Berechnung der Beschäftigungsquote nach § 71 SGB IX Leiharbeiter (Leih- bzw. Zeitarbeit)

pit47, Wednesday, 17.12.2008, 11:19 (vor 5618 Tagen)

Hallo zusammen,
wenn im Betrieb 60 Arbeitsplätze dauerhaft über das Jahr mit wechselnden Leiharbeitnehmern besetzt werden, müssen diese Arbeitsplätze bei der Berechnung der Beschäftigungsquote nach § 71 Abs. 1 berücksichtigt werden>

Viele Grüße aus der Lüneburger Heide
Hansjörg Wittschieber
Schwerbehindertenvertrauensmann

Berechnung der Beschäftigungsquote nach § 71 SGB IX Leiharbeiter

hackenberger, Wednesday, 17.12.2008, 11:42 (vor 5618 Tagen) @ pit47

Hallo Hansjörg Wittschieber,

Leiharbeitnehmer werden beim Verleiher mitgezählt.

Auch hier hilft uns ein Blick in den [link=http://shop.wolterskluwer.de/wkd/product/31146000/>sid=ff6rjb9su70frrnlearro4m583]Kommentar zum SGB IX von Knittel [/link]weiter. Dort heißt es unter der Rn 7b zum § 73

Leiharbeitnehmer sind Betriebsangehörige des Verleiherbetriebs. Sie stehen nach § 1 Abs. 1 AÜG zu dem Betriebsinhaber in einem Arbeitsverhältnis. Durch ihre vorübergehende Eingliederung in die Betriebsorganisation eines fremden Betriebs wird ihre Zuordnung zum Entsendebetrieb nicht aufgehoben, wie aus § 14 Abs. 1 AÜG folgt (BAG Beschluss vom 19. Juni 2001 = BAGE 98, 60 = NZA 2001, 1263 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Leiharbeitnehmer). Deshalb wird ihr Arbeitsplatz i. S. des § 73 Abs. 1 SGB IX dem Entsendebetrieb zugerechnet (BVerwG Urteil vom 13. Februar 2001 = BVerwGE 115, 312 = NZA 2002, 385; LSG Baden-Württemberg Urteil v. 18. Oktober 2001 – L 12 AL 3608/99 = EzAÜG SGB IX Nr. 2). Eine Zurechnung zum Entleiherbetrieb kommt nur in Betracht, wenn eine Verleiherlaubnis fehlt und deshalb nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert wird (LPK-SGB IX / Düwell Rdnr. 9). Das gilt auch dann, wenn der Leiharbeitnehmer nicht nur kurzfristig im Entleiherbetrieb eingesetzt wird (Ernst / Adlhoch / Seel / Kuhlmann Rdnr. 16). Allerdings wird im Schrifttum auch vertreten, dass nach einer gewissen Dauer des Einsatzes – die angegebene Zeitspanne reicht von acht Wochen (GK-SGB IX / Großmann Rdnr. 55) über drei Monate (Müller-Wenner / Schorn Rdnr. 6) bis zu mehr als zwölf Monaten (Neumann u. a. / Neumann Rdnr. 23) – der entsendete Arbeitnehmer (zumindest auch) dem Entleiherbetrieb zugerechnet werden müsse. Andernfalls könnten sich Arbeitgeber durch wiederholten und verstärkten Einsatz von Leiharbeitnehmern ihrer Beschäftigungspflicht gegenüber schwerbehinderten Menschen entziehen (so Müller-Wenner / Schorn Rdnr. 6). Auch wenn diesem Argument zumindest theoretisch eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, muss doch aus Gründen der Rechtsklarheit und Verwaltungsvereinfachung auf die vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgestellt werden, sodass es bei der Zurechnung zum Entsendebetrieb bleibt (Ernst / Adlhoch / Seel / Kuhlmann Rdnr. 16). Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, dass der Gesetzgeber durch Neufassung des § 7 Satz 2 BetrVG und § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG mit Wirkung vom 28. Juli 2001 Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb nunmehr das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat eingeräumt hat, wenn sie dort länger als drei Monate eingesetzt werden (vgl. hierzu Müller-Wenner / Schorn a. a. O.). In der Begründung zu dieser Neuregelung (vgl. BT-Drucks. 14/5741 S. 28) ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass damit Leiharbeitnehmer lediglich “betriebsverfassungsrechtlich aus der Randbelegschaft an die Stammbelegschaft herangeführt werden” sollen, “ohne sie in rechtlich unzutreffender Weise als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebes einzustufen” (vgl. BVerwG Urteil vom 13. Februar 2001 a. a. O.).


