Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen? (AGG)

carriegross, Sunday, 01.07.2018, 03:48 (vor 2126 Tagen)

Hallo,

eine schwerbehinderte Bewerberin bewarb sich auf zwei ausgeschriebene Stellen bei uns und gab im jeweiligen Fließtext ihrer Bewerbungen an, dass sie schwerbehindert ist "... fünfzig GdB ...".

Diese Bewerberin ist nicht offensichtlich ungeeignet gewesen und erfüllte die Anforderungen der Stellenanzeigen komplett, sodass diese Bewerberin zu Vorstellungsgesprächen hätte eingeladen werden müssen.

Im Hause wurde das mit den "fünfzig GdB" tatsächlich überlesen und keine Einladungen verschickt. Anstatt dessen bekam die Bewerberin nach Abschluss der Auswahlverfahren schriftliche Absagen.

Nach ein paar Wochen erhielten wir ein Einschreiben von dieser Bewerberin bzgl. Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen und fordert aufgrund der besonderen Schwere des Falles nach 15 (2) AGG drei Bruttomonatsgehälter.

Wir sehen das allerdings anders und meinen, es würde nur ein geringfügiger Verstoß vorliegen, da die Bewerberin im letzten Absatz des Anschreibens die Schwerbehinderung mit "fünfzig GdB" abgekürzt hat und bietet je 0,5 Bruttomonatsgehälter i. R. e. einvernehmlichen und außergerichtlichen Einigung an.

Daraufhin erwidert die Bewerberin wiederholt, dass es sich um eine besondere Schwere handelt und nicht nur um einen geringfügigen Verstoß, zumal es sich um zwei unabhänig voneinander ausgeschriebene Stellen handelte, es zwei individuell geschriebene Bewerbungen mit jeweils den Hinweis auf die Schwerbehinderung und somit dieses Übersehen wiederholt, also zweimal und nicht nur einmal geschehen ist. In den Stellenanzeigen wurde bereits nicht darauf hingewiesen, dass z. B. schwerbehinderte Bewerber bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt werden. Dazu wäre allerdings ein Arbeitgeber im öffentlichen Dienst verpflichtet. Tut er das nicht, kann man bereits zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass er Schwerbehinderte nicht einstellen möchte und eine Diskriminierung vorliegt. Auch ist es egal, an welcher Stelle und in welcher Form die Schwerbehinderung im Fließtext erwähnt wird. "Fünfzig" wäre auch keine Abkürzung und "GdB" sollte einem AG im ÖD unter Berücksichtigung der besonderen Pflichten eines AGs im ÖD gegenüber Schwerbehinderten durchaus geläufig sein. Die Bewerberin verlangt weiterhin drei Bruttomonatsgehälter und setzt eine weitere und letzte Frist von zwei Wochen, bevor sie eine entsprechende Klage einreicht.

Wir wollten, zugegeben, natürlich ein wenig handeln. Die Fehler sind nun leider passiert, die wir im ersten Schreiben an die Bewerberin eingeräumt haben und die Bewerberin hat natürlich Recht mit ihren Ausführungen bzgl. der Stelle, an der die "Fünfzig GdB" erwähnt sind, dem Worlaut der "Fünfzig GdB" selbst und dass das nicht nur einmal überlesen wurde, sondern zweimal.

Aber wo steht, dass ein AG im ÖD bereits in Stellenanzeigen schreiben muss, dass Schwerbehinderte bei gleicher Eignung eingestellt werden und wenn er es nicht tut, man bereits bei Veröffentlichung einer solchen Stellenanzeige davon ausgehen darf, dass eine Diskriminerung vorliegt. Das wäre uns neu!

Würde eher die Bewerberin oder eher wir vor Gericht Recht erhalten?

