§ 81 Abs. 2 Ziff. 2+3 SGB IX (Allgemeines)

Horst Scherer @, Wednesday, 07.11.2001, 16:57 (vor 8204 Tagen)

Guten Tag liebe KollegInnen,
kennt jemand einen Fall aus der Praxis oder eine
Kommentierung hierzu>

Re: § 81 Abs. 2 Ziff. 2+3 SGB IX

Jürgen Schmitt @, Wednesday, 27.03.2002, 15:23 (vor 8064 Tagen) @ Horst Scherer

> Guten Tag liebe KollegInnen,
> kennt jemand einen Fall aus der Praxis oder eine
> Kommentierung hierzu>

Im Internet gefunden...
Auch mir war die Formulierung etwas komisch, deshalb
hab ich gesucht
MFG
Jürgen Schmitt
GSV Klinikum Stuttgart
HP: http://WWW.behc.de.vu


Neues Sozialgesetzbuch schützt Schwerbehinderte im
Bewerbungsprozess



Seit 1. Juli 2001 regelt das neue Sozialgesetzbuch IX
die Arbeitgeberpflichten gegenüber schwerbehinderten
Mitarbeitern. In die §§ 68 ff. des SGB IX ist im
Prinzip das erst kürzlich reformierte
Schwerbehindertengesetz übernommen worden. Eine
kleine, aber brisante Änderung betrifft jedoch die
Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers bei
Benachteiligung eines Schwerbehinderten im Rahmen von
Einstellungen.

Wie auch schon grundsätzlich im bisherigen
Schwerbehindertenrecht festgelegt, ist der Arbeitgeber
verpflichtet zu prüfen, ob ein freier Arbeitsplatz
auch mit einem Schwerbehinderten besetzt werden kann.
Dazu reicht es nicht aus, bei den vorliegenden
Bewerbungen ein besonderes Augenmerk auf Kandidaten
mit einer Schwerbehinderung zu richten. Der § 81 SGB
IX verlangt ein aktives Tun und legt dazu wörtlich
fest: "Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob
freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen,
insbesondere mit beim Arbeitsamt arbeitslos oder
arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen,
besetzt werden können." Dass der Gesetzgeber dies
nicht als bloße Aufforderung, sondern als echte
Pflicht versteht, zeigen die Rechtsfolgen, die bei der
Ablehnung eines schwerbehinderten Bewerbers eintreten
können.

Es droht Schadensersatz

Hat ein Arbeitgeber einen Schwerbehinderten bei einer
Einstellung wegen seiner Behinderung nicht
berücksichtigt, kann der Schwerbehinderte zwar nicht
im Nachhinein seine Stelle einklagen, ihm steht jedoch
ausdrücklich ein Schadensersatzanspruch zu.
Der Knackpunkt bei derartigen Auseinandersetzungen ist
dabei die Verteilung der Beweislast. Diese trägt nach
den gesetzlichen Bestimmungen der Arbeitgeber. Er muss
beweisen, dass er den Betroffenen nicht deswegen
abgelehnt hat, weil dieser schwerbehindert ist. Für
den Schwerbehinderten selbst reicht es in einem
Schadensersatzprozess aus, Tatsachen vorzutragen, die
nur die Vermutung begründen, dass die Ablehnung der
Stelle ihren Grund in der Behinderung gehabt hat. Der
damit zusammenhängenden Tatsachenvortrag ist insoweit
nicht zu beweisen, sondern nur glaubhaft zu machen.
Glaubhaftmachung ist eine erleichterte Form der
Beweisführung, die es dem Richter ermöglichen soll,
auf einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit zu
schließen. Anerkanntes Beweismittel für die Behauptung
der Diskriminierung ist damit unter anderem auch die
eidesstattliche Versicherung des Anspruchstellers.
Ein Beispiel:
Für einen Pflegedienst wird eine Bürokraft gesucht.
Ein schwerbehinderter Bewerber wird im
Einstellungsgespräch danach befragt, ob er sich
aufgrund seines einseitigen Hörschadens zutraut, die
Einsatzplanung telefonisch abzuwickeln und
gleichzeitig den Funkverkehr unter den
Einsatzfahrzeugen zu koordinieren.
Als er bei der Stellenvergabe nicht berücksichtigt
wird, klagt der Schwerbehinderte, mit der Begründung,
er habe die Stelle wegen seiner Behinderung nicht
bekommen.
Mit der eidesstattlichen Versicherung, die den Ablauf
des Bewerbungsgesprächs wiedergibt, macht der
Schwerbehinderte Tatsachen glaubhaft, die eine
unzulässige Diskriminierung vermuten lassen.

Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber

Nun liegt es am Arbeitgeber diese Behauptung zu
widerlegen. Im Gegensatz zum Anspruchssteller muss er
dazu den Vollbeweis antreten. Er muss entweder
beweisen, dass er im Einstellungsgespräch die
behaupteten Fragen nicht oder nicht in der
vorgetragenen Form gestellt hat oder den Beweis
erbringen, dass die Behinderung des Bewerbers
tatsächlich eine der Tätigkeit entgegenstehende,
wesentliche und entscheidende körperliche Funktion
ist. Erbringt er diese Beweise nicht, so macht er sich
grundsätzlich nach der Vorschrift des § 81 Abs. 2 Nr.
2 SGB IX schadensersatzpflichtig.

Die Höhe des Schadensersatzes hängt nunmehr davon ab,
ob der Arbeitgeber zumindest den Beweis erbringen
kann, dass auch bei benachteiligungsfreier Auswahl
eine Einstellung nicht erfolgt wäre.
Auch hierzu ein Beispiel:
Ein Bewerber wird mit dem Argument "Mit
schwerbehinderten Mitarbeitern haben wir schlechte
Erfahrungen gemacht" abgelehnt. Im anschließenden
Rechtsstreit trägt der Arbeitgeber vor, dass der
eingestellte Mitbewerber auf jeden Fall vorgezogen
worden wäre, da er die besten fachlichen
Voraussetzungen aller Kandidaten hatte.

Höhe der Entschädigung

Die mögliche Höhe eines Schadensersatzes hängt nun
davon ab, ob das Gericht diese Behauptung als bewiesen
ansieht. Ist dies nicht der Fall, so ist der
Schadensersatzanspruch der Höhe nach unbegrenzt. Der
abgelehnte Bewerber kann nach den allgemeinen Regeln
des Schadensersatzrechts alle nachteiligen Folgen
geltend machen, die er nicht gehabt hätte, wäre er
eingestellt worden. Hier sind der Phantasie keine
Grenzen gesetzt und es bleibt abzuwarten, inwieweit
die Rechtsprechung einer "unbegrenzten Kausalität"
Grenzen setzt.

Sieht das Gericht es dagegen als erwiesen an, dass
auch bei benachteiligungsfreier Auswahl der
Schwerbehinderte nicht eingestellt worden wäre, so
beseitigt dies den Schadensersatzanspruch nicht. Als
Sanktion für die erfolgte beziehungsweise nicht
wiederlegte Benachteiligung bleibt dieser bestehen.
Allerdings ist die Höhe der Entschädigung für diese
Fälle auf maximal drei Monatsgehälter begrenzt.
Achtung: Die Pflicht des Arbeitgebers, Bewerbungen von
Schwerbehinderten zu beachten, ist nicht davon
abhängig, ob der betreffende Betrieb eine Pflichtquote
zur Schwerbehindertenbeschäftigung erbringen muss.
Diese greift nach neuem Recht erst ab Betrieben mit 20
Beschäftigten (§ 71 SGB IX). Das Risiko bei einer
Diskriminierung, die vom Arbeitgeber im Vollbeweis zu
widerlegen ist, tragen aber auch schon
Kleinunternehmen, ja selbst der bisherige
Alleinunternehmer bei seiner ersten Einstellung eines
Arbeitnehmers.

Verbände können klagen

Die Schadensersatzansprüche eines abgelehnten
Bewerbers können sowohl von ihm selbst, als auch von
den anerkannten Behindertenverbänden geltend gemacht
werden. Das Recht geht über die bloße
Prozessvertretung, bei der ein Arbeitnehmer von einem
Verbandsvertreter als Rechtsbeistand unterstützt wird,
hinaus. Im Wege der sogenannten Prozessstandschaft
kann der Verband durch den Schwerbehinderten
beauftragt werden, die Schadensersatzansprüche im
eigenen Namen einzuklagen.

Sich des Risikos bewusst sein

Die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft im
Einstellungsgespräch zu stellen, kann zur Kostenfalle
werden. Das Risiko liegt darin, dass der Arbeitgeber
beweisen muss, die Ablehnung nicht aufgrund der
Behinderung vorgenommen zu haben. Selbst wenn er
nachweist, dass ohnedies ein anderer Bewerber zum Zuge
gekommen wäre, bleibt der Schadensersatz zumindest bis
zur Höhe von drei Monatsgehältern bestehen.
Behinderungen sollten daher nur dann im
Einstellungsgespräch thematisiert werden, wenn diese
der auszuübende Tätigkeit tatsächlich wesentlich und
entscheidend im Wege stehen. Und diese Tatsache muss
in einem späteren Prozess beweisbar sein.
Zu beachten ist schließlich noch eine Ausschlussfrist:
Den Schadensersatzanspruch muss der Schwerbehinderte
innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der
Bewerbungsabsage durch den Arbeitgeber schriftlich
geltend machen.

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