Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung (Einstellung)

Antje ⌂, Hohenwart, Tuesday, 15.11.2022, 09:47 (vor 522 Tagen)

Hallo zusammen,

wir stellen aktuell ein und es haben sich zwei Menschen mit Schwerbehinderung beworben, unsere Einrichtung ist dem ÖD gleichgesetzt, damit besteht die Pflicht die Bewerber einzuladen.
Beide Bewerbungen weisen Ausschlusskriterien auf, aufgrund derer mein Vorgesetzter nicht einladen würde (egal ob GdB oder nicht).
Ein Bewerber hat ständige Arbeitsplatzwechsel, seit 2008 16 verschiedene Arbeitsstellen, die mitgelieferten zwei Arbeitszeugnisse sind nicht gut.
Der zweite Bewerber hat seine Ausbildung gerade abgeschlossen und wurde nicht übernommen, das Ausbildungszeugnis ebenfalls nicht gut. Das Zeugnis der Berufsschule mit individuellem Förderbedarf Lernen und Hören ist unterdurchschnittlich. Er ist erst 20 Jahre und zu seine Aufgaben gehört unter anderem die Beförderung unserer Beschäftigten, da bekomme ich ein bisschen Bauchweh, wenig Fahrerfahrung plus die Einschränkungen...
Die Argumente meines Vorgesetzten gegen eine Einladung kann ich nachvollziehen. Muss ich auf ein Vorstellungsgespräch bestehen, auch wenn es klar ist, dass keine Einstellung erfolgt?

Vielen Dank für eure Unterstützung
Antje

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

albarracin, Baden-Württemberg, Tuesday, 15.11.2022, 10:07 (vor 522 Tagen) @ Antje

Hallo,

§ 165 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB IX sind doch eindeutig.
Wenn die in der Ausschreibung verlangten fachlichen Kriterien formal erfüllt werden bzw. keine offensichtliche Nichteignung vorliegt, muß eingeladen werden. Mit dem Anforderungsprofil der Stellenausschreibung hat sich der AG "selbst gebunden" (Düwell in LPK-SGB IX, § 165 Rn 19)

Schwerbehinderte Menschen haben sehr oft "krumme" Lebensläufe. Die Einladungspflicht soll diesen Bewerber*innen eine Chance geben, den AG im persönlichen Gespräch von der Eignung überzeugen zu können und auch ggfs. den Lebenslauf "erklären" zu können.

"Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber nach dem gesetzesziel einladen." (BAG vom 16.2.2012 8 AZR 697/10, zitiert nach Düwell in LPK-SGB IX, § 165 Rn 8)

Es ist dann Aufgabe der SBV, in der Vorbereitung des Vorstellungsgesprächs ggfs. im Austausch mit dem/der Bewerber*in zu prüfen, ob und wie bestehende Einschränkungen kompensiert werden können - zB durch Arbeitsplatzausstattung oder Arbeitsorganisation.

--
&Tschüß

Wolfgang

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Hendrik1, Niedersachsen, Tuesday, 15.11.2022, 10:44 (vor 522 Tagen) @ albarracin

Moin Moin,

ich gebe jetzt auch mal ein Beispiel einer Bewerbung, die "normalerweise" unter den Tisch gefallen wäre.
Ein Kandidat hat sich auf eine PostDocstelle, d.h. auf eine Stelle bei der eine Doktorarbeit bereits abgeschlossen sein muss beworben. Seine Note der Dissertation war 3,5 was wissenschaftlich "unter aller Sau" ist.

Ohne die Schwerbehinderung wäre er nicht eingeladen worden.

Er konnte aber darlegen, dass er
1. sich in seiner Erkrankung in der Zeit des Schreibens dieser wissenschaftlichen Arbeit vom Fußgänger zum Rollstuhlfahrer entwickelt hat und diese unbedingt abschließen wollte. Deshalb hat er sie ohne mögliche Fristverlängerung etc. beendet. Auch diese Frist hat er nachgewiesen.
2. danach n eine Studie gekommen ist, durch die er den Rollstuhl wieder in die Ecke stellen konnte, aber mit der Note jetzt leben muss.

