Auch Absagen können diskriminierend sein!? (Allgemeines)

Katharina Schwarzenborn, Tuesday, 15.10.2019, 12:46 (vor 1647 Tagen)

Hallo,

was haltet ihr von Absagen, wie z. B. "Unsere Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Sehen Sie diese bitte nicht als Bewertung Ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten an." oder "Sehen Sie unsere Entscheidung nicht als Wertung Ihrer fachlichen Qualifikation."?

Sind doch nicht AGG-zulässig, oder!?

Danke Euch.

LG

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

Hendrik1, Niedersachsen, Tuesday, 15.10.2019, 13:41 (vor 1647 Tagen) @ Katharina Schwarzenborn

Moin Moin Katharina,

ich weiss nicht, wie oft Dir schon mitgeteillt wurde, dass dieses Forum keine Rechtsberatung macht, sondern dem Austausch der Vertrauenspersonen dient.
Ob man in die von Dir genannte Aussage hineininterpretieren kann, dass hier eine nicht AGG-konforme Beschreibung gemacht wurde, kann ich nicht sagen.
Logisch ist, dass der Arbeitgeber nach der "Bestenauslese" möglichst die- bzw. denjenigen auswählt, bei dem die Qualifikationen und Fähigkeiten sich am besten mit der ausgeschriebenen Stelle in Einklang bringen lassen. Insofern findet logischerweise auch eine Bewertung der Bewerber/innen statt.

Daher verstehe ich diese Sätze eher so, dass der Arbeitgeber damit zum Ausdruck bringen will, dass die Absage nichts mit einer generellen Ungeeignetheit für diese Stelle zu tun hat, oder einer insgesamt mangelhaften Qualifikation. Es gab leider nur noch besser passende Kandidaten/innen.

Liebe Grüße

Hendrik

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

fragezeichen, Sachsen, Tuesday, 15.10.2019, 13:50 (vor 1647 Tagen) @ Hendrik1

Hallo,

man kann es auch übertreiben und hinter jeder Ecke Argwohn vermuten. Ich sehe in der beschriebenen Formulierung keine Benachteiligung.

Gruß
fragezeichen

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

sbv-nl-west, NRW, Tuesday, 15.10.2019, 14:12 (vor 1647 Tagen) @ fragezeichen

Hallo zusammen,

auch ich erkenne in den Formulierungen keinen Verstoß.

Eine unterschiedliche Behandlung von Bewerbern ist rechtlich zulässig, wenn sie aufgrund von „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen notwendig und angemessen“ ist.

Viele Unternehmen nutzen deshalb bei Absagen neutrale Standardformulierungen, obwohl diese den Erwartungen der Bewerber nicht gerecht werden.

Dieses Dilemma ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass die "Erregungs-Gesellschaft", deren aufbrausende Empörung zum Ritual zu werden scheint.

Das BAG hat nicht ohne Grund entschieden, dass der Arbeitgeber nicht offenlegen muss, aus welchem Grund man sich für einen anderen Bewerber entschieden hat. (Urteil v. 25.04.2013 – 8 AZR 287/08)

--
Liebe Grüße

sbv-nl-west

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

Katharina Schwarzenborn, Thursday, 17.10.2019, 12:48 (vor 1645 Tagen) @ sbv-nl-west

Ich frage mich und vielleicht nicht nur ich, weil die fachliche Qualifikation ja das einzige absolut unverfängliche Kriterium bei der Personalauswahl ist, woran sollte es denn sonst liegen, dass man einen Bewerber eine Absage mit o. g. Beispielsätzen geschickt hat? Wenn es nicht an der Qualifikation, an Kenntnissen, an Fertigkeiten, an Fähigkeiten ... liegt, woran denn dann bitteschön? Dann bleiben doch "nur" Geschlecht, evtl. Schwerbehinderung, Aussehen, Kinder ...!? Oder?

Auch haben Bewerber nach einem Urteil des EuGH Anspruch auf eine Begründung. Schweigt der AG, könnte das als ein Hinweis auf eine mögliche Diskriminierung sein:

https://deutschland.taylorwessing.com/de/newsletter/arbeitsrecht/archive/newsletter-employment-1712/vorsicht-bei-abgelehnten-bewerbern.html

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

Monica99, Thursday, 17.10.2019, 13:00 (vor 1645 Tagen) @ Katharina Schwarzenborn

Hallo,

Auch haben Bewerber nach einem Urteil des EuGH Anspruch auf eine Begründung. Schweigt der AG, könnte das als ein Hinweis auf eine mögliche Diskriminierung sein:

https://deutschland.taylorwessing.com/de/newsletter/arbeitsrecht/archive/newsletter-employment-1712/vorsicht-bei-abgelehnten-bewerbern.html

Bitte doch das Urteil nochmals genau lesen. Denn der 1. Satz stimmt nicht, ist falsch.

