abmahnung schon ausgesprochen wurde! Sinnvoller ist doch das gemeinsame Gespräch vorher, denn dann kann nachvollzogen werden, ob andere als behinderungsbedingte Gründe vorliegen. Es ist ja unsere Aufgabe auf die Willensbildung des AG einzuwirken, bevor er sich zu einer Maßnahme entschließt Es ist in meinen Augen viel effektiver die unberechtigte Abmahnung zu verhindern, als sie im später aus der Personalakte heraus zu bekommen. - Lieber Matthias, Du hast vollkommen Recht, aber wenn die Maßnahme bereits erfolgt ist, wird es verdammt schwierig. Ein guter AG wird immer das gemeinsame Gespräch suchen.

Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW

Hendrik1, Niedersachsen, Friday, 26.01.2018, 20:07 (vor 2254 Tagen) @ rehbach2010

Moin Moin,

ich kann dieses Urteil auch aus einer anderen Sicht nicht nachvollziehen.
Nach $84,1 SGB IX alt (schreibe von zu Hause habe kein aktuelles SGB IX hier) hat der Arbeitgeber die SBV, Personalvertretung und Integrationsamt zu beteiligen, wenn das Arbeitsverhältnis gefährdet sein kann. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Abmahnung - Vorstufe zur Kündigung - auszusprechen, ist dieses Stadium erreicht. Daher ist bei einem aus Sicht des Arbeitgebers abmahungswürdigen Vergehen die SBV einzubeziehen. So zumindestens meine Rechtssicht auf diesen Fall.

Zudem verstehe ich nicht, wie sich dies mit §95,2 SGb IX verträgt, nachdem der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Belangen, die einen Schwerbehinderten betreffen, umverzüglich zu infomieren und vor einer Entscheidung anzuhören hat.
Welcher Richter will mir erzählen, dass eine Abmahnung - ob berechtigt oder unberechtigt - als Vorstufe zur Kündigung den Schwerbehinderten nicht betrifft?

Liebe Grüße

Hendrik

Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW

MatthiasNRW, Wednesday, 07.02.2018, 11:54 (vor 2242 Tagen) @ Hendrik1

Hallo,

ich kann dieses Urteil auch aus einer anderen Sicht nicht nachvollziehen.
Nach $84,1 SGB IX alt (schreibe von zu Hause habe kein aktuelles SGB IX hier) hat der Arbeitgeber die SBV, Personalvertretung und Integrationsamt zu beteiligen, wenn das Arbeitsverhältnis gefährdet sein kann. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Abmahnung - Vorstufe zur Kündigung - auszusprechen, ist dieses Stadium erreicht. Daher ist bei einem aus Sicht des Arbeitgebers abmahungswürdigen Vergehen die SBV einzubeziehen. So zumindestens meine Rechtssicht auf diesen Fall.

mir liegt der ursprüngliche Beschluss des ArbG Reutlingen inzwischen vor, auf den sich das LAG in seiner Begründung bezieht.

Mit Blick auf die Prävention unterscheidet das ArbG zwischen der Abmahnung und dem Fehlverhalten, das die Abmahnung begründet. Nur mit Blick auf das Fehlverhalten habe ggf. eine Beteiligung zu erfolgen, wenn dadurch das Arbeitsverhältnis gefährdet wird. Die Abmahnung soll den Arbeitnehmer zu vertragsgemäßen Verhalten ermahnen, soll also vielmehr dazu beitragen, dass der Arbeitsplatz nicht gefährdet wird. Die Kammer verweist in diesem Punkt auch auf Knittel, 9. Aufl., Rn. 24a zu § 84 und die dort weiter genannten Nachweise.

Bezogen auf die weiteren (verneinten) Beteiligungsrechte verweist die Kammer in ihrer Begründung vorrangig auf die Rechtsprechung des BAG, Beschluss vom 17.8.2010, 9 ABR 83/09.

--
Gruß
Matthias

Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW

Holger, Wednesday, 31.01.2018, 07:52 (vor 2249 Tagen) @ rehbach2010

Hallo,

ich glaube, ein Arbeitgeber der sich demnächst auf dieses Urteil beruft, kann sein blaues Wunder erleben.
Die SBV hat vielleicht kein Recht auf Teilnahme an einem Abmahnungsverfahren.
Wenn sie jedoch nicht beteiligt wird, wie will der Arbeitgeber den Schwerbehinderten später kündigen?

Denn dies kann er nur noch mit ZUSTIMMUNG der SBV (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX neu).

Welche SBV wird schon zustimmen, wenn sie zuvor nicht am Verfahren beteiligt wurde?

VG Holger

Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 31.01.2018, 08:50 (vor 2249 Tagen) @ Holger

Hallo,

Hallo,

mit Verlaub, aber du solltest § 178 Abs. 2 Satz 3 richtig lesen und zwar in Verbindung mit Satz 1.

Dann würdest Du nämlich nicht eine derart falsche Aussage machen:

Wenn sie jedoch nicht beteiligt wird, wie will der Arbeitgeber den Schwerbehinderten später kündigen?

Denn dies kann er nur noch mit ZUSTIMMUNG der SBV (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX neu).

Die SBV muß vor einer Kündigung lediglich rechtzeitig informiert und angehört werden. Von "Zustimmung" als Wirksamkeitsvoraussetzung steht da nirgends was.


VG Holger

--
&Tschüß

Wolfgang

Beteiligung der SBV - Urteil des LAG BW

Brandenburg ⌂, Berlin, Tuesday, 06.02.2018, 19:45 (vor 2243 Tagen) @ rehbach2010

Das Problem ist nur, dass die Darlegung einer Arbeitspflichtverletzung aufgrund der Behinderung oftmals sehr, sehr schwierig ist und kein Arbietgeber letztlich sagen wird, dass die Abmahnung oder andere Maßnahmen aufgrund der Behinderung erfolgt ist.

Beteiligung der SBV - Beschluss des LAG BW

Cebulon, Wednesday, 07.02.2018, 13:43 (vor 2242 Tagen) @ rehbach2010

Eine Beteiligungspflicht bestehe also nicht, wenn die Abmahnung keinen Bezug zur Behinderung des betroffenen schwerbehinderten Menschen aufweise. Es kommt also auf den Einzelfall an.
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.04.2017 – 7 TaBV 1/17

... also aus rein subjektiver Sicht des Arbeitgebers: Diese Ansicht des LAG Ba-Wü kommt mir so vor, dass wenn ein Arbeitgeber mutmaßt bzw. meint, dass eine Kündigung nicht im Zusammenhang mit einer Behinderung stünde, er dann auch auf die Zustimmung des Integrationsamts bei zum Beispiel verhaltensbedingter Kündigung sbM verzichten könne. Wie will der das denn objektiv beurteilen ohne den Feststellungsbescheid, in dem ja die einzelnen Behinderungsarten aufgelistet sind? Bauchgefühl oder was?

Oder dass ein Betriebsrat, der meint, dass kein schwerbehindertenrechtlicher TOP ansteht, er auf die Ladung der SBV zur BR-Sitzung bzw. zu den Monatsgespräch verzichten könne.

Ich finde die ganze Argumentation dieses LAG wenig durchdacht, ziemlich "schräg" und nicht nachvollziehbar. Denn Abmahnungen sind halt einmal (einseitige) Entscheidungen, vor denen Anhörung zu erfolgen hat.

Gruß,
Cebulon

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