Beschäftigungsanspruch = Anspruch auf Arbeitsaufgaben ? (BEM)

ulrike, Thursday, 14.09.2006, 08:51 (vor 6443 Tagen)

Hallo,

ich bin schwerbehinderter Mitarbeiter im öffentlichen Dienst (Vollzeitstelle). Seit über einem Jahr habe ich aber fast keine Arbeitsaufgaben mehr, da das Arbeitsgebiet sich technologiebedingt sehr stark reduziert hat.
Mein Vorgesetzter ist der Ansicht, ich hätte keinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, sondern dem Beschäftigungsanspruch Schwerbehinderter sei mit der Bereitstellung des Arbeitsplatzes und der damit verbundenen Gehaltszahlung Genüge getan.
Stimmt das >

Meine zweite Frage bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Prüfungspflicht des Arbeitgebers, ob freie Stellen mit Schwerbehinderten besetzt werden können:
Da ich meine Beschäftigungssituation als sehr unbefriedigend ansehe, habe ich auch die Personalabteilung kontaktiert und ein Umsetzungsgesuch gestellt.
Die Personalabteilung teilte mir mir, dass es keine freien Stellen gibt und eine Umsetzung mitsamt dem Dienstposten in eine andere Abteilung nicht möglich sei.
Gleichzeitig wurden aber Stellen (die für mich geeignet gewesen wären) extern ausgeschrieben. Das Personalbüro ist der Meinung ich könne mich ja auf die extern ausgeschriebenen Stellen bewerben. Mit der Ausschreibung habe man als Arbeitgeber auch der Prüfungspflicht genüge getan, ob die Arbeitsplätze auch mit Schwerbehinderten besetzt werden können, da sich natürlich auch interne Beschäftigte auf die externen Stellenausschreibungen bewerben können.
Ist diese Sichtweise korrekt > Oder muß der Arbeitgeber erst mal die vorhandenen Schwerbehinderten "tatsächlich" beschäftigen, bevor er Stellen extern ausschreibt >

Ich habe mich auch bereits mehrfach beworben, allerdings wurden immer externe Bewerber bevorzugt, so dass ich immer noch überwiegend unbeschäftigt den Arbeitstag verbringe.

Vielleicht kann mir jemand außer der Beantwortung der Fragen sonst noch einen Rat geben, wie ich zu einer sinnvollen auslastenden Tätigkeit komme.

Vielen Dank + Grüße

Ulrike

Beschäftigungsanspruch = Anspruch auf Arbeitsaufgaben ?

hackenberger, Thursday, 14.09.2006, 11:00 (vor 6443 Tagen) @ ulrike

Hallo Ulrike,

der Beschäftigungsanspruch ergibt sich aus § 81 (4) SGB IX. Weiter gibt es auch im öffentl. Dienst i.d.R. zusätzlich noch entsprechende Fürsorgeerlasse welche ggf. noch weitergehende Regelung beinhalten.

Auszug aus dem Kommentar zum § 81 (4)
… Schwerbehinderte Menschen können von ihrem Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten eine Beschäftigung verlangen, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Es geht also nicht nur darum, für schwerbehinderte Menschen irgendeinen Arbeitsplatz zu finden. Vielmehr sind die dem schwerbehinderten Menschen eigenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten und seine persönlichen Neigungen zu erkennen und ggf. zu fördern. In der Regel wird der erlernte bzw. ein verwandter Beruf den beste Ansatz für eine Teilhabe des schwerbehinderten Menschen sein.

…… Jedenfalls hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer einen einklagbaren privatrechtlichen Anspruch auf eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angepasste Beschäftigung


Auch zum Thema Besetzung freier Arbeitsposten/Dienstposten gibt es entsprechende Aussagen.
…. Die Prüfungspflicht besteht ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitgeber überhaupt beschäftigungspflichtig ist oder die Pflichtarbeitsplätze bereits besetzt sind oder noch freie Pflichtarbeitsplätze zur Verfügung stehen. Auch dann, wenn ein freier Arbeitsplatz mit bereits beschäftigten Arbeitnehmern im Rahmen einer betriebsinternen Stellenausschreibung nach § 93 BetrVG besetzt werden soll, ist die Prüfung vorzunehmen. In diesem Fall kommt es darauf an, bereits beschäftigten schwerbehinderten Menschen, die z. B. auf ihrem Arbeitsplatz aufgrund ihrer Behinderung Schwierigkeiten haben, Arbeitsplätze möglichst dauerhaft zu sichern.


