Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung (Allgemeines)

Pernille, Monday, 19.02.2018, 13:00 (vor 2256 Tagen)

Ein Mitarbeiter war ein Jahr krank. Mit seinem Arzt hat er abgesprochen, dass er 10 Stunden in den ersten vier Wochen macht. Der Arzt hatte im Formular zwei Stunden am Tag geschrieben. Mit dem Arzt hatte der MA abgesprochen, dass er selbst entscheiden kann, ob es tatsächlich zwei Stunden am Tag ist oder vier Stunden die ersten zwei Tagen etc. Der Mitarbeiter hat einen langen Weg zur Arbeit und hat beschlossen, dass er Stunden in der Woche so gestaltet: 4-4-2-0-0. Er sagt er hat einen längeren Weg zur Arbeit als die zwei Stunden Arbeit.
Nach Einschätzung der SBV ist die gewünschte Konstellation die beste für seine Gesundheit.

Nun sagt der Arbeitgeber, dass dies nicht geht. Er erklärt dies mit Fürsorgepflicht und Versicherung.

Frage: Muss der MA erneut zum Arzt und eine neue Wiedereingliederungsformular ausfüllen oder reicht einen Brief vom Arzt?

Stimmt es, was der Arbeitgeber sagt?

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

garda, Berlin, Monday, 19.02.2018, 13:28 (vor 2256 Tagen) @ Pernille

Hallo,

sicher wären alle Beteiligten, wenn der Arzt das Hamburger Modell abändert. Als AG würde ich die doppelt so hohe Arbeitszeit gegenüber dem Plan jedenfalls nicht annehmen, sondern den Beschäftigten nach Hause schicken.

Die Begründung des Beschäftigten mit der Fahrzeit kenne ich aus der Praxis und kann immer wieder nur den Kopf schütteln, denn ihren Arbeitsweg sollten doch wohl alle kennen.

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Mit freundlichen Grüßen

Michael

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

Pernille, Monday, 19.02.2018, 13:46 (vor 2256 Tagen) @ garda

Die Begründung des Beschäftigten mit der Fahrzeit kenne ich aus der Praxis und kann immer wieder nur den Kopf schütteln, denn ihren Arbeitsweg sollten doch wohl alle kennen.

Der Arbeitgeber sagte hierzu "Ihr Fahrzeit zur Arbeit ist hier nicht wichtig"

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

mietze_katz, Oberbayern, Monday, 19.02.2018, 13:51 (vor 2256 Tagen) @ Pernille

Der Arbeitgeber sagte hierzu "Ihr Fahrzeit zur Arbeit ist hier nicht wichtig"

Vollkommen richtig!

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

Pernille, Monday, 19.02.2018, 14:02 (vor 2256 Tagen) @ mietze_katz

Der Arbeitgeber sagte hierzu "Ihr Fahrzeit zur Arbeit ist hier nicht wichtig"


Vollkommen richtig!

In jedem Reha-Formular ist dieser Punkt immer wichtig und wird nachgefragt. Wieso ist es hier nicht wichtig?

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

garda, Berlin, Tuesday, 20.02.2018, 08:07 (vor 2256 Tagen) @ Pernille

Der Arbeitgeber sagte hierzu "Ihr Fahrzeit zur Arbeit ist hier nicht wichtig"


Vollkommen richtig!


In jedem Reha-Formular ist dieser Punkt immer wichtig und wird nachgefragt. Wieso ist es hier nicht wichtig?

Es ist für den Arbeitgeber nicht wichtig, für den Beschäftigten natürlich schon. Allerdings kommen dann meist die Beschäftigten aus dem Mustopf: huch ich muss ja jeweils 1 h hin und zurück fahren, da lohnen sich 2 h Arbeit ja gar nicht. Stimmt ja aber man fährt doch immer so lange hin und zurück.

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Mit freundlichen Grüßen

Michael

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

wurzelkasper, Thursday, 22.02.2018, 14:37 (vor 2253 Tagen) @ garda

Ich glaube schon das auch die Reisezeit eine Rolle spielt für den AN und den AG.

