"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB (Allgemeines)

AxelHL, Friday, 26.01.2024, 20:01 (vor 92 Tagen)

Hallo,
ich bin zwar seit 10 Jahren SBV, da wir aber nur wenige SB haben, und die meisten in ihrer Tätigkeit auch nicht eingeschränkt sind, habe ich wenig praktische Erfahrung. Ein paar Beratungsgespräche, zwei Gleichstellungen und Kleinigkeiten.
Heute Mittag habe ich im Urlaub per Bote ein Schreiben der Personalleitung bekommen, daß die einem SB außerordentlich kündigen wollen. Zu Begründung verweisen sie auf ihre Anhörung beim BR, die mir natürlich nicht vorliegt, und schreiben, ich solle innerhalb von 3 Tagen Stellung nehmen.
Ich habe mit dem BR Vorsitzenden telefoniert, der mir auch die Unterlagen zur Verfügung gestellt hat, und es geht um den Verdacht des systematischen Arbeitszeitbetrugs. Der betroffene Mitarbeiter ist übrigens mein Stellvertreter.
Aus den Unterlagen habe ich gesehen, daß es am 18.1. bereits ein Gespräch der Personalleitung mit dem Vorgesetzten und dem BR gab, wo er mit dem Vorwurf konfrontiert wurde. Da war ich nicht im Urlaub, wurde aber auch nicht informiert.
Mein Ansatz ist, am Montag der Kündigung zu widersprechen, da in dem Schreiben an mich keine Begründung zur geplanten Kündigung enthalten war und ich auch über das Mitarbeitergespräch nicht informiert wurde. Oder sind das voneinander unabhängige Punkte?
Muß ich die Begründung in meinem Widerspruch angeben oder ist es besser, dies ohne Begründung zu tun?
Laut BR muß ich tatsächlich innerhalb von 3 Wochentagen reagieren. Was passiert, wenn ich mich gar nicht äußere?
Den betroffenen Mitarbeiter erreiche ich vor Montag nicht. Im Gespräch mit dem BR konnte er sich nicht erklären, wie es zu den Unstimmigkeiten seiner Stempelzeiten kam. Es geht dabei um 5 Vorfälle zwischen dem 3.1. und 16.1.
Gruß
Axel

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

Cebulon, Saturday, 27.01.2024, 16:56 (vor 91 Tagen) @ AxelHL

Zu Begründung verweisen sie auf ihre Anhörung beim BR, die mir nicht vorliegt, und schreiben, ich solle innerhalb von 3 Tagen Stellung nehmen.

Hallo Axel,

das ist m.E. keine ordnungsgemäße Anhörung nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX. Da hat auch der BR schwer versagt, da er nicht die unterlassene Beiziehung der SBV am 18.01.2024 monierte. Aber: Der Arbeitgeber muss Anhörung der SBV nicht zwingend vor Beteiligung des Integrationsamts machen laut Auslegung des BAG. Zur außerordentlichen fristlosen Kündigung siehe hier.

Demnach ausreichend, wenn Anhörung der SBV durch Arbeitgeber nach Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt. Das Integrationsamt muss aber unbedingt vor seiner Entscheidung zwingend auch die SBV beteiligen nach § 170 Abs. 2 SGB IX.

Laut BR muß ich tatsächlich innerhalb von 3 Wochentagen reagieren.

Das ist Unfug: Der SBV steht selbstverständlich frei, innerhalb der Frist zu reagieren oder auch nicht, also Frist verstreichen zu lassen!

Im Gespräch mit dem BR konnte er sich nicht erklären, wie es zu den Unstimmigkeiten seiner Stempelzeiten kam. Es geht dabei um 5 Vorfälle zwischen dem 3.1. und 16.1.

Sollte sich hier ein vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug nachweisen lassen, so wäre das m.E. wiederholte schwere Pflichtverletzung, womöglich sogar Fall für Staatsanwalt …

Gruß,
Cebulon

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

AxelHL, Saturday, 27.01.2024, 19:39 (vor 91 Tagen) @ Cebulon

Danke für die Anwort.
Zu den 3 Tagen bei außerordentlicher Kündigung habe ich das hier gefunden (Abs 4):
Fristen

Der BR hat am 18.1., wie auch der Mitarbeiter, erst beim Gespräch erfahren, worum es ging. Hätte man dann natürlich sofort abbrechen können, aber das war halt Überrumpelungstaktik.
Daher mein Ansatz, erstmal zu widersprechen, aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Anhörung.
Wie plausibel die Vorwürfe und die Rechtfertigung sind, kann ich noch nicht beurteilen, da ich halt nicht alle Informationen habe (offiziell habe ich ja eigentlich gar keine).
Das Integrationsamt wird nach Deinem Link ja wohl eher zustimmen, da die Vorwürfe nichts mit der Behinderung zu tun haben.
Daher weiß ich auch nicht, inwieweit mein Handeln überhaupt einen Einfluß hat, da es aber immer wieder Fehler bei der Beteiligung der SBV gibt, und dies nur wirklich ein graviernder Fall ist, möchte ich eigentlich nicht nichts tun.

