Prüfpflicht des Arbeitgebers (Allgemeines)

Karin73, Schleswig-Holstein, Wednesday, 11.03.2020, 20:42 (vor 1506 Tagen)

Hallo zusammen,
ich bräuchte mal Euern Rat.
Wie ist es mit der Prüfpflicht des Arbeitgebers ob eine vakante Stelle mit einem Schwerbehinderten besetzt werden kannst.
Bei uns in einer kommunalen Verwaltung soll soll eine vakante Leitungsstelle einer Kita besetzt werden.Die Fachdienstleitung möchte einen Ausschreibungsverzicht und die Stelle direkt auf eine Erzieherin übertragen.
Bevor das passiert muss der Arbeitgeber nicht trotzdem prüfen ob die vakante Stelle ob die Stelle mit einem Schwerbehinderten besetzt werden kann und müsste die Stelle nicht auch trotzdem der Agentur für Arbeit gemeldet werden?
Oder kann bei Ausschreibungsverzicht auf alles verzichtet werden und einfach intern besetzt werden?
Viele Grüße Karin

Prüfpflicht des Arbeitgebers

Hotte, Stuttgart, Wednesday, 11.03.2020, 22:13 (vor 1506 Tagen) @ Karin73

Hallo zusammen,
ich bräuchte mal Euern Rat.
Wie ist es mit der Prüfpflicht des Arbeitgebers ob eine vakante Stelle mit einem Schwerbehinderten besetzt werden kannst.
Bei uns in einer kommunalen Verwaltung soll soll eine vakante Leitungsstelle einer Kita besetzt werden.Die Fachdienstleitung möchte einen Ausschreibungsverzicht und die Stelle direkt auf eine Erzieherin übertragen.
Bevor das passiert muss der Arbeitgeber nicht trotzdem prüfen ob die vakante Stelle ob die Stelle mit einem Schwerbehinderten besetzt werden kann und müsste die Stelle nicht auch trotzdem der Agentur für Arbeit gemeldet werden?
Oder kann bei Ausschreibungsverzicht auf alles verzichtet werden und einfach intern besetzt werden?
Viele Grüße Karin

Hey,
nach meiner unmassgeblichen Meinung kann kein AG gezwungen werden einen Arbeitsplatz extern zu besetzen, wenn er eine interne Lösung hat.
Inwieweit eine interne Ausschreibung erfolgen muss, steht auf einen anderen Blatt
VG
Hotte

--
Richard v. Weizsäcker:
"Nicht Behindert zusein,ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jeder Zeit genommen werden kann."

Prüfpflicht des Arbeitgebers

WoBi, Thursday, 12.03.2020, 12:27 (vor 1505 Tagen) @ Karin73

Hallo Karin73,

ein Arbeitgeber hat eine Vielzahl von Schritten zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen nach § 164 Abs. 1 SGB IX durchzuführen:

  • Der Arbeitgeber hat die unternehmerische Entscheidung getroffen einen neuen, freien oder frei werdenden Arbeitsplatz zu besetzen. Dann muss der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX anhand der konkreten Anforderungen prüfen, ob die Stelle mit einem schwerbehinderten Menschen als Einzelfallprüfung besetzt werden kann.
  • Der Arbeitgeber hat nach § 164 Abs. 1 S. 6 SGB IX i.V.m. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX die SBV bei der Ausübung der Prüfpflicht nach § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX zu beteiligen. Dabei hat der Arbeitgeber zu prüfen ob bereits schwerbehinderte oder gleichgestellte Beschäftigte z.B. im Rahmen von § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX auf diesen Arbeitsplatz versetzt oder befördert werden können. Die SBV und der BR/PR können dazu ebenfalls geeignete schwerbehinderte oder gleichgestellte Beschäftigte vorschlagen.
    Dazu ist die SBV umfassend zu unterrichten, wann und welcher Arbeitsplatz neu geschaffen und besetzt bzw. welcher vorhandene Arbeitsplatz wieder besetzt werden soll. Dies hat unter Angabe einer genauen Arbeitsplatzbeschreibung, Informationen über Arbeitsbelastung, erforderliche berufliche Qualifikation und die Einordnung in den betrieblichen Ablauf zu erfolgen. Die Prüfung ist immer am konkret vorgesehenen Arbeitsplatz durchzuführen. Dazu ist das Anforderungsprofil für die Stelle, die Stellenbeschreibung, die Arbeitsplatzbeschreibung und die vorgesehene zukünftige Stellenausschreibung erforderlich.
    Die Stellenbeschreibung ist ein Organisationsinstrument und beschreibt unabhängig von Personen, stellenbezogen und prozessorientiert, die mit einer Arbeitsstelle verbundenen Funktionen innerhalb der Ablauforganisation. In der Arbeitsplatzbeschreibung sind die vom Stelleninhaber auszuführenden Aufgaben und Tätigkeiten detailliert beschrieben. Beides findet sich oft in der Stellenausschreibung anteilig wieder.
    Die SBV ist dazu anzuhören, ihre Stellungnahme bei der Entscheidung zu berücksichtigen und die getroffene Entscheidung durch den Arbeitgeber unverzüglich der SBV mitzuteilen. Ob ein Stellenangebot im Zusammenhang mit Fluktuation, Änderungen im Anforderungsprofil oder sonstigen unternehmerischen Überlegungen zusammenhängt ist für die Auslösung der Rechtsfolgen nach § 164 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 6 SGB IX unerheblich.
  • Der Arbeitgeber hat nach § 164 Abs. 1 S. 6 SGB IX den BR/PR bei der Prüfung nach Satz 1, ob die Stelle mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann, anzuhören.
  • Der Arbeitgeber muss nach § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX frühzeitig vor jeder externen Stellenausschreibung mit der zuständigen Agentur für Arbeit Kontakt aufnehmen und sie mit einer möglichst genauen Beschreibung über den Arbeitsplatz informieren und eine Vermittlung beauftragen, damit die Bundesagentur für Arbeit geeignete arbeitssuchende bzw. arbeitslos gemeldete schwerbehinderte Menschen vorschlagen kann.
  • Der Arbeitgeber muss die SBV gemäß § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX über alle Vermittlungsvorschläge und Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang unterrichten. Dies damit die SBV ihr Einsichtsrecht in alle Bewerbungsunterlagen und ihr Teilnahmerecht an allen Vorstellungsgesprächen sofort nachkommen kann. Die SBV ist vor einer Entscheidung des Arbeitgebers nach § 178 Abs. 2 SGB IX anzuhören.
  • Der Arbeitgeber muss den BR/PR über alle Vermittlungsvorschläge und Bewerbungen unmittelbar unterrichten. Ein Sammeln von Bewerbungen oder Vorselektion ist unzulässig.
  • Wenn die SBV mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist und der Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht aus § 154 SGB IX nicht erfüllt, dann hat der Arbeitgeber gemäß § 164 Abs. 1 S. 7 und 8 SGB IX ihre Einstellungsentscheidung unter Angabe von Gründen mit der SBV, wobei der/die betroffene(n) schwerbehinderte(n) Bewerber angehört wird/werden, zu erörtern.
  • Wenn der BR/PR mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist und der Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht nach § 154 SGB IX nicht erfüllt, dann hat der Arbeitgeber gemäß § 164 Abs. 1 S. 7 und 8 SGB IX ihre Einstellungsentscheidung unter Angabe von Gründen mit dem BR/PR zu erörtern. Dabei wird der/die betroffene(n) schwerbehinderte(n) Bewerber angehört.
  • Die SBV, der BR/PR und der/die schwerbehinderte(n) Bewerber sind unverzüglich unter Darlegung der Gründe über die getroffene Entscheidung des Arbeitgebers nach § 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX zu unterrichten.