Und wo liegt bei z. B. die Mitte bei den Bruttomonatsgehältern, wenn es vor Gericht darum gehen sollte, wenn ein Richter den Parteien sagt, dass man sich doch in der Mitte einvernehmlich treffen könnte und sollte? Liegt die Mitte bei 1,5 Bruttomonatsgehältern, da man von 0 - 3 möglichen Bruttomonatsgehältern ausgehen muss, es also 0 bzw. gar nichts geben könnte oder eben im Maximalfall drei Bruttomonatsgehälter? Oder liegt die Mitte bei zwei Bruttomonatsgehältern, also bei der Mitte von 1 - 3, da es auf jeden Fall mind. ein oder max. drei Bruttomonatsgehälter geben kann?

Was ist uns zu empfehlen? Ein erneutes und deutlich besseres Angebot unterbreiten, in der Hoffnung, dass die Bewerberin dieses annimmt? Dann wie viele Bruttomonatsgehälter mind.? Oder sollten wir uns keinen Kopf machen und die Klage und dann das Verfahren abwarten, da ein Richter ja tatsächlich der Klägerin 0, also nichts zusprechen kann? Wobei eine Klage bzw. Verfahren ja auch durchaus negative Publicity für uns sein könnte, wenn bei der öffentlichen Sitzung ein Journalist anwesend wäre, was ja nicht selten der Fall ist.

Wie seht ihr das bitte?

Danke euch.

LG

Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen?

carriegross, Sunday, 01.07.2018, 09:01 (vor 2126 Tagen) @ carriegross

Passender wäre wohl das Unterforum AGG. Hab mich leider vertan. Wenn ja, kann das bitte jemand verschieben? Dankeschön.

Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen?

Monica99, Sunday, 01.07.2018, 09:55 (vor 2126 Tagen) @ carriegross

Hallo,

kann es sein, dass Du keine Mitarbeitervertretung, also SBV oder BR/PR, bist sondern ein AG-Vertreter?? So ein Eindruck entsteht zu mindest bei mir bei dieser Fragestellung und auch beim Durchlesen älterer Beiträge von Dir.

Daher der Hinweis, dieses ist ein Forum für SBV/BR/PR zum Thema Schwerbehinderung. Für AG/ AG-Vertreter gibt es andere Möglichkeiten der Beratung/Information.

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mfg Monica

Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen?

carriegross, Sunday, 01.07.2018, 10:53 (vor 2126 Tagen) @ Monica99

Hallo Monica,

doch, bin ich. Soll ich einen Nachweis erbringen? ;-)

Ich bin regelmäßig bei Vorstellungsgesprächen dabei, in Bewerbungsverfahren involviert und diese Bewerbungen dieser Bewerberin nicht erhalten, da der Personal-SB diese nicht richtig gelesen hat und somit gleich auf den "Absage-Stapel" gelegt hat.

Nun wäre es für mich und KollegInnen interessant zu wissen, was jetzt die Konsequenzen sein könnten ...

LG

Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen?

albarracin, Baden-Württemberg, Sunday, 01.07.2018, 15:02 (vor 2125 Tagen) @ carriegross

Hallo,

hättest Du, wie vor knapp zwei Jahren empfohlen, einen aktuellen Kommentar zur Hand, wüßtest Du, daß es idR ausreichend ist, eine Schwerbehinderung im Anschreiben anzugeben. und "fünfzig GdB" ist mE eine ausreichende und für einen Personalmenschen unmißverständliche Angabe.

Statt mit darüber rumzuhirnen, wie man die Bewerberin am billigsten ruhig stellen kann, solltest Du dich mal lieber darum kümmern, daß Deine Personalabteilung professionell arbeitet. da scheint einiges im Argen zu liegen.
Und vielleicht solltest Du auch mal darüber nachdenken, ein spezielles Seminar zu Bewerberverfahren zu besuchen.

Es tut mir leid, aber wie meine Vorposterin schon schrieb, wirft dein Amtsverständnis Fragen auf.

--
&Tschüß

Wolfgang

Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen?

