Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Allgemeines)

Hartmut, Thursday, 12.04.2007, 07:05 (vor 6233 Tagen)

Hallo,

habe hier ein Problem mit der Frist zur Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber.
Ein Arbeitnehmer erkrankte am 16.02.07 (Freitag) u. schickte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Post an den Arbeitgeber, wo diese am 19.02.07(Montag) eintraf.
Das wurde als Fristüberschreitung angesehen (4 Tage) und in einer damit verbundenen Abmahnung diese Frist noch verschärft.
Formulierung in der Abmahnung: "Sie werden hiermit verpflichtet, uns mit dem 1.Kalendertag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen."

Ist diese Forderung rechtlich haltbar> Was ist, wenn die Erkrankung an einem Sa. oder So. erfolgt> Bei Vorlage am 1.Kalendertag ist der Postweg praktisch ausgeschlossen; was ist, wenn eine persönliche Zustellung krankheitsbedingt nicht möglich ist>

Bitte um kurze Info, was Ihr davon haltet und wo der genaue Gesetzeswortlaut darüber nachgelesen werden kann.

Danke!

Viele Grüße
Hartmut

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Hans-Peter-Semmler, Regensburg, Thursday, 12.04.2007, 08:17 (vor 6233 Tagen) @ Hartmut

Hallo Hartmut,
wenn dir die Antwort auch möglicherweise nicht gefällt kann aber trotzdem ein konstruktives Gespräch zwischen dem Koll. (mit dem BR) und AG zur Rücknahme der Attestpflicht bzw. Abmahnung führen.

» Das wurde als Fristüberschreitung angesehen (4 Tage)
... aus dem Arbeitsrecht (Kittner/Zwanziger):
§ 58 Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer hat das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach seinem subjektiven Kenntnisstand zu schätzen und mitzuteilen. Er darf nicht mit der Anzeige warten, bis eine ärztliche Diagnose vorliegt. Ein vorheriger Arztbesuch ist nicht notwendig. Mit der Verpflichtung zur Anzeige verlangt das Gesetz vom Arbeitnehmer nicht eine ärztliche Diagnose, sondern eine »Selbstdiagnose«. Der Arbeitgeber soll sich, da der Nachweis durch Attest ohnehin binnen drei Tagen zu erfolgen hat, darauf einstellen können, ob der Arbeitnehmer demnächst wieder am Arbeitsplatz erscheint oder nicht.

Das heisst, die Absendung per Post war korrekt, aber er hätte den AG am Freitag telefonisch informieren müssen.

» und in einer damit verbundenen Abmahnung diese Frist noch verschärft.
» Formulierung in der Abmahnung: "Sie werden hiermit verpflichtet, uns mit
» dem 1.Kalendertag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
» vorzulegen."
Das darf er. Geregelt im Entgeltfortzahlungsgesetz §5 Abs. 1 Satz 3
Dieses Verlangen des Arbeitgebers braucht nicht begründet zu werden. Es unterliegt aber der Grenze des Rechtsmissbrauchs. § 315 Abs. 1 BGB ist entsprechend anzuwenden.
Auch kann ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegen, wenn der Arbeitgeber – ohne erkennbaren sachlichen Grund – nur bei bestimmten Arbeitnehmern frühere Vorlage verlangt.

In Betrieben mit Betriebsrat besteht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Frage, ob, wann und unter welchen Voraussetzungen die Arbeitsunfähigkeit vor dem vierten Tag nachzuweisen.

PS: Eventuell kann die Attestpflicht auch in einem Tarifvertrag geregelt sein.

