Teilnahme an konstituierenden Sitzung des BR (Sitzung)

Apanatshi, Bayern, Friday, 20.04.2018, 13:53 (vor 2169 Tagen)

Hallo Kollegen, wir haben hier gerade eine eingehende Diskussion über die Teilnahme der SBV an einer konstituierenden Sitzung des Betriebsrates. Hier gibt es auch im Forum immer wieder unterschiedliche Meinungen.
Zum einen kann die SBV wie im SGB IX festgelegt an allen Sitzungen des Betriebsrates teilnehmen.
Zum anderen sagt das BetrVG die SBV und die JAV müssen nicht geladen werden.
Was ist denn jetzt rechtssicher. Meines Wissens gibt's dazu auch schon Rechtssprechungen, aber irgendwie scheint das alles ziemlich konfus zu sein.
Ich meine, es ist weder schädlich noch unrechtmäßig die SBV zu laden. Der BR kann wenn er will, hat aber keine Verpflichtung. Sehe ich das richtig. Ansonsten hat die SBV ja auch überall ein Teilnahmerecht. Ich denke, dass eine zeitnahe Information, wie sich der BR zusammensetzt mit seinen Ausschüssen, Freigestellten etc. schon wichtig für die SBV ist. auch wenn Sie letztendlich nichts beeinflussen kann. Ich meine, dass dies bereits am Anfang mit zur Vertrauensbildung beiträgt und auch signalisiert, die SBV ist überall zu laden.

Über Eure fundierten Meinungen würde ich mich freuen. vielleicht gibt es inzwischen ja was Handfestes auf das man sich beziehen kann.

Und nur als Hinweis: Ich habe alles gelesen, was zu lesen ist und trotzdem bleibt es bei zwei Meinungen.

Gruß aus dem Allgäu
Apanatshi

Teilnahme an konstituierenden Sitzung des BR

albarracin, Baden-Württemberg, Monday, 23.04.2018, 12:07 (vor 2166 Tagen) @ Apanatshi

Hallo,

für das BetrVG gilt nach wie vor, daß die Kommentierung uneins ist und keine spezielle höchstrichterliche Rechtsprechung existiert. Der Stand der Dinge ist nachzulesen im Fitting, § 29 Rn 14.

Auch der ErfK, Koch, § 29 BetrVG RN 1, in seiner aktuellsten (18.) Auflage hält ein Teilnahmerecht der SBV an der konstituierenden Sitzung für nicht gegeben.

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&Tschüß

Wolfgang

Teilnahme an konstituierenden Sitzung des BR

WoBi, Monday, 23.04.2018, 14:05 (vor 2166 Tagen) @ Apanatshi

Hallo Apanatshi,

es geht bei deiner Frage um einen Betriebsrat mit der Rechtsgrundlage Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und nicht um einen Personalrat.

Die Konstituierung des Betriebsrats läuft in mehreren Schritten ab:
1. Ladung zur Sitzung durch Wahlvorstand
2. Leitung der Sitzung durch den Vorsitzenden des Wahlvorstandes zur Wahl eines Wahlleiters – Nach Wahl des Wahlleiters hat Vorsitzender des Wahlvorstandes diese Aufgabe erfüllt
3. Wahlleiter leitet Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters. Nach Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters hat der Wahlleiter seine Aufgabe erfüllt
4. Zukünftige Sitzungsleitung erfolgt nun durch den Vorsitzenden des Betriebsrates

In §29 BetrVG – Einberufung der Sitzungen steht unter Abs. 1 Satz 1 die Aufgabe des Wahlvorstandes als „Vor Ablauf einer Woche nach dem Wahltag hat der Wahlvorstand die Mitglieder des Betriebsrats zu der nach § 26 Abs. 1 vorgeschriebenen Wahl einzuberufen.“
Der Wahlvorstand hat zur Wahl des Vorsitzenden und dessen Stellvertreter die Mitglieder des Betriebsrates einzuladen.

Der Vorsitzende des Wahlvorstandes führt die Wahl eines Wahlleiters durch die gewählten Betriebsräte (ggf. Ersatzmitglieder bei Verhinderung) aus ihrer Mitte durch. Nach Wahl des Wahlleiters hat der Vorsitzende des Wahlvorstandes den Raum zu verlassen. Außer er wäre ein Mitglied dieses Betriebsrates.