Auch sofern sich ein bereits im Betrieb/Unternehmen/Behörde bereit Beschäftigter auf eine freie Stelle bewirbt und er nicht berücksichtigt wird, kann sich hieraus ein Schadenersatzanspruch gem. § 81 SGB IX ergeben. Dieses bezieht sich auch auf freie Stellen welche extern ausgeschrieben werden.

Du müsstest ja auf deine Bewerbungen Absagen erhalten haben. Diese wären dann ggf. rechtlich zu prüfen ob sich hier Schadenersatzansprüche gem. § 81 ergeben.

Weiter könnte hier auch ein Verstoß gegen das nun im Kraft befindliche AGG ergeben. Du findest hier bei Nutzung der Suchmaschine gute Hinweise zum AGG. Siehe z.B.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen, Bonn
12-seitiger "Beihefter" aus der Zeitschrift: Betrieb und Personal
http://www.mkvdp.de/de/aktuell/download-diskriminierungsschutz-arbeitsrecht-allgemeine-gleichbehandlungsgesetz.pdf

Was sagt /unternimmt eigentlich Deine SchwbV und PR>>

Beschäftigungsanspruch = Anspruch auf Arbeitsaufgaben ?

ulrike, Thursday, 14.09.2006, 11:34 (vor 6442 Tagen) @ hackenberger

Hallo Bernd,

vielen Dank für die Information.

Die Ansicht, dass das Prüfungserfordernis, ob freie Stellen im Amt auch von Schwerbehinderten besetzt werden kann, bereits mit einer externen Stellenausschreibung erfüllt ist (ohne vorherige interne Stellenausschreibung bzw. Prüfung eines vorliegenden Umsetzungsgesuches) , wird hier vor allem von der Gleichstellungsbeauftragten (die ja ironischerweise auch für die integration von (schwerbehinderten) Frauen zuständig wäre) sehr intensiv gefördert. Diese Person leitet nämlich aus dem Bundesgleichstellungsgesetz eine Notwendigkeit zur Ausschreibung von externen Stellenausschreibungen ab, damit der Frauenanteil in den Bereichen erhöht werden kann, in denen Frauen derzeit unterrepräsentiert sind und dieses Ziel mit einer internen Stellenausschreibung nicht erreicht werden kann. Das bedeutet hier gibt es auch noch einen Richtungsstreit ob das Bundesgleichstellungsgesetz Vorrang hat oder die Paragraphen des SGB die Schwerbehinderten betreffend. Der Personalrat hat sich dieser Sichtweise leider angeschlossen (angeblich wurde die juristische Korrektheit bestätigt). Die Schwerbehindertenvertretung scheint etwas hilflos in dieser Angelegenheit - deshalb auch meine Anfragen an das Forum, um mal andere Meinungen zum Thema zu hören.

Viele Grüße

Ulrike

Beschäftigungsanspruch = Anspruch auf Arbeitsaufgaben ?

Michael, Thursday, 14.09.2006, 12:28 (vor 6442 Tagen) @ ulrike

Hallo Ulrike

Beschluß von BAG vom 14.11.1989
1 ABR. 88/88 - AP Nr.77, folgender Leitsatz zu § 99 BetrVG 1972:

Die Einstellung eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers verstößt gegen ein Gesetz im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, wenn der Arbeitnehmer nicht zuvor gemäß § 81 Abs. 1 SGB IX geprüft hat, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann.

Die Vorgehensweise, wie der Arbeitgeber zu prüfen hat,ist ja im § 81 SGB IX beschrieben.

Das ist dann zwar etwas spät, aber vielleicht kannst du ja deine SBV davon überzeugen, dass die ganze Sache nicht korrekt abläuft.
Leider finde ich die Stelle bzw. das Urteil nicht mehr, wo es heißt, die Einstellung eines schwbM verstößt nicht gegen das Grundgesetz Artikel 3 (glaube ich zumindest)wenn die Wahl zwischen einem behinderten oder nicht behinderten Menschen zu treffen ist. Das verstehe ich so, dass auch die Erfüllung der Frauenquote nach den schwbM kommt

Gruß Michael

Beschäftigungsanspruch = Anspruch auf Arbeitsaufgaben ?