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

Phönix, NRW, Sunday, 28.01.2024, 07:42 (vor 90 Tagen) @ AxelHL

Zunächst sollte man als SBV die Ruhe bewahren, auch wenn Unsicherheiten bezüglich der weiteren Verfahrensweise bestehen.

Wie Cebulon schon festgestellt hat, gab es Unterlassungen bei der ordnungsgemäßen Unterrichtung und Anhörung der SBV, welche aber erstmal auf den eigentlichen Prozess der Kündigung keinen Einfluss haben. Die Feststellung, ob eine Kündigung ordnungsgemäß erfolgte, obliegt ausschließlich den Arbeitsgerichten. Es ist natürlich für den Betroffenen hilfreich, wenn Verfahrensfehler vorliegen.

Die umfassende Unterrichtung ist eine Pflicht des Arbeitgebers und eine Bringschuld. Wurde die SBV nicht umfassend unterrichtet, kann diese auch keine Stellung beziehen. Es ist auch nicht die Aufgabe der SBV sich Informationen vom BR zu beschaffen. Also in Sachen Anhörung würde ich Abwarten und Tee trinken.

Seit wann hast du dich denn im Urlaub befunden und hast du weitere Stellvertreter? Wenn du im Urlaub bist, ist dein Stellvertreter deine Verhinderungsvertretung und damit in Amt und Würden. Damit bestehen weitere Hürden, denn neben dem Kündigungsschutz als Mensch mit Schwerbehinderung, kommt der Kündigungsschutz als SBV (nachwirkend). Welche Wirkung das haben könnte, müsste man hier noch auf bröseln, aber dafür benötigt man auch weitere Informationen zum Kündigungsgrund und den Umständen.

Deine Aufgabe sollte es sein, zeitnah das Gespräch mit dem Betroffenen zu suchen, um sich seine Seite anzuhören. Auch wenn dich das Inklusionsamt informiert, würde ich unmittelbar nach dem Gespräch den Kontakt zum Inklusionsamt suchen, um hier bereits in den Informationsaustausch zu kommen.

Den Betroffenen solltest du darauf hinweisen, dass dieser nach Eingang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht einreicht (Frist drei Wochen ab Zugang der Kündigung). Zwar besteht kein Anwaltszwang, jedoch wird das Hinzuziehen empfohlen, damit stellt sich die Frage nach einer Rechtsschutzversicherung oder Gewerkschaftsmitgliedschaft.

Für eine weitere Betrachtung sind dann auch weitere Informationen hilfreich.

Gruß
Phönix

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

AxelHL, Sunday, 28.01.2024, 12:11 (vor 90 Tagen) @ Phönix

Mein Urlaub war vom 22.1.-28.1., der betroffene Mitarbeiter ist mein einziger Stellvertreter.
Den Mitarbeiter werde ich morgen versuchen zu erreichen. Außerdem ist morgen eine außerordendliche Betriebsratssitzung zu der Kündigung, bei der ich auch dabei sein werde.
Einen Anwalt haben beide Seiten bereits hinzugezogen.

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

mietze_katz, Oberbayern, Monday, 29.01.2024, 10:15 (vor 89 Tagen) @ AxelHL

Hallo,

ich hatte schon mal so was ähnliches, ich würde jetzt wie folgt vorgehen:


1. Als SBV der Kündigung allein mangels ausreichender Beteiligung widersprechen
2. Den Betriebsrat davon überzeugen, dass die Kündigung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde und diesem ebenfalls dazu zu bewegen, die Zustimmung zu verweigern.

Dieses erfolgt beides Aufgrund der unzureichenden Beteiligung der SBV, ohne jegliche Betrachtung des eigentlichen Tatvorwurfes.

Achtung: Wie schon richtig erkannt, es zählt die 3 Tagesfrist, und Frist verstreichen lassen zählt normalerweise (Kündigung nach §102 BetrVG) als Zustimmung, aber nicht bei Kündigung nach §103 BetrVG, hier ist ausdrücklich die Zustimmung erforderlich.


Wurde dem Koll. auch nach dem richtigen § gekündigt? Kündigung eines Mitgliedes der AN-Vertretungen kann nur nach §103 erfolgen.


Ich denke, je nachdem wie sich der eigentliche Tatvorwurf darstellt, dass Arbeitsverhältnis wird aufgelöst werden, es stellt sich nur die Frage, mit welchen Konditionen.

