Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative (Allgemeines)

krank123, Tuesday, 27.02.2024, 16:14 (vor 60 Tagen)

Guten Tag,

angenommen, ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer stellt einen Antrag auf Gleichstellung.

Sein Wunsch bzw. Ziel wäre:

- Kündigungsschutz, da er bereits seit vielen Jahren AU ist (Behaltensalternative?). Allerdings muss dafür wohl überhaupt erst mal ein geeigneter Arbeitsplatz bestehen?

- seinen Arbeitsplatz so umzugestalten bzw. umzuorganisieren, dass er seinen nachweislich belegten gesundheitlichen Einschränkungen gerecht wird - also seinen alten Arbeitsplatz leidensgerecht machen (Erlangensalternative)

Er hatte den Antrag bereits vor dem BEM-Gespräch gestellt, weil er gerne schon mit der Möglichkeit (bzw. dem Recht) in das BEM-Gespräch gehen wollte, seinen Arbeitsplatz leidensgerecht zu gestalten. Dass man dann eben über die Möglichkeiten einer behindertengerechten Beschäftigung sprechen kann (statt erst einmal den Antrag bei der AfA stellen zu müssen) und somit vor einem Wiedereinstieg bereits alles geklärt und organisiert ist. Er würde sich auch zudem sicherer fühlen, wenn er bereits mit der Gleichstellung in das BEM-Gespräch gehen könnte, weil dadurch das Damoklesschwert einer Kündigung nicht mehr ganz so stark über ihm schweben würde.

Der Antrag auf Gleichstellung wurde abgelehnt (Begründung: Langzeit-Arbeitsunfähigkeit).

Gibt es denn tatsächlich keine Möglichkeit, die Gleichstellung während der Arbeitsunfähigkeit, bereits vor dem BEM-Verfahren bewilligt zu bekommen? :-( Hat der Arbeitnehmer eventuell etwas übersehen?

Wenn ihm seine gesundheitlichen Einschränkungen attestiert sind und es sicher ist, dass er seinen Arbeitsplatz nicht mehr in der alten Form ausüben kann, warum kann er sich nicht schon während der Erkrankung darum kümmern, dass er an einen leidensgerechten Arbeitsplatz zurückkehren kann? Hatte vielleicht jemand von euch bereits mit einer ähnlichen Fallkonstellation zu tun?

Und was wäre denn jetzt die sinnvollste weitere Vorgehensweise: Widerspruch einlegen - oder doch einen neuen Antrag zusammen mit dem BEM-Team stellen? (Allerdings bestünde dann ja wieder 3 Wochen lang die erhöhte Kündigungsgefahr).

Danke.

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

albarracin, Baden-Württemberg, Tuesday, 27.02.2024, 16:45 (vor 60 Tagen) @ krank123

Hallo,

die Behaltensalternative kommt hier nicht in Betracht, wenn der derzeitige Arbeitsplatz ungeeignet ist.

Die Erlangensalternative in Bezug auf die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes kann hier zutreffen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Herstellung der "Leidensgerechtigkeit" des bisherigen Arbeitsplatzes größere Maßnahmen beinhaltet, die über die normale Fürsorgepflicht hinausgeht - insbesondere dann, wenn damit auch Änderungen in der Arbeitsorganisation und/oder Arbeitszeit notwendig sind.

Die Arbeitsagenturen entscheiden bei Langzeit-AU übertrieben restriktiv. Dies lässt sich durchaus umgehen, indem man bereits bei Antragstellung oder aber im Widerspruch angibt, eine Rückkehr an den Arbeitsplatz in naher Zukunft konkret anzustreben.

--
&Tschüß

Wolfgang

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

krank123, Saturday, 09.03.2024, 14:57 (vor 49 Tagen) @ albarracin

Hallo und danke euch allen für eure Antworten.

