Nach langer Krankheit ausgesteuert (Antragstellung / Widerspruch)

Hans, Hessen, Thursday, 14.09.2017, 11:09 (vor 2416 Tagen)

Hallo zusammen,
ich habe einen Kollegen der jetzt nach langer Krankheit von der Krankenkasse ausgesteuert wird.
Er hat GdB 100 ( Krebs ) und es sieht so aus, als käme dieser schon wieder zurück.
Bisher wurde seine Arbeitsfähigkeit ( bis 3 Stunden oder bis 6 Stunden ) noch nicht festgestellt.
Er wurde aus der Reha als weiterhin arbeitsunfähig entlassen.
Jetzt stellt sich natürlich die dringende Frage: Wer zahlt ihm etwas?
Er ist ja nach wie vor bei uns in der Firma gemeldet.
Wenn er sich "Arbeitslos" meldet, müsste er ja dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Was ja faktisch nicht der Fall ist, da er ja hier noch geführt wird.
Die Rentenversicherung hat ihm vorab bei einem Besuch mitgeteilt, dass ein Antrag auf EU Rente wohl kaum Aussicht auf Erfolg hat.

Mein Plan: Antrag auf Erwerbminderungsrente bei der DRV und dann ein Antrag auf Arbeitslosengeld stellen.
Lt. §125 SGB III wäre das "Arbeitslosengeld" dann nahtlos zu zahlen, da der Mitarbeiter wegen einer mehr als 6 monatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit eine Beschäftigung von mindestens 15 Wochenstunden nicht ausüben kann und die verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht festgestellt wurde.
§125 SGB III würde eine Sperrwirkung verbieten (Afa).
Der Anspruch würde dann erst enden, wenn die DRV über den Antrag entschieden hat.

Kennst sich jemand aus damit?

Beste Grüße
Hans

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Hendrik1, Niedersachsen, Thursday, 14.09.2017, 11:23 (vor 2416 Tagen) @ Hans

Moin Moin Hans,

erst einmal wünsche ich dem Kollegen viel Kraft.
Es ist durchaus auch möglich, dass der Kollege eine onkologische Rehabilitation beantragt. Stellt diese fest, dass auch aufgrund des Rezidivs eine Erwerbsfähigkeit zur Zeit nicht mehr gegeben ist, kann diese auch bei der Erwerbsminderungsrente helfen.
Da die Reha ja im Auftrag der Rentenversicherung durchgeführt wird, hat ein solcher Rehabericht durchaus auch Gewicht, sowohl bei der DRV als auch ggf. vor Gericht.

Liebe Grüße

Hendrik

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Hendrik1, Niedersachsen, Thursday, 14.09.2017, 11:28 (vor 2416 Tagen) @ Hendrik1

Moin Moin Hans,

ich hatte überlesen, dass der Kollege eine Reha hinter sich hat, leider lies sich die Beitrag nicht mehr ändern.
Daher mit dem Rehabericht und ggf. dem späteren Arztbericht des Rezidivs einen Antrag auf Rente stellen, ggf. bei der gemeinsamen Servicestelle für Rehabilitation oder dem Integrationsfachdienst.

Diese können auch im weiteren Verfahren hilfreich zur Seite stehen.

Nebenbei steht im Rehabericht ja auch genau die Einsetzbarkeit in der Sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung /Mehr als 6 / zwischen 3 bis 6 / unter 3 Stunden. Dieses ist auch ein Anhaltspunkt für den Rentenantrag.

Liebe Grüße

Hendrik

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Hans, Hessen, Thursday, 14.09.2017, 13:20 (vor 2416 Tagen) @ Hendrik1

Hallo Hendrik,

danke für die Info.
Der Kollege kommt morgen hierher und wird von seinem Nachbarn gefahren.
Ich denke er sollte auf jeden Fall auch ohne bisher nicht festgestellte Einsetzbarkeit einen Antrag auf EU-Rente stellen.
Dann wäre doch zumindest die AfA in der Verpflichtung. Ansonsten steht der Kollege
nächste Woche ohne Mittel da.
Natürlich wäre ein onkologisches Attest hier hilfreich. Das mit dem LWV ist wohl eine gute Idee.


Gruß
Hans

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Hendrik1, Niedersachsen, Thursday, 14.09.2017, 13:32 (vor 2416 Tagen) @ Hans

Moin Moin Hans,

eine Einsatzbreite müsste im Rehabericht stehen unter der Sozialmedizinischen Epikrise. Falls es Dir möglich ist, solltest Du ihn anrufen, damit er diesen ggf. über den Hausarzt/Facharzt abholen und mitbringen kann, falls ihm dieser nicht selber vorliegt. Dort steht sowohl in Bezug auf die letzte Tätigkeit als auch auf dem Arbeitsmarkt eine Einsatzbreite in den 3 Bereichen: über 6, zwischen 3-6 oder unter 3 Stunden am Tag. das zweite würde eine Erwerbsminderungsrente nach sich ziehen und das letzte eine volle Erwerbsunfähigkeitsrente.