VG

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

albarracin, Baden-Württemberg, Monday, 29.01.2024, 13:17 (vor 89 Tagen) @ mietze_katz

Hallo,

Hallo,

das hier


1. Als SBV der Kündigung allein mangels ausreichender Beteiligung widersprechen

würde ich nie machen. Man sollte dem AG durch derartige Hinweise nicht auch noch "aufs Pferd helfen", indem er nachbessern könnte

Im vorliegenden Fall würde ich noch überhaupt keine Stellungnahme abgeben, sondern die fehlenden Unterlagen gem. § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX schriftlich nachweisbar einfordern.

--
&Tschüß

Wolfgang

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

Cebulon, Monday, 29.01.2024, 14:33 (vor 89 Tagen) @ albarracin

Im vorliegenden Fall würde ich noch überhaupt keine Stellungnahme abgeben, sondern die fehlenden Unterlagen gem. § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX schriftlich nachweisbar einfordern.

Das sehe ich genauso! Es ist wohl noch nicht mal einzuschätzen - ob aus der Sicht des Arbeitgebers „Verdachtskündigung“ oder nachweisliches „Delikt“.
Zur evt. Gliederung einer Stellungnahme vgl bspw. SBV-Guide auf Seite 24 (rechts).

Gruß,
Cebulon

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

AxelHL, Monday, 29.01.2024, 18:37 (vor 89 Tagen) @ Cebulon

Hi, danke für das Feedback.
Der BR hat der Kündigung widersprochen.
Ich selbst habe der Personalleitung geschrieben, daß ich noch nicht in der Lage bin, mir eine fundierte Meinung zu bilden.
Der betroffene Mitarbeiter hatte sich heute krank gemeldet und war für mich nicht erreichbar.
Ich warte jetzt mal ab, was von der Personalleitung als nächstes kommt.

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

Cebulon, Monday, 29.01.2024, 19:19 (vor 89 Tagen) @ AxelHL

Ich warte jetzt mal ab, was von der Personalleitung als nächstes kommt.

Zustimmungspflichtig jedenfalls dann, wenn SBV-Stelli in letzter Zeit das SBV-Amt auch tatsächlich ausübte – z.B. konkr. Amtstätigkeit in Verhinderungsvertretung. Ansonsten wird Arbeitgeber vermutlich schleunigst dem Integrationsamt schreiben wohl noch im Januar, weil er ja nur zwei Wochen Antragsfrist hat laut § 174 Abs. 2 SGB IX. Vergl. auch BAG, 19.07.2012 - 2 AZR 989/11, sinngemäß zur Rechtsfrage der „Zustimmung“

Gruß,
Cebulon

"Anhörung" zur außerordentlichen Kündigung eines SB

mietze_katz, Oberbayern, Tuesday, 30.01.2024, 10:41 (vor 88 Tagen) @ albarracin

Hallo,


Hallo,

das hier


1. Als SBV der Kündigung allein mangels ausreichender Beteiligung widersprechen


würde ich nie machen. Man sollte dem AG durch derartige Hinweise nicht auch noch "aufs Pferd helfen", indem er nachbessern könnte

Im vorliegenden Fall würde ich noch überhaupt keine Stellungnahme abgeben, sondern die fehlenden Unterlagen gem. § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX schriftlich nachweisbar einfordern.

Hallo,

so ganz versteh ich jetzt den Unterschied nicht:
Mein Widerspruch bzw. die "Nicht-Zustimmung" mit der Begründung mangelnde Beteiligung der SBV könnte zur Folge haben, dass der AG nachbessert und die Unterlagen an die SBV übermittelt - Richtig.
Aber ist denn die Nachforderung der fehlenden Unterlagen durch die SBV nicht auch ein Vorgang der Nachbesserung? Eingeleitet von der SBV. Ein Vorteil könnte höchstens die fristhemmende Wirkung der Nachforderung sein, wird aber m.E. auch nicht mehr ausschlaggebend sein.


Eine andere Möglichkeit würde ich noch sehen, wenn korrekter Weise nach §103 BetrVG gekündigt wurde, einfach die Füsse stillhalten bzw. Verzögerungstaktik fahren, weil ja so keine Zustimmung generiert wird. Aber nachdem der BR seine Zustimmung eh verweigert hat, müsste diese erst ersetzt werden.

Nach meinen Erfahrungen sind jetzt erstmal beide AN-Vertretungen raus, jetzt verhandeln die Anwälte.

Was aber die SBV noch machen könnte, sofern sie ein gut gefülltes "schwarzes Buch" hat: §238 SGB IX und/oder Beschlußverfahren wegen Verstoß gegen §178. Man sollte sich aber bewusst sein, dann geht`s rund, es will gut vorbereitet sein.

vg

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