Leidige Thema Informationspflicht des AG (Allgemeines)

Nobi69, Potsdam, Tuesday, 16.06.2020, 23:52 (vor 1381 Tagen)

Hallo und guten Tag in die Runde.

In unserem Betrieb haben in einer Abteilung Leistungstest von Mitarbeitern stattgefunden, welche schon Jahrzehnte in der Firma beschäftigt sind. Einige der Kollegen sind schwerbehindert und haben den Test nicht bestanden. Nur durch Zufall habe ich als Vertrauensperson von dieser Maßnahme erfahren und sofort heftig Einspruch eingelegt. Es wurden weitere Tests mit dem Mitarbeiter gemacht. In einem Schreiben an die Geschäftsleitung und deren Führungskräfte haben ich auf die Informationspflicht der AG hingewiesen und gefordert die Maßnahmen ohne Beteiligung der SBV sofort zu beenden. Gleichfalls habe ich den BR gebeten, sein Veto einzulegen, was dieser im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte auch getan hat.

Eine Antwort erhielt ich nicht, stattdessen wurde ein weiterer Test durchgeführt. !

Daraufhin habe ich der Geschäftsleitung mitgeteilt, dass ich mir nunmehr einen Rechtsbeistand holen werde.
Der AG erklärt in seinen Schreiben an den beauftragten RA , den Sinn von Leistungstests und bestreitet das Beteiligungsrecht der SBV weil ja auch "nichtbehinderte Mitarbeiter von der Maßnahme betroffen wären". Nachdem er AG für heute und der Zukunft ablehnt eine entsprechende Erklärung abzugeben, in der die Beteiligungsrechte der SBV anerkannt werden, stehen wir nun vor dem Beschlussverfahren.

Ich bin mir mehr als hundert Prozent sicher im Recht zu sein und trotzdem habe ich Bammel davor meinen AG vor Gericht zu zerren. Immerhin arbeite ich gerne hier und wir sind eigentlich auch eine solide Firma.

Frage: Sollte ich vor dem Auftrag an den Anwalt das Beschlussverfahren zu erheben, noch versuchen in einem persönlichen Gespräch mit dem Vorstand , klar zu machen welche Folgen eine Auseinandersetzung vor Gericht für den Betrieb haben kann, schließlich kann jeder Mensch im ganzen Land das Urteil im Internet nachlesen.
Oder ist im Prinzip durch die schriftliche Weigerung eine entsprechende Erklärung abzugeben,...alles gesagt ?

Wie würdet ihr an meiner Stelle handeln...?

Leidige Thema Informationspflicht des AG

garda, Berlin, Wednesday, 17.06.2020, 07:59 (vor 1381 Tagen) @ Nobi69

Hallo Nobi,

wer dir schriftlich gibt das er nicht reden will, dem würde ich das schon glauben.

Die schöne Standardausrede, es würde ja Behinderte nicht anders betreffen als Nichtbehinderte ist Blödsinn wenn man mal nur einen Funken weiter denkt. Es gibt da eine wenn schon alte, so doch perfekt passende Karikatur zum Thema: mehrere Tiere (Affe, Goldfisch im Glas usw.) stehen vor einem Prüfer und der sagt, dass im Sinne einer gerechten Beurteilung die Prüfungsaufgabe für alle gleich ist, es mögen alle Tiere bitteschön auf den Baum klettern neben dem sie stehen.

Besteht ein Schwerbehinderter den Test nicht, eben weil die Schwerbehinderung das verhindert, hat der AG bereits einen Fall nach § 167 Abs. 1 SGB ) geschaffen und spätestens dort bist du sowieso drin.

Was ich hier nicht lese ist, vor welchem Hintergrund die Leistungsstests durchgeführt wurden und worin sie bestehen, das könnte dann weitere Anhaltspunkte geben.

Mach weiter, du bist auf dem richtigen Weg.