Liebe Grüße

Hendrik

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Hans, Hessen, Thursday, 14.09.2017, 13:56 (vor 2416 Tagen) @ Hendrik1

Hallo Hendrik,

ja danke das ist mir schon klar.
Ich brauche den Bericht von ihm, denn angeblich würde da nichts stehen.
Allerdings kann ich mir auch vorstellen, dass der Kollege natürlich psychisch sehr belastet ist und solche Dinge übersieht.
Das wäre gut wenn dort eine entsprechende Einstufung wäre.
Da muss ich bis morgen warten.

Danke und Gruß
Hans

Nach langer Krankheit ausgesteuert

ciralifan, Friday, 15.09.2017, 07:20 (vor 2415 Tagen) @ Hans

Hier ist Vorsicht geboten und der Kollege schneidet sich ins eigene Fleisch weil er sich nicht rechtzeitig beim Arbeitsamt gemeldet hat.
Denn:
Nach der Aussteuerung kann ein Anspruch auf Arbeitslosengeld auch bestehen, wenn man weiterhin arbeitsunfähig ist. Dies setzt zunächst voraus, dass bei der Rentenversicherung ein Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestellt wurde. Das Arbeitslosengeld ist nämlich gemäß § 125 Absatz 1 SGB III "nahtlos" auch dann zu gewähren, wenn der Betroffene nur deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als 6-monatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit eine Beschäftigung von mindestens 15 Wochenstunden nicht ausüben kann und die verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht festgestellt worden ist. § 125 SGB III bewirkt eine Sperrwirkung und verbietet der Agentur für Arbeit, die objektive Verfügbarkeit wegen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit zu verneinen. Eine Arbeitslosmeldung ist in solchen Fällen auch dann zulässig, wenn das Arbeitsverhältnis (noch) nicht beendet wurde. Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitslosengeldes gemäß § 125 SGB III endet nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erst dann, wenn über den Rentenantrag des Betroffenen endgültig rechtskräftig entschieden worden ist.

Wenn in diesem Fall also absehbar ist, dass die Leistungsfähigkeit noch mindestens ein halbes Jahr andauern wird, sollten er nicht unterschreiben, dass er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, sondern seien Anspruch auf Arbeitslosengeld aus § 125 SGB III geltend machen. Ansonsten käme tatsächlich nur ein Anspruch auf Arbeitslosengeld aus § 117 SGB III in Betracht, der aber gemäß § 119 SGB III voraussetzt, dass er leistungsfähig ist und somit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Nach langer Krankheit ausgesteuert

albarracin, Baden-Württemberg, Saturday, 16.09.2017, 22:37 (vor 2414 Tagen) @ Hans

Hallo,

um ALG 1 nach Aussteuerung zu erhalten, muß nicht zwingend ein Rentenantrag gestellt werden.

Besteht die AU über die 78. KW hinweg fort, kann auch ALG 1 auf Grundlage des § 138 SGB III beantragt werden:
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_3/__138.html

Entgegen dem Wortlaut des § 138 Abs. 1 Nr. 1 besteht "Beschäftigungslosigkeit" auch (juristisch "fingiert")dann, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht, dieses aber wegen Krankheit nicht erfüllt werden kann.

Allerdings sind dabei einige Dinge zu beachten:

1.
Der AA darf unter keinen Umständen eine AU-Bescheinigung vorgelegt werden. Das versuchen aber so manche "Kundenbetreuer" der AA zu provozieren, um einen Ablehnungsgrund zu haben.
Dem bestehenden AG muß aber die AU weiter durch Bescheinigung nachgewiesen werden.

2.
Der AN muß sich "im Rahmen seiner Restleistungsfähigkeit" dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens 15 Stunden/Woche zur Verfügung stellen.

3.
Das bestehende Arbeitsverhältnis endet durch die Arbeitslosmeldung nicht !

4.
Die AA wird in aller Regel ein Gutachten des MdA veranlassen, der die Restleistungsfähigkeit überprüft. Das ALG 1 darf aber nicht vom Ergebnis des Gutachtens abhängig gemacht werden. Fällt das Gutachten negativ aus, fordert die AA den Antragsteller zur Stellung eines Reha-Antrages gem. § 145 SGB III
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_3/__145.html
auf, der ggfs. vom Rentenversicherungsträger gem. § 116 SGB VI
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/__116.html
als Rentenantrag "umgedeutet" werden kann. In diesem Fall muß ALG 1 als "Nahtlosigkeitsleistung" gem. § 145 SGB III bis zur Entscheidung über den Umgedeuteten Antrag weitergewährt werden.

