Präventionsverfahren während der Wartezeit (Allgemeines)

spid, Saturday, 20.04.2024, 17:33 (vor 387 Tagen)

Hallo,

was meint ihr bitte?

Werden noch weitere europäische Arbeitsgerichte, wobei ja für uns nur deutsche interessant sind, dem EUGH-Urteil Urteil vom 10. Februar 2022 - C-485/20 folgen?

Was meint ihr, wie es bzgl. ArbG Köln, 20.12.2023 - 18 Ca 3954/23 bzw. LAG Köln - 6 SLa 76/24 am 12.09.2024, 10:30 Uhr ausgehen wird bzw. könnte?

Danke Euch.

VG

Präventionsverfahren während der Wartezeit

Cebulon, Sunday, 21.04.2024, 17:30 (vor 386 Tagen) @ spid

Was meint ihr, wie es bzgl. ArbG Köln, 20.12.2023 - 18 Ca 3954/23 bzw. LAG Köln - 6 SLa 76/24 am 12.09.2024, ausgehen wird bzw. könnte?

Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, sagt der Volksmund: Das LAG Köln kann die Sache dem EuGH vorlegen, das BAG muss ggf. dem EuGH vorlegen unter der Voraussetzung des Art. 267 Satz 3 AEUV zur „Vorabentscheidung“. Aber auch das LAG Köln müsste gleichfalls unter diesen Voraussetzungen im Satz 3 an EuGH vorlegen, falls es Revision nicht zulassen sollte.

Bei einer unzureichenden Auseinandersetzung mit der Vorlagepflicht zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vgl. BVerfG, 08.11.2023 – 2 BvR 1079/20, das den Bundesfinanzhof gehörig abwatschte wegen einer offensichtlichen Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch den BFH durch Nichtvorlage an den EuGH – dass „niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf“ laut Grundgesetz entgegen Ansicht des BFH und des BMF namens der Bundesregierung …

Gruß,
Cebulon

Präventionsverfahren während der Wartezeit

Holländermichel, Gevelsberg, Friday, 26.04.2024, 13:09 (vor 381 Tagen) @ Cebulon

Hallo in die Runde,

zunächst mal wäre nach meiner Ansicht zu klären ob die SBV beim ersten Auftreten von Schwierigkeiten, die zur Gefährdung des AV führen könnten informiert wurde. Ist das nicht der Fall könnte ich mir, je nach Sachverhalt so eine Stellungnahme vorstellen:

"Nach § 167 SGB IX (Prävention) schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
Diese Verpflichtung besteht bei Schwerbehinderten auch in der Probezeit, unabhängig davon, dass in diesem Fall die Wartezeit nicht erfüllt wurde.

Zu meinem Bedauern ist mir von derartigen Schwierigkeiten bis zur Vorlage an den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung nichts bekannt geworden.

Der Vorlage lassen sich die Gründe, die zu einer Kündigung geführt haben nur unzureichend entnehmen. Zu den prägenden Gründen für die beabsichtigte Kündigung lässt sich der Vorlage jedenfalls nichts Wesentliches entnehmen, vielmehr wird allgemein auf XXXXX verwiesen (Sachverhalt). Diese sehr allgemein gehaltene Mitteilung widerspricht der erforderlichen umfassenden Unterrichtung der SBV vor einer beabsichtigten Kündigung.

Im Kommentar zum SGB IX von Dau/Düwell/Joussen zu § 178 SGB IX Rdn. 62wird ausgeführt, dass die SBV ihre Aufgaben aus § 178 Absatz 1 Satz 1 SGB IX, die Eingliederung zu fördern sowie beratend und helfend zur Seite zu stehen, nur erfüllen kann, wenn sie einen umfassenden Überblick über die Hintergründe der beabsichtigten Kündigung erhält. Die Unterrichtung zum Sachverhalt, der zum Anlass der Kündigung genommen werden soll, muss so umfassend sein, das sich die SBV ohne eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben.

Dabei würde es dem Eingliederungsgedanken widersprechen, wenn Gründe für die beabsichtigte Kündigung prägend wären, die behinderungsbedingt sind und ggf. durch organisatorische oder andere Maßnahmen beseitigt werden könnten.