Schließlich muss auch die An- und Abreise zur Arbeit geschafft werden.
Wenn man das aus AN Sicht als unrentabel ansieht hat man vielleicht den Sinn der Wiedereingliederung erfasst, man muss ja das Gesamtpaket (Anreise, Arbeit, Abreise) wieder leisten können.

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

MatthiasNRW, Friday, 23.02.2018, 12:12 (vor 2252 Tagen) @ wurzelkasper

Ich glaube schon das auch die Reisezeit eine Rolle spielt für den AN und den AG.

Schließlich muss auch die An- und Abreise zur Arbeit geschafft werden.
Wenn man das aus AN Sicht als unrentabel ansieht hat man vielleicht den Sinn der Wiedereingliederung erfasst, man muss ja das Gesamtpaket (Anreise, Arbeit, Abreise) wieder leisten können.

Es geht ja nicht um Rentabilität für den AN, sondern um eine langsame Heranführung an den Arbeitsprozess eines immer noch arbeitsunfähigen Mitarbeiters. Dass ein MA womöglich das Gefühl hat, der Arbeitsweg "lohne" sich nicht, ist erstmal nicht wichtig. Hier geht es rein um gesundheitliche Aspekte und nicht um Erfüllung eines wöchentlichen Arbeitspensums von in diesem Beispiel 10 Stunden mit möglichst geringem Fahrzeitenaufwand.

Und du hast recht, dass der Arbeitsweg im Rahmen der Wiedereingliederung betrachtet werden muss.
Das allerdings im Wiedereingliederungsplan, der in Absprache mit allen Beteiligten durch den Arzt erstellt wird und nicht nach Gutdünken des Beschäftigten.

Hier sind viele informative Dokumente verlinkt: https://www.komsem.de/a-z/betriebliches-eingliederungsmanagement-bem-das-geht-alle-arbeitnehmer-an/das-hamburger-modell/

So heißt es in der Arbeitshilfe der BAR auf Seite 35:

Bei der Planung ist der Zeitbedarf für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte insoweit zu berücksichtigen, als dieser in einem angemessenen Verhältnis zur eigentlichen täglichen Arbeitszeit stehen sollte. Bei Wegezeiten von insgesamt zwei Stunden und mehr muss die medizinische Zweckmäßigkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung besonders kritisch betrachtet werden.

--
Gruß
Matthias

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

mietze_katz, Oberbayern, Monday, 19.02.2018, 13:48 (vor 2256 Tagen) @ Pernille

Hallo,
Rein aus dem Bauch heraus, frage ich mich, woher du die Einschätzung ableitest, dass der MA 4 Std./Tag arbeiten kann. Dieses steht ja entgegen der Arztmeinung von 2 Std./Tag, also 10 Std die Woche.
Sollte der MA wirklich 4 Std./Tag arbeiten können, wären 5 x 4 Std. zu leisten. Eine Häufung auf die ersten Tage bis zum Erreichen der Wochenarbeitszeit ist aus meiner Sicht nicht händelbar (Warum am Montag nicht gleich alle 10 Std.? Und dann denn Rest der Woche frei.;-) )
Und die Frage ist auch: Wie gehts dann nach den 4 Wochen weiter? Bei 20 Wochenstunden dann 8-8-4-0-0?

Meinst Du nicht, dass dieses den eigentlichen Sinn der Wiedereingliederung aufhebt? Ich kann die Aussage des AG nachvollziehen und glaube nicht, dass der Arzt einer derartigen Änderung zustimmt. Wäre doch ein klarer Widerspruch.

Die Reisezeit stellt aus meiner Sicht hier keiner Bewertung zugegen, dieses ist sein durch die Krankenkasse mittels Krankengeld subventioniertes Privatvergnügen.

