Kündigung wegen neurologischer Ausfälle (Kündigung)

jp, Bayern, Saturday, 14.01.2012, 21:33 (vor 4508 Tagen)

Liebe Kolleginnen,

ein Schwerbehinderter Kollege, 39 Jahre, ca. 10 Jahre im Unternehmen soll gekündigt werden.
Der Kollege leidet unter anderem an Epileptischen Anfällen (seit ca. einem Jahr anfallsfrei).
Nun gibt es ein aktuelles Gutachten eines Neurologen, dass der Kollege "neurologische Ausfälle" hat.
Leider ist dieses Gutachten vom Rechtsanwalt des Kollegen an den Arbeitgeber weitergereicht worden.
Nun sagt der Arbeitgeber, dass aufgrund des Gutachtens ein Arbeitsversuch abgelehnt wird und hat beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung gestellt.
Kann der Arbeitgeber Arbeitsversuche aufgrund neurologischer Ausfälle ablehnen>

Vielen Dank für Eure Unterstützung

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jp

Kündigung wegen neurologischer Ausfälle

hackenberger, Saturday, 14.01.2012, 22:55 (vor 4508 Tagen) @ jp

Hallo "jope",

» Nun sagt der Arbeitgeber, dass aufgrund des Gutachtens ein Arbeitsversuch
» abgelehnt wird und hat beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zur
» Kündigung gestellt.
» Kann der Arbeitgeber Arbeitsversuche aufgrund neurologischer Ausfälle
» ablehnen>
Grundsätzlich erst einmal folgende Hinweise:
Können kann eine AG erst einmal alles. Die Frage ist, ist es rechtlich haltbar also, was sagen die Gerichte dazu>

So nun zum Thema/ Fall:

Das Ganze fällt unter den § 95 Abs. 2 SGB IX und § 84 Abs. 1 SGB IX sowie § 85 ff SGB IX.

Vorab der Grundsatz: § 84 Abs. 1 SGB IX = Prävention = Grundsatz der Kündigungsvermeidung!

Wichtig auch: Das Klärungsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX ist auf jeden Fall durchzuführen. Es bedarf KEINER Zustimmung des Betroffenen. (Quelle: Düwell in LPK-SGB IX, 3. Auflage 2010, § 84 Rn. 13)

Beim § 84 Abs. 1 SGB IX haben die SchwbV und BR/PR auch das Initiativrecht. Bedeutet sie können und sollten hier auf den AG ggf. zugehen sofern er nicht seiner Pflicht der Durchführung hier nachkommt dieses einzufordern.

Bei diesem Krankheitsbild stellt sich aber ggf. auch die Frage, ist auf Grund dieser ggf. eine Gefährdung für den Betroffenen oder die Koll. gegeben> Dieses könnte Auswirkungen auf den verlauf, das weitere Geschehen haben. Wenn aber der Betroffene seit ca. einem Jahr anfallsfrei ist könnte man hier dieses berechtigt in Frage stellen. Dieses hat dann auf den gesamten Ablauf des Verfahrens ggf. Auswirkungen. Wie auch die Frage, wie ist die Gesundheitsprognose>

Bei Kündigungen aus Gesundheitsgründen ist stets das sogenannte 3-Stufen-Verfahren zu beachte/ anzuwenden.

Hier sollte der Betroffene da er ja wohl zurzeit anwaltliche Hilfe hat diesen sofort kontaktieren. Es wäre auch von Interesse, zu wissen was den Anwalt dazu bewogen hat so zu handeln. Denn die mögliche Reaktion des AG hätte er erkennen können.

Der Schwerbehinderte kann auf Grundlage des § 81 Abs. 4 SGB IX ggf. auch eine Eingliederungsmaßnahme einklagen. Auch dieses sollte dem Anwalt bekannt sein.

