Mitwirkung ohne schwerbehinderte Bewerber (Einstellung)

wozim, Tuesday, 20.11.2007, 10:32 (vor 6020 Tagen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vorab, ich bin BR-Mitglied und keine Sbv.

Bei uns baut sich langsam ein Konflikt auf, den wir gerne beseitigen möchten.

Nach ihrem letzten Seminar verlangt unsere Sbv vom AG, generell alle Bewerbungsunterlagen im Vorfeld zu erhalten, damit sie prüfen kann, ob Bewerbungen schwerbehinderter Kandidaten vorliegen. Obwohl nie etwas in dierer Richtung vorgefallen ist, meint sie, diese Kontrollfunktion ausführen zu müssen.

Sie verlangt gleichzeitig, auch in Einstellungsprozessen ohne schwerbehinderte Bewerber (weder von der Arbeitsagentur vorgeschlagene noch normale Bewerber) einbezogen zu werden.

Das bedeutet erneute Einsicht in die Bewerbungsunterlagen und Erörterung mit dem AG, warum ein bestimmter Bewerber eingestellt werden soll.
Ihre Begründung ist, dass die neueingestellten Kollegen/Kolleginnen ja vielleicht mit schwerbehinderte Kollegen/Kolleginnen zusammen arbeiten würden.
Somit könnte bei jeder Einstellung ein Schwerbehinderter oder eine Gruppe Schwerbehinderter berührt sein.

Der AG, der seiner Informationspflicht eigentlich immer umfassend nachgekommen ist, wird dadurch zunehmend verärgert und unwilliger, ihren, wie er meint unberechtigten Forderungen nachzukommen. Die gesamte, im Gesetzt vorgeschriebene Prozedur (Einbeziehung der Sbv bei Stellenausschreibungen, sofortige Meldung schwerbehinderter Bewerbungen und die weitere Beteiligung am Einstellungsprozess sind für den AG selbstverständlich).

Jetzt sollen wir als Betriebsrat ihre Ansprüche durchsetzen.

Einerseits möchten wir unsere Sbv unterstützen, auf der anderen Seite finden wir keine rechtliche Grundlage für ihre Forderungen.
Diese kann sie uns auch nicht nennen sondern bezieht sich nur auf Aussagen des letzten Seminares und eine Änderung des SGB IX mitte diesen Jahres.

Das bezieht sich nur auf die Forderung, im Vorfeld die Bewerbungsunterlagen zu prüfen, und auf die Forderung, bei Einstellungen ohne Beteiligung einer
schwerbehinderten Person, mitwirken zu können.

Vielleicht könnt ihr uns ja weiter helfen, den aufkommenden Konflikt im Vorfeld zu entschärfen.

Vielen Dank

Mitwirkung ohne schwerbehinderte Bewerber

hackenberger, Tuesday, 20.11.2007, 11:15 (vor 6020 Tagen) @ wozim

Hallo,

erst einmal ein Danke und ein Lob an den BR, welcher hier bemüht ist sich für die Belange und auch die Interessen und auch die Rechte der SchwbV einzusetzen. Vor allem aber dafür, dass er offensichtlich auf gute vertrauensvolle Zusammenarbeit bemüht ist und diese auch umsetzt.

So nun zum Thema selbst.

Die SchwbV erhebt hier Ansprüche welche so nicht mit dem SGB IX in Gänze begründbar sind.

Ja, der AG muss bei der Besetzung/Planung neuer Stellen die SchwbV gem § 81 (1) einbeziehen.

§ 81 Satz 1 lautet:
Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit beim Arbeitsamt arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können.
§ 81 Satz 6 lautet:
Bei der Prüfung nach Satz 1 beteiligen die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 und hören die in § 93 genannten Vertretungen an.
In diesen Prüfungsprozess ist die SchwbV somit gem. § 95 (2) einzubeziehen. Hierbei ist auch zu prüfen, ob ggf. bereits im Betrieb beschäftigte Schwerbehinderte für die Stelle geeignet sind und bei entsprechender Berücksichtigung beschäftigungsgesichert werden können. Auch hierbei ist die SchwbV gem. § 95 (2) zu beteiligen.

Über Bewerbungen Schwerbehinderter/Gleichgestellter ist die SchwbV unmittelbar nach Eingang der Bewerbung zu unterrichten. Sofern unter den Bewerbern auch nur eine Bewerbung eines Schwerbehinderten/Gleichgestellten ist, hat die SchwbV das Recht die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber zu sehen ebenso das Teilnahmerecht an allen Bewerbungsgesprächen. Hintergrund ist hier, dass die SchwbV die Möglichkeit hat vergleichen zu können, dass hier keine Unterschiede erfolgen.