Diese Umstände werten die Note anders, sodass er diese Stelle bei ansonsten vorliegender Eignung bekommen hat.

Damit Schwerbehinderte aber überhaupt die Möglichkeit haben, solche oder andere Missstände zu erklären, müssen sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, wenn sie nicht von vorneherein ungeeignet sind.

Dieses führt oft zu "pro forma Gesprächen", weil es nach meiner Erfahrung solche Erklärungsmöglichkeiten nicht oft gibt und viele tatsächlich nicht eingestellt werden.

Liebe Grüße

Hendrik

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Antje ⌂, Hohenwart, Tuesday, 15.11.2022, 11:08 (vor 522 Tagen) @ Hendrik1

Hallo ihr zwei,

danke für die schnellen Antworten.
Dann wird sich mein Vorgesetzter die Zeit nehmen müssen...
Und wenn er nicht einlädt geht er Gefahr einer Klage, weil mehr Möglichkeiten, als ein deutlicher Hinweis auf die Gesetzeslage und seine damit zusammenhängenden Pflichten, habe ich ja nicht.

Schöne Grüße
Antje

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Cebulon, Tuesday, 15.11.2022, 11:49 (vor 522 Tagen) @ Antje

… unsere Einrichtung ist dem ÖD gleichgesetzt.

Hallo Antje,

was ist denn damit gemeint? Maßgeblich ist insoweit allein, ob die „Einrichtung“ rechtlich eine Dienststelle iSd. § 165 Satz 1 SGB IX. (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, 21.07.2022 – 5 Sa 10/22).

Nicht jede „Körperschaft des öff. Rechts“ ist auch eine Dienststelle. Darüber_wird gerne gestritten, derzeit beim BAG – 8 AZR 318/22. „Revision“ zum BAG wurde vom LAG Rheinland-Pfalz zugelassen.

Alle Beiträge gehen daher eigentlich scharf am Thema vorbei, da Vorstellungsgespräche von sbM „gesetzlich“ nicht vorgeschrieben. Sämtliche Beiträge führen daher rechtlich in die falsche Richtung!

Gruß,
Cebulon

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Antje ⌂, Hohenwart, Tuesday, 15.11.2022, 12:47 (vor 522 Tagen) @ Cebulon

Hallo Cebulon,

ich war bisher der Meinung, dass im öffentlichen Dienst eine besondere Verpflichtung besteht, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Z.B. der Zusatz auf den Stellenausschreibung "... werden bei gleicher Eignung bevorzugt...." oder § 165.
Aber vielleicht bin ich damit auf dem Holzweg und lasse mich gern belehren.

Schöne Grüße
Antje

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

garda, Berlin, Tuesday, 15.11.2022, 15:59 (vor 522 Tagen) @ Antje

ich war bisher der Meinung, dass im öffentlichen Dienst eine besondere Verpflichtung besteht, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Z.B. der Zusatz auf den Stellenausschreibung "... werden bei gleicher Eignung bevorzugt...." oder § 165.
Aber vielleicht bin ich damit auf dem Holzweg und lasse mich gern belehren.

Hallo Antje,

weiter oben hast du geschrieben, dass die Einrichtung dem ÖD gleichgestellt wäre, dies aber nicht weiter erläutert.

Die Verpflichtung zur Einladung besteht aber nur im öffentlichen Dienst, eine Gleichstellung mit dem ÖD kennt das SGB IX nicht.

Eine z. B. tarifliche Gleichstellung mit dem ÖD macht eine Institution nicht automatisch zum ÖD nach dem SGB IX.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Antje ⌂, Hohenwart, Wednesday, 16.11.2022, 07:50 (vor 521 Tagen) @ garda

Hallo Michael,

vielen Dank für die Aufklärung, das war hilfreich. Da habe ich wohl einen falschen Rückschluss gezogen.

