Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen (Allgemeines)

lunos1961, Fürth, Thursday, 14.03.2019, 12:14 (vor 1872 Tagen)

Hallo,
Eine schwerbehinderte Kollegin (bei öffentlichen AG) möchte /muss aus gesundheitlichen Gründen die Arbeitszeit zeitnah reduzieren.
AG verweigert dies, mit Verweis auf dreimonatige Antragsfrist. SBV argumentiert Dringlichkeit wegen der gesundheitlichen Problematik.
AG verlangt das SBV die gesetzlichen Grundlagen, die zu einer zeitnahen Arbeitszeitreduktion verpflichtet vorlegt. Attest der Betriebsärztin reicht ihm nicht.

Was schlagt ihr für eine Vorgehensweise vor, welche gesetzlichen Bestimmungen können wir anführen?

Danke für eure Antworten.

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

WoBi, Thursday, 14.03.2019, 12:25 (vor 1872 Tagen) @ lunos1961

Hallo lunos1961,

hier hilft die Suchfunktion sofort weiter.

So z.B. mein Beitrag: https://www.schwbv.de/forum/index.php?mode=entry&id=13778

"Das Verlangen des schwerbehinderten Menschen nach § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX bewirkt unmittelbar eine Verringerung der geschuldeten Arbeitszeit, ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Änderung der vertraglichen Pflichten bedarf."
BAG, 14.10.2003 - 9 AZR 100/03
http://lexetius.com/2003,3523

Textvorschlag:

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf Grund der Art und Schwere meiner Einschränkungen als Schwerbehinderter beantrage ich ab dem xx.xx.20xx eine Teilzeitbeschäftigung von xx Stunden in der Woche. Die Arbeitsstunden sollen auf 5 Tage von je x Stunden verteilt werden. Bei dieser beantragten Reduzierung meiner Arbeitszeit auf Teilzeit berufe ich mich auf die Ausführungen von § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX.
Sollten sich meine gesundheitlichen Einschränkungen verbessern, werde ich meine Arbeitszeit wieder an die Regelarbeitszeit angleichen.

Mit freundlichen Grüßen

§ 81 a.F. ist jetzt § 164 SGB IX

--
Gruß
Wolfgang

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

Georgina, Friday, 15.03.2019, 13:32 (vor 1871 Tagen) @ WoBi

Sollten sich meine gesundheitlichen Einschränkungen verbessern, werde ich meine Arbeitszeit wieder an die Regelarbeitszeit angleichen.

Moin,
ist das denn möglich?
Ich weiss zwar, dass eine (befristete Reduktion) möglich ist- gilt dieses aber auch für die Rückkehr in die Vollzeit?

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

WoBi, Friday, 15.03.2019, 14:01 (vor 1871 Tagen) @ Georgina

Hallo Georgina,

nach § 164 Abs. 5 Satz 3, 1. Halbsatz SGB IX haben "Schwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist". Wenn der Anspruchsgrund auf die behinderungsbedingte Teilzeitbeschäftigung entfällt, also "die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung" nicht mehr notwendig ist, besteht kein Anspruch mehr auf die Teilzeitbeschäftigung.
Hier hat der schwerbehinderte Mensch die Erforderlichkeit in beiden Richtungen ggf. mittels Attest/Gutachten nachzuweisen.

Zusätzlich kommt bei einer Verbesserung der behinderungsbedingten Arbeitsfähigkeit als Grund der temporären Teilzeitbeschäftigung § 165 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX mit " Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf 1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können," zur Anwendung.

Hier liegen die Unterschiede zum TzBfG, auch mit der seit Januar 2019 möglichen Brückenteilzeit.

--
Gruß
Wolfgang

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

Georgina, Friday, 15.03.2019, 17:00 (vor 1871 Tagen) @ WoBi

< < nach § 164 Abs. 5 Satz 3, 1. Halbsatz SGB IX haben "Schwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist". Wenn der Anspruchsgrund auf die behinderungsbedingte Teilzeitbeschäftigung entfällt, also "die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung" nicht mehr notwendig ist, besteht kein Anspruch mehr auf die Teilzeitbeschäftigung.
[quote]Hier hat der schwerbehinderte Mensch die Erforderlichkeit in beiden Richtungen ggf. mittels Attest/Gutachten nachzuweisen.

Zusätzlich kommt bei einer Verbesserung der behinderungsbedingten Arbeitsfähigkeit als Grund der temporären Teilzeitbeschäftigung § 165 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX mit " Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf 1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können," zur Anwendung.