All dies kann die Schwerbehindertenvertretung, da eine rechtzeitige und umfassende Unterrichtung bislang unterblieben ist, aber nur eingeschränkt feststellen. Dies erschwert eine qualifizierte Stellungnahme zusätzlich.

Der/Die Kollegin xxx zählt als Schwerbehinderte Person zu einem besonders geschützten Personenkreis. Zwar ist während der Probezeit der Kündigungsschutz dahingehend eingeschränkt, dass die Zustimmung des Integrationsamtes gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht erforderlich ist, jedoch hat der EUGH hat in seiner Entscheidung vom 10.02.2022, C-485/20 HR Rail nun geurteilt, dass die Kündigung von Schwerbehinderten auch in der Probezeit nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist:
Das belgische Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie der Kündigung eines Schwerbehinderten in der Probezeit entgegenstehen könne.
Dies hat der EuGH bejaht. Der Arbeitgeber ist vor Ausspruch einer Kündigung (die erfolgen soll, weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner Behinderung für seinen Arbeitsplatz ungeeignet ist) verpflichtet zu prüfen, ob der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann. Voraussetzung sei, dass der Arbeitnehmer die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist, sofern der Arbeitgeber durch diese Maßnahme nicht unverhältnismäßig belastet wird.
Daraus folgt, das bei der Kündigung eines/einer Schwerbehinderten in der Probezeit aufgrund fehlender Eignung wegen der Schwerbehinderung, der Arbeitgeber nunmehr zunächst zu prüfen hat, ob der Arbeitsplatz behindertengerecht ausgestaltet werden kann oder ob dem Schwerbehinderten ein anderer behindertengerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann. Diese Fragen wird ein Arbeitsgericht im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens auch in der Probezeit nunmehr berücksichtigen müssen.
Bei einer rechtzeitigen und umfassenden Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung hätte diese Frage im vorliegenden Fall auch bereits im Vorfeld geklärt werden können und müssen."

Das soll nur ein Denkanstoß/Diskussionsbeitrag in die Runde sein. Sokönnte man es jedoch versuchen.

L.G

Präventionsverfahren während der Wartezeit

pikdame, Saturday, 27.04.2024, 16:41 (vor 380 Tagen) @ Holländermichel

Hallo!

Wie ist das eigentlich, wenn es keine SBV gibt, sondern "nur" eine GSB? Übernimmt die 1:1 die Aufgaben, Rechte und Pflichten dee SBV bei zu kündigenden SBs?

Dankeschön.

LG

Präventionsverfahren während der Wartezeit

Cebulon, Saturday, 27.04.2024, 18:05 (vor 380 Tagen) @ pikdame

Wie ist das eigentlich, wenn es keine SBV gibt, sondern "nur" eine GSB? Übernimmt die 1:1 die Aufgaben, Rechte und Pflichten der SBV bei zu kündigenden SBs?

Ja klar - dann ist immer die GSBV zu beteiligen laut Rechtsprechung, was aber zuweilen übersehen wird gemäß § 180 Abs. 6 Satz 1 SGB IX wie folgt:

sowie die Interessen der schwerbehinderten Menschen, die in einem Betrieb oder einer Dienststelle tätig sind, für die eine SBV nicht gewählt ist

Ohne die vorherige Anhörung der GSBV würde eine solche Kündigung für unwirksam erklärt werden bei rechtzeitiger Klage vor dem Arbeitsgericht.

Gruß,
Cebulon

Präventionsverfahren während der Wartezeit

pikdame, Saturday, 27.04.2024, 20:30 (vor 380 Tagen) @ Cebulon

Tut mir Leid, ich meinte eine GleichStellungsBeauftragte, wenn es eine geben sollte und es keine Gesamtschwebehindertenvertretung gibt.

LG

Präventionsverfahren während der Wartezeit

albarracin, Baden-Württemberg, Saturday, 27.04.2024, 20:46 (vor 380 Tagen) @ pikdame

Hallo,

die gesetzlichen Rechte der SBV stehen auch nur der SBV zu - niemandem sonst.

--
&Tschüß

Wolfgang

GleichStellungsBeauftragte

Cebulon, Saturday, 27.04.2024, 20:48 (vor 380 Tagen) @ pikdame

Das hängt wohl allein vom jew. geltenden Recht für Gleichstellungsbeauftragte ab, ob zu beteiligen oder nicht, ist aber nicht Thema dieses SBV-Fachforums!