Hier der Passus des Urteils.
Es wird daher seit längerem diskutiert, ob abgelehnten Stellenbewerbern ein solcher Auskunftsanspruch zustehe. Dies hat der EuGH nun abgelehnt, gleichwohl hat er die Rechte abgelehnter Stellenbewerber gestärkt.

--
mfg Monica

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

Katharina Schwarzenborn, Thursday, 17.10.2019, 13:07 (vor 1645 Tagen) @ Monica99

Hallo,

in der Entscheidung steht:

„dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist.”

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

sbv-nl-west, NRW, Thursday, 17.10.2019, 13:39 (vor 1645 Tagen) @ Katharina Schwarzenborn

Hallo,

in der Entscheidung steht:

„dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist.”

Hallo Katharina,

da haben wir sie wieder, die "kann" und nicht muss Bestimmung.

EuGH Urteil vom 19. April 2012 (- C-415/10 -) Die Kläger*in muss jedoch ausreichende Indizien dargelegen, welche eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen und die nach § 22 AGG zu einer Beweislast der Beklagten dafür führen würden, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat. Auch die Verweigerung jeglicher Auskunft durch die Beklagte begründete im Streitfalle nicht die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung der Kläger*in iSd. § 7 AGG.

--
Liebe Grüße

sbv-nl-west

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

Katharina Schwarzenborn, Thursday, 17.10.2019, 14:26 (vor 1645 Tagen) @ sbv-nl-west

Hallo,

stimmt, ist eine "Kann-Regelung" und es besteht ein muss seitens KlägerIn, aber wenn das muss erfüllt ist, siehts duster aus! ;-)

Aber was sagt ihr zu:

"Ich frage mich und vielleicht nicht nur ich, weil die fachliche Qualifikation ja das einzige absolut unverfängliche Kriterium bei der Personalauswahl ist, woran sollte es denn sonst liegen, dass man einen Bewerber eine Absage mit o. g. Beispielsätzen geschickt hat? Wenn es nicht an der Qualifikation, an Kenntnissen, an Fertigkeiten, an Fähigkeiten ... liegt, woran denn dann bitteschön? Dann bleiben doch "nur" Geschlecht, evtl. Schwerbehinderung, Aussehen, Kinder ...!? Oder?"

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

SFliege, Thursday, 17.10.2019, 15:10 (vor 1645 Tagen) @ Katharina Schwarzenborn

Dann bleiben doch "nur" Geschlecht, evtl. Schwerbehinderung, Aussehen, Kinder ...!? Oder?"

Dass wird zwar leider oft zu vermuten sein, aber nur selten oder nur ganz schwer zu beweisen sein.
Wenn z.B. in der Ablehnung steht: "Wir haben uns für einen männlichen, hellhäutigen und kinderlosen Bewerber ohne Behinderung entschieden."

Ich schließe mich der Ausführung von Hendrik1 an:

Daher verstehe ich diese Sätze eher so, dass der Arbeitgeber damit zum Ausdruck bringen will, dass die Absage nichts mit einer generellen Ungeeignetheit für diese Stelle zu tun hat, oder einer insgesamt mangelhaften Qualifikation. Es gab leider nur noch besser passende Kandidaten/innen.

Es sind z.B. nur verhandlungssichere Fremdsprachenkenntnisse gefordert, die beide Bewerber erfüllen, aber einer der Bewerber hat jetzt auch noch ein paar Jahre in dem Land gearbeitet.
Dann nehme ich den Bewerber, der auch mal dort gearbeitet hat und vielleicht dadurch die Mentalität auch etwas besser versteht.

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

MatthiasNRW, Friday, 18.10.2019, 11:30 (vor 1644 Tagen) @ Katharina Schwarzenborn

Hallo,

vorab: Bei der EuGH-Entscheidung ging es nie um das allgemeine Thema "Begründung für eine Absage". Das BAG hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein fachlich qualifizierter Arbeitnehmer "im Falle seiner Nichtberücksichtigung ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Auskunft eingeräumt werden muss, "ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat und, wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist".

Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung (Patrick Kelly ./. Universität Dublin) bestätigt und einen entsprechenden Auskunftsanspruch verneint. Gleichwohl kann eine Auskunftsweigerung zusammen mit anderen Indizien (im vorliegenden Meister-Fall war es beispielsweise die fehlende Einladung zum Vorstellungsgespräch trotz vorhandener Qualifikation) in letzter Konsequenz zur Beweislastumkehr führen.