Liegen keine Bewerbungen Schwerbehinderter/Gleichgestellter vor, kenne ich keine Rechtsgrundlage der SchwbV für die Einsichtnahme in die Bewerbungsunterlagen bzw. Teilnahmerecht in den Bewerbungsgesprächen.

Eine abweichende Regelung kann es geben, sofern es um die Besetzung einer Führungsposition geht. Hier sehe ich einen Anspruch der SchwbV gem. § 95 (2) gehört/eingebunden zu werden (Möglichkeit der Stellungnahme), da diese ja ggf. auch Schwerbehinderte führt. Hier könnte es ja Gründe geben z.B. bekannte negative Einstellung zum Thema Schwerbehinderung.

Es gab im diesem Jahr hier auch keine Änderung im SGB IX. Auch im AGG welches in diesem Jahr in Kraft trat, sehe ich keine Rechtgrundlage für diese Forderungen der SchwbV.

In der BR-Sitzung hat die SchwbV aber das Recht alle Unterlagen einzusehen und sich auch zu allen Punkten/Fakten/Bewerbern zu äußern und auch ggf. Vorschläge hinsichtlich der

Mitwirkung ohne schwerbehinderte Bewerber

wozim, Thursday, 22.11.2007, 07:19 (vor 6018 Tagen) @ hackenberger

Vielen Dank für die schnelle und umfassende Antwort.
»
» So nun zum Thema selbst.
»
» Die SchwbV erhebt hier Ansprüche welche so nicht mit dem SGB IX in Gänze
» begründbar sind.
»
» Ja, der AG muss bei der Besetzung/Planung neuer Stellen die SchwbV gem §
» 81 (1) einbeziehen.
»
» § 81 Satz 1 lautet:
» Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit
» schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit beim Arbeitsamt arbeitslos
» oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden
» können.

» § 81 Satz 6 lautet:
» Bei der Prüfung nach Satz 1 beteiligen die Arbeitgeber die
» Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 und hören die in § 93
» genannten Vertretungen an.

» In diesen Prüfungsprozess ist die SchwbV somit gem. § 95 (2)
» einzubeziehen. Hierbei ist auch zu prüfen, ob ggf. bereits im Betrieb
» beschäftigte Schwerbehinderte für die Stelle geeignet sind und bei
» entsprechender Berücksichtigung beschäftigungsgesichert werden können.
» Auch hierbei ist die SchwbV gem. § 95 (2) zu beteiligen.
»
» Über Bewerbungen Schwerbehinderter/Gleichgestellter ist die SchwbV
» unmittelbar nach Eingang der Bewerbung zu unterrichten. Sofern unter den
» Bewerbern auch nur eine Bewerbung eines Schwerbehinderten/Gleichgestellten
» ist, hat die SchwbV das Recht die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber zu
» sehen ebenso das Teilnahmerecht an allen Bewerbungsgesprächen. Hintergrund
» ist hier, dass die SchwbV die Möglichkeit hat vergleichen zu können, dass
» hier keine Unterschiede erfolgen.

Alle angesprochenen Punkte werden vom AG ohne Aufforderung erfüllt. Er ist normalerweise sehr um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bemüht.

Bemerken möchte ich noch, dass wir ein Forschungsunternehmen mit einer sehr hohen Mitarbeiterfluktuation sind.
100 bis 150 Einstellungen pro Jahr (meist Doktoranden, Stipendiaten, Postdocs).


»
» Liegen keine Bewerbungen Schwerbehinderter/Gleichgestellter vor, kenne ich
» keine Rechtsgrundlage der SchwbV für die Einsichtnahme in die
» Bewerbungsunterlagen bzw. Teilnahmerecht in den Bewerbungsgesprächen.

Da auf ca. 90% aller ausgeschriebenen Stellen keine Bewerbungen schwerbehinderter Menschen vorliegen, ist dem AG der Zeitaufwand für die zusätzlichen Erörterungen auf Dauer einfach zu hoch.
»
» Eine abweichende Regelung kann es geben, sofern es um die Besetzung einer
» Führungsposition geht. Hier sehe ich einen Anspruch der SchwbV gem. § 95
» (2) gehört/eingebunden zu werden (Möglichkeit der Stellungnahme), da diese
» ja ggf. auch Schwerbehinderte führt. Hier könnte es ja Gründe geben z.B.
» bekannte negative Einstellung zum Thema Schwerbehinderung.
»
» Es gab im diesem Jahr hier auch keine Änderung im SGB IX. Auch im AGG
» welches in diesem Jahr in Kraft trat, sehe ich keine Rechtgrundlage für
» diese Forderungen der SchwbV.
»
» In der BR-Sitzung hat die SchwbV aber das Recht alle Unterlagen einzusehen
» und sich auch zu allen Punkten/Fakten/Bewerbern zu äußern und auch ggf.
» Vorschläge hinsichtlich der

Die Teilnahme an den BR-Sitzungen nimmt unsere SBV leider sehr selten wahr. Das dürfte auch mit ein Grund sein, weshalb sie alle Unterlagen, auch ohne schwerbehinderte Bewerber, bekommen möchte.

