Aufhebungsverträge (Umgang mit Arbeitgeber)

jp, Bayern, Thursday, 12.07.2018, 21:49 (vor 2105 Tagen)

Hallo zusammen,

derzeit gibt es bei uns ein Abfindungsprogramm welches vor allem zum Ziel hat ältere Beschäftigte loszuwerden.
Ein Aufhebungsvertrag kommt nur zustande wenn es beide Seiten wollen.
Darunter sind auch etliche Schwerbehinderte.

Ich habe den Arbeitgeber aufgefordert die SBV unverzüglich und umfassend zu unterrichten.

Der Arbeitgeber sieht in dieser Angelegenheit keine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht und beruft sich auf das BAG vom 14.03.2012
"Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem schwerbehinderten Menschen ist keine „Entscheidung” iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX (§ 178 SGB n.F.). Der Vertragsschluss ist kein einseitiger Willensakt des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung vor dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem schwerbehinderten Menschen anzuhören."]

Was kann hier die SBV aufbieten? Was gibt es für Möglichkeiten?
Dieses Urteil stellt doch den Sinn und Zweck des SGB IX und der SBV-Aufgaben in Frage.
Hier handelt es sich auch um keine spontanen Aufhebungsverträge, sondern geplant und in beiderseitigen Einvernehmen. So eine Vorgehensweise würde die Beteiligungsrechte der SBV ins Leere laufen lassen.

Für anderen Tipps, Meinungen oder Urteile wäre ich dankbar!
Solidarische Grüße
jp

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jp

Aufhebungsverträge

garda, Berlin, Friday, 13.07.2018, 11:14 (vor 2104 Tagen) @ jp

Was kann hier die SBV aufbieten? Was gibt es für Möglichkeiten?
Dieses Urteil stellt doch den Sinn und Zweck des SGB IX und der SBV-Aufgaben in Frage.
Hier handelt es sich auch um keine spontanen Aufhebungsverträge, sondern geplant und in beiderseitigen Einvernehmen. So eine Vorgehensweise würde die Beteiligungsrechte der SBV ins Leere laufen lassen.

Hallo jp,

ja da hast du leider recht. Das Problem ist das beiderseitige Einvernehmen, denn einvernehmlich kann der AG leider genau das machen. Die fatale Rechtsprechung des BAG bestärkt ihn darin.

Dir bleibt nur, dass du die SB-Beschäftigten z. B. per Rundmail warnst unberaten so etwas zu unterschreiben, denn aus einem Aufhebungsvertrag führt nur ganz schwer wieder ein weg raus und zeitweise Unzurechnungsfähigkeit ist da kein Königsweg.

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Mit freundlichen Grüßen

Michael

Aufhebungsverträge

KaivonderKüste, Friday, 13.07.2018, 13:19 (vor 2104 Tagen) @ jp

Moin,

Du schreibst, dass vor allem "ältere, auch schwerbehinderte Mitarbeiter" die Zielgruppe für diese Maßnahme des Arbeitgebers sind. In einer Information für die Betroffenen kannst Du darauf hinweisen, dass diese sich vorher bei der Agentur für Arbeit erkundigen, wie es sich dann mit möglichen Sperrfristen verhält und wie lang diese sind.

Auch sollten sich diese Menschen gut überlegen, ob nicht eventuelle Rentenansprüche durch fehlende Pflichtbeiträge aus einer Beschäftigung gefährdet sind. Je nach Alter und persönlichen Voraussetzungen kann der Einzelfall durchaus erhebliche negative Folgen für Betroffene haben. Individuelle Antworten kann der zuständige Rentenversicherungsträger geben. Oder der Mensch wendet sich an die nächstgelegene Auskunft- und Beratungsstelle.

Daneben sollte sich jede Person, die dies machen will, sich selbst kritisch fragen, ob sie im örtlichen Bereich oder mit Pendeln einen passenden und gut bezahlten neuen Arbeitsplatz finden kann. Denn nur wer die Zusage zu einen neuen Job sicher hat, sollte dann - auch über einen Aufhebungsvertrag - das bestehende Beschäftigungsverhältnis beenden.