Es ist einiges zu tun, bevor eine Stelle z.B. intern ausgeschrieben werden kann. Sollte bei einer internen Ausschreibung doch eine externe Einstellung erfolgen, ist die Stelle selbstverständlich "frühzeitig" der Agentur für Arbeit zu melden.
Bei öffentlichen Arbeitgeber ist zusätzlich § 165 SGB IX zu beachten.

--
Gruß
Wolfgang

Prüfpflicht des Arbeitgebers

WoBi, Thursday, 12.03.2020, 12:58 (vor 1505 Tagen) @ WoBi

Zur Ergänzung des vorhergehenden Beitrages.

Die Einbindung der SBV und BR/PR ist bereits bei der Personalplanung wichtig, damit in Vorbereitung geprüft werden kann, ob kurz-, mittel- oder langfristig geplante Stellen behindertengerecht gestaltet werden können. Wenn die freie Stelle zur Verfügung steht, können bereits unternehmerische Entscheidungen getroffen worden sein. Es könnten Hilfen z.B. durch den Technischen Beratungsdienst des Integrationsamts zur Gestaltung von behindertengerechten Arbeitsplätzen in Anspruch genommen werden.

Die SBV hat nach § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX das Recht auf Beteiligung am Verfahren nach § 164 Abs. 1 SGB IX. Dies schließt die Teilnahme am Auswahlverfahren mit ein. Die SBV ist im Stellenbesetzungsverfahren mehrfach nach § 178 Abs. 2 Satz 1 durch den Arbeitgeber zu unterrichten und anzuhören. Immer dann, wenn der Arbeitgeber eine Entscheidung treffen will, z.B. bei der beabsichtigten Einstellung eine Mitbewerbers. Erst nach der Stellungnahme der SBV als Anhörung, kann der Arbeitgeber die endgültige Entscheidung unter Würdigung der Stellungnahme für den Mitbewerber treffen und dies dem BR/PR zur Mitbestimmung vorlegen.
Da die Anhörungsfrist für den BR/PR erst zu laufen beginnt, wenn ordnungsgemäß, d.h. auch inhaltlich vollständig unterrichtet wurde, ist erst auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der BR/PR letztlich vollständig informiert wurde. Also mindestens erst ab dem Zeitpunkt, wann die Mitteilung der endgültigen Entscheidung der Beklagten nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX an die SBV auch dem BR/PR vorgelegen hat.
Der BR/PR sollte (vorzeitig / verfrüht vorgelegte) Vorgänge zur Mitbestimmung, die ohne Stellungnahme der SBV / endgültige Entscheidung des Arbeitgebers vorgelegt werden, kommentiert zurückweisen und auf die erforderliche Unterrichtung durch den Arbeitgeber bestehen.

Der BR/PR kann die generelle Ausschreibung von Stellen verlangen und kann danach bei begründeten Einzelfällen auf eine Ausschreibung verzichten. Das Entbindet aber den Arbeitgeber nicht, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nach dem SGB IX nachzukommen. Die Verpflichtungen aus § 164 Abs. 1 SGB IX entstehen unabhängig einer Ausschreibung, nämlich dann, wenn der Arbeitgeber die Entscheidung fällt einen Arbeitsplatz zu besetzen.

Was für Folgen dabei entstehen können, sind nachlesbar unter:
https://www.komsem.de/archiv/2000e-sbm-nicht-eingeladen/
oder unter Recht/Urteile https://www.komsem.de/rechtliches/urteile/#einstellung

--
Gruß
Wolfgang

Prüfpflicht des Arbeitgebers

Karin73, Schleswig-Holstein, Friday, 20.03.2020, 08:10 (vor 1497 Tagen) @ WoBi

Vielen Dank für die ausführliche Informationen.Das hat mir sehr geholfen und wir konnten damit den Antrag auf Ausschreibungsverzicht verhindern.
Gruß Karin

RSS-Feed dieser Diskussion