Der Arbeitnehmer ist seit mehreren Jahren AU. Er wurde nach dem Krankengeldbezug ausgesteuert, bezog danach i.S.d. Nahtlosigkeitsregelung ALG 1 und beantragte EM-Rente. Diese wurde abgelehnt.

Auf das Hamburger Modell hat der AN also keinen Anspruch mehr.

Der AN möchte nun den Wiedereinstieg mit einer leidensgerechten Tätigkeit versuchen. Deshalb (und auch wegen des Kündigungsschutzes) der Antrag auf Gleichstellung.


Zwei Fragen hierzu:

1. Da der Arbeitnehmer keinen Anspruch mehr auf die Stufenweise Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell hat, gäbe es die Möglichkeit, seinen Resturlaubsanspruch aus dem Vorjahr für einen Wiedereinstieg zu nutzen? Zum Beispiel mit 2 Stunden anfangen, dann 3 usw. und die restlichen Arbeitsstunden mit dem Resturlaub verrechnen. Die Hoffnung ist, dass in dieser Zeit die Gleichstellung hoffentlich genehmigt wird und der Arbeitsplatz somit während des Wiedereinstiegs leidensgerecht angepasst werden könnte (Arbeitszeiten, Arbeitsorganisation). Wäre dies ein gangbarer Weg? Vermutlich werdet ihr richtigerweise auf das BEM verweisen, die dies beantworten können, aber den AN interessiert, ob dies grundsätzlich gesetzlich möglich wäre.

2. Der Widerspruch gegen die Ablehnung der Gleichstellung wurde gestellt. Könnte der AG eine Gleichstellung eigentlich negativ im Sinne einer negativen Gesundheitsprognose auslegen? So nach dem Motto: auf dem alten Arbeitsplatz ist er nicht mehr in der alten Form einsatzfähig, also kann er nun gekündigt werden?

Danke nochmal.

Stufenweise Wiedereingliederung nach Aussteuerung aus Krankengeld

Cebulon, Saturday, 09.03.2024, 21:05 (vor 49 Tagen) @ krank123

Auf das Hamburger Modell hat der AN also keinen Anspruch mehr.

Woraus leitest Du denn ab, dass da keine Stufenweise Wiedereingliederung in Betracht kommen würde? Hast Du dafür irgendwelche Quellen?

„Der Bezug von Arbeitslosengeld steht der Stufenweisen Wiedereingliederung nicht entgegen, sofern das frühere Beschäftigungsverhältnis noch besteht und nicht ge­kün­digt ist.“

Gruß,
Cebulon

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

Kasandra, Saturday, 02.03.2024, 22:18 (vor 56 Tagen) @ krank123

Hallo Krank123,

ich verstehe Deine Aussage nicht "Kündigungsschutz, da er bereits seit vielen Jahren AU ist".

Bereits seit vielen Jahren AU - dies interpretiere ich als: AUSGESTEUERT!

Gab es BEM´s? Was wurde festgelegt und aktiv umgesetzt bei Euch im Unternehmen?

Wie ist die Gesundheitsprognose?

Hat er eine EMR oder T-EMR?

Was sagen die Untersuchungen beim werksärztlichen Gesundheitsdienst aus?

Bedarf es einen Arbeitsplatzumbau oder einer Umschulung?

Wer wäre dann der Kostenträger?

Viele Grüße,

Kasandra

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

Nobi69, Potsdam, Monday, 04.03.2024, 14:31 (vor 54 Tagen) @ Kasandra

Mir sind tatsächlich schon Gleichstellungsanträge abgelehnt worden, weil die Kollegen noch AU waren und nach Aussage des Amtes nicht sicher ist, dass sie überhaupt noch an den Arbeitsplatz zurückkehren werden.