Dies legt der § 29 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fest: „Der Vorsitzende des Wahlvorstands leitet die Sitzung, bis der Betriebsrat aus seiner Mitte einen Wahlleiter bestellt hat.“

Der Wahlleiter führt die Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters durch. In der konstituierenden Sitzung sind zunächst nur die zur Konstituierung erforderlichen Positionen zu besetzen, der Vorsitzende des Betriebsrats und sein Stellvertreter.
Nach Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters ist es Aufgabe des Vorsitzenden gemäß § 29 Abs. 2 BetrVG zu den Sitzungen einzuladen:
„Die weiteren Sitzungen beruft der Vorsitzende des Betriebsrats ein. Er setzt die Tagesordnung fest und leitet die Verhandlung. Der Vorsitzende hat die Mitglieder des Betriebsrats zu den Sitzungen rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung zu laden. Dies gilt auch für die Schwerbehindertenvertretung sowie für die Jugend- und Auszubildendenvertreter, soweit sie ein Recht auf Teilnahme an der Betriebsratssitzung haben. Kann ein Mitglied des Betriebsrats oder der Jugend- und Auszubildendenvertretung an der Sitzung nicht teilnehmen, so soll es dies unter Angabe der Gründe unverzüglich dem Vorsitzenden mitteilen. Der Vorsitzende hat für ein verhindertes Betriebsratsmitglied oder für einen verhinderten Jugend- und Auszubildendenvertreter das Ersatzmitglied zu laden.“

Der Wahlvorstand hat die Schwerbehindertenvertretung nicht zur Wahl eines Wahlleiters einzuladen.
Der Wahlleiter hat nur auf die Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters hinzuwirken und nach der Wahl dieser beiden Personen ist die konstituierende Sitzung beendet. Alles Weitere ist nicht mehr Gegenstand der Ladung durch den Wahlvorstand.

Erst wenn die Sitzung durch den Vorsitzenden (nach Genehmigung einer Tagesordnung) weitergeführt wird oder weitere Sitzungen einberufen werden ist die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 29 Abs. 2 BetrVG einzuladen.
Dem steht das Recht der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 4 SGB IX gegenüber, an allen Sitzungen des Betriebsrates beratet teilzunehmen.

Spätesten nach der Wahl eines Wahlleiters aus der Mitte des Betriebsrates ist es eine „reine“ Sitzung des Betriebsrates. Nur die Begrüßung und die Wahl des Wahlleiters erfolgen unter der Leitung des Vorsitzenden des Wahlvorstandes als ein vom Betriebsrat unabhängiges Gremium.
Somit ist spätestens nach Erfüllung dieser Aufgabe des Vorsitzenden des Wahlvorstandes dies eine Sitzung des Betriebsrates.

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Gruß
Wolfgang

Teilnahme an konstituierenden Sitzung des BR

albarracin, Baden-Württemberg, Monday, 23.04.2018, 16:56 (vor 2166 Tagen) @ WoBi

Hallo WoBi,

Du hast es zwar fein ausdifferenziert, aber wenn Du damit

Spätesten nach der Wahl eines Wahlleiters aus der Mitte des Betriebsrates ist es eine „reine“ Sitzung des Betriebsrates. Nur die Begrüßung und die Wahl des Wahlleiters erfolgen unter der Leitung des Vorsitzenden des Wahlvorstandes als ein vom Betriebsrat unabhängiges Gremium.
Somit ist spätestens nach Erfüllung dieser Aufgabe des Vorsitzenden des Wahlvorstandes dies eine Sitzung des Betriebsrates.

andeuten willst, daß nach der Wahl des Wahlleiters Teilnahmerecht der SBV besteht, stellt es halt nur einen Teil des juristischen Meinungsspektrums dar.
Die Gegenmeinung formuliert zB der von mir bereits erwähnte Fitting (§ 29, Rn 14)
"Wegen des beschränkten Zwecks der konstituierenden Sitzung haben kein Teilnahmerecht und sind auch nicht zu laden die Schwb-Vertr. und ein Mitglied der JugAzubiVertr. ... "

Nur damit wir uns richtig verstehen, ich halte das nicht für unbedingt richtig, da auch durch die Wahl des BRV sowie des stellv. BRV Auswirkungen für die sb AN des Betriebes entstehen - allein schon deswegen, weil hiermit auch die künftige Zusammenarbeit u. U. (vor-)entschieden wird, was in einer evtl. Personaldebatte auch von der SBV thematisiert werden könnte und ggfs. auch sollte.
Aber die Kommentatorenmeinung ist nun mal nicht eindeutig und der Fitting kein unbedeutender Kommentar zum BetrVG.