Kontextlinks:
Kündigung wegen Krankheit - geht das so einfach>

Krankheitsbedingte Kündigung

Wann ist eine krankheitsbedingte Kündigung auf jeden Fall unwirksam>

BEM schafft mildere Mittel zur Kündigung - ArbG Berlin, Urt. v. 04.11.2011 - 28 Ca 8209/11

Kündigung wegen neurologischer Ausfälle

jp, Bayern, Sunday, 15.01.2012, 21:28 (vor 4507 Tagen) @ hackenberger

Hallo Bernhard,

einfach super, superschnelle und supergute Informationen.

Eine Stellungnahme (3-seitig) an das Integrationsamt habe ich geschrieben.

Ich werde Personal nochmal auf die bisherigen Versäumnisse hinweisen und auffordern vom Kündigungsverfahren abzusehen. Der Arbeitgeber soll ein Präventionsverfahren mit dem Ziel einen leidensgerechten Arbeitsplatz einzurichten einleiten.

Ich sehe auch die Notwendigkeit von einem unabhängigen, neutralen Neurologischen Gutachten.

Den Arbeitnehmeranwalt habe ich schon am Freitag gebeten mir diese Vorgehensweise zu erklären aber bisher noch keine Antwort.

Da der Arbeitnehmer Schwierigkeiten mit der Deutschen Sprache und Schrift hat ist es schwierig einen Arbeitsplatz zu finden.

Mit dem Mitarbeiter haben schon mehrere Termine und ein „Pseudo-BEM“ stattgefunden. Dem BR und der SBV wurde dieser Termin nur als „Gespräch mit Herrn …“ eingestellt. Eine Betriebsvereinbarung zu BEM wird zwar seit Jahren verhandelt ist aber immer noch nicht abgeschlossen.

Vielen Dank und Herzliche Grüße

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jp

Kündigung wegen neurologischer Ausfälle

hackenberger, Sunday, 15.01.2012, 22:22 (vor 4507 Tagen) @ jp

Hallo jope,


» Mit dem Mitarbeiter haben schon mehrere Termine und ein „Pseudo-BEM“
» stattgefunden. Dem BR und der SBV wurde dieser Termin nur als „Gespräch mit
» Herrn …“ eingestellt. Eine Betriebsvereinbarung zu BEM wird zwar seit
» Jahren verhandelt ist aber immer noch nicht abgeschlossen.
Das ordnungsgemäße BEM ist zum einen Pflicht und auch NICHT von einer BV abhängig.

Urteile zum Thema BEM, auch aktuelle des BAG findet man ja hier auf den Seiten, auch entsprechende Forumsbeiträge.

Weiter haben hier ja BR und SchwbV Initiativrechte, daher verstehe ich die o.a. Aussage "nur als Gespräch." nicht.

Kündigung wegen neurologischer Ausfälle

jp, Bayern, Wednesday, 18.01.2012, 20:20 (vor 4504 Tagen) @ hackenberger

Hallo Bernhard,

leider sind wir von einem ordnungsgemäßen BEM noch meilenweit entfernt.
Dass dem Mitarbeiter ein (Pseudo)BEM angeboten wurde,
haben wir dem Antrag auf Zustimmung zur Kündigung vom Integrationsamt entnommen.
Uns (BR & SBV) wurde dieser Termin nur als
„Gespräch mit Herrn …“ mitgeteilt.
Somit war uns dieser Termin nicht als BEM-Termin bekannt.

Dies haben wir sowohl beim Arbeitgeber,
als auch bei der Stellungnahme für das Integrationsamt bemängelt.

Vielen Dank und Herzliche Grüße

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jp

Kündigung wegen neurologischer Ausfälle

Doris, Wednesday, 18.01.2012, 20:33 (vor 4504 Tagen) @ jp

» Dass dem Mitarbeiter ein (Pseudo)BEM angeboten wurde, haben wir dem Antrag auf Zustimmung zur Kündigung vom Integrationsamt entnommen.

Hallo,

wie die betrieblichen Interessenvertretungen ordnungsgemäß über das BEM zu unterrichten sind, wird demnächst in wenigen Wochen am 07.02.2012 vom BAG unter dem AZ: 1 ABR 46/10 höchstrichterlich geklärt.

Vorbericht dazu unter
www.bundesarbeitsgericht.de

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Viele Grüße
Doris

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