Herabgruppierung durch Behinderung (Allgemeines)

Lyckatill @, Sunday, 22.01.2006, 10:15 (vor 6678 Tagen)

Hallo,
ich bin Schwerbehindertenvertretung in einem Krankenhaus (Anwendung BAT).
Meine Frage:
Häufig habe ich das Problem, dass behinderte Kollegen nicht mehr den anstrengenden Beruf in der Pflege ausüben können. Kommen sie dann nach Krankheit oder Umschulung zurück, kann ihnen meist nur ein Arbeitsplatz angeboten werden, der deutlich schlechter bezahlt wird. Müssen sie dies akzeptieren oder gibt es Möglichkeiten, den finanziellen Verlust zu vermeiden.
Vielen Dank für die Hilfe
Gruß Lyckatill

Herabgruppierung durch Behinderung

hackenberger, Sunday, 22.01.2006, 13:44 (vor 6678 Tagen) @ Lyckatill

Hallo,

also grundsätzlich ist folgendes festzustellen: Jeder Arbeitnehmer (AN) schuldet dem Arbeitgeber (AG) die Erbringung der Arbeitsleistung gemäß Arbeitsvertrag. Ist der AN hierzu nicht mehr in der Lage, also nicht mehr in der Lage die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, hat der AG das Recht das Arbeitsverhältnis aufzulösen/ zu beenden (Kündigung).

Doch bevor ein AG aus diesem Grunde das Arbeitsverhältnis kündigen darf, muss er prüfen ob eine Abwendung der Kündigung möglich ist. Es gilt eine Beendigungskündigung nur als ultimaratio Prinzip. Hierzu zählt dann z.B. Umqualifizierung/ Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz der dem AN die weitere Beschäftigung ermöglicht. Hier wäre somit dann eine Änderungskündigung, eine Herabgruppierung bedarf einer Änderungskündigung, mit dem Ziel der Weiterbeschäftigung auf einen anderen Arbeitsplatz ggf. unter geänderten Arbeitsbedingungen und ggf. auch geänderten (auch negativeren) Entlohnungsbedingungen zu prüfen, also „Ultimaratio Prinzip“. Rechtsgrundlage ist das BGB und das KSchG.

Ist die Grundlage/Ursache hierfür eine längere Krankheit (mind. 6 Wochen/Jahr), so ist vorher hier auch der § 84 (2) SGB IX zu beachten, also ein Eingliederungsmanagement anzubieten und sofern der AN diesem zustimmt dieses mit dem Ziel der dauerhaften Beschäftigung, möglichst auf dem alten Arbeitsplatz durchzuführen.

Schwerbehinderte haben gegenüber dem AG weitere, zusätzliche Rechtsansprüche. Diese ergeben sich aus den §§ 81 und 84 (1) SGB IX.

Der § 81 (4) besagt, dass der AN gegenüber dem AG einen Rechtsanspruch hat:
• auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann (Absatz 1)
• auf eine behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr (Absatz 4)
• auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen (Absatz 5)
Der Schwerbehinderte hat einen Rechtsanspruch auf Teilzeit § 81 (4) in Verbindung mit § 81 (5) SGB IX.

Aufgrund dieser Rechtsansprüche muss der AG somit prüfen ob das bestehende Arbeitsverhältnis des schwerbehinderten/ gleichgestellten AN ohne Ausspruch einer Änderungskündigung in der bisherigen Form weiter bestehen kann. Hierzu zählt u.a. die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Hilfsmitteln oder die Inanspruchnahme von Lohnkostenzuschüssen (zum Ausgleich einer Leistungseinschränkung) bzw. Betreuungszuschüssen (zum Ausgleich der Kosten für Hilfe Dritter) aus Mitteln der Ausgleichsabgabe, Grundlage ist die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV), um die Einschränkungen/Leistungsminderungen welche auf Grundlage der Schwerbehinderung beruhen auszugleichen und so eine Änderungskündigung oder im ultimaratio die Beendigungskündigung zu vermeiden. Auch dem AG zumutbare organisatorische Maßnahmen zur Abhilfe, wie z.B. Änderungen im Arbeitsablauf, gehören hierzu.

Der AG sollte also frühzeitig das Integrationsamt einbinden um mit diesen mögliche Maßnahmen zu erörtern. Das Integrationsamt ist auch, sofern nicht abwendbar, vor einer Änderungskündigung gem. Kapitel 4 SGB IX (Kündigungsschutz) § 85 SGB IX einzubinden.

Ebenfalls ist der erweiterte Beendigungsschutz ge, § 92 SGB IX zu beachten.

Im öffentl. Dienst gibt es oftmals auch noch besondere Erlasse/Fürsorgeerlasse welche ebenfalls wie auch bestehende Integrationsvereinbarungen zu beachten sind.

