Beendigung der Maßnahme (BEM)

soundso..., Tuesday, 28.04.2020, 16:48 (vor 1456 Tagen)

Hallo zusammen,
wer kann mir Argumentationshilfe leisten in folgendem Fall:

- BEM läuft seit 10 Monaten
- Anlass war eine akute Erkrankung
- Arbeit musste umorganisiert werden, Auftragsart und Auftragszahl wurde befristet reduziert
- Im Verlauf wurde ein Zusammenhang von Erkrankung/Behinderung deutlich
- SBV plädierte früh (9/2019) für eine dauerhafte Lösung mit Beschäftigungssicherungszuschuss
- AG war zunächst nur bereit, die Maßnahme mit immer neuen Befristungen zu verlängern
- Im April 2020 wurde eine erneute Verlängerung aus dem BEM heraus erbeten
- Der AG lehnt dies jetzt ab mit Verweis auf Unwirtschaftlichkeit,
(es soll wieder 100% gearbeitet werden ohne Anpassung, die Schwerbehinderung wird mit keinem Wort erwähnt)
- SBV-Stellungnahme mit Verweis auf Verpflichtung zur Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes,
dass die Mittel nicht ausgeschöpft worden seien trotz Hinweis der SBV etc.
- Parallel erklärte sich der inzwischen ernannte Inklusionsbeauftragte bereit,
den Beschäftigungssicherungszuschuss zu beantragen
- daraufhin 2. Stellungnahme der SBV, dass eine neue Sachlage entstanden sei und die Maßnahme nun verlängert werden sollte, bis das weitere Procedere geklärt ist (im Interesse aller Beteiligten)
- dennoch erfolgte eine erneute Ablehnung der Maßnahme durch den AG gestern
- der eingeschaltete BAD und das Inklusionsamt kämen gerne mit an einen Tisch,
mittel- bis langfristig hoffe ich auf eine gute Lösung

- das Problem ist die Situation ab 01.05.2020, für die jetzt keine Regelung getroffen wurde bzw. eine Ablehnung der Fortführung der BEM-Maßnahme

FRAGE: DARF der AG einfach eine laufende BEM-Maßnahme überhaupt ersatzlos streichen?
Wenn ja, wie ist es in diesem Fall, in dem die Schwerbehinderung trotz intensiver Gespräche gar nicht berücksichtigt wurde?

Vielen Dank für eure Mithilfe :-) !

Beendigung der Maßnahme

albarracin, Baden-Württemberg, Tuesday, 28.04.2020, 19:53 (vor 1456 Tagen) @ soundso...

Hallo,

wenn die Schilderung stimmt, stellt sich die Frage, warum nicht schon längst ein Präventionsverfahren unter Beteiligung des Integrationsamtes verlangt wurde?
Ist der Integrationsfachdienst eingeschaltet ?

--
&Tschüß

Wolfgang

Beendigung der Maßnahme

soundso..., Tuesday, 28.04.2020, 20:21 (vor 1456 Tagen) @ albarracin

Gute Frage- tatsächlich schien dies die ersten Monate nicht nötig, die Kollegin wollte nicht auf die Behinderung abheben und nur aufgrund Gesundheitszustand die BEM-Maßnahme. Als dies chronifizierte und der Zusammnehang zur Behinderung klar wurde, geschah die Kontaktaufnahme zum IFD im November 2019 von meiner Seite aus und man stellte uns viermonatige Wartefristen für ein Gespräch in Aussicht. Überraschend erfolgte dann nach ca. 6 Wochen ein Anruf, die Kollegin solle sich melden. In dieser Zeit war sie erkrankt/in Urlaub und es kam später zu einem Kontakt. Die Kollegin wurde dann an den IFD in ihrer Region verwiesen (AG/Zentrale in einer Sadt, Homeoffice einzelner MA bundesweit), obwohl man uns vorher gesagt hatte, dass dies zentral geregelt würde im Gespräch mit dem AG.
Dort ist sie in Beratung, man will auch mit dem AG an einen Tisch.
All dies ist dem AG bekannt, trotzdem steht jetzt die Behauptung im Raum, es sei nicht um Behidnerung gegenagen (der GdB war ohnehin bekannt in der Personalabteilung).
Es gibt viele Details dazu, die ich hier gar nicht alle ausbreiten kann... aber kannst du schon etwas bezüglich meiner Frage sagen?