Michael, Thursday, 14.09.2006, 13:11 (vor 6442 Tagen) @ ulrike

Hallo Ulrike,

nach langer nochmaliger Suche habe ich jetzt endlich die Stelle gefunden. Im SGB IX § 81 Rn.50 steht:
Eine durch die Bevorzugung schwerbehinderter Menschen in Kauf zu nehmende Benachteiligung nichtbehinderter Arbeitnehmer ist zur beruflichen Integrierung schwbM sozialpolitisch gerechtfertigt und verstößt nicht gegen Art.3 Abs.1 und 3 GG.
Schwerbehindertenrecht Basiskommentar zum SGB IX, 8. Auflage
Feldes/Kamm Peiseler

Dieser Kommentar steht zwar in Beziehung mit der Qualifizierung, aber ich finde ihn trotzdem aufschlußreich.
Gruß Michael

Beschäftigungsanspruch = Anspruch auf Arbeitsaufgaben ?

ulrike, Thursday, 14.09.2006, 14:59 (vor 6442 Tagen) @ Michael

» Hallo Michael,

die Gesetzeskommentare sind ja wirklich interessant. Vielen Dank.

Vielleicht gibt es auch zu einem anderen - grundsätzlichen - Problem der Einstellung von schwerbehinderten Personen eine "Interpretationshilfe":
In den Ausschreibungen (zumindest im öffentlichen DIenst) wird ja immer darauf hingewiesen, daß schwerbehinderte Bewerber bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt / berücksichtigt würden.
Wie ist denn der Begriff der "gleichen Eignung" definiert > Sicher muß das Anforderungsprofil erfüllt werden - aber doch sicher nicht zu 100 %. Und was passiert, wenn z.B. ein schwerbehinderter Bewerber nicht auf Platz 1 eines Bewerberrankings ist. Gibt es hier die Notwendigkeit, bestimmte KO. - Kriterien festzulegen, die zusammen mit dem Ausschreibungstext die "gleiche Eignung" präzisieren > Oder ist es üblich die "gleiche Eignung" über einen Prozentsatz zu beschreiben, zu dem die Anforderungen erfüllt sein müssen (z.B. 80 oder 90 %)> Und wenn dann ein nichtbehinderter Bewerber z.B. 95 % der Anforderungen erfüllt, dann gilt der schwerbehinderte Bewerber immer noch als "gleich geeignet", obwohl er im Ranking hinter dem nichtbehinderten Bewerber liegen würde >
Mich würde interessieren, wie dies gehandhabt wird.

Viele Grüße

ulrike

Beschäftigungsanspruch = Anspruch auf Arbeitsaufgaben ?

traute, Thursday, 14.09.2006, 15:35 (vor 6442 Tagen) @ ulrike

» » Hallo Michael,
»
» die Gesetzeskommentare sind ja wirklich interessant. Vielen Dank.
»
» Vielleicht gibt es auch zu einem anderen - grundsätzlichen - Problem der
hallo ulrike,
bei gleicher eignung bedeutet: das ausschreibungsprofil muß erfüllt sein.

die prüpfung sollte nachvollziehbar und transparent sein. d.h. frage deine SBV, ob sie in das prüfungsverfahren einbezogen wurde. hat sie deine bewerbungsunterlagen gesehen> warst du zum vorstellungsgespräch eingeladen> wenn nein, warum nicht> wende dich an deine SBV und weise auch auf den fürsorgeerlaß hin.

gibt es bei euch eine integrationsvereinbarung> laß sie dir geben.

interne haben vorrang vor externen. bei uns gibt es dazu eine dienstvereinbarung.

gruß, traute


» Einstellung von schwerbehinderten Personen eine "Interpretationshilfe":
» In den Ausschreibungen (zumindest im öffentlichen DIenst) wird ja immer
» darauf hingewiesen, daß schwerbehinderte Bewerber bei gleicher
» Eignung
bevorzugt eingestellt / berücksichtigt würden.
» Wie ist denn der Begriff der "gleichen Eignung" definiert > Sicher muß das
» Anforderungsprofil erfüllt werden - aber doch sicher nicht zu 100 %. Und
» was passiert, wenn z.B. ein schwerbehinderter Bewerber nicht auf Platz 1
» eines Bewerberrankings ist. Gibt es hier die Notwendigkeit, bestimmte KO.
» - Kriterien festzulegen, die zusammen mit dem Ausschreibungstext die
» "gleiche Eignung" präzisieren > Oder ist es üblich die "gleiche Eignung"
» über einen Prozentsatz zu beschreiben, zu dem die Anforderungen erfüllt
» sein müssen (z.B. 80 oder 90 %)> Und wenn dann ein nichtbehinderter
» Bewerber z.B. 95 % der Anforderungen erfüllt, dann gilt der
» schwerbehinderte Bewerber immer noch als "gleich geeignet", obwohl er im
» Ranking hinter dem nichtbehinderten Bewerber liegen würde >
» Mich würde interessieren, wie dies gehandhabt wird.
»
» Viele Grüße
»
» ulrike

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