Herabgruppierung durch Behinderung

merlincc8 @, Bayern, Sunday, 22.01.2006, 18:17 (vor 6678 Tagen) @ hackenberger

Hallo,
suche hier mal das Gespräch mit dem für euch zuständigen
Integrationsamt, vielleicht können die Dir hier mit einer
Hilfe z. B. Lohnzuschuß um den Nachteil der Rückgruppierung
auszugleichen oder die Benachteiligung des schwerbehinderten
Arbeitnehmers über eine vielleicht mögliche Mehrfachanrechnung
zu Gunsten des Betroffenen auszugleichen.

Herabgruppierung durch Behinderung

Andrea, Monday, 23.01.2006, 08:02 (vor 6677 Tagen) @ Lyckatill

Hallo,
auch ich bin in einem Klinikum tätig und mit einer solchen Problematik vertraut. Wir haben das in den letzten Jahren auf verschiedene Art und Weise geregelt ohne dass die Betroffenen eine Herabgruppierung in Kauf nehmen mußten.
Kontaktaufnahme mit dem Integrationsamt, Schilderung der Problematik und danach entsprechende Anträge je nach Situation gestellt. Manchmal reicht bereits eine Versetzung in einen anderen Bereich oder es können Anträge zur Arbeitsassistenz sein, Anträge wg. außergewöhnlichen Belastungen für den Arbeitgeber, Anträge für technische Hilfsmittel oder auch Anträge zur Übernahme von Umbaumaßnahmen u.v.m. Dem Arbeitgeber kostet dies in der Regel nur einen gewissen Organisationsaufwand, sonstige finanzielle Belastungen werden ihm durch die Zuschüsse etc. abgenommen bzw. ausgeglichen. Lass Dich einfach beraten von den Fachleuten beim Integrationsamt, die finden, wenn irgendwie machbar, immer einen Weg und über eine Kündigung oder Änderungskündigung haben wir uns bisher Gott sei Dank noch keine Gedanken machen müssen und sollte auch die allerletzte Lösung sein.
Gruß Andrea und viel Erfolg.

Herabgruppierung durch Behinderung

Lyckatill @, Monday, 23.01.2006, 20:49 (vor 6677 Tagen) @ Andrea

Vielen dank für die ausführlichen und informativen Antworten. Sie haben mir wertvolle Hinweise gegeben.
Mein Arbeitgeber ist sehr fair und bemüht, Lösungen für behinderte Menschen zu finden. Allerdings beim Thema Geld auch knallhart.
Die Leistungen des Integrationsamtes sind in der Regel befristet, daher ist AG der Meinung, wenn jemand eine Arbeit, z.B. Arzthelfertätigkeiten in einem ambulanten Bereich ausübt, dann will er auch nur die dafür vorgesehene Eingruppierung zahlen. In der Regel wird dem betroffenen Koll. der Arbeitsplatz angeboten, nimmt er nicht an, muss er letztlich mit der Änderungskündigung rechnen. Diesen Weg wollen die wenigsten gehen und nehmen an. Aus den Antworten entnehme ich, dass es auf den guten Willen des AG ankommt, ob er die Koll. in der alten Eingruppierung lässt>

Gruß Lyckatill

Herabgruppierung durch Behinderung

hackenberger, Monday, 23.01.2006, 22:21 (vor 6677 Tagen) @ Lyckatill

Hallo,

also diese hört sich ja gut an. Nur noch der Hinweis, die Mittel (Zuschüsse) werden vom Integrationsamt zwar immer nur befristet gewährt, aber bei gleichen Voraussetzungen werden diese immer ohne großen Aufwand weiterbewilligt. Ich habe vergleichbare Fälle seit Jahren.

Herabgruppierung durch Behinderung

Andrea, Tuesday, 24.01.2006, 10:14 (vor 6676 Tagen) @ Lyckatill

Hallo,
also nochmal zum Verständnis. Wenn jemand aus der Pflege z.B. eine Stelle als Arzthelferin annimmt, weil er dadurch weniger körperlichen Belastungen ausgesetzt wird und der Arbeitgeber erhält vom Integrationsamt Zuschüsse, dann kann der Arbeitgeber nicht denjenigen heruntergruppieren und das Geld gleichzeitig einstecken. Der Deal wäre ziemlich einseitig und der Vorteil läge nur beim Arbeitgeber. Der Betroffene hat ja sowieso schon Einbußen durch Verlust evtl. Zuschläge (Wechselschicht o.ä.). Dass sich die Leute in der Regel dann auf so was nicht einlassen ist klar. Wir haben dies immer mit einer Versetzung geregelt, oder Umverteilung von Tätigkeiten etc., die Eingruppierung blieb, auch wenn derjenige nicht mehr die Tätigkeit eines Krankenpflegers ausgeführt hat. Der Mehraufwand wird vom Integrationsamt voll oder weitgehend.
Gruß Andrea

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