Abmahnung oder Kündigung nach Fehler? (Allgemeines)

leiser fuchs, Wednesday, 28.11.2018, 10:47 (vor 1977 Tagen)

Hallo,

ich glaube, ich habe mind. mittelgroßen Mist gebaut und möchte wissen, mit welchen arbeitsrechtlichen Konsequenzen ich zu rechnen habe.

Schwerbehinderte, nicht offensichtlich ungeeignete Bewerberin, hatte sich auf eine ausgeschriebene Stelle beworben.

Die Bewerberin fragte schriftlich direkt bei mir nach, warum sie nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden ist, obwohl sie ja schwerbehindert ist und die Anforderungen der Stellenanzeige vollumfänglich erfüllt. Erst da fiel es mir, wie Schuppen von den Augen. Ich hatte die Angabe ihrer Schwerbehinderung im Bewerbungsanschreiben übersehen und sie entsprechend nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.

Da wir in der Anzeige geschrieben hatten "Gesucht wird ein/e Vfa, wünschenswert ein/e Vfw", "Eingruppierung bis TVöD 9b", habe ich der Bewerberin geantwortet, dass wir vorrangig ein/e Vfw gesucht haben, der/die bereits Berufserfahrung in dem zu besetzenden Bereich hat und darüber hinaus die 9 b nicht an Vfas vergütet werden kann, um nicht wirklich den Verdacht aufkommen zu lassen, dass wir sie vielleicht tatsächlich nur wegen der Schwerbehinderung nicht eingeladen haben.

Lange war Ruhe. Jetzt kam ein Einschreiben mit Rückschein, das über den Tisch des Bürgermeisters lief und ich entsprechend vorsprechen musste.

Mit diesem Schreiben werden Entschädigungsansprüche i. H. v. 3 Bruttomonatsgehältern nach dem AGG geltend gemacht.

Die Bewerberin argumentiert, dass lt. Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 03.04.2014, Az.: 5 Sa 1272/13 "wünschenswert" kein Muss-Kriterium, lt. Entgeltordnung auch natürlich Vfas 9 b erhalten können und wir eine Verfahrensdiskriminierung nach BAG-Urteil vom 16. 2. 2012 – 8 AZR 697/10 Rn 38 begangen hätten. Auch hätten wir in der Stellenanzeige nicht sowas geschrieben, wie "Schwerbehinderte BewerberInnen werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt". Und alleine das wäre schon ein sehr starkes Indiz dafür, dass wir keine Schwerbehinderte einstellen möchten und diese damit diskriminieren. Und tatsächlich, haben wir einen solchen Passus nicht in der Anzeige stehen. Hatten wir noch nie.

Nachdem, was ich jetzt so im www gefunden habe, kann es tatsächlich sein, dass vor Gericht der Bewerberin 3 Bruttomonatsgehälter zugesprochen werden. Vor Gericht wollen wir nicht. Wir wollen erst einmal handeln.

Jetzt möchte ich wissen, ob wir uns da doch noch irgendwie rauswinden können oder ob die Bewerberin tatsächlich im schlimmsten Fall 3 Bruttomonatsgehälter erhält!? Die Nichteinladung erfolgte wirklich nicht wegen der Schwerbehinderung! Aber wie argumentiert man, wenn man andererseits einen üblen Verfahrensfehler begangen hat?

Ist das ein fahrlässiger Fehler, ein grob fahrlässiger oder sogar Vorsatz?

Je nachdem, wie das eingeschätzt wird, im schlimmsten Fall dann doch von einem Gericht, wenn wir uns nicht einigen können, habe ich Angst, dass man mir daraus arbeitsrechtlich einen Strick ziehen kann - von Abmahnung bis Kündigung.

Was meint ihr?

Wie groß ist der Fehler, den ich gemacht habe mind. und max. sozusagen? Gibt es dazu Beispiele in der Rechtsprechung bzgl. Entschädigungszahlung und bzgl. arbeitsrechtlicher Konsequenzen?

Freue mich auf eure Antworten.

Vorab besten Dank.

Herzliche Grüße

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

ubber, Wednesday, 28.11.2018, 10:56 (vor 1977 Tagen) @ leiser fuchs

Bist Du SBV oder Arbeitgeber ?