VG

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

Pernille, Monday, 19.02.2018, 14:10 (vor 2256 Tagen) @ mietze_katz

Hallo,
Rein aus dem Bauch heraus, frage ich mich, woher du die Einschätzung ableitest, dass der MA 4 Std./Tag arbeiten kann. Dieses steht ja entgegen der Arztmeinung von 2 Std./Tag, also 10 Std die Woche.

Weil

Mit seinem Arzt hat er abgesprochen, dass er 10 Stunden in den ersten vier Wochen macht. Der Arzt hatte im Formular zwei Stunden am Tag geschrieben. Mit dem Arzt hatte der MA abgesprochen, dass er selbst entscheiden kann, ob es tatsächlich zwei Stunden am Tag ist oder vier Stunden die ersten zwei Tagen etc.

Sollte der MA wirklich 4 Std./Tag arbeiten können, wären 5 x 4 Std. zu leisten.

Warum? Er kann die Montag und Dienstag vier Stunden am Tag, dann am Mittwoch zwei Stunden. Dann Donnerstag und Freitag frei.

Meinst Du nicht, dass dieses den eigentlichen Sinn der Wiedereingliederung aufhebt?

Der Arzt steht doch dahinter. Mir geht es nur darum ob sie erneut einen Bescheid vom Arzt sich holen soll. Es ist wahrscheinlich so im Formular geregelt, dass er es irgendetwas ankreuzen muss. Er hat zwei Stunden gesagt mit dem Nebensatz, "Sie können auch vier Stunden am Tag. Tun Sie das was Sie meistern können."

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

MatthiasNRW, Monday, 19.02.2018, 15:32 (vor 2256 Tagen) @ Pernille

Ein Mitarbeiter war ein Jahr krank. Mit seinem Arzt hat er abgesprochen, dass er 10 Stunden in den ersten vier Wochen macht. Der Arzt hatte im Formular zwei Stunden am Tag geschrieben. Mit dem Arzt hatte der MA abgesprochen, dass er selbst entscheiden kann, ob es tatsächlich zwei Stunden am Tag ist oder vier Stunden die ersten zwei Tagen etc. Der Mitarbeiter hat einen langen Weg zur Arbeit und hat beschlossen, dass er Stunden in der Woche so gestaltet: 4-4-2-0-0. Er sagt er hat einen längeren Weg zur Arbeit als die zwei Stunden Arbeit.

Nach Einschätzung der SBV ist die gewünschte Konstellation die beste für seine Gesundheit.

Besitzt die SBV dahingehend ausreichend (arbeits-)medizinische Kenntnisse oder vertraut sie auf die Aussagen des Mitarbeiters?

Nun sagt der Arbeitgeber, dass dies nicht geht. Er erklärt dies mit Fürsorgepflicht und Versicherung.

Die Fürsorgepflicht dürfte für die SBV in aller Regel eine Problematik werden, wenn der AG dieser nicht nachkommt. Eine weniger stark ausgeprägte Fürsorgepflicht zu verlangen, dürfte der SBV nicht zustehen. Eine Haftung für Personenschäden ist nach dem Recht der Unfallversicherung weitestgehend ausgeschlossen (§ 104 SGB VII). Gleichwohl hat der Arbeitgeber mit Blick auf Beschäftigte mit Behinderung eine gesteigerte Fürsorgepflicht.

Sofern er Sorgen bezüglich der Haftung im Falle eines Arbeitsunfalles hat (weil die ärztlich bescheinigte Arbeitszeit überschritten wurde), sollte man diese Sorgen ernst nehmen und nicht auf mündliche (nicht belegte) Absprachen zwischen Mitarbeiter und Arzt verweisen.

Daher: Eine entsprechende Bescheinigung besorgen, in der die Empfehlung des Arztes konkretisiert wird.