Hier liegen die Unterschiede zum TzBfG, auch mit der seit Januar 2019 möglichen Brückenteilzeit.[/quote]

Ah ok danke, ich dachte wirklich dass dieses nur die Möglichkeit zur Reduktion eröffnet ....an den "Rückweg" zur Vollzeit habe ich noch gar nicht gedacht :-D
Dann wäre es ja bei Wegfall der Schwerbehinderteneigenschaft genauso zu handhaben oder? Also dass dann das alte Arbeisverhältnis automatisch wieder "auflebt"?

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

WoBi, Friday, 15.03.2019, 18:03 (vor 1871 Tagen) @ Georgina

Hallo Georgina,

"Also dass dann das alte Arbeitsverhältnis automatisch wieder "auflebt"?"

Wieso wieder "auflebt"? Es wird/wurde über diesen Weg nie beendet oder für "tot" erklärt.
Wie im zuvor genannten BAG-Urteil vom 14.10.2003 mit Aktenzeichen 9 AZR 100/03 im Tenor ausgeführt:
"Das Verlangen des schwerbehinderten Menschen nach § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX bewirkt unmittelbar eine Verringerung der geschuldeten Arbeitszeit, ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Änderung der vertraglichen Pflichten bedarf."
Es bedarf also keiner Änderung des bestehenden Arbeitsvertrages. Es bedarf nicht einmal einer beidseitigen Vereinbarung, das ab dem xx.xx.xxxx Herr/Frau XY eine Arbeitszeit von xx Stunden in der Woche hat. Ein einfaches Schreiben des schwerbehinderten Beschäftigten reicht aus.

Dies ist genauer in den Randnummer 34 mit 36 des o.g. Urteils ausgeführt.

--
Gruß
Wolfgang

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

Cebulon, Friday, 15.03.2019, 22:30 (vor 1871 Tagen) @ WoBi

ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Änderung der vertraglichen Pflichten bedarf.

Hallo Wolfgang, ebenso "druckfrisch" auch LAG Berlin-Brandenburg, 23.01.2019, 15 Sa 1021/18, II.1.1, unter Bezug auf die ständige langjährige BAG-Rechtsprechung - sowie ausführlich Prof. Düwell, LPK-SGB IX, 5. Auflage 2019, § 164 Rn. 207 - 209. Das galt schon so nach dem früheren SchwbG. Diese Behörde ist da wohl nicht auf der Höhe der Zeit, sondern noch letztes Jahrhundert.

Gruß,
Cebulon.

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

WoBi, Saturday, 16.03.2019, 08:21 (vor 1870 Tagen) @ Cebulon

Danke Cebulon für deinen Hinweis. Allein die Randnummer 28 des genannten LAG-Urteils gibt Gerorgina genügend weitere Argumentationen.

"1.1. Zu den gleichlautenden Normen in § 81 SGB IX a.F. hat das BAG entschieden, dass ein schwerbehinderter Mensch jederzeit und ohne Bindung an Formen und Fristen verlangen kann, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden (BAG 14.03.2006 – 9 AZR 411/05 – juris Rn. 17). Ein solcher Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung mit der verringerten Arbeitszeit entsteht unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Es bedarf daher keiner vorhergehenden Vertragsänderung (BAG 14.10.2003 – 9 AZR 100/03 – juris Rn. 36). Insofern ist ein Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet (BAG 14.03.2006 – 9 AZR 411/05 – juris Rn. 18). ..."

--
Gruß
Wolfgang

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

Georgina, Saturday, 16.03.2019, 08:55 (vor 1870 Tagen) @ WoBi

"1.1. Zu den gleichlautenden Normen in § 81 SGB IX a.F. hat das BAG entschieden, dass ein schwerbehinderter Mensch jederzeit und ohne Bindung an Formen und Fristen verlangen kann, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden (BAG 14.03.2006 – 9 AZR 411/05 – juris Rn. 17). Ein solcher Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung mit der verringerten Arbeitszeit entsteht unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Es bedarf daher keiner vorhergehenden Vertragsänderung (BAG 14.10.2003 – 9 AZR 100/03 – juris Rn. 36). Insofern ist ein Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet (BAG 14.03.2006 – 9 AZR 411/05 – juris Rn. 18). ..."

Danke :-D
Nochmals zur Befristung: kann man also theoretisch auch einen Zeitraum festlegen (z.B 6 Monate, 3 Jahre) ?
Falls man danach zur vertraglich vereinbarten Zeit zurück gekehrt ist und nach einiger Zeit bemerkt, dass es doch nicht geht: kann man die Reduktion dann erneut verlangen?
Wo genau (ausser in dem vagen Begriff der "Zumutbarkeit") sind die Grenzen gesteckt?