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

SFliege, Wednesday, 28.11.2018, 12:00 (vor 1977 Tagen) @ ubber

... oder gar listiger Fuchs? :-)

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

kerim, Thursday, 30.07.2020, 15:54 (vor 1367 Tagen) @ ubber

Bist Du SBV oder Arbeitgeber ?

Ich bin SBV

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

mietze_katz, Oberbayern, Wednesday, 28.11.2018, 13:16 (vor 1977 Tagen) @ leiser fuchs

Hallo,

ich glaube, ich habe mind. mittelgroßen Mist gebaut....
Ich hatte die Angabe ihrer Schwerbehinderung im Bewerbungsanschreiben übersehen und sie entsprechend nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.

..... und ich entsprechend vorsprechen musste.

All diese Passagen deuten darauf, dass Du keine SBV (Arbeitnehmervertretung) bist, sondern ein Personaler des Arbeitgebers!
--- Forum für die SBV ---


Jetzt möchte ich wissen, ob wir uns da doch noch irgendwie rauswinden können oder ob die Bewerberin tatsächlich im schlimmsten Fall 3 Bruttomonatsgehälter erhält!? Die Nichteinladung erfolgte wirklich nicht wegen der Schwerbehinderung! Aber wie argumentiert man, wenn man andererseits einen üblen Verfahrensfehler begangen hat?

Wir, SBV (Vertreter der schwerbehinderten Menschen) geben doch der Gegenseite keine Ratschläge!
Diese Gesetzeslage sollte hinreichend bekannt sein. Kannst ja dem Bürgermeister mal vorschlagen, für dich ein Seminar zu buchen.


Ist das ein fahrlässiger Fehler, ein grob fahrlässiger oder sogar Vorsatz?

Je nachdem, wie das eingeschätzt wird, im schlimmsten Fall dann doch von einem Gericht, wenn wir uns nicht einigen können, habe ich Angst, dass man mir daraus arbeitsrechtlich einen Strick ziehen kann - von Abmahnung bis Kündigung.

So ist das Arbeitsleben! Wenn man seinen Job nicht anständig macht, kann dies Konsequenzen haben!


Was meint ihr?
Wie groß ist der Fehler, den ich gemacht habe .....

evtl. 3 Monatsgehälter + Verfahrenskosten

Freue mich auf eure Antworten.

Diese werden sich bei der Schilderung in Grenzen halten!


Vorab besten Dank.

Herzliche Grüße

Ebenso viele Grüße und mal andenken das Ausschreibungs- bzw. Einstellungsverfahren zu aktualisieren.

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

WoBi, Wednesday, 28.11.2018, 14:54 (vor 1977 Tagen) @ leiser fuchs

Hallo,

da stimmt das gesamte Stellenbesetzungsverfahren in der Gemeinde wohl nicht, weil mögliche Punkte nicht beachtet werden:

  • Interne Vorprüfung ob geeignete schwerbehinderte Beschäftigte für freien / frei werden Arbeitsplatz
  • Beteiligung der SBV und PR bei der internen Vorprüfung
  • Abfrage der Agentur für Arbeit und weitere Arbeitsvermittler mit der Bitte um Nennung geeigneter Bewerber
  • Unterrichtung der SBV und PR über Bewerbungseingang
  • Teilnahme der SBV am Vorstellungsgespräch und Bewerberauswahl
  • Information nicht genommener schwerbehinderter Bewerber

Diese Liste ist nicht abschließend.

Da hat der Bürgermeister als oberster Dienstherr nun ein Problem, denn er haftet für die Fehler seiner Erfüllungsgehilfen. Und dies nicht nur mit Geld. § 15 Abs. 6 AGG beschränkt Benachteiligte vorrangig auf Entschädigung und Schadenersatz. Ein Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses besteht ausdrücklich nicht. Hiervon bleiben Rechtsansprüche allerdings unberührt, welche sich auf Art. 33 Abs. 2 GG beziehen (Düwell, BB 06, 1741 (1744), auch BAG 5.3.1996 – 1 AZR 590/92 – NZA 96, 751). Die zuvor aufgezeigte Beschränkung auf Geld wird durch den 2. Halbsatz von § 15 Abs. 6 AGG geöffnet.