--
Herzlichen Gruß
Hans-Peter

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ede vom Bayerwald, Thursday, 12.04.2007, 08:47 (vor 6233 Tagen) @ Hans-Peter-Semmler

Hallo Hartmut,

hier ein Urteil aus dem I-Net vom BAG

BAG, 25.01.2000 - 1 ABR 3/99

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Mitbestimmung des Betriebsrats

1. Die nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG zulässige Anweisung des Arbeitgebers, Zeiten der Arbeitsunfähigkeit unabhängig von deren Dauer generell durch eine vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorzulegende Bescheinigung nachzuweisen, betrifft eine Frage der betrieblichen Ordnung im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

2. Das danach bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist nicht durch das Entgeltfortzahlungsgesetz ausgeschlossen. § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG eröffnet dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob und wann die Arbeitsunfähigkeit vor dem vierten Tag nachzuweisen ist. Bei dieser Regelung hat der Betriebsrat mitzubestimmen.

Quelle: >>[link=http://dejure.org/dienste/lex/EntgFG/5/1.html]<<

Also ist solch eine Forderung immer Mitbestimmungspflichtig. Hat diese Forderung nach ärztlicher Bescheiinigung ab erstem Krankheitstag dem PR/BR vorgelegen und hat der zugestimmt>
Wenn nicht richt das mir SEHR nach Formfehler in der Abmahnung und damit Hinfälligkeit der selben!

Soweit mir bekannt muss solch eine Forderung nach ärztlichem NAchweis ab dem ersten Krankheitstag eine allgemeine betriebliche Übung sein, also von jedem Betriebsmitglied verlangt werden.
Wenn dies nur von einzelnen Kollegen gefordert wird, so müssen schwerwiegende Gründe vorliegen (also z.B. die bekannte Montagskrankheit oder Schulferienbeginnkrankheit u.ä.), also Betrugsverdacht, um dies so zu verlangen.
Wenn Verdacht besteht (begründeter!)dass auch die Krankmeldungen weiterhin nicht stimmen, kann der AG Antrag stellen bei der Krankenkasse auf Überprüfung der Diagnosen. Die werden ihren Medizinischen Dienst einschalten.

Eine Entbindung von der Schweigepflicht des Arztes gegenüber dem AG sollte grundsätzlich nicht erfolgen, denn der hat in der Regel keinen medizinischen Sachverständigen, der Diagnosen beurteilen kann.
Und nach Auskunft meines Arztes ist das genannte der vorgesehene Rechtsweg(Kasse/MD).
Diagnosen dürfen dem AG grundsätzlich nicht genannt werden, (Datenschutz!!)es sei denn, die Erkrankung würde die Erfülluung der geschuldeten Arbeitspflicht unmöglich machen. Da besteht sogar Mitteilungspflicht!
Die einzige Ausnahme der Übermittlung einer Diagnose an den AG ist die freiwillige Mitteilung durch den Betroffenen selber. Dies darf aber, soweit diese Diagnose den Arbeitsplatz nicht substanziell betrifft auch weiterhin nicht in die Personalakte aufgenommen werden!

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Hartmut, Friday, 13.04.2007, 07:49 (vor 6232 Tagen) @ Ede vom Bayerwald

Hallo Ede,
an die Unwirksamkeit infolge Formfehler haben wir auch schon gedacht, aber wo sollte das vorgebracht werden - bei der Personalabteilung oder dann beim Arbeitsgericht>

Vielen Dank!

Gruß
hartmut

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ede vom Bayerwald, Friday, 13.04.2007, 08:18 (vor 6232 Tagen) @ Hartmut

Hallo Hartmut,

Also vorbringen würde ich so etwas nur SEHR sparsam!!

Eine durch Formfehler ungültige Abmahnung ist immer ungültig!, auch wenn sie im Personalakt verbleibt in der irrigen Annahme, weil nicht beklagt, dass sie rechtskräftig wäre.

Eine Kündigung, die sich auch auf eine mit Formfehler behaftete Abmahnung bezieht (auch dann, wenn diese nur ein Grund von mehreren ist!) ist gruundsätzlich ungültig/unwirksam!!!

Es ist nuun eine Taktikfrage, was man tut. Fakten sammeln, warum die Abmahnung fehlerhaft ist und schweigen (es gibt keine Fristen um gegeen Abmahnung zu klagen!) um Beweise zu haben, wenn es zur Kündigungsschutzklage kommen sollte, womöglich nach Jahren.
Oder gleich klagen um die Abmahnung aus der Akte zu bekommen.