Schöne Grüße
Antje

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 16.11.2022, 09:00 (vor 521 Tagen) @ Antje

Hallo Antje,

was "öffentlicher Dienst" im Sinne des § 165 SGB IX ist, definiert das Gesetz selbst - und zwar in § 154 Abs. 2 SGB IX:
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__154.html

Hier kommt es allein auf die Rechtsform an, die tarifliche Zuordnung spielt genauso wie die Eigentumsverhältnisse keine Rolle. Ich arbeite zB in einem Betrieb, der zu 100% einer Kommune gehört. Da wir aber die Rechtsform einer AG haben, fallen wir auch nicht unter § 154 Abs. 2 SGB IX.

Davon unabhängig stellt sich aber aus meiner Sicht die Frage, ob die SBV dem AG bzw. Dienstherrn unbedingt "aufs Pferd helfen" muss, wenn sich dieser aus Unwissen oder falscher rechtsauslegung den Regelungen des § 165 quasi "unterwirft". Aus meiner Sicht ist das nicht unbedingt nötig.

--
&Tschüß

Wolfgang

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Phönix, NRW, Wednesday, 16.11.2022, 16:44 (vor 521 Tagen) @ albarracin

Hallo zusammen,

da ich ja SBV in einem Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche bin, welcher auch Träger einer WfbM ist, kann ich ein hilfreiches Urteil beisteuern:

5 Sa 10/22

Auch mir hatte sich die Frage gestellt, ob § 165 SGB IX anzuwenden ist, denn mein Dienstgeber ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, aber eben kein öffentlicher Arbeitgeber. Daher besteht eben keine Einladungspflicht nach § 165 SGB IX.

Wir haben eine hausinterne Regelung gefunden, nach der Bewerber mit Schwerbehinderung nur dann nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, wenn ich als SBV zustimme. Ist auch mal angenehm, nicht nur angehört zu werden.

Die Bewerbung wird von mir geprüft und ich nehme Kontakt zum Bewerber auf (kann auch ein persönliches Treffen sein), um eventuelle Unklarheiten zu beseitigen. Komme ich zu der Überzeugung, dass Stellenausschreibung und Bewerber nicht im Einklang zu bringen sind oder sprechen andere wichtige Gründe gegen eine Einladung, wird der Bewerber auch nicht eingeladen.

Gruß
Phönix

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Hendrik1, Niedersachsen, Monday, 21.11.2022, 12:22 (vor 516 Tagen) @ Phönix

Moin Moin Phönix,

diese Vorgehenswweise ist schlau vom Arbeitgeber .....
der kann sich immer zurückziehen und sagen, die SBV hat ja so entschieden ..... auch wenn es sich als nicht oder nicht so stark haltbar erweisen sollte.
Das kann das Vertrauensverhältnis von Dir zu den Schwerbehinderten in Deinem Betrieb schwächen.
Daher würde ich überlegen, ob Du so weiterverfahren willst.
Eleganter wäre die Vorgehensweise, diese Prüfung an die/den Inklusionsbeautragte/n abzugeben. Dieser muss prüfen, ob der Arbeitgeber seine Rechte erfüllt und spricht auch rechtsverbindlich für den Arbeitgeber.

Liebe Grüße

Hendrik

Einladung auch bei "schlechter" Bewerbung

Antje ⌂, Hohenwart, Monday, 21.11.2022, 14:55 (vor 516 Tagen) @ albarracin

Hallo albarracin,

vielen Dank, dann zählen wir nicht zu den öffentlichen Arbeitgebern...
Werde das "kleine Missverständnis" erst Mal für mich behalten, wo unsere Führungsetage sich gerade so schön an die Pflicht zum Einladen hält.

Schöne Grüße
Antje

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