Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen (Allgemeines)

Vertigo, Saarland, Thursday, 16.01.2020, 08:45 (vor 1555 Tagen)

Hallo zusammen,
hier bei A-Z steht zur Frage nach der Schwerbehinderung, dass über die Zulässigkeit der tätigkeitsneutralen Frage nach einer Schwerbehinderung nach wie vor immer noch nicht entschieden wurde.
Was mich irritiert, ist, dass "tätigkeitsneutral" dabei steht.

Wenn bei uns Mitarbeiter eingestellt werden sollen und sie in die Personalabteilung zur Vertragsunterzeichnung kommen, müssen sie einen Personalfragebogen ausfüllen mit allen möglichen persönlichen Angaben.
Zwei Fragen stören mich in diesem Fragebogen.

1.) Sind sie schwerbehindert oder Gleichgestellt?
2.) Waren sie in den vergangenen 2 Jahren oder sind Sie z. Zt. wegen einer schwerwiegenden oder chronischen Erkrankung, die Einfluss auf die vorgesehene Arbeitsleistung haben könnte, arbeitsunfähig erkrankt?

Mit der zweiten Frage könnte ich mich ja noch arrangieren, weil sie auf die tätigkeitsbezogene Arbeit abziehlt.

Aber die Frage nach der Schwerbehinderung gefällt mir gar nicht.
Wenn ein Bewerber die Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren berücksichtigt haben möchte, dann kann er dies ja auch in seiner Bewerbung angeben.
Er hat diesbezüglich doch keine Offenbarungspflicht!

Andererseits habe ich mir überlegt, wenn er die Frage nicht wahrheitsgemäß beantwortet mit "nein", weil er nicht möchte, dass der AG dies weiß, können ihm während des Arbeitsverhältnisses, falls die Offenbarung nötig werden sollte, Lügen unterstellt werden.
Kritisch stelle ich mir vor, wenn ein AG zum Beispiel die Quote nicht erfüllt hatte und dadurch ein finanzieller Nachteil für den AG bestand.

Wie ist eure Meinung?

Ich hätte gerne im Personalfragebogen die Frage nach der Schwerbehinderung raus, brauche aber § oder Urteile, um dies durchsetzen zu können.
Es gibt ganz viele unterschiedliche Urteile, aber nix Eindeutiges und im SGB IX steht alles wieder wischi, waschi im §164 auf den hier verwiesen wird, wenn man eingibt:" Frage nach einer Schwerbehinderung bei der Jobsuche".

Ich bin sehr gespannt auf eure Antworten
Liebe Grüße

--
Gruß
Vertigo

Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

jp, Bayern, Thursday, 16.01.2020, 11:29 (vor 1555 Tagen) @ Vertigo

Hallo Vertigo,
in meinen Augen sind diese beiden Fragen total daneben und müssen raus!

Die Frage nach einer Schwerbehinderung ist unzulässig wie die Frage nach einer Schwangerschaft. Ausserdem erfüllt sie den Tatbestand einer Diskriminierung.
Bei der zweiten Frage darf es doch nicht um die Vergangenheit gehen, sondern um die Zukunft. Das heißt es darf gefragt werden ob die Anforderungen an die Stellenbeschreibung erfüllt werden können, wie z.B. führen eines Gabelstaplers, heben von Gewichten bis zu 20 kg bis zu 50-mal Tag etc. Bei diesen Fragen zur Stellenbeschreibung muss die sich bewerbende Person wahrheitsgemäß antworten.

Wenn die Person die Nachteilsausgleiche, wie z.B. Zusatzurlaub in Anspruch möchte, macht es Sinn z.B. nach der Probezeit die Schwerbehinderung beim Arbeitgeber anzuzeigen.

In meinen Augen ist die Ausgleichsabgabe so niedrig, dass diese meist aus der Portokasse bezahlt wird.

Hier zwei weiterführende Links:
https://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/arbeitsvertrag/themen/beitrag/ansicht/arbeitsvertrag/muessen-arbeitnehmerinnen-schwerbehinderung-offenbaren/details/anzeige/
https://www.integrationsaemter.de/Fachlexikon/Offenbarung-der-Schwerbehinderung/77c412i1p/index.html

Viel Erfolg
jp

--
jp

Nach dem Fachlexikon der Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

SFliege, Thursday, 16.01.2020, 11:47 (vor 1555 Tagen) @ jp

Nach dem Fachlexikon der BIH muss also die tätigkeitsneutrale Frage nach einer Schwerbehinderung, sofern diese keine ausschlaggebende Bedeutung für eine Einschränkung bei der Tätigkeit hat, auch nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden.