Angeblich soll die Gleichstellung immer auf den aktuellen Arbeitsplatz bezogen sein. Rechtsanwälte und Referenten auf SBV Seminaren erklärten mir allerdings, dass diese Vorgehensweise der Ämter nicht korrekt sein soll.. :-(

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

Cebulon, Monday, 04.03.2024, 15:07 (vor 54 Tagen) @ Nobi69

Angeblich soll die Gleichstellung immer auf den aktuellen Arbeitsplatz bezogen sein.

So pauschal wohl Willkür, jedenfalls nicht zwingend: Denn dann könnten ja bspw. behinderte Arbeitslose überhaupt keine Gleichstellung beantragen …

Gruß,
Cebulon

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

Kasandra, Monday, 04.03.2024, 19:02 (vor 54 Tagen) @ Cebulon

Hallo,

meine Erfahrung mit der Gleichstellung.

Antrag aus der AU wird nicht bewilligt.

Antrag aus der Wiedereingliederung wird zurück gestellt, bis das Ergebnis der SWE vorliegt, bzw. wenn der MA wieder aktiv arbeitet gewilligt.

Antrag aus dem Arbeitsprozess, da gab es noch nie eine Ablehnung.

Ggf. liegt das auch an den unterschiedlichen Bundesländern?

Natürlich kann man die Gleichstellung auch zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nutzen. Dem entsprechend wird ja die Abfrage auch gestellt.


Viele Grüße,

Kasandra

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

garda, Berlin, Tuesday, 05.03.2024, 08:26 (vor 53 Tagen) @ krank123

§ 2 Abs. 3) SGB ) lautet:

Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Die internen Weisungen sagen dasselbe aber nicht selten tun die Sachbearbeiter so, als müssten sie jede Gleichstellung aus ihrer Kaffeekasse selbst bezahlen.

sollen ist ein gebundenes Ermessen, nach den Weisungen ist wohlwollend zu beurteilen, ein Vollbeweis ist nicht erforderlich.

geeigneten Arbeitsplatz ist der Arbeitsplatz den man hat und der ggf. angepasst und damit geeignet gemacht werden soll oder den man erlangen will.

nicht erlangen bedeutet nicht das es gleich ausgeschlossen sein soll es anders zu schaffen, es aber unwahrscheinlicher ist bzw. andersherum mit den dann möglichen Hilfen erleichtert wird.

nicht behalten bedeutet nicht die sofortige Kündigung, sondern auch Schutz vor Herabstufung, bei Beamten vor der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand, Anpassung des Arbeitsplatzes, Inanspruchnahme von internen und externen Regelungen für Schwerbehinderte und eben Gleichgestellte.

Natürlich kann damit keine Entfristung erzwungen werden (O-Ton einer Potsdamer Sachbearbeiterin am Telefon!!!) aber man kann damit sehr wohl einen Arbeitsplatz erlangen wollen, sonst gäbe es das Verfahren ja auch nicht für Arbeitslose (ebenfalls O-Ton am Telefon gegenüber einer anderen Antragstellerin).

Ich rate generell ab, bei diesem Antrag Telefonnummern anzugeben, denn es wird erfahrungsgemäß nicht selten angerufen und dann das Gespräch in bester Call-Center-Manier als Rückzug des Antrags umgedeutet. Geht man dagegen vor, war es natürlich ein Missverständnis.

Bitte macht euch klar, dass es einen Widerspruchsausschuss bei jeder Regionaldirektion gibt und die Erfolgsquote für Antragsteller im Mittel über 50 % liegt! Oft genügt es schon, im Widerspruch anzugeben, bei Nichtabhilfe den Fall vor diesen Ausschuss zu bringen und ganz plötzlich kommt der Bewilligungsbescheid.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Gleichstellungsantrag während Arbeitsunfähigkeit - Erlangensalternative

Phönix, NRW, Sunday, 10.03.2024, 02:51 (vor 48 Tagen) @ krank123

Hallo krank123,

mal ein paar Gedanken und auch Fragen zu deinem vorgetragenen Fall:

Die Gleichstellung abzulehnen ist hier eine korrekte Entscheidung, denn weder geht es darum einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz zu erhalten, noch zu erreichen! Wie du selbst geschrieben hast, ist kein behinderungsgerechten Arbeitsplatz vorhanden, welchen man erhalten könnte und um einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz zu erlangen, müsste man zumindest arbeitsfähig sein und dies scheint auch nicht gegeben zu sein, denn der Mitarbeitende ist seit Jahren AU.