Monica99, Sunday, 01.07.2018, 15:07 (vor 2125 Tagen) @ carriegross

Hallo,

"Wir sehen das allerdings anders und meinen, es würde nur ein geringfügiger Verstoß vorliegen, da die Bewerberin im letzten Absatz des Anschreibens die Schwerbehinderung mit "fünfzig GdB" abgekürzt hat und bietet je 0,5 Bruttomonatsgehälter i. R. e. einvernehmlichen und außergerichtlichen Einigung an."

Wer ist hier >Wir<??

Es ist NICHT die Aufgabe der SBV dem AG gegen die berechtigten Interessen Schwerbehinderter beizustehen um dem AG bei Verstößen gegen das SGB IX und die Rechte der Schwerbehinderten Geld zu sparen.

Daher ja auch meine Vermutung, dass hier ein AG Vertreter Fragen stellt. Denn eine SBV würde so nicht fragen und handeln,

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mfg Monica

Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen?

carriegross, Sunday, 01.07.2018, 20:24 (vor 2125 Tagen) @ Monica99

Hallo Monica,

JETZT verstehe ich deinen nachvollziehbaren Einwand! ;-)

"Wir" sollte letztlich "mein AG" heißen sozusagen nach Empfehlung von Personal- und Rechtsabteilung nach kontaktiertem Fachanwalt Arbeitsrecht.

Immer bisschen schwierig, alles in einem etwas längerem Beitrag korrekt und unmissverständlich zu formulieren.

LG

Schwerbehinderung in Bewerbung übersehen! Folgen?

WoBi, Monday, 02.07.2018, 08:17 (vor 2125 Tagen) @ carriegross

Hallo carriegross,

das ist ein Problem des Arbeitgebers und nicht der SBV. Die SBV ist eine gewählte Interessensvertretung und hat die Interessen der schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen in der Dienststelle zu vertreten. Bewerber gelten im Bewerbungsverfahren als Beschäftigte, deren Interessen die SBV zu vertreten hat. Die SBV hat die Anwendung von Gesetzen, Tarifverträge und Dienstvereinbarungen durch den Arbeitgeber zu Gunsten behinderter Menschen zu überwachen.

Nimm diesen AGG-Fall als „Weckruf“ an den Arbeitgeber, dass dieser seine Prozesse und Organisation an die gesetzlichen Anforderungen anpasst. Es liegt in der Verantwortung des obersten Dienstherrn. Innerhalb von 2 Monaten ist die Benachteiligung nach dem AGG anzuzeigen und die Entschädigung einzufordern. Sollte darauf nicht reagiert werden, ist innerhalb von drei Monaten eine Klage beim Arbeitsgericht einzulegen.

Der öffentliche Arbeitgeber hat nicht nur die zwei Vorstellungsgespräch nicht durchgeführt, sondern hat die SBV und den PR nicht unverzüglich über die zwei Bewerbungseingänge unterrichtet. Dadurch wurden die Mitarbeitervertretungen an der Ausübung ihres Ehrenamtes gehindert.

Wie ist dies bei Abmahnungen: „Ein Fehler kann man machen, aber zweimal ist mindestens einmal zu viel.“
Stellt sich die Frage, ob auch andere schwerbehinderte oder gleichgestellte Bewerber nicht eingeladen wurden und dieses den Mitarbeitervertretungen nur nicht bekannt geworden ist, weil keine Entschädigung wegen AGG-Verstoß beansprucht worden ist.

Durch den Wiederholungsfall ist anzunehmen, dass der gesamte Stellenbesetzungsprozess bei "deinem" Arbeitgeber Anpassungen an die gesetzlichen Anforderungen bedarf. Z.B. an die vor 2 Jahren erfolgten Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) bzw. die seit 2001 bestehenden Prüfanforderungen.

Mehr dazu z.B. in den Forenbeiträgen:
https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=23475
https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=23054
https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=23870

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Gruß
Wolfgang

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