Direktionsrecht bei sb und gl Mitarbeitern (Umgang mit Arbeitgeber)

Moana, Wednesday, 24.07.2019, 14:55 (vor 1737 Tagen)

Hallo zusammen,

in unserem Lagerhaus werden in letzter Zeit sehr häufig sb und gl Kollegen in andere Abteilungen geschickt um dort auszuhelfen, wenn in der eigenen Abteilung nichts zu tun ist oder wenn Not am Mann ist etc...

Die MA haben alle denselben Vertrag als Lagerarbeiter ohne eine Angabe der Abteilung darin. BR und Personalstelle berufen sich darauf und sagen, wenn die MA in eine andere Abteilung geschickt werden sei dies keine Versetzung, da sie ja generell für das ganze Lager eingestellt seien.

Nun unterscheiden sich aber die Tätigkeiten die sie in den einzelnen Abteilungen ausführen müssen teils doch schon sehr! Manche müssen in ihrer Stammrolle z.B. nur Sachen bis 5 Kilo heben, in der anderen Abteilung sind es dann aber schon wieder Teile bis zu 30 Kilo. Andere kommissionieren "Kleinteile" und werden dann nach ihrem Urlaub plötzlich als Staplerfahrer eingesetzt, wo sie wiederum große und sperrige Sachen händeln müssen. Man wird vom Wareneingang in den Warenausgang geschickt, von der Verpackung ins Shipping etc...

Gehört das zum Direktionsrecht des Arbeitgebers? Auch den sb und gl Kollegen gegenüber? Meines Erachtens nach nicht! Und § 178 Abs.2 des SGB IX, nach dem die SBV in ALLEN Belangen informiert werden muss, wird auch nicht eingehalten. Ich erfahre größtenteils erst Tage später durch Zufall von diesen Umsetzungen, wenn die MA meist schon auf dem Zahnfleisch gehen...

Kann ich dieses Spiel irgendwie unterbinden oder muss ich das so laufen lassen?

Vielen Dank im Voraus!

Direktionsrecht bei sb und gl Mitarbeitern

Hendrik1, Niedersachsen, Wednesday, 24.07.2019, 15:42 (vor 1737 Tagen) @ Moana

Moin Moin Moana,

Radio Eriwan sagt. Entschiedenes Jein.

Klar ist, der Arbeitgeber hat Dich zu informieren und vor einer Entscheidung anzuhören. Dieses würde ich aber nur dann anwenden, wenn es sich um eine Umsetzung gegen den Willen oder gar gegen die behinderungsbedingten Einschränkungen des/r Kollegen/in handelt.
Ansonsten wirst Du mit Stellungnahmen zugemüllt und kommst zu nichts anderem mehr.

Schwerbehinderte haben ein Recht auf behinderungsgerechte Arbeitsplätze. (§ 164,4 SGB IX). Sollte dagegen verstoßen werden, weil z.B. die Kollegen/innen nur bis zu 5 kg Heben dürfen und /oder aufgrund von psychischen Einschränkungen klar strukturierte Arbeitsabläufe benötigen und daher eine spontane Umsetzung für diese nicht möglich ist, würde ich mich einschalten.

Schwerbehinderte, die den neuen Arbeitsplatz ausüben können, und bei denen es diesbezüglich keine Einschränkungen für die andere Tätigkeit gibt, haben schlechte Karten, diese Versetzung abzulehnen.
Nicht jede Schwerbehinderung bedeutet auch einen Anspruch auf einen Leichtarbeitsplatz, es heißt auch immer Nachteilsausgleiche und nicht Vorteile, dazu müssen aber die Nachteile (wie Gewichtsbeschränkung auf 5 kg ) auch bestehen.

Ausnahme: Solltet ihr eine Inklusions- bzw. Integrationsvereinbarung haben, bei der der Punkt der Versetzungen / Umsetzungen geregelt ist, oder wie mit Schwerbehinderten bei kurzfristigen Personalunterdeckungen umgegangen wird, dann kannst Du diese heranziehen, falls es hier bessere Regelungen gibt.

Liebe Grüße

Hendrik

Direktionsrecht bei sb und gl Mitarbeitern

Moana, Thursday, 25.07.2019, 08:10 (vor 1737 Tagen) @ Hendrik1

Vielen Dank! Ich werde die Inklusionsvereinbarung nochmal eingehend studieren!

Direktionsrecht bei sb und gl Mitarbeitern

WoBi, Wednesday, 24.07.2019, 17:35 (vor 1737 Tagen) @ Moana

Hallo Moana,

das „Direktionsrecht“ ist in der Rechtepyramide nicht hoch angesiedelt. Das „Direktionsrecht“ steht unterhalb des Arbeitsvertrages ganz unten. Tarifrecht und gesetzliche Regelungen stehen über dem Arbeitsvertrag und sind durch den Arbeitgeber bei der Anwendung zu beachten.

