Antwort auf Widerspruch bei Inklusionsamt macht SBV erst einmal sprachlos (Kündigung)

pikdame, Wednesday, 12.06.2024, 15:19 (vor 185 Tagen)

Hallo,

ein SB wurde in der Probezeit gekündigt, ohne dass ein Präventionsverfahren eingeleitet wurde. Wir wiesen auf die Urteile des EUGH und des ArbG Köln hin.

Die Antwort vom Inklusionsamt liest sich so:

"Wir teilen Ihnen mit, dass der EUGH davon ausgeht, dass ein Schwerbehinderter auch schon während der Probezeit einen Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung nach § 164 Abs. 4 SGB IX hat und auch der AG verpflichtet ist, bei behinderungsbedingten Schwierigkeiten ein Präventionsverfahren nach § 1678 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Durch dieses Urteil des EUGH wird die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aber nicht berührt. Der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte besteht nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung länger als sechs Monate besteht. Daran ändert auch die Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Köln nichts, das dürfte vielmehr selbst davon ausgehen, dass hier zwei unterschiedliche Fragestellungen betroffen sind, da es wie folgt ausführt:

"Der Umstand, dass für die Kündigung Schwerbehinderter eine Beteiligung des Integrationsamts gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX erst nach sechsmonatigem Bestand des Arbeitsverhältnisses notwendig ist, rechtfertigt weder ein Rückschluss darauf, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Einschränkung für das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX ebenso gewollt und dies nur versehentlich nicht in den Gesetzestext aufgenommen hat, noch kann angenommen werden, dass der mit § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX verfolgte Gesetzeszweck auch und in gleicher Weise im Rahmen von § 167 Abs. 1 SGB IX verfolgt wurde. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers der durch § 168 SGB IX bewirkte Schutz vor Kündigungen (entsprechend der in § 1 Abs. 1 KSchG getroffenen Konkordanz-Entscheidung) erst nach sechsmonatigem Bestand des Arbeitsverhältnisses eintreten soll, bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber die besonderen Pflichten zum Schutz und der Teilhabe Schwerbehinderter ebenso für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses aussetzen wollte (ebenso: LPK-SGB IX/Düwell, 6. Aufl. 2022, SGB IX § 167 Rn. 12). Andere Schutz- und Nebenpflichten des Arbeitgebers – wie etwa diejenigen nach § 164 Abs. 2 und 4 SGB IX sowie nach § 167 Abs. 2 SGB IX setzen nicht die Absolvierung einer „Wartefrist“ voraus."

Da das Beschäftigungsverhältnis erst zwei Monate bestand, liegen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IC nicht vor. Wir bitten Sie Ihren Widerspruch bis 30.06.2024 zurückzunehmen."

Auf das Urteil vom OVG des Saarlandes - vom 15.07.2021 - 2 A 42/21, dass im Widerspruch auch erwähnt wurde, wurde nicht geantwortet.

In diesem Schreiben steht keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Was haltet Ihr davon?

Hier besteht erst einmal Sprachlosigkeit, da das Schreiben wieder mal ein Beispiel dafür ist, dass es sich Inklusionsämter leider doch immer mal zu leicht machen ...

LG

Antwort auf Widerspruch bei Inklusionsamt macht SBV erst einmal sprachlos

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 12.06.2024, 16:10 (vor 185 Tagen) @ pikdame

Hallo,

ich verstehe Deine Aufregung nicht.
Der EuGH (Urt. v. 10.2.2022, Az. C-485/20 HR Rail) hat sich nicht zur Zulässigkeit einer Wartezeit beim Kündigungsschutz geäußert.

Er hat lediglich festgestellt, daß auch in einer evtl. Probezeit einen AG besondere Sorgfaltspflichten treffen, um eine Kündigung zu vermeiden.

Wenn aber die 6-monatige "Wartezeit" des § 173 SGB IX vom EuGH gar nicht grundsätzlich beanstandet wurde, ist es die logische Folge, daß das Integrationsamt formal gar nicht zuständig ist. Und wenn das IA nicht zuständig ist, hat es auch keinen Grund, eine Kündigung inhaltlich zu prüfen.

Ob der AG dann seinen durch den EuGH erweiterten Präventionspflichten ausreichend nachgekommen ist, kann daher allein Gegenstand eines arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens sein - eine Differenzierung, die auch das ArbG Köln im erwähnten Urteil so getroffen hat.