--
&Tschüß

Wolfgang

Teilnahme an konstituierenden Sitzung des BR

WoBi, Monday, 23.04.2018, 20:07 (vor 2166 Tagen) @ albarracin

Hallo Wolfgang (albarracin),

der Fitting Kommentar ist ein Standardwerk für die Betriebsratsarbeit und steht auch bei mir. Der Fitting ist gegenüber anderen BetrVG-Kommentaren schwer zu lesen, da er juristisch anspruchsvoll geschrieben ist und beschränkt sich auf die Sichtweise des BetrVG.

Im BetrVG Kommentar für die Praxis von Siebert/Becker steht zu § 29 BetrVG (8):
„An der konstituierenden Sitzung teilnahmeberechtigt ist kraft Amtes der Vorsitzende des Wahlvorstands, jedoch nur bis der Betriebsrat eines seiner Mitglieder zum Wahlleiter bestellt hat. Dann verlässt der Vorsitzende des Wahlvorstands die Sitzung, falls er nicht gleichzeitig Mitglied des Betriebsrats ist.
Weitere Teilnahmeberechtigte sind:
• die Schwerbehindertenvertretung,
• ein beauftragtes Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung und
• ein Beauftragter der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft, falls ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats dies beantragt hat.
Bei der Einladung zur konstituierenden Sitzung hat der Wahlvorstand diese Teilnahmeberechtigten entsprechend zu berücksichtigen.“

Im Knittel SGB IX-Kommentar, ein Standardwerk für die SBV-Arbeit, zu § 178 Abs. 4 SGB IX steht:
„Die Schwerbehindertenvertretung hat das Recht zur Teilnahme an allen Sitzungen des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidialrates und deren Ausschüssen sowie des Arbeitsschutzausschusses (Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1). Sie soll damit auf die Willensbildung und Entscheidungsfindung dieser Gremien Einfluss nehmen können, damit auch die besonderen Belange der schwerbehinderten Arbeitnehmer Berücksichtigung finden (BAG Beschluss vom 21. April 1993 - 7 ABR 44/92 = BAGE 73, 93 = NZA 1994, 43 = BehindertenR 1995, 71).“

Die SBV kann an allen Sitzungen des Betriebsrates, dessen Ausschüsse und dem Arbeitsschutzausschuss ohne spezielle Einladung teilnehmen. Dies gibt der § 178 Abs. 4 SGB IX als eigene Rechtsgrundlage für alle Sitzungen her. Der Gesetzgeber hat bewusst keine Einschränkung vorgesehen, etwa auf Sitzungen, in denen Angelegenheiten der Schwerbehinderten auf der Tagesordnung stehen. Vielmehr hat der Gesetzgeber in vielen Gesetzen z.B. § 29 Abs. 2 BetrVG, § 178 Abs. 4 SGB IX, § 40 Abs. 1 BPersVG und den einschlägigen Landesvertretungsgesetzen z.B. Art. 34 Abs.2 / Art. 40 Abs. 1 BayPVG bestimmt, dass die Schwerbehindertenvertretung ein Teilnahmerecht an allen Sitzungen hat.

Der neu gewählte Betriebsrat ist erst nach einer Wahl eines Vorsitzenden und eines Stellvertreters handlungsfähig und nur nach dieser Wahl ist die konstituierende Sitzung abgeschlossen. Sollte es bei der Wahl dieser zwei Personen „Schwierigkeiten“ z.B. Pattsituation im Gremium geben, ist der Rat der SBV oder der weiteren Teilnahmeberechtigten zur Erlangung eines funktionsfähigen Betriebsrates z.B. mittels geheimer Wahl wichtig.

Die Überschrift von § 29 BetrVG lautet "Einberufung der Sitzungen" und im 2. Satz von Abs. 1 steht ebenfalls Sitzung. Während im 1. Satz dieses Absatzes von einer Einberufung zur Wahl steht.

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Gruß
Wolfgang

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