Im Augenblick beharren beide Seiten auf ihren Standpunkten. Mal sehen, was sich ergibt.

Noch einmal vielen Dank!

Mitwirkung ohne schwerbehinderte Bewerber

Ede vom Bayerwald, Thursday, 22.11.2007, 09:36 (vor 6018 Tagen) @ wozim

Hallo,

» Die Teilnahme an den BR-Sitzungen nimmt unsere SBV leider sehr selten
» wahr. Das dürfte auch mit ein Grund sein, weshalb sie alle Unterlagen,
» auch ohne schwerbehinderte Bewerber, bekommen möchte.
» Im Augenblick beharren beide Seiten auf ihren Standpunkten. Mal sehen, was
» sich ergibt.

nur als kleinen Hinweis, wenn die SBV grundsätzlich eingeladen ist zum BR/PR aber nimmt diese Termine wiederholt nicht wahr, so sollte man den Menschen mal darauf hinweisen, dass dies böswillige Zeitgenossen dazu verwenden könnten, die SBV abzusetzen wegen Vernachlässigung der Mandatsausgaben.
Auch das Vorhandensein der besten Unterlagen kann diesen Vorwurf nicht entkräften.

Das Ehrenamt der SBV bringt halt auch Pflichten mit sich, die man wahrnehmen muss, ob es einem paßt oder nicht.

Gruß Ede

Mitwirkung ohne schwerbehinderte Bewerber

Charly Braun, Wednesday, 28.11.2007, 12:26 (vor 6012 Tagen) @ wozim

Werter Interessenvertreter,

hinsichtlich Deiner Ausführungen darf ich auf die Rechtspflicht des Betriebsrates etc. im Sinne des § 99 I ud II SGB IX hinweisen, wonach die dort genannten Institutionen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben in dem Betrieb oder der Dienststelle eng zusammenarbeiten und sich gegenseitig bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen müssen. Vor diesem Hintergrund darf ich auf die Ausführungen des § 95 II SGB IX, insbesondere auf Satz 3 verweisen. Hier ist unstreitig der Willensbekundung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass die Schwerbehindertenvertretung das Recht zur Einsicht in die Entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen hat und an allen Vorstellungs- [und Abschluss]gesprächen auch mit nicht behinderten Bewerbern teilzunehmen.
Weitere Normenregelungen in der Sache sollten doch allen Interessenvertretern im täglichen zwischenmenschlichten Miteinander zum Wohle und Interesse der "schutzbefohlenen" Kolleginnen und Kollegen geläufig sein und auch entsprechend gelebt und angewendet werden, weshalb hier nicht weiter darauf hingewiesen werden muss.
Beste Grüße
Charly Braun

Mitwirkung der SBV ohne schwerbehinderte Bewerber

Wolfgang E., Thursday, 29.11.2007, 18:36 (vor 6011 Tagen) @ wozim

» Nach ihrem letzten Seminar verlangt unsere SBV vom AG, generell alle Bewerbungsunterlagen im Vorfeld zu erhalten, damit sie prüfen kann, ob Bewerbungen schwerbehinderter Kandidaten vorliegen...

Da hat die SBV auf dem Seminar wohl etwas ganz offensichtlich missverstanden. Die Auffassung des BMAS zur Beteiligung der SBV in Stellenbesetzungsverfahren ist nachzulesen in seiner SGB IX-Broschüre mit "Fragen und Antworten zur Praxis". Demnach ist schon nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX grundlegende Voraussetzung für das Recht, alle Bewerbungsunterlagen einzusehen, dass es wenigstens eine Bewerbung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Menschen für die freie Stelle gibt, was Bernhard ja bereits zutreffend erwähnte. Nur in diesem Fall ist die SBV gefordert, die Bewerbungsunterlagen zu vergleichen und eine "begründete Stellungnahme" abzugeben.

» Wir finden keine rechtliche Grundlage. Die SBV bezieht sich nur auf Aussagen des letzten Seminares und eine Änderung des SGB IX mitte diesen Jahres.

Im Jahre 2007 wurde lediglich § 20, § 21 und § 143 SGB IX geändert. Keine dieser drei Vorschriften betrifft auch nur ansatzweise das Stellenbesetzungsverfahren.

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