Im Grundsatz könnte man sicherlich gegen die Entscheidung Widerspruch einlegen, nur was will der Beschwerdeführer vortragen, die Voraussetzungen für eine Gleichstellung sind wohl derzeitig nicht gegeben. Da hilft auch die Absichtserklärung, man wolle zeitnah seine Arbeit wieder aufnehmen wenig, denn was in der Zukunft sein wird ist keine ausreichende Begründung für eine positive Entscheidung in der Gegenwart! Die Bundesagentur für Arbeit würde auch vor einer Entscheidung zur Gleichstellung das Ergebnis der Wiedereingliederung abwarten, wenn ein solche durchgeführt werden soll. Die SBV ist aber nicht darin gehemmt, aus ihrer Sicht einen Vortrag im Widerspruchsverfahren zu leisten, wie die Situation von ihr wahrgenommen wird.

Der Denkansatz, mit der Gleichstellung habe ich auch Anspruch auf Leistungen aus der Ausgleichabgabe, mit denen man dann aus meinem ungeeigneten Arbeitsplatz einen geeigneten Arbeitsplatz macht, rechtfertigt keine Gleichstellung.

Wie hat sich denn der Arbeitgeber bisher verhalten?

Der Mitarbeitende ist ausgesteuert und kostet dem Arbeitgeber im Grunde nichts! Auch würde ich davon ausgehen, dass der Arbeitsplatz derzeitig von einem anderen Mitarbeitenden ausgefüllt wird (Krankheitsvertretung?). Wenn der Arbeitgeber bisher nichts unternommen hat, z.B. das Einfordern einer Gesundheitsprognose (z.B. über den ärztlichen Dienst der Krankenkasse), sehe ich auch keine Kündigungsgefahr. Bei einer langjährigen AU würde ich allerdings von einer negativen Gesundheitsprognose ausgehen. Dann hilft auch die Gleichstellung wenig gegen eine krankheitsbedingte Kündigung.

Im Grunde müsste ein BEM Verfahren eingeleitet werden, denn durch die abgelehnte EU Rente scheint ja eine Leistungsfähigkeit, wenn vielleicht auch nicht auf dem bisherigen Arbeitsplatz, gegeben zu sein. Hier stellt sich noch die Frage, ob gegen den ablehnenden Bescheid etwas unternommen wurde (Widerspruchs- und im Anschluss Klageverfahren)?

Denkbar sind viele Lösungswege, die aber im Einzelfall vom Mitarbeitenden (Fähigkeiten / Lebensalter) und den Möglichkeiten des Arbeitgeber (Größe, Struktur, Branche) abhängig sind. Steht ein geeigneter Arbeitsplatz in Aussicht, kann eine stufenweise Wiedereingliederung angestrebt werden oder auch eine Wiederaufnahme der neuen Tätigkeit in der Form, dass Resturlaub aus dem Vorjahr in der ersten Zeit der Wiederaufnahmen genommen wird (z.B. halbe Tage). Aber das sind Themen für den BR, die MAV oder PR, je nachdem was vorhanden ist, solange der Mitarbeitende weder schwerbehindert, noch gleichgestellt ist.

Betroffene Mitarbeitende klammern sich häufig an Wunschvorstellungen, die man natürlich auch haben darf. Aber ob diese dann auch realisiert werden können? In der Beratung sollte auch darauf hingearbeitet werden, den Horizont für weitere Lösungsansätze zu erweitern.

Gruß
Phönix

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