Auch das LAG Hamburg hält in seinem Urteil vom 30.11.2017 AZ 7 Sa 90/17 bei der Einstellung "die Erwartung der Abgabe einer Erklärung, nicht schwerbehindert zu sein, im Regelfall als unzulässig".

Nach einem Urteil des BAG vom 16.2.2012 AZ 6 AZR 553/10 kann die Frage nach der Schwerbehinderung in einem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis nach sechs Monaten, d.h. nach dem Erwerb des besonderen Kündigungsschutzes, aber durchaus auch zulässig sein. (insbesondere bei der Vorbereitung von Kündigungen)
Hierdurch öffnet das BAG schon eine Tür, und es stellt sich wirklich die Frage, ob jetzt auch zur Vermeidung der Zahlung einer Ausgleichsabgabe eine solche Frage zulässig wäre.

Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

Cebulon, Thursday, 16.01.2020, 15:06 (vor 1555 Tagen) @ Vertigo

Fragebogen: Sind sie schwerbehindert oder gleichgestellt?

Hallo Vertigo, diese tätigkeitsneutrale Frage ist laut BAG und nach einhelliger Meinung in neuerer Standardliteratur schon seit vielen Jahren grundsätzl. unzulässig, wenn beispielsweise bei Einstellung im Personalfragebogen danach gefragt wird z.B. per Ankreuztext (ja/nein), entgegen verbreiteter, aber falscher landläufiger Meinung. Der Abschnitt 2.6 der schon arg in die Jahre gekommen bzw. der betagten Integrationsrichtlinien des Saarlandes von 2005 (nochmals verlängert bis zum 31.12.2020) erscheint - mal ganz zurückhaltend ausgedrückt, „etwas fragwürdig“. (Prof. Düwell, LPK-SGB IX, § 164 Rn. 28). Spätestens seit Einfügung des Benachteiligungsverbots wegen Behinderung in Art. 3 Abs. 3 GG und nach der EU-Richtlinie 2000/78/EG ist eine solche tätigkeitsneutrale Frage nicht mehr mit Verfassung bzw EU-Recht vereinbar (LPK-SGB IX § 168 Rn 24/26)
Leitsatz: „Die tätigkeitsneutrale Frage nach einer Schwer­be­hin­de­rung bei einer Einstellung ist unzulässig.“ (ArbG Hamburg, Urteil vom 27.06.2017 - 20 Ca 22/17). So schon LAG Hamm, Urteil vom 19.10.2006 – 15 Sa 740/06 – zum Umfang des Fragerechts nach Vorliegen einer Schwerbehinderung vor über zehn Jahren. In diesem Sinne auch LAG Hamburg, Urteil vom 30.11.2017, 7 Sa 90/17, mit Entschädigung von drei Monatsgehältern: Das Gericht sah wohl nur deshalb von einem weitaus höheren Schadensersatz ab, weil es sich nicht um einen arbeitslosen Bewerber handelte.

Ist übrigens ebenso unzulässig wie etwa die beliebte Befragung, ob ein schwerbehinderter Bewerber eine Beteiligung der SBV wünsche laut § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX lt. Düwell- und Knittel-Kommentar. Denn in § 178 SGB IX steht nichts, dass SBV-Beteiligung von einer Befragung abhängen würde, dass Zustimmung eingeholt werden müsse oder dass die Beteiligung gar von einem Antrag abhängig gemacht werden dürfe (Düwell, LPK-SGB IX, § 164 Rn. 152/153; Knittel, SGB IX, § 164 Rn. 74/75)

Er hat diesbezüglich doch keine Offenbarungspflicht!

Richtig. "Eine Pflicht zur Offenbarung der Schwerbehinderung schon bei einer Bewerbung besteht grundsätzlich nicht, ebenso wenig wie grundsätzliches Fragerecht des Arbeitgebers“ - urteilte bereits BAG, 18.09.2014 – 8 AZR 759/13 – in Abkehr von früherer Rspr. aus den 90-er Jahren, die seit jeher als „verfassungswidrig“ scharf kritisiert wurde wegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG 1994. Mit dieser unsäglichen vormaligen Rechtsprechung hatte BAG sbM einen „Bärendienst“ erwiesen, und der Bundestag hat sechs Jahre gebraucht, bis er das EU-Recht mit dem AGG endlich 2006 umsetzte, nachdem ihn die EU zuvor verklagte wegen Untätigkeit. Ferner BAG, 26.06.2014, 8 AZR 547/13, Rn. 53.

dass über Zulässigkeit der tätigkeitsneutralen Frage nach einer Schwerbehinderung nach wie vor nicht entschieden wurde.