In der Gewerbeordnung § 106 (GewO) ist definiert:
„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.“

Vergleichbar ist im Bürgerlichen Gesetzbuch § 315 (BGB) geregelt:
„(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.“

Nachdem das BetrVG zu Anwendung kommt, ist durch den BR zu prüfen, ob ein Mitbestimmungstatbestand z.B. eine Versetzung vorliegt. Dies wird der BR bei oberflächlicher Betrachtung verneinen, weil der Arbeitseinsatz nicht „voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet“. Der BR übersieht gelegentlich den zweiten Teil „oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.“ Bei „erheblichen Änderung der Umstände“ liegt eine mitbestimmungspflichtige Versetzung gemäß „oder“ sofort vor. Also dem BR auf § 95 Abs. 3 i.V.m. § 99 BetrVG hinweisen.
Dem BR kann die angesprochenen Unterschiede in der Leistungserbringung bei der Prüfung berücksichtigen. Denn die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich doch z.B. zwischen Freilager, Hochregallage oder TK-Lager erheblich. Es wurden dazu Beispiele in der Frage angeführt.
Ein BR, der seine Mitbestimmungsrechte nicht wahrnimmt, übt keine ordnungsgemäße Ehrenamtsausübung aus. :-P

Aus diesem Zusammenhang ist erkennbar, warum eine SBV einen Schulungsbedarf/-anspruch an Grundkenntnisse im Betriebsrats- und Arbeitsrecht hat. Denn nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX überwacht die SBV, dass die zugunsten schwerbehinderten Menschen geltenden Gesetze durchgeführt werden.

--
Gruß
Wolfgang

Direktionsrecht bei sb und gl Mitarbeitern

Moana, Thursday, 25.07.2019, 08:38 (vor 1737 Tagen) @ WoBi

Ihr seid wirklich Gold wert :-D

Ich werde alle Fälle nochmal genauestens prüfen um zu erkennen, ob die "Versetzungen" gerechtfertigt wären, hinsichtlich Eurer Argumente. Auch werde ich unsere Inklusionsvereinbarung dahingehend genau studieren. Ich werde mich auf jeden Fall zu entsprechenden Schulungen anmelden und dem BR mal gehörig auf die verschlafenen Füße treten ;-)

Vielen lieben Dank!!

Direktionsrecht bei sb und gl Mitarbeitern

Hendrik1, Niedersachsen, Thursday, 25.07.2019, 11:48 (vor 1736 Tagen) @ WoBi

Moin Moin Wolfgang,

leider ist der Pasus mit den geänderten Bedingungen bei uns im NPersVG unter § 65 nicht enthalten, sodass ich diesen der Kollegin nicht als Tipp mitgeben konnte.

Liebe Grüße

aus dem hohlen Norden

Hendrik

Direktionsrecht bei sb und gl Mitarbeitern

WoBi, Thursday, 25.07.2019, 21:06 (vor 1736 Tagen) @ Hendrik1

Hallo Hendrik1,

das BetrVG ist gegenüber den Personalratsgesetzen für die Mitarbeitervertretung durchaus komfortabler ausgestattet. Trotzdem ist die Mitbestimmung auch in Bereich der „freien“ Wirtschaft ausbaufähig und bedürftig. Die betriebliche Teilung der Zuständigkeit des Betriebsrates ist durch das BetrVG und dem „Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten“ (Sprecherausschussgesetz - SprAuG) klar geregelt. Dem Betriebsrat gehören (hoffentlich) nur Arbeitnehmervertreter an. Dabei hat eine Berücksichtigung des Geschlechtes in der Minderheit zu erfolgen. Der Betriebsrat kann damit geschlossener auftreten. Für uns als SBV gibt es das Recht der Sitzungsteilnahme im BR, aber nicht im Sprecherausschuss. Obwohl die SBV auch die leitenden Angestellten vertritt, weil diese „leidende“ Angestellte sein können.

Dieses ist im Bundespersonalvertretungsgesetz (BPerVG) und den länderspezifischen Ausprägungen durch die Berücksichtigung der Quoten für Beamten und Angestellten (früher sogar als dritte Gruppe, die Arbeiter) und teileweise länderspezifische unterschiedliche Geschlechterberücksichtigung bereits deutlich ein Unterschied. Ein Schelm der an „divide et impera“ denkt und dies den gewählten Vertretern als eigene gesetzgebende Handlungsfreiheit und den gesetzestextvorschlagenden Ministerien als Maxime unterstellen würde. Aber die Handlungsoptionen sind in den Personalgesetzen gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz durch Mitbestimmung, Mitwirkung, oder Anhörung deutlich eingeschränkter. Durch die eingeführten Begriffe Versetzung, Abordnung oder Umsetzung mit den jeweiligen abgestuften Beteiligungsrechten unter Berücksichtigung ob (Staat-/Land-/Kreis-)Beamter oder Angestellter wird die Handlungsmöglichkeiten nicht einfacher. Zumal hier noch die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit herangezogen werden muss.

Nur die Handlungsmöglichkeiten der Mitarbeitervertretung (MAV) im kirchlichen Bereich, dürften hinter den Personalräte folgen. Aber dies ist eine eigene Geschichte.

Deshalb wären Seminare unter Berücksichtigung des jeweiligen Vertretungsrechts für die SBV notwendig, um Verzahnung der jeweiligen Rechtsgrundlagen kennen und anwenden zulernen. Eine derartige Erforderlichkeit ergibt sich z.B. bei einer Frage zur Regelung der Ordnung im Betrieb und deren Handhabungen unter den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen. Hier würden z.B. Hinweise auf das BetrVG und dazugehörige Rechtsprechung die SBV bei einem öffentlichen Arbeitgeber auf die falsche Spur führen.

Wissen nur aus dem SGB IX reicht für eine wirkungsvolle Interessensvertretung als SBV nicht aus. Man muss die gesetzlichen Grundlagen in Kombination zueinander setzen können.

Im Mitarbeitervertretungsgremium ist es das „Kollektivwissen“ und hier im Forum die unterschiedliche Beiträge. Ich empfehle die gegenseitige übergreifende Aneignung von Wissen der jeweiligen Interessensvertretungen, weil damit auch die Zusammenarbeit verbessert wird. :-)

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Gruß
Wolfgang

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