Gewerkschaftsmitgliedern sei dringend angeraten, sich mit einer Vertrauensperson im Betrieb oder dem zuständigen Gewerkschaftssekretär in Verbindung zu setzen.

Mit kollegialem Gruß aus dem Norden KaivonderKüste

Aufhebungsverträge

WoBi, Saturday, 14.07.2018, 12:45 (vor 2103 Tagen) @ jp

Hallo jp,

das von dir genannte BAG-Urteil kann von Arbeitgeberseite so ausgelegt werden. Doch wirkt es nur in speziellen Sondersituationen so, dass die SBV im Nachhinein unterrichtet werden muss.

Dies ist im Beitrag https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=20589 insbesondere von Cebulon und mir dargestellt.
Die Umsetzung von § 95 (alt) auf jetzt § 178 SGB IX berücksichtigen.

Die Verpflichtung zur Unterrichtung der SBV nach § 178 Abs. 2 SGB IX besteht trotz dem Urteil weiter. Nur wenn es absolut zeitlich dem Arbeitgeber nicht möglich ist, hat eine Information der SBV nach dem Abschluss zu erfolgen. Solche besondere Situationen können denkbar, aber selten real sein.

Damit sind Situationen wie ein Beschäftigter wird ins Büro geordert und ihm wird die fristlose Kündigung angedroht. Er kann eine fristlose Kündigung jedoch durch das sofortige Unterschreiben eines Aufhebungsvertrages abwenden. Bei guter Unterrichtung der behinderten Beschäftigten ist eine derartige Angebotsdarbietung ohne Einbindung der SBV nicht möglich. Denn der Arbeitgeber hat den Aufhebungsvertrag hier vorbereitet und damit war eine Unterrichtung der SBV zeitlich noch möglich.

Diese Vorlaufzeit zur Unterrichtung für den Arbeitgeber besteht im Rahmen einer größeren Änderung, bei der z.B. Personalabbau betrieben wird, sowieso.

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Gruß
Wolfgang

Aufhebungsverträge

jp, Bayern, Saturday, 14.07.2018, 21:23 (vor 2103 Tagen) @ WoBi

Hallo zusammen,
recht vielen Dank für Eure Antworten.

Unsere SBM habe ich auf die eventuellen Folgen hingewiesen und war auch bei einigen Abfindungsgesprächen dabei. Da die Abfindungsangebote teilweise recht attraktiv sind, sind etliche froh den Ausstieg aus dem Arbeitsleben bewerkstelligen zu können. Dieses Modell ist auch nur möglich wenn im Anschluss der Eintritt in die Rente erfolgt.

@Wolfgang
Da es sich bei den Abfindungsgesprächen um keine spontanen Termine handelt, sondern um meist mehrere geplante Termine mit Personal und dann noch einen Termin mit einer externen Beratungsfirma handelt, würde ich es gerne sehen, dass hier dieses BAG-Urteil vom 14.03.2012 nicht greift.

Wie bringe ich den Arbeitgeber dazu, dass er in einem so gelagerten Fall die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht erkennt und akzeptiert?

Mit kollegialen Grüßen aus dem Süden jp

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jp

Aufhebungsverträge

WoBi, Sunday, 15.07.2018, 09:09 (vor 2102 Tagen) @ jp

Hallo jp,

habe bei einer der Abbauwellen für jeden einzelnen schwerbehinderte(n) oder gleichgestellte(n) Kollegin/Kollege einen personifizierten Brief mit personifiziertem Fragebogen mittels Serienbrieffunktion an die Geschäftsführer und den Inklusionsbeauftragten gegen Übergabeprotokoll als 1. Schritt geschrieben und damit meine Unterrichtung nach § 178 Abs. 2 SGB IX eingefordert.


Brieftext:
"Fragen der SBV zur geplanten Transformation für «Anrede» «Vorname» «Nachname»

Sehr geehrter Herr XXX,

im Rahmen der angekündigten „Transformation“ durch das vorgelegte Whitebook ist nicht ausgeschlossen, dass schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen der YYYYY GmbH & Co. KG von den dort angekündigten Maßnahmen betroffen sind. Die Schwerbehindertenvertretung hat dazu Fragen. Es wird gebeten die beiliegende Fragen für «Anrede» «Vorname» «Nachname» bis zum ##.##.201# beantwortet zurückzusenden.