--
&Tschüß

Wolfgang

Antwort auf Widerspruch bei Inklusionsamt macht SBV erst einmal sprachlos

pikdame, Wednesday, 12.06.2024, 17:24 (vor 185 Tagen) @ albarracin

Hallo,

ja, hast ja Recht. ;-)

Bin zzt. bisschen dünnhäutig.

Ich verstehe allerdings nicht, wieso das Amt nicht auf die Angabe des OVG-Urteils geantwortet hat und der Widerspruch zurückgenommen werden soll. Liest sich für mich so, dass das Amt aus der Sache nur unbeschadet rauskommen will.

LG

Antwort auf Widerspruch bei Inklusionsamt macht SBV erst einmal sprachlos

MatthiasNRW, Friday, 14.06.2024, 20:36 (vor 183 Tagen) @ pikdame

Hallo,

Ich verstehe allerdings nicht, wieso das Amt nicht auf die Angabe des OVG-Urteils geantwortet hat und der Widerspruch zurückgenommen werden soll. Liest sich für mich so, dass das Amt aus der Sache nur unbeschadet rauskommen will.

nein, das Inklusionsamt ermöglicht angesichts mangelnder Erfolgsaussichten des Widerspruches lediglich charmant den gesichtswahrenden Ausweg, nachdem die Rechtslage erläutert wurde. Die Rechtslage ist eindeutig und der OVG Beschluss nicht einschlägig, da er sich mit dem Aspekt einer Probezeitkündigung überhaupt nicht auseinandersetzt.

Adressat sollte hier nicht das Inklusionsamt sein, das ein Negativattest ausgestellt hat, sondern eher das Arbeitsgericht. Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des ArbG Köln (Urteil vom 20.Dezember 2023, Az. 18 Ca 3954/23) könnte ggf. die Feststellung getroffen werden, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung beendet wurde. Das ändert aber nichts daran, dass eine Zustimmung des Inklusionsamtes nicht erforderlich war.

Ich habe mir deine älteren Beiträge angesehen und du hast einige Antworten erhalten, leider nicht "Kein Sonderkündigungsschutz in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung". Dein Engagement in allen Ehren, vielleicht wäre ein Seminar zum Thema Sonderkündigunggschutz sinnvoll. Regelmäßig werden darin die Voraussetzungen besprochen sowie die möglichen rechtlichen Wege nach einer Zustimmung des Inklusionsamtes und/oder einer Kündigung durch den Arbeitgeber.

--
Gruß
Matthias

Antwort auf Widerspruch bei Inklusionsamt macht SBV erst einmal sprachlos

Cebulon, Wednesday, 12.06.2024, 18:01 (vor 185 Tagen) @ albarracin

Absolut richtig. Denn Integrationsamt ist offensichtlich überhaupt nicht zuständig nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX für Kündigungsschutz in Wartezeit – folglich auch nicht Verwaltungsgerichte. Etwas anderes folgt auch nicht aus ArbG Köln, Urteil vom 20. Dezember 2023 – 18 Ca 3954/23

Gruß,
Cebulon

Antwort auf Widerspruch bei Inklusionsamt macht SBV erst einmal sprachlos

Cebulon, Wednesday, 12.06.2024, 18:35 (vor 185 Tagen) @ pikdame

In diesem Schreiben steht keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Richtig, da ja kein Bescheid, sondern lediglich nur formloses Schreiben ohne Entscheidung mit bloßer Erläuterung der Rechtslage.

Ich verstehe allerdings nicht, wieso das Amt nicht auf die Angabe des OVG-Urteils geantwortet hat und der Widerspruch zurückgenommen werden soll.

Wieso sollte InA auf OVG Saarland, 15.07.2021 - 2 A 42/21, inhaltlich eingehen, wenn InA überhaupt nicht zuständig, es somit allein um rein formale Ablehnung geht? Der OVG-Beschluss (nicht Urteil) hat daher mit diesem Fall überhaupt nichts zu tun in der Sache, d.h. nicht einschlägig – weil er sich mit Kündigung in der Wartezeit nicht befasst.

Die gesetzl. Ausnahme des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX („nicht länger als sechs Monate“) v. SGB IX-Kündigungsschutz liegt ganz offensichtlich vor

Warum sollte sich denn ein Inklusionsamt bei einer Wartezeitkündigung mit einem Urteil befassen, das offensichtlich überhaupt nicht für Wartezeitkündigung einschlägig ist?

Gruß,
Cebulon

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