Klagt man gegen die Abmahnung und bekommt Recht, so weiß der AG in Zukunft besser Bescheid und macht den gleiche Fehler wohl nicht mehr! Wieder eine korrekte und rechtswirksame Abmahnung mehr!

Seid vorsichtig und besprecht euch eventuell mit der Gewerkschaft oder dem RA.

Und wie gesagt einfach FAkten sammeln.
Übrigens eine versäumte Beteiligung der SBV VOR der Entscheidung des AG ist in der Regel durch nachträgliche Beteiligung NICHT heilbar!!

Gruß Ede

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Hans-Peter-Semmler, Regensburg, Friday, 13.04.2007, 08:30 (vor 6232 Tagen) @ Hartmut

» wo sollte das vorgebracht werden - bei der Personalabteilung oder dann
» beim Arbeitsgericht>

Schau mal unter A-Z beim Stichwort "Abmahnung".

--
Herzlichen Gruß
Hans-Peter

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Hartmut, Friday, 13.04.2007, 07:45 (vor 6232 Tagen) @ Hans-Peter-Semmler

Vielen Dank, damit kommen wir wieder ein Stück weiter.
Gruß
Hartmut

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ingo Roida @, Hamburg, Monday, 30.04.2007, 18:58 (vor 6214 Tagen) @ Hartmut

Hallo Leute,
bekomme ich irgendwas hier gar nicht mit> Es geht hier m.E. gar nicht darum, dass die AU vor dem dritten Tag bescheinigt werden muss, sondern der AG hat sich darüber aufgeregt, dass die Bescheinigung vom ersten Tag erst am vierten Tag bei ihm war. M.E zu Unrecht, weil der dritte Tag auf einen Sonntag fiel und insofern die Frist erst am Montag enden kann. Insoweit kann ich hier nicht erkennen, dass der Kollege hier etwas falsch gemacht hat. Gerade ein erkrankter Mitarbeiter kann die Bescheinigung unmöglich am ersten Tag hinbringen, schon gar nicht am Sonntag bei seinem Arbeitgeber einwerfen, der sie auch erst am Montag lesen kann.
Ich meine, die Frage müsste eigentlich heißen: Wann muss dem Arbeitgeber die am ersten Tag attestierte AU-Bescheinigung vorgelegt werden> Und da kann m.E. eine Frist nicht am Wochenende ablaufen. Was wäre denn mit den Fällen, wenn man am Samstag zum Notarzt geht und Montag und Dienstag sind zB 1+2 Weihnachtstag>
Also, falls ich das alles falsch verstanden habe, dann berichtigt mich bitte.
Viele Grüße aus HH
Ingo

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Hans-Peter-Semmler, Regensburg, Monday, 30.04.2007, 19:03 (vor 6214 Tagen) @ Ingo Roida

...es geht nicht darum, dass die Bescheinigung erst am vierten Tag beim AG war, sondern darum, dass der Koll. am ersten Tag (telefonisch) Bescheid geben (lassen) müsste.

... hier nochmal der Text aus dem Arbeitsrecht (Kittner/Zwanziger):
§ 58 Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer hat das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach seinem subjektiven Kenntnisstand zu schätzen und mitzuteilen. Er darf nicht mit der Anzeige warten, bis eine ärztliche Diagnose vorliegt. Ein vorheriger Arztbesuch ist nicht notwendig. Mit der Verpflichtung zur Anzeige verlangt das Gesetz vom Arbeitnehmer nicht eine ärztliche Diagnose, sondern eine »Selbstdiagnose«. Der Arbeitgeber soll sich, da der Nachweis durch Attest ohnehin binnen drei Tagen zu erfolgen hat, darauf einstellen können, ob der Arbeitnehmer demnächst wieder am Arbeitsplatz erscheint oder nicht.

--
Herzlichen Gruß
Hans-Peter

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