Doch - das wurde zwischenzeitlich im Grundsatz schon vielfach über ein Dutzend Mal in ständiger verw.- und arbeitsgerichtlicher Rspr. entschieden zum Einstellungsverfahren. So etwa BAG vom 13.10.2011, 8 AZR 608/10 - wonach gerade die Nachfrage nach „tätigkeitsneutraler Schwerbehinderung“ Indz für unmittelbare oder mittelbare Ver­fah­rens­dis­krimi­nie­rung sein könne. Einfach mal ins Stichwortverzeichnis einer der führenden SGB IX-Kommentare schauen: So sollte man schnell mit Begriffen wie „Benachteiligung - Frage nach der Schwerbehinderung“ oder „Entschädigung - wegen einer Benachteiligung“ oder „Fragerecht - tätigkeitsneutrale Frage“ fündig werden bei der Suche nach (weiteren) Urteilen sowie Quellen: Im LPK-SGB IX, § 168 Rn. 28 findet man zum Bsp. in Fußnote 89 über ein Dutzend Fundstellen zur Unzulässigkeit solcher Fragen wg. unmittelbarer Diskriminierung, § 164 Abs. 2 SGB IX.

Gruß,
Cebulon

Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

Vertigo, Saarland, Friday, 17.01.2020, 07:49 (vor 1554 Tagen) @ Vertigo

Hallo zusammen,

vielen Dank für eure schnellen Antworten.
Mein übernommener Kommentar von meiner Vorgängerin ist leider schon veraltet und ich habe mir schon einen neuen bestellt.
In dem alten Kommentar habe ich nichts so richtig gefunden gehabt.
Die Gerichtsurteile wurden auch sehr unterschiedlich entschieden.

Eine Frage habe ich noch an Cebulon. Wie siehst du das mit dieser Gesundheitsfrage?
Ich finde auch, dass, wenn die Frage tätigkeitsbezogen und für zukünftig wäre, könne ich sie noch so durchgehen lassen.
Prinzipiell finde ich, geht den Arbeitgeber das doch nichts an, wie es der Bewerberin oder dem Bewerber in den letzten zwei Jahren gesundheitlich ging. Vorausgesetzt natürlich, dass eine vergangen Krankheit die jetzige Tätigkeit nicht einschränkt.

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende :-)

--
Gruß
Vertigo

Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

garda, Berlin, Friday, 17.01.2020, 07:58 (vor 1554 Tagen) @ Vertigo

Eine Frage habe ich noch an Cebulon. Wie siehst du das mit dieser Gesundheitsfrage?
Ich finde auch, dass, wenn die Frage tätigkeitsbezogen und für zukünftig wäre, könne ich sie noch so durchgehen lassen.
Prinzipiell finde ich, geht den Arbeitgeber das doch nichts an, wie es der Bewerberin oder dem Bewerber in den letzten zwei Jahren gesundheitlich ging. Vorausgesetzt natürlich, dass eine vergangen Krankheit die jetzige Tätigkeit nicht einschränkt.

Hallo Vertigo,

die richtige Antwort hast du dir schon selbst gegeben. Was der Arbeitgeber im Beschäftigungsverhältnis nicht fragen darf, darf er vorher auch nicht. Gesundheitliche Probleme dürfen erfragt werden wenn sie die Tätigkeit ausschließen.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

albarracin, Baden-Württemberg, Friday, 17.01.2020, 08:45 (vor 1554 Tagen) @ Vertigo

Hallo Vertigo,

gilt für Dich BetrVG oder Personalvertretungsrecht ?

Im BetrVG wären Personalfragebögen gem. § 94 Abs. 1
http://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/__94.html
von A-Z mitbestimmungspflichtig. Meines Wissens gibt es im Personalvertretungsrecht ähnliche Vorschriften.
Wie stellt sich denn BR/PR zu den Fragen ? Haben sie diesen Fragen zugestimmt?

--
&Tschüß

Wolfgang

Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

Vertigo, Saarland, Tuesday, 21.01.2020, 09:29 (vor 1550 Tagen) @ albarracin

Hallo Wolfgang,

der Betriebsrat hatte 2017 diesem Fragebogen zugestimmt. Da war ich allerdings noch keine Schwerbehindertenvertretung und meiner Vorgängerin ist das wohl nicht aufgefallen.

Aufmerksam darauf wurde ich nur, weil jetzt durch eine weitere Frage die Zustimmung des Betriebsrates in der Sitzung abgestimmt wurde.

Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass diese Frage rauskommt.

Liebe Grüße

--
Gruß
Vertigo

Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen

Cebulon, Friday, 24.01.2020, 13:13 (vor 1547 Tagen) @ Vertigo

Aber die Frage nach der Schwerbehinderung gefällt mir gar nicht.

Hallo, das ist regelmäßig klar unzulässig entgegen Volkes Meinung: Vergl. Newsletter 2019 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Gruß,
Cebulon

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