5.
Wird keine Erwerbsminderung festgestellt, richtet sich die Bezugsdauer des ALG 1 nach § 147 SGB III
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_3/__147.html

6.
Normalerweise wird man von der AA in Ruhe gelassen, wenn keine Erwerbsminderung vorliegt.
Aber selbst wenn ein Vermittlungsvorschlag kommen sollte, darf der AN natürlich den potentiell neuen AG über gesundheitliche Einschränkungen aufklären.

Sofern grundsätzlich eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit beim bisherigen AG möglich ist, ist der Antrag nach § 138 SGB III trotz aller möglichen Schikanen und Tricksereien der AA demjenigen nach § 145 SGB III (Nahtlosigkeit bei Rentenantrag) vorzuziehen, da das ALG 1 idR deutlich höher ist als eine Erwerbsminderungsrente.

--
&Tschüß

Wolfgang

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Ironie, Tuesday, 19.09.2017, 08:59 (vor 2411 Tagen) @ albarracin

Servus Wolfgang,

das ist eine großartige, kompakte und äußerst hilfreiche
Zusammenfassung der Situation und der Möglichkeiten
bei Aussteuerung.
Hab vielen Dank dafür!

Lieber Gruß

Ironie

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Ironie, Tuesday, 19.09.2017, 09:28 (vor 2411 Tagen) @ albarracin

Servus Wolfgang,

jetzt muss ich doch noch mal nachfragen.

1.
Der AA darf unter keinen Umständen eine AU-Bescheinigung
vorgelegt werden.
Das versuchen aber so manche "Kundenbetreuer" der AA zu provozieren, um einen
Ablehnungsgrund zu haben.
Dem bestehenden AG muß aber die AU weiter durch Bescheinigung nachgewiesen werden.

Bedeutet das, eine Krankschreibung muss prinzipiell vorliegen,
wird auch dem Arbeitgeber zugeleitet, die Arbeitsagentur aber
erfährt nichts davon?
Weil die Krankschreibung auf den bisherigen Arbeitsplatz bezogen ist,
aber nicht klar ist, welche Leistungsfähigkeit generell vorliegt?

Muss ich als Arbeitnehmer dann bei der Meldung zur Arbeitslosigkeit
darauf bestehen, beschäftigungslos nach § 138 SGB III zu sein,
bzw. wie wird das praktisch umgesetzt?

Vielen Dank!

Ironie

Nach langer Krankheit ausgesteuert

albarracin, Baden-Württemberg, Tuesday, 19.09.2017, 12:11 (vor 2411 Tagen) @ Ironie

Servus Wolfgang,

Hallo,


jetzt muss ich doch noch mal nachfragen.

1.
Der AA darf unter keinen Umständen eine AU-Bescheinigung
vorgelegt werden.
Das versuchen aber so manche "Kundenbetreuer" der AA zu provozieren, um einen
Ablehnungsgrund zu haben.
Dem bestehenden AG muß aber die AU weiter durch Bescheinigung nachgewiesen werden.


Bedeutet das, eine Krankschreibung muss prinzipiell vorliegen,

Ja, sonst bestünde ja Arbeitsfähigkeit und der AN müßte wieder seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllen

wird auch dem Arbeitgeber zugeleitet,

Ja

die Arbeitsagentur aber
erfährt nichts davon?

Der AA wird keine AU-Bescheinigung vorgelegt, da sonst kein Anspruch auf ALG 1 besteht. Die AA wird aber ahnen, daß dem AG weiter die AU nachgewiesen wird - sonst s.o.

Weil die Krankschreibung auf den bisherigen Arbeitsplatz bezogen ist,

Ja

aber nicht klar ist, welche Leistungsfähigkeit generell vorliegt?

Es kann Arbeitsfähigkeit für andere Tätigkeiten vorliegen - dann besteht der Anspruch nach § 138


Muss ich als Arbeitnehmer dann bei der Meldung zur Arbeitslosigkeit
darauf bestehen, beschäftigungslos nach § 138 SGB III zu sein,
bzw. wie wird das praktisch umgesetzt?

Ein AN muß sich einfach nur bei der AA melden, wenn er/sie die Mitteilung über das Ende des KG bekommt. § 138 muß der AN nicht extra erwähnen, da das der "Normalfall" ist. Erwähnt werden muß nur eine evtl. Rentenantragstellung, da dann der "Ausnahmefall" des § 145 greift. Das wird aber auch im Eingangsgespräch von der AA abgefragt.


Vielen Dank!

Scho' recht


Ironie

--
&Tschüß

Wolfgang

Nach langer Krankheit ausgesteuert

Hans, Hessen, Thursday, 21.09.2017, 11:01 (vor 2409 Tagen) @ albarracin

Zunächst mal ... Danke...an alle die sich beteiligt haben.
Ich glaube dieses Thema hätte wohl ein Seminar verdient, bzw. sollte mal vertiefend
behandelt werden.
Denn man merkt schon, dass hier viele Hintertüren und Fallen lauern.
Da ist es schwer eine gute Beratung oder Hilfestellung zu geben.

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