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Mit freundlichen Grüßen

Michael

Leidige Thema Informationspflicht des AG

Nobi69, Potsdam, Wednesday, 17.06.2020, 10:47 (vor 1381 Tagen) @ garda

Bei einem Gespräch zwischen AG, SBV , Mitarbeiter und Integrationsamt fragte letztere, wie man die Minderleistung des SBM bewerten würde, Hintergrund war aber.... ob es möglich wäre einen Lohnkostenzuschuss des IA zu beantragen. Dies wurde von AG zum Anlass genommen, alle Mitarbeiter einen Leistungstest zu unterziehen. Die SBM sind der Abteilung schon lange ein Dorn im Auge und man würde sich diesen gern entledigen.

Leidige Thema Informationspflicht des AG

WoBi, Wednesday, 17.06.2020, 09:15 (vor 1381 Tagen) @ Nobi69

Hallo Nobi69,

für das Urteilsverfahren und das Beschlussverfahren gilt der Grundsatz, dass die gütliche Erledigung des Rechtsstreits während des ganzen Verfahrens angestrebt werden soll. Dies steht in § 80 Abs. 2 ArbGG, i.V.m. § 278 Abs. 1 ZPO.

Der/Die Vorsitzende der zuständigen Kammer des Arbeitsgerichts kann ein Güteverfahren zum Zwecke der gütlichen Einigung der Parteien ansetzen. Dieser Gütetermin oder Güteverfahren muss aber nicht erfolgen. Dies Entscheidet der Vorsitzende per Beschluss. Der Gütetermin findet ohne die ehrenamtliche Richter statt.

Der/Die Vorsitzende hat in der Güteverhandlung den Sach- und Streitstand mit den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern und, soweit erforderlich, Fragen zu stellen.
Die Beteiligten sollen hierzu persönlich gehört werden. Dazu wird das persönliche Erscheinen der Parteien nach § 278 Abs. 2 u. 3 ZPO angeordnet werden.
Erscheint eine Partei im Gütetermin nicht oder ist der Gütetermin erfolglos, schließt sich der Kammertermin mit den ehrenamtlichen Richter an. Grundlage ist § 80 Abs. 2 i. V. m. § 54 Abs. 4 ArbGG.

Hier liegt ein Beschlussverfahren vor. Also ein Verfahren zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitervertretung. Die Parteien heißen nicht Kläger und Beklagte, sondern Antragsteller und Antraggegner. Das Beschlussverfahren kostet keine Gerichtsgebühren und die Kammer hat hier einen Amtsermittlungsauftrag. Das Arbeitsgericht ist z.B. nach dem BetrVG zwingend als Klärungsinstanz vorgesehen. Und um das geht es hier, um die Klärung zweier unterschiedlicher Rechtsauslegungen, vor einem neutralen sachkundigen Dritten.
Die Kammer hat hier mehr eine "Mediationsfunktion". Das Anrufen des Arbeitsgerichtes ist nichts verwerfliches oder bedrohliches.
Es ist dem Verhalten des Gesprächspartners und der Erforderlichkeit zum Schutz behinderter Menschen geschuldet. Bemühungen dies ohne mögliche Entscheidung der Richter zu regeln, sind derzeit gescheitert.

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Gruß
Wolfgang

Leidige Thema Informationspflicht des AG

Nobi69, Potsdam, Wednesday, 17.06.2020, 10:28 (vor 1381 Tagen) @ WoBi

Vielen Dank ... ich habe dadurch wieder etwas gelernt.

Leidige Thema Informationspflicht des AG

WoBi, Thursday, 18.06.2020, 08:29 (vor 1380 Tagen) @ Nobi69

Hallo Nobi69,

der Arbeitgeber hat die SBV in allen Angelegenheiten unverzüglich und umfassend zu unterrichten (§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Es obliegt nicht dem Arbeitgeber festzulegen, ob eine Information für die SBV wichtig ist. Sondern die SBV prüft in eigener Verantwortung ob hier Handlungsbedarf für die betriebliche Mitarbeiterinteressensvertretung besteht.