Beendigung der Maßnahme

garda, Berlin, Wednesday, 29.04.2020, 08:01 (vor 1455 Tagen) @ soundso...

Hallo,

BEM hat immer grundsätzlich einen empfehlenden Charakter, deswegen ist das Präventionsverfahren nach dem Absatz 2 auch so wichtig.

Setzt sich der AG aber über die Empfehlungen aus dem BEM hinweg, manövriert er sich möglicherweise in eine für ihn ungünstige Lage die dein AG offenbar nicht vollständig durchschaut. Ich verweise hier auf § 105 GewO, mit seiner hier durchaus relevanten Einschränkung des Direktionsrechts, auf das Recht von Schwerbehinderten auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz und die Fürsorgepflicht des AG. Da muss ein AG schon gut begründen, wenn er sich hinwegsetzen will und BR + SBV haben genug Ansatzpunkte.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Beendigung der Maßnahme

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 29.04.2020, 08:49 (vor 1455 Tagen) @ soundso...

Hallo,

die Einleitung eines Präventionsverfahrens bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. 167 Abs. 1 SGB IX ist eine gesetzliche Pflicht des AG. Dabei kommt es zuerst einmal auf den Willen der Beschäftigten nicht an. Die "Schwierigkeiten" im Arbeitsverhältnis sind ja wohl unübersehbar.

Der ANin ist zu empfehlen, über den 01.05. hinaus unbedingt (schriftlich und nachweisbar) ihre Arbeitskraft im derzeitigen Rahmen anzubieten und den AG auf evtl. "Annnahmeverzug" gem. § 615 BGB hinzuweisen.

@garda: Du hast wohl § 106 GewO gemeint mit dem Direktionsrecht und dessen möglichen Einschränkungen?

--
&Tschüß

Wolfgang

Beendigung der Maßnahme

garda, Berlin, Wednesday, 29.04.2020, 15:32 (vor 1455 Tagen) @ albarracin

Hallo albarracin,

Der ANin ist zu empfehlen, über den 01.05. hinaus unbedingt (schriftlich und nachweisbar) ihre Arbeitskraft im derzeitigen Rahmen anzubieten und den AG auf evtl. "Annnahmeverzug" gem. § 615 BGB hinzuweisen.

Eine sehr sinnvolle Ergänzung wenn die Arbeit "so" oder eben gar nicht angenommen wird.

@garda: Du hast wohl § 106 GewO gemeint mit dem Direktionsrecht und dessen möglichen Einschränkungen?

Genau richtig, das war ein Tippfehler.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Beendigung der Maßnahme

Vertigo, Saarland, Wednesday, 29.04.2020, 08:05 (vor 1455 Tagen) @ soundso...

Hallo soundso,

Ich gehe mal davon aus, dass die Kollegin mittlerweile schwerbehindert oder freigestellt ist.
Wenn nicht, solltest du schleunigst mit ihr einen Gleichstellungsantrag stellen damit sie bald einen gesonderten Kündigungsschutz hat.
Wurde denn in diesem BEM Verfahren der betriebsärztliche Dienst eingeschaltet?
Dann wäre es wichtig, mit der Beurteilung des Betriebsärztlichen Dienstes zu argumentieren und dem AG mitzuteilen, dass, wenn die Kollegin weiterhin auf einem nicht leidensgerechten Arbeitsplatz eingesetzt ist, es zu weiteren krankheitsbedingten Ausfällen kommen kann, was vermutlich beide Seiten nicht möchten.

Dann ist der AG, wie du glaube ich schon geschrieben hast, verpflichtet, ihr einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz anzubieten.
Aber VORSICHT! Sollte der AG ihr einen solchen Arbeitsplatz nicht anbieten können und kann die Kollegin auf ihrem alten Arbeitsplatz ihre Arbeitsleistung nicht mehr bringen, kann dies eine Kündigung mit sich ziehen.

Ist die Kollegin wie gesagt schwerbehindert oder gleichgestellt, muss die Kündigung über das Inklusionsamt laufen, die dann genau prüfen, ob ein solcher Arbeitsplatz vorhanden ist oder mit Zumutbarkeit für den AG umgestaltet werden kann.

Es ist für den Arbeitgeber eine Hürde, über das Inklusionsamt zu kündigen, aber nicht unmöglich.

Ich rate dir, die nächsten Gesprächstermine zwischen euch und dem AG nur noch mit dem IFD zu führen.
Sie haben ja schon angekündigt, dass sie mit an einen Tisch kommen.