Mit freundlichen Grüßen

Anlage:
Fragebogen für «Anrede» «Vorname» «Nachname»"


Text Fragebogen:
"Fragebogen für «Anrede» «Vorname» «Nachname» zum Schreiben vom ##.##.201# der SBV
Personalnummer: «PersNr»

Ist der behinderte Mensch «Anrede» «Vorname» «Nachname» von der "Transformation" betroffen? ( Ja / Nein) Antwort:

Wenn Frage mit „Ja“ beantwortet, die nachfolgenden Fragen zusätzlich beantworten

In welcher Form ist der behinderte Mensch «Anrede» «Vorname» «Nachname» von der "Transformation" betroffen? (Versetzung, Kündigung, …)
Antwort:
Welche Maßnahmen zum Beschäftigungsverhältnis wurden seit der Erstellungsphase des Whitebooks (ca. # Monate) ergriffen, um das Arbeitsverhältnis von «Anrede» «Vorname» «Nachname» zu erhalten.
Antwort:
Welche Veränderungen zum Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses von «Anrede» «Vorname» «Nachname» sind aktuell geplant.
Antwort:
Die Umsetzung der "Transformation" hat einen geplanten Umfang bis zu # Quartale. Welche Maßnahmen sind in diesen Zeitraum geplant, um das Beschäftigungsverhältnis von «Anrede» «Vorname» «Nachname» dauerhaft zu erhalten.
Antwort:
Im welchen Beschäftigungsverhältnis steht «Anrede» «Vorname» «Nachname» in der neu geplanten Struktur.
Antwort:
Wurde der behinderte Mensch «Anrede» «Vorname» «Nachname» in den letzten 12 Monaten bevorzugt weitergebildet?
Antwort:
Hat der behinderte Mensch «Anrede» «Vorname» «Nachname» in den letzten 12 Monaten Mehrarbeit geleistet und in welchem Umfang.
Antwort:
Ist ein Standortwechsel für den behinderten Menschen «Anrede» «Vorname» «Nachname» geplant? Ausgangsstandort / Zielstandort.
Antwort:
Welche Aufgaben wird der behinderte Mensch «Anrede» «Vorname» «Nachname» nach der "Transformation" ausüben.
Antwort: "


Da ich sofort bei der Übergabe der mehr als 1## Anfragen nach dem Sinn durch die Geschäftsleitung gefragt wurde, konnte ich dem Geschäftsführer über die Unterrichtungsrechte der SBV dahingehend aufklären und ihm die Folgen bezüglich der Nichbeantwortung darlegen. Sollte die Frist nicht eingehalten werden, wird für jeden offenen Fragebogen eine Kontrollmitteilung erfolgen, worin ihm die Folgen eines Ordnungswidrigkeitsverfahren mit bis zu 10.000,- € je nichtbeantwortetem Fragebogen drohen könnten. Für Strafen aus einem Ordnungswidrigkeitsverfahren haftet er persönlich.


Als Folge der Fragebögen wurde im 2. Schritt vereinbart, dass vom Arbeitgeber vorgesehene schwerbehinderte oder gleichgestellte Beschäftigte nicht direkt angesprochen werden dürfen, ob ein Aufhebungsvertrag oder Beschäftigungsgesellschaftsangebot erwünscht ist, sondern nur über die SBV. Wenn eine betroffene Person derartige Angebote gewünscht hat, war die SBV eingebunden. Damit wurde neben der doppelten Freiwilligkeit eine weitere Entscheidungsoption (keines der beiden) ermöglicht.

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Gruß
Wolfgang

Aufhebungsverträge

jp, Bayern, Sunday, 15.07.2018, 21:48 (vor 2102 Tagen) @ WoBi

Hallo Wolfgang,

ganz lieben Dank für Deine ausführliche und kompetente Antwort.

Ich hätte jetzt vermutlich unseren Sozialrechtler der Gewerkschaft kontaktiert.
Aber dies ist auch eine gute Möglichkeit den Arbeitgeber etwas unter Druck zu setzen und zu beschäftigen. :-)

Herzlichen Dank und kollegiale Grüße jp

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jp

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