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

Cebulon, Saturday, 16.03.2019, 16:53 (vor 1870 Tagen) @ Georgina

Hallo Georgina,

nochmals: guck in den Standardkommentar von Düwell in Rn. 207 - 209. Dort findest Du Antwort auf Deine Fragen. Da sollten dann keine Fragen mehr offen bleiben.

Wo genau (ausser in dem vagen Begriff der "Zumutbarkeit") sind die Grenzen gesteckt?

Es geht um Zumutbar- und Verhältnismäßigkeit.

Gruß,
Cebulon

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

WoBi, Sunday, 17.03.2019, 23:28 (vor 1869 Tagen) @ Georgina

Hallo Georgina,

„theoretisch“ kann ich mir viel vorstellen. Ob es bei dem dir vorliegenden Fall so verhält, kann hier im Forum nicht feststellt werden. Dafür fehlen wichtige Angaben und Daten, die im Forum nicht genannt werden kann. Dafür ist Rechtsberatung (Gewerkschaft / Rechtsanwalt) in einer geschützten Umgebung erforderlich, sind Rückfragen der beratenden Person nötig, damit eine verbindliche Auskunft erteilt werden kann.
Hier ist es ein Tipp, der auf der Rechtsprechung von ein bis drei hauptamtliche Richter plus ehrenamtlicher Richter je nach Instanz beruht.

Neben diesem Rechtshintergrund sollte Vordergründig mehr psychologische Argumente wie Fürsorgepflicht, Verhinderung weiter Erkrankungen, Vermeidung von Gesundheitsschäden, Beschäftigungssicherung, Fachkräftemangel, fachliche Kompetenz, … gegenüber dem Arbeitgeber angewendet werden. So wie es der Arbeitgeber selbst durchführt. Einfach mal die Strategie analysieren.

Das mit der zeitlichen Befristung hat Hendrik1 bereits vorgeschlagen
https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=22288

Es ist sicher kein Weg um eine täglich / wöchentlich wechselnde Leistungsfähigkeit flexibel anzupassen. Es kann z.B. bei einer befristeten Erwerbsminderung genutzt werden, um im Rahmen der verbliebenen Leistungsfähigkeit weiter zu arbeiten.

--
Gruß
Wolfgang

Arbeitszeitreduzierung aus gesundheitlichen Gründen

Cebulon, Friday, 15.03.2019, 22:55 (vor 1871 Tagen) @ lunos1961

Was schlagt ihr für eine Vorgehensweise vor, welche gesetzlichen Bestimmungen können wir anführen?

Hallo, einen aktuellen SGB IX-Fachkommentar beschaffen, und auszugsweise eine Kopie der Kommentierung an diese Dienststelle geben zu dem § 164 SGB IX als Beleg für Teilzeitanspruch mit ärztlicher Bescheinigung.

Zumindest könnten diese Bürokraten wenigstens mal in Nr. 4.8 der Teilhaberichtlinien 2012 gucken: "Schwerbehinderte Menschen haben im Rahmen der Zumutbarkeit einen Anspruch auf Teilzeit" Da steht nichts von "drei Monaten".

Gruß,
Cebulon

Ergänzung, da öffentlicher Dienst

garda, Berlin, Monday, 18.03.2019, 15:08 (vor 1868 Tagen) @ lunos1961

Hallo Lunos,

im öffentlichen Dienst ist manches leichter, anderes auch schon mal schwieriger.

Daher mein Tipp: immer nur befristete Teilzeit beantragen, da es im öffentlichen Dienst leicht sein kann, dass die Stelle in eine Teilzeitstelle umgewandelt wird und es dann haushaltsrechtliche Schwierigkeiten geben kann ggf. wieder zeitnah auf Vollzeit zu gehen.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Ergänzung, da öffentlicher Dienst

SGBFreak, Thursday, 04.04.2019, 23:22 (vor 1851 Tagen) @ garda

Hallo,
bin gebranntes Kind beim öffentl. Dienst ....
musste meine Arbeitszeit wg. gesundheitl Gründe reduzieren ...Volle E-Rente aber 2,5 Jahre befristet ...
AG Verwaltung stellte einfach einen anderen Externen Mitarbieter auf meine Stelle ein.

Als es mir aber nach 1,5 Jahren gesundheitlich besser ging ...verwies mich der AG, dass ich nicht sofort wieder vollzeit auf diese Stelle antreten kann, weil auf meiner Stelle ein anderer Mitarbeiter sitzt, der nicht ausgetellt wird ...
Somit muss ich noch 12 Monate warten, bis ich wieder auf meine vollzeit Stelle kam ...oder hätte ich die sofortige vollzeit Weiterbeschäftigung einklagen können ???

Was meint Ihr?
LG

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