Gruß,
Cebulon

Präventionsverfahren während der Wartezeit

garda, Berlin, Monday, 29.04.2024, 09:00 (vor 379 Tagen) @ pikdame

Tut mir Leid, ich meinte eine GleichStellungsBeauftragte, wenn es eine geben sollte und es keine Gesamtschwerbehindertenvertretung gibt.


Es wäre einen Versuch wert hier zu bluffen und die Rechtsprechung im Rahmen der Aufgaben einer Gleib (= Gleichstellungsbeauftrage nach Bundesrecht) anzusprechen. Ein Votum wäre dann in der Welt, müsste aber mehr in Richtung Diskriminierung nach Bundesgleichstellungsgesetz formuliert werden.

Wer wohl eher rankäme wäre ein Personalrat im Rahmen seiner allgemeinen Wächterfunktion über die Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften. Besteht keine SBV, ist der PR gehalten besonders auf die Belange schwerbehinderter Beschäftigter zu achten auch wenn ihm das leider nicht die Rechte einer SBV verschafft und i.d.R. auch nicht die Kenntnisse.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Präventionsverfahren ist schon in der Wartezeit durchzuführen

Cebulon, Sunday, 15.09.2024, 14:00 (vor 239 Tagen) @ spid

Hallo,

Pressemitteilung des LAG Köln, 12.09.2024, 6 SLa 76/24, zu der Rechtsfrage der Unwirksamkeit einer „Wartezeitkündigung“ eines schwerbehinderten Menschen bei fehlendem Präventionsverfahren.

Gruß,
Cebulon

Präventionsverfahren während der Wartezeit?

albarracin, Baden-Württemberg, Monday, 16.09.2024, 11:34 (vor 238 Tagen) @ Cebulon

Hallo,

die Differenzierung des LAG Köln dahingehend, ob "wegen der Schwerbehinderung" gekündigt werden sollte, wirkt allerdings auch sehr konstruiert und nicht unbedingt mit dem Wortlaut des § 167 Abs. 2 vereinbar.

Im Übrigen hatte bereits das LAG Thüringen bereits im Juni 2024 auch unter Berücksichtigung des EuGH die BAG-Rechtsprechung von 2016 bestätigt.
https://landesrecht.thueringen.de/bsth/document/NJRE001585288

Da das Verfahren mittlerweile beim BAG anhängig ist (2 AZR 178/24), dürfte es hier dann demnächst Klarheit geben.

Grundsätzlich ist der belgische Fall nicht ohne weiteres mit deutschem Recht vergleichbar. Insbesondere lässt das belgische Recht eine sehr viel längere "Probezeit" zu - wohl bis zu 24 Monaten. Und da hat der EuGH - mE zu Recht - moniert, daß dieser Zeitraum, in dem ein AN nahezu völlig rechtlos ist, viel zu lang ist. Wie der EuGH deutlich kürzere Probezeiten wie zB in Deutschland bewertet,falls er eine Vorlage vom BAG bekommt, ist mE durchaus offen.

--
&Tschüß

Wolfgang

Präventionsverfahren während der Wartezeit?

MatthiasNRW, Monday, 16.09.2024, 13:36 (vor 238 Tagen) @ albarracin

Hallo,

die Differenzierung des LAG Köln dahingehend, ob "wegen der Schwerbehinderung" gekündigt werden sollte, wirkt allerdings auch sehr konstruiert und nicht unbedingt mit dem Wortlaut des § 167 Abs. 2 vereinbar.

Ich bin sehr gespannt auf die Begründung des LAG Köln, insbesondere mit Blick auf die "Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers", um eine Wartezeitkündigung nicht faktisch unmöglich zu machen.

Tatsächlich war der vorliegende Fall nicht einfach: Es ist nicht auszuschließen (vielleicht sogar zu vermuten), dass die frühkindlich erworbene Hirnschädigung des Mitarbeiters die Einarbeitung erschwert hat und ggf. präventive Maßnahmen durch Einbeziehung des Sachverstandes Dritter (z. B. des Inklusionsamtes oder des Integrationfachdienstes) eine Sicherung des Arbeitsverhältnisses hätte herbeiführen können. Fatalerweise war der Mitarbeiter aufgrund eines Kreubandrisses aber auch etliche Wochen arbeitsunfähig, so dass bereits die Erkrankungszeit ein Präventionsverfahren innerhalb der ersten sechs Monate deutlich erschwert hätte.