Anders ist die Rechtslage im öffentlichen Dienst. Hier kommt gemäß Art. 33 Abs. 2 GG ein Anspruch des Bewerbers auf Übertragung einer ausgeschriebenen Stelle in Betracht, wenn diese noch nicht besetzt ist. Es gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Für den Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes besteht eine Verpflichtung zur Darlegung für alle Vorgänge aus seinem Verantwortungs- und Verfügungsbereich, die dem Einblick des Bewerbers entzogen sind. Verletzt der öffentliche Arbeitgeber im Auswahlverfahren das Dokumentationsgebot, sodass der Bewerber keine oder nur unzureichende Kenntnisse über die Entscheidungsgrundlagen hat, vereitelt der Arbeitgeber die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes, so dass auch noch bei einer zwischenzeitlich erfolgten Stellenbesetzung ein Anspruch auf Einstellung besteht.

Damit kommt zusätzlich ggf. entgangenes Entgelt zum Tragen. Diskriminierung "unabsichtlich" oder "wissentlich" darf sich nicht lohnen. Eine Gemeinde als Organ der exekutiven Gewalt, sollte die Anwendung von Gesetzen beherrschen.

Fehler im Einstellungsprozess kann durch eine gute Ausbildung der SBV und des PR vermieden werden.

--
Gruß
Wolfgang

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

Thomas-SBV, Wednesday, 28.11.2018, 15:37 (vor 1977 Tagen) @ WoBi

Hey,

Mitze-katz und Wolfgang haben im grunde genommen schon alles geschrieben.

Eine kleine Ergänzung: Ich glaube hier sollte der Bürgemeister seinen Sessel räumen!

Für dich kann dann eine Abmahnung reichen.

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

WoBi, Wednesday, 28.11.2018, 16:12 (vor 1977 Tagen) @ Thomas-SBV

Hallo Thomas-SBV,
ich sehe es nicht so hart. Es ist eine Chance den Stellenbesetzungsprozess frei von Diskriminierung und entsprechend den gesetzlichen Anforderungen unter Einbeziehung der Interessenvertretungen zu gestalten. Die Fragestellerin ist m.E. nicht die Leitung der Personalverwaltung, sondern eher eine "keine" Sachbearbeiterin.
Habe die Hoffnung, dass Aufgrund einer möglichen Klage die Gemeinde ein Musterbeispiel an zukünftiger Korrektheit wird und behinderte Menschen wertgeschätzt werden.

--
Gruß
Wolfgang

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

mietze_katz, Oberbayern, Wednesday, 28.11.2018, 16:26 (vor 1977 Tagen) @ WoBi

sondern eher eine "keine" Sachbearbeiterin.

Hallo Wolfgang,

ich denke da nicht ganz so wie Du. Entscheidet eine "kleine" SB, ob eine anscheinend voll dem Ausschreibungsschreiben entsprechende Bewerberin eingeladen wird oder nicht? Ich denke nicht!
Oder war Vitamin B im Spiel, so dass von Anfang an fest stand, wer die Stelle bekommt und in Folge dessen die weiteren Bewerbungen mehr oder weniger garnicht durchgesehen wurden.
Vielleicht liegt der Hund viel tiefer begraben, als wir es hier dem Post entnehmen können.

VG

Abmahnung oder Kündigung nach Fehler?

mietze_katz, Oberbayern, Wednesday, 28.11.2018, 16:13 (vor 1977 Tagen) @ Thomas-SBV

Eine kleine Ergänzung: Ich glaube hier sollte der Bürgemeister seinen Sessel räumen!

Für dich kann dann eine Abmahnung reichen.

Dass hier der Bürgermeister seinen Sessel räumen soll, finde ich maßlos übertrieben. Wenn jeder Bürgermeister gehen soll, wenn einer seiner Erfüllungsgehilfen einen Fehler macht, dann kämen wir aus dem Bürgermeisterwählen garnicht mehr raus!
Ich finde eher, er soll den Schaden, welcher hier den Bürgern der Komune entsteht, aus seiner Tasche bezahlen. Aber dies ist natürlich nur mein Empfinden und rechtlich nicht haltbar. Aber als Zeichen des guten Willens könnte er ja auch eine Spende an einen gemeinnützigen Verein machen (z.B. der Feuerwehr, welche dann hiervon Gerätschaften kauft, was sonst die Gemeinde bezahlt hätte).

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