Aber:

Der AG muss bei jeder Besetzung freier Stellen (Ap) seiner Prüfungspflicht gem. § 81 (1) nachkommen/ beachten.

Diese Prüfungspflicht beinhaltet sowohl die Prüfung ob der jeweilige zu besetzende Ap für die Beschäftigung eines Schwerbehinderten geeignet ist und ob insbesondere mit einem bei der Agentur für Arbeit (*1) als arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten Schwerbehinderten/ Gleichgestellten, besetzt werden kann. Das Prüfungsgebot besteht unabhängig davon, ob bereits Bewerbungen schwerbehinderter Arbeitnehmer vorliegen (ErfK / Rolfs Rdnr. 1). Auch unabhängig davon ob der AG seine Beschäftigungspflicht erfüllt hat oder überhaupt beschäftigungspflichtig ist.

In diese Prüfungspflicht hat der AG gem. § 81 (1) Satz 6 hat er sowohl die SchwbV gem. § 95 (2) zu beteiligen und die in § 93 SGB IX genannten Vertretung (Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrates) zu hören.

Das LAG Hamm hat in einem Urteil vom 21.12.2007, AZ: 4 Sa 1892/06) festgestellt, dass Arbeitsplätze auf welchen Leiharbeitnehmer und Aushilfen beschäftigt werden als freie Stellen/ Ap zu betrachten sind: daher sind diese Stellen gem. § 81 (1) SGB IX zu berücksichtigen.

Auch das ArbG Frankfurt/ Main hat in einem Urteil vom 28.5.2008 - Az: 7 BV 1446/07 festgestellt, Leiharbeitnehmer können nicht so einfach eingestellt werden!

Auch aus diesen beiden Urteilen ergibt sich somit, dass der AG hier die Beteiligung/ Mitbestimmung der in § 93 SGB IX genannten Vertretungen (z.B. BR/PR) und den § 81 (1) und § 95 (2) SGB IX zu beachten hat.

Eine Missachtung dieser Rechtsgrundlagen / Gesetzen ergibt für die in § 93 SGB IX genannten Vertretungen (z.B. BR/PR) das Recht einer Einstellung die Zustimmung zu verweigern, Verweigerungsgrund „Missachtung eines Gesetzes“, BAG v. 14.11.1989.

Daher sollten SchwbV im Rahmen ihrer Beteiligung an den entsprechenden Gremiensitzungen, z.B. BR-Sitzung, auf diese Pflichten des AG und den Rechten Vertretungen hinweisen. Sie sollten bei Missachtung der Pflichten des AG die Vertretungen (z.B. BR/PR) auffordern, wegen Verstoß gegen ein Gesetz die Zustimmung zur Einstellung zu verweigern.

Sie könnten dann auch ggf. gem. § 95 (4) SGB IX ggf. den Beschuss der Vertretung (z.B. BR/PR) aussetzen und auch gem. § 95 (2) die geplante Maßnahme des AG aussetzen.


Fußnoten:
(*1) Achtung nicht abschließend; daher können hier also ggf. auch Anfragen bei Berufsföderungswerken notwenig sein.


Die letztlich entscheidende Frage hier bleibt aber, was will man (Du) hier erreichen>

Ich tendiere hier dann zu dem die Rechte bzw. die Pflichten des AG aus § 81 SGB IX umzusetzen, also nicht das Thema "Pflichtquotenerfüllung" abzuheben.