Dennoch bin ich der Überzeugung, dass der Leitsatz des BAG (Keine Verpflichtung des Arbeitgebers in den ersten sechs Monaten) nicht aufrecht erhalten werden kann. Aus dem Gesetz lässt sich eine entsprechende Einschränkung nicht herleiten. Angesichts der möglichen Beratungs- und Förderangebote durch Rehabilitationsträger und Integrationsämter bereits in den ersten sechs Monaten wäre es widersinnig, die Arbeitgeber hier völlig frei von jeder Verpflichtung zu stellen.

Für mich stellt sich eher die Frage, wie sich das BAG auf der "Rechtsfolgenseite" (Was, wenn kein Präventionsverfahren durchgeführt wird?) positioniert:
Wie wird in der Wartezeit die Beweislast im Sinne des AGG verteilt?
Wie sind bereits eingeleitete, aber in der Wartezeit faktisch nicht mehr zu beendende präventive Maßnahmen zu würdigen?
Welchen Stellenwert nehmen Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis ein, wenn diese keinen Zusammenhang mit der Schwerbehinderung aufweisen?

Die Durchführung von Prävention als auch das BEM sind keine formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung. Die Nicht-Durchführung führt (außerhalb der Wartezeit) regelmäßig zur Umkehrung der Beweislast.

Für die Wartezeitkündigung könnte diese Beweislastumkehr weniger stark ausgeprägt werden bzw. ganz entfallen. So dass im Ergebnis belegt werden müsste, dass ein Präventionsverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit das Beschäftigungsverhältnis in der Wartezeit hätte sichern können (ggf. durch Beweisaufnahme, z. B. Stellungnahme des Integrationsfachdienstes).

--
Gruß
Matthias

Präventionsverfahren ist schon in der Wartezeit durchzuführen

Cebulon, Monday, 16.09.2024, 23:33 (vor 238 Tagen) @ MatthiasNRW

Tatsächlich war der vorliegende Fall nicht einfach

Ja - Fragen über Fragen. Wir werden sehen, ob dieser Zweite Senat dem Sechsten Senat und Achten Senat des BAG folgt bzw. den Vorgang dem EuGH vorgelegt, sofern Revision erfolgen sollte gegen LAG Köln.

Bei einer unzureichenden Auseinandersetzung mit der Vorlagepflicht zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vgl. BVerfG, 08.11.2023, 2 BvR 1079/20, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf laut Grundgesetz.

Gruß,
Cebulon

Präventionsverfahren ist schon in der Wartezeit durchzuführen

Cebulon, Monday, 16.09.2024, 16:50 (vor 238 Tagen) @ albarracin

die Differenzierung des LAG Köln dahingehend, ob "wegen der Schwerbehinderung" gekündigt werden sollte, wirkt allerdings auch sehr konstruiert …

Ja, auch aus meiner Sicht in diesem Punkt äußerst fragwürdig begründet gemäß dem veröffentlichten Pressetext (LAG Köln, 12.09.2024 – 6 SLa 76/24). Kurzmeldung dazu vom Bund-Verlag und ESV.

Grundsätzlich ist der belgische Fall nicht ohne weiteres mit deutschem Recht vergleichbar. Insbesondere lässt das belgische Recht eine sehr viel längere "Probezeit" zu - wohl bis zu 24 Monaten.

Allerdings ist beispielsweise (auch) in Deutschland das Beamtenverhältnis auf Probe regelhaft sehr viel länger als 6 Monate, also m.E. auch zeitlich vergleichbar mit EuGH, 10.02.2022, C-485/20 [HR Rail SA] insoweit lt. dem Beamtenrecht des Bundes und der 16 Länder:

Probezeit im Beamtenbereich
„Die Probezeit dauert in der Regel drei Jahre; unter besonderen Bedingungen kann sie verkürzt oder auf maximal fünf Jahre ausgedehnt werden.“

Gruß,
Cebulon

RSS-Feed dieser Diskussion