"Ich frage mich und vielleicht nicht nur ich, weil die fachliche Qualifikation ja das einzige absolut unverfängliche Kriterium bei der Personalauswahl ist, woran sollte es denn sonst liegen, dass man einen Bewerber eine Absage mit o. g. Beispielsätzen geschickt hat? Wenn es nicht an der Qualifikation, an Kenntnissen, an Fertigkeiten, an Fähigkeiten ... liegt, woran denn dann bitteschön? Dann bleiben doch "nur" Geschlecht, evtl. Schwerbehinderung, Aussehen, Kinder ...!? Oder?"

Die Beispielsätze sind, für sich allein stehend, meines Erachtens ungeschickt und durchaus kritisch zu sehen.
Selbstverständlich kann man die Qualifikationen des Bewerbers würdigen ("stellen wir nicht in Abrede") und gleichzeitig feststellen, dass diese nicht mit der konkreten Anforderung im Einklang stehen und/oder andere Bewerber besser sind.

--
Gruß
Matthias

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

WoBi, Thursday, 17.10.2019, 15:09 (vor 1645 Tagen) @ sbv-nl-west

Hallo,

um an diese Indizien zu kommen, kann die Regelung in § 164 Abs. 1 Satz 7-9 SGB IX hilfreich sein.

Man beachte aber dabei die Voraussetzungen:
1. Der Arbeitgeber erfüllt seine Beschäftigungspflicht nicht. In der Regel 5% der Arbeitsplätze. Ausnahmen gewisse Bundesbehörden mit 6%, die an einem Stichtag 6% oder mehr beschäftigt haben.
2. Die betriebliche Interessensvertretung und / oder SBV ist mit der geplanten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden.

Bei der Anhörung des Bewerbers nach Satz 8 und der Mitteilung nach Satz 9 können ggf. Grunde für mögliche Indizien aufgezeigt werden. Die Schwierigkeit liegt hier an die Kenntnis zu gelangen, ob die Beschäftigungsquote erfüllt ist und ob eine Interessensvertretung bei dieser Bewerbung um eine Stelle nicht einverstanden war. Dann wäre die Nichtanhörung oder die unterlassene Unterrichtung bereits ein Indiz für eine Benachteiligung wegen Behinderung, weil der Arbeitgeber sich nicht an die gesetzliche Regelung gehalten hat..

--
Gruß
Wolfgang

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

MatthiasNRW, Friday, 18.10.2019, 11:36 (vor 1644 Tagen) @ sbv-nl-west

EuGH Urteil vom 19. April 2012 (- C-415/10 -) Die Kläger*in muss jedoch ausreichende Indizien dargelegen, welche eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen und die nach § 22 AGG zu einer Beweislast der Beklagten dafür führen würden, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat. Auch die Verweigerung jeglicher Auskunft durch die Beklagte begründete im Streitfalle nicht die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung der Kläger*in iSd. § 7 AGG.

Rdnr. 42: "Daher hat das vorlegende Gericht (Anm. das BAG) darüber zu wachen, dass die Auskunftsverweigerung durch Speech Design im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung zum Nachteil von Frau Meister vermuten lassen, nicht die Verwirklichung der mit den Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 verfolgten Ziele zu beeinträchtigen droht."

Rdnr. 44: "Zu den Gesichtspunkten, die in Betracht gezogen werden können, gehört insbesondere der Umstand, dass, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil Kelly ergangen ist, der Arbeitgeber, um den es im Ausgangsverfahren geht, Frau Meister jeden Zugang zu den Informationen verweigert zu haben scheint, deren Übermittlung sie begehrt."

Die Auskunftsverweigerung ist allein für sich nicht ausreichend, jedoch in der Summe der möglichen Indizien zu würdigen.

--
Gruß
Matthias

Auch Absagen können diskriminierend sein!?

Cebulon, Thursday, 17.10.2019, 16:37 (vor 1645 Tagen) @ Katharina Schwarzenborn

Ich frage mich und vielleicht nicht nur ich, weil die fachliche Qualifikation ja das einzige absolut unverfängliche Kriterium bei der Personalauswahl ist, woran sollte es denn sonst liegen, dass man einen Bewerber eine Absage mit o. g. Beispielsätzen geschickt hat?

Naja, im öffentlichen Dienst geht es zum Beispiel nicht nur „einzig“ um diese „fachliche Qualifikation“, sondern um „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“. Die zitierten wohl individuellen Begründungen der Absagen halte ich teilweise für ungeschickt. Professionelle Arbeitgeber verwenden i. d. R. betont allgemein gehaltene Textbausteine bzw. sog. Standardformulierungen, soweit kein Fall wie hier.

Artikel 33 Grundgesetz
(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

Gruß,
Cebulon

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