Dieses auch, weil die Anrechung auf die zu besetzende Pflichtplätze ja schon den Verleiher trifft und es hier auch unterschiedliche Rechtsauslegungen gibt. Weiter muss auch bei Nichteinhaltung der Pflichtquote auch der Verleiher die Fehlbelegungsabgabe zahlen und auch er hat den § 81 (1) SGB IX zu beachten.

Diese Pflicht und Abgaben nun zwei AG, also Verleiher und Entleiher zuzurechnen dürfte letztlich rechtlich nicht möglich sein.

Als SchwbV sollte man daher hier auf den AG zugehen und ihn auffordern seine Pflichten aus § 81 SGB IX zu beachten. Weiter ihn bitten (auffordern) sofern er Leiharbeitnehmer beschäftigen möchte auch beim Verleiher nach schwerbehinderten/ gleichgestellten Leiharbeitnehmern nach zu fragen.

Hier ein Beitrag zum Thema "Pflichten des Arbeitgebers bei der Stellenbesetzung"

Berechnung der Beschäftigungsquote nach § 71 SGB IX Leiharbeiter

pit47, Monday, 22.12.2008, 09:34 (vor 5613 Tagen) @ pit47

Hallo Bernhard,
gilt der § 81 SGB IX auch dann, wenn der Arbeitsplatz mit wechselnden Leiharbeitnehmern jeweils für 1 Woche beantragt wird. Angeblich kann unsere Geschäftsleitung immer nur eine Planung für 1 Wochen machen, weil unser einziger Kunde das Arbeitsvolumen immer nur für 1 Woche vorgibt. Zum Beispiel, in der KW 01 sind 1.000 Stunden geplant und in der KW 01 kommt dann die Vorgabe für KW 02 mit 4.500 Stunden u.s.w..
Im Jahresmittel ergeben sich dann ca. 60 Arbeitsplätze die mit wechsenden Leiharbeitnehmern jeweils für eine Woche besetzt werden.
Unser BR hat nach § 92a BetrVG schon verlangt, dass mindestens 30 Mitarbeiter für diese Tätigkeiten eingestellt werden.
Aber GL hat gesagt, es könnte nicht vorausgesagt werden, ob dieses Arbeitsvolumen jede Woche von unseren Kunden verlangt wird.

Ich wünsche allen ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in "Neue Jahr".

Hansjörg

Berechnung der Beschäftigungsquote nach § 71 SGB IX Leiharbeiter

hackenberger, Monday, 22.12.2008, 09:50 (vor 5613 Tagen) @ pit47

Hallo Hansjörg,

» gilt der § 81 SGB IX auch dann, wenn der Arbeitsplatz mit wechselnden
» Leiharbeitnehmern jeweils für 1 Woche beantragt wird.
Ja!

Hier noch ein Auzug aus dem [link=http://shop.wolterskluwer.de/wkd/product/31146000/>sid=ff6rjb9su70frrnlearro4m583]Knittel-Kommentar[/link] zum § 81 (1)

Rn 15
§ 81 SGB IX gilt grundsätzlich auch für Zeitarbeitnehmer (Edenfeld NZA 2006, 126). Deren Arbeitgeber müssen prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden könnten. Im Fall erlaubter Arbeitnehmerüberlassung trifft diese Pflicht nicht den Entleiher, sondern den Verleiher. Das hat zur Folge, dass Entleiherbetriebe ohne vorherige Durchführung des Verfahrens nach § 81 Abs. 1 SGB IX innerbetriebliche Arbeiten durch Drittfirmen ausführen lassen können (Edenfeld a. a. O.).

Lese bitte weiter auch einmal die rechtliche Würdigung der Frage, "wiederholten und verstärkten Einsatz von Leiharbeitnehmern", siehe Antwort vom 17.12. (oben).

Eine rechtliche Klärung könnte man erwirken, in dem der BR der Beschäftigung der Leiharbeiter widerspricht und so den AG veranlasst sich vom ArbG die Zustimmung ersetzen zu lassen.

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