Sollte wirklich kein geeigneter Arbeitsplatz vorhanden sein und die Kollegin kann auf ihrem alten Platz nicht bleiben, dann kann gemeinsam mit dem IFD nach Möglichkeiten gesucht werden.
Es gibt viele Möglichkeiten......dafür hast du aber zu wenig über ihre Einschränkungen geschrieben.
Da muss man immer den Einzelfall betrachten.

Es könnte ja zum Beispiel auch sein, dass die Kollegin noch umgeschult werden könnte oder eine Weiterbildung absolvieren kann. Auch da unterstützt das Inklusionsamt über die Teilhabe zur Arbeit finanziell.
Oder sie ist schon älter und es müsste über eine Erwerbsminderungsrente nachgedacht werden.

Das sind alles nur Beispiele................................................

--
Gruß
Vertigo

Beendigung der Maßnahme

soundso..., Wednesday, 29.04.2020, 15:51 (vor 1455 Tagen) @ soundso...

Vielen Dank euch allen erstmal für die interessanten Antworten!
Soweit hatten wir bereits mit bedacht bzw. berücksichtigt, was ihr auch geschrieben habt, das stärkt schon mal den Rücken :-).
Einen Punkt verstehe ich aber in dem Zusammenhang noch nicht ganz:
Die Kollegin hatte bereits im BEM-Verfahren genau mitgeteilt, in welchem Rahmen sie ihre Arbeitskraft einsetzen kann, so war die Maßnahme auch tatsächlich geplant worden bis 30.04.2020.
Garda und Albaraccin meinen jetzt, sie solle dem AG schriftlich und nachvollziehbar nochmal konkret die Arbeitskraft anbieten (also bestimmte Tätigkeiten auch ablehnen)?
Dies in Verbindung mit §615 BGB? Ich stehe da ein bisschen auf dem Schlauch und weiß nicht so recht, wie sich das praktisch auswirken könnte für die Kollegin, helft ihr mir da nochmal?
Das würde ihr im Zweifel die Vergütung sichern ab Mai, weil der AG nicht sagen kann, hier verweigert einer einfach die Leistung, oder?
Bisher haben wir eine Stellungnahme des BAD (Betriebsärztin) und des IFD sowie meine Stellungnahmen.

Liebe Grüße und Danke nochmals!

Beendigung der Maßnahme

Vertigo, Saarland, Thursday, 30.04.2020, 08:44 (vor 1454 Tagen) @ soundso...

Hallo,
etwas geht mir noch durch den Kopf,

Wieso wurde dieser Arbeitsplatz bis 30.04.2020 befristet?
War zu erwarten, dass die Einschränkungen nur vorübergehend zu erwarten sind?

Wenn dies so ist, könnte das nochmal überprüft werden mit einem neuen betriebsärztlichen Gutachten und das BEM Verfahren wird weiter geführt.

" Nach den Maßnahmen sollte eine Laufende Erfolgskontrolle durchgeführt werden.
Waren die Maßnahmen erfolgreich, arbeitet der Beschäftigte weiter und wenn nicht, gibt es eine neue Fallbesprechung."
So steht es zumindest auf dem Plakat von ifb (www.ifb.de/bem) und das macht ja auch Sinn.

Wenn der Arbeitgeber meint, er müsse diesen Arbeitsplatz umstrukturieren oder streichen wegen Unwirtschaftlichkeit, dann muss eben der Fall nochmal neu besprochen werden, weil dieser wiederum dann nicht leidensgerecht ist, um eine Lösung zu finden.
Das BEM geht wieder von vorne los.

--
Gruß
Vertigo

Beendigung der Maßnahme

soundso..., Tuesday, 03.11.2020, 15:24 (vor 1267 Tagen) @ soundso...

Hallo zusammen,

nach der langen Zeit nochmal vielen Dank für eure Antworten und eine vielleicht ermutigende Rückmeldung, dass ein langer Atem immer wieder lohnt: Die betroffene Kollegin wurde schließlich behindertengerecht umgesetzt aller Widerstände zum Trotz, ein Beschäftigungssicherungszuschuss wurde beantragt und geleistet. Dies alles mit Unterstützung des IFD mit qualitativer Beratung, Unterstützung im BEM und Hinzuziehung des Inklusionsamtes.

Herzliche Grüße!

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