Das BAG hat dazu für den BR folgendes im Beschluss 1 ABR 75/98 vom 19.10.1999 festgestellt:
"Dieser Informationsanspruch besteht nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht erst dann und nicht nur insoweit, als Beteiligungsrechte oder allgemeine Rechte und Aufgaben des Betriebsrats aktuell sind. Durch die Information soll dem Betriebsrat vielmehr ermöglicht werden, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben sowie ob und wie er zur Wahrnehmung dieser Aufgaben tätig werden kann."

Keine selektive Unterrichtung oder Nichtunterrichtung, um das Tätigwerden der SBV z.B. im Rahmen des § 178 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGB IX zu erschweren.

Die Vorschrift will sicherstellen, dass alle Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer auch tatsächlich eingehalten und angewendet werden. Der Begriff der „zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Verordnungen” ist deshalb weit auszulegen (BAG, Beschluss v. 19.10.1999, 1 ABR 75/98)

In Anlehnung zu der Rechtsprechung für den BR. Auch die SBV muss im Rahmen des § 178 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGB IX darüber wachen, dass geltende Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge und Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen zugunsten schwerbehinderter Menschen eingehalten werden.

Grundlage für die Qualität unserer SBV-Arbeit sind Informationen, durch die wir Übersicht gewinnen. Wen wundert´s, dass der Kampf der Arbeitgeber gegen die SBV am hartnäckigsten durch die Verweigerung von Informationen geführt wird.

--
Gruß
Wolfgang

Leidige Thema Informationspflicht des AG

Nobi69, Potsdam, Thursday, 18.06.2020, 09:39 (vor 1380 Tagen) @ WoBi

Vielen Dank für die Ausführungen... WoBi

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man solche Urteile für Betriebsräte auch eins zu eins von der SBV übernommen werden können.

Im übrigen habe ich gestern nach dem lesen der sehr hilfreichen Kommentare und einem Gespräch mit dem BRV den Anwalt beauftragt die erforderlichen Schritte einzuleiten.

Leidige Thema Informationspflicht des AG

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 17.06.2020, 09:44 (vor 1381 Tagen) @ Nobi69

Hallo,

"Bammel" zu haben, den AG ggfs. mit Hilfe eines Gerichtes zur Einhaltung von gesetzlichen Verpflichtungen zu zwingen, ist keine gute Vorraussetzung für das Amt der SBV.
Natürlich sollte man solange wie möglich eine gütliche Einigung versuchen, aber im von Dir geschilderten Tatbestand hat der AG ja klar diese gütliche Einigung verweigert.
Wenn Du also nicht als "Bettvorleger" enden willst, wirst Du die in diesem Fall unzweifelhaft gegebene "besondere Betroffenheit der Belange" mit Hilfe eines Gerichts durchsetzen müssen.

--
&Tschüß

Wolfgang

Leidige Thema Informationspflicht des AG

Nobi69, Potsdam, Wednesday, 17.06.2020, 10:36 (vor 1381 Tagen) @ albarracin

Du hast recht ....ein Rückzieher ist jetzt für mich absolut keine Option. Dann wäre die Stellung der SBV bei uns absolut obsolet und der AG könnte schalten und walten wie ihm beliebt. Mir hat auch der eine Beitrag gefallen , wo ich darüber aufgeklärt wurde .... es geht hier nicht um Anklage ...sondern Klärung eines Streitfalles. Ich bin erst seit 1,5 Jahren im Amt und noch nicht sehr erfahren, deswegen die Unsicherheit. Im Prinzip hole ich sich für den BR die Kohlen aus dem Feuer, denn dieser wurde ja ebenfalls brüskiert , weil die Tests trotz Einspruchs des BR weitergeführt wurden.

Leidige Thema Informationspflicht des AG

Remhagen, NRW, Saturday, 20.06.2020, 08:10 (vor 1378 Tagen) @ Nobi69

Hallo,

auch für meinem Dienstgeber war es nicht einfach, sich an die Beteiligungsrechte der SBV zu halten.
Dann habe ich eine Einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht eingereicht. In einem anderen Beitrag habe ich folgendes geschrieben:

https://www.schwbv.de/forum/index.php?mode=entry&id=27711

--
MfG

Remhagen

(P.S. Ich gebe hier nur meine Meinung wieder)

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