--
Gruß
Matthias

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

albarracin, Baden-Württemberg, Monday, 19.02.2018, 16:56 (vor 2256 Tagen) @ MatthiasNRW

Hallo,

ein Wiedereingliederungsplan ist keine unverbindliche Empfehlung, die nach Gutdünken vom AN oder der SBV abgeändert werden kann.
Der AG ist nur verpflichtet, das umzusetzen, was ihm schwarz auf weiss im WE-Plan vorgelegt wird. Auch die KK hat einen Anspruch darauf, das der Plan wie vom Arzt vorgelegt umgesetzt wird, um selbst die Belastungsfähigkeit und evtl. Arbeitsfähigkeit des AN anhand des geplanten Verlaufs beurteilen zu können.

Dabei ist - wie sonst auch - der Weg des AN von und zur Arbeitsstätte "Privatvergnügen".

Mit der gesetzlichen Unfallversicherung hat das alles aber nichts zu tun - die besteht auch bei eigenmächtiger WE-Planänderung weiter.

Wenn der AN mit dem Plan unzufrieden ist, muß er dies mit dem Arzt besprechen, der den Plan verordnet hat und ihn bei entsprechender fundierter Begründung auch ändern kann.

--
&Tschüß

Wolfgang

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

Vertigo, Saarland, Friday, 02.03.2018, 09:27 (vor 2246 Tagen) @ albarracin

Ich habe hierzu auch eine Frage. Was passiert, wenn der behandelnde Arzt einen WE schreibt und die Betriebsärztin ablehnt und eine Wiedereingliederung ablehnt oder ändern will.
Welche Anordnung ist dann für den AG bindend? Die des behandelnden Arztes oder die der Betriebsärztin?

LG

--
Gruß
Vertigo

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

Hotte, Stuttgart, Friday, 02.03.2018, 10:31 (vor 2246 Tagen) @ Vertigo

Ich habe hierzu auch eine Frage. Was passiert, wenn der behandelnde Arzt einen WE schreibt und die Betriebsärztin ablehnt und eine Wiedereingliederung ablehnt oder ändern will.
Welche Anordnung ist dann für den AG bindend? Die des behandelnden Arztes oder die der Betriebsärztin?

LG


Hey,
Wenn der AG (Betriebsärztin) eine Wiedereingliederung ablehnt, so muss er dies begründen. Dies gilt auch bei einem Änderungswunsch des Wiedereingliederungplans.
VG
Hotte

--
Richard v. Weizsäcker:
"Nicht Behindert zusein,ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jeder Zeit genommen werden kann."

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

albarracin, Baden-Württemberg, Friday, 02.03.2018, 11:21 (vor 2245 Tagen) @ Vertigo

Hallo,

schwerbehinderte/gleichgestellte AN haben grundsätzlich einen einklagbaren Rechtsanspruch auf die Durchführung des vom behandelnden Arztes vorgeschlagenen WE aufgrund von § 164 Abs. 5 SGB IX.

--
&Tschüß

Wolfgang

Wiedereingliederung - Abweichung von Arzt-Empfehlung

J.61, Sunday, 11.03.2018, 12:54 (vor 2236 Tagen) @ albarracin

Hallo Albarracin,

gibt es zu diesem Rechtsanspruch ein Urteil, auf das man sich beziehen kann?

Bei uns gab es einen Fall (vor meiner Wahl), indem der Betriebsarzt ohne Untersuchung dem Arbeitgeber zugestimmt hat.
Der Hausarzt forderte in seiner Bescheinigung zur stufenweisen WE: "10 Tage x 4h und danach 10 x 6h auf dem vertraglich vereinbarten Arbeitsplatz".
Der Arbeitgeber sagte : "Der Arbeitsplatz ist während der AU betriebsbedingt weggefallen".
Es lag keine Änderungs-/Kündigung vor.
Der Betriebsarzt begründete: die vertragsgemäße Beschäftigung ist für den Arbeitgeber unzumutbar.

Im Protokoll des Betriebsrats steht: Das Integrationsamt sagte im Termin, da kann das Amt nichts machen, der Kollege solle einen Rechtsanwalt einschalten.

Die WE hat nicht stattgefunden, der Kollege war weiter AU.

Danke vorab für die Info
Joachim

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