offensichtliche Schwerbehinderung!? (Kündigung)

Paul, Hamburg, Thursday, 07.05.2009, 14:12 (vor 5490 Tagen)

Hallo liebe Mitstreiter,

folgende Frage taucht gerade bei mir auf:
Bei einem jüngeren Auszubildenden wurde eine schwere Krebserkrankung diagnostiziert. Da er sich seit dem um nichts mehr kümmert, keine Krankmeldungen bringt und auch sonst keinen Kontakt zulässt soll er gekündigt werden. Gespräche und Abmahnungen sind gelaufen (vor bekannt werden der Diagnose). Einen Antrag auf Schwerbehinderung hat der Kollege meinem Wissen nach nicht gestellt.
Meine Frage hierzu: Hätte der Arbeitgeber, der die Schwere der Erkrankung kennt, (Gesundheitsunternehmen, also mit Krankheiten und GdB vertraut) das Integrationsamt einschalten müssen>

- eine offenkundige Schwerbehinderung vorliegt. Es muss jedoch erkennbar
sein, dass eine Behinderung mit einem Grad von über 50 vorliegt,
z.B. bei Blindheit, Kleinwuchs oder dem Verlust von Gliedmaßen.
Ein Nachweis ist in diesen Fällen bei Ausspruch der Kündigung entbehrlich.

Autorinnen: RAin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Christiane Ordemann, Bremen;
Rechtsreferendarin Svea Frost, Bremen; www.ord-loh.de

Gruß Paul

offensichtliche Schwerbehinderung!?

hackenberger, Thursday, 07.05.2009, 14:37 (vor 5490 Tagen) @ Paul

Hallo Paul,

zu erst einmal ein Lob für Deinen Einsatz. Ich kann auch die Gründe verstehen.
Nun aber zu der Frage "offenkundig/ offensichtlich".

Es wird ja nur das als Schwerbehinderung anerkannt was beantrag wird. Es gibt auch Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen welche eine Anerkennung bewirken würde, aber die Betroffenen dieses bewusst nicht wollen. Zum Beispiel Menschen welche an HIV erkrankt sind. Sie wollen oftmals dieses eben nicht in Akten haben.

Blindheit, Verlust von Gliedmaßen oder Kleinwuchs ist aber im Gegensatz zu inneren/ internistischen Erkrankungen und auch Krebsleiden eben nicht offensichtlich in diesem Sinne. Man sieht es den Menschen nicht an.

Wir reden auch bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie in diesem Fall, dann von Wissen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, nicht aber von Offensichtlichkeit.

Daher würde ich in diesen Fällen davon ausgehen, dass man den möglichen Willen des Betroffenen, dieses eben nicht zur Anerkennung bringen zu wollen unterstellen kann/muss. Dieses bedeutet aber auch, dass der Betroffene nicht unter die Regelungen des SGB IX fällt. Also auch nicht de besonderen Kündigungsschutz.

Aber verlässlicher kann das Dir auch das zuständige IA beantworten. Die letzte Sicherheit könnte letztlich nur ein Gericht feststellen.

Wenn es hier also zu einer Kündigung kommt, kann der Betroffenen ja Kündigungsschutzklage erheben und dort dann dieses Wissen des AG über seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vortragen und sich auf den besonderen
Kündigungsschutz berufen. Dann müsste das ArbG entscheiden.

Kontextlink:
[link=http://www.db-lag.niedersachsen.de/Entscheidung.asp>Ind=0700020080006087%20SA]LAG Niedersachsen, Urteil vom 11.12.2008, 7 Sa 608/08[/link]

offensichtliche Schwerbehinderung!?

Petramäuschen, Berlin, Thursday, 07.05.2009, 15:08 (vor 5490 Tagen) @ Paul

Hallo Paul,

unabhängig von einer Schwerbehinderung greift hier doch bestimmt der § 84 (2) SGB IX, der für alle Beschäftigten gilt und nicht nur für schwerbehinderte MA. Dieser Kollege ist sicher länger als 6 Wochen krank. Oder meinst Du mit Gesprächen schon BEM-Gespräche> Andererseits schreibst Du, dass die Gespräche vor der Diagnose waren. Wenn kein BEM gelaufen ist, hilft das vielleicht> Zumindest in einem Kündigungsschutzprozess.

Läßt der Kollege gar keinen Kontakt zu, oder nur AG-seitigen> Ich habe gute Erfahrungen gemacht, indem ich die Kollegen, die ich noch nicht persönlich kannte, als SBV angeschrieben und meine Hilfe angeboten habe. Kollegen, die ich persönlich kenne, rufe ich einfach mal an.

Viel Glück (auch für den Kollegen)
Zuli

offensichtliche Schwerbehinderung!?

Paul, Hamburg, Friday, 08.05.2009, 11:13 (vor 5489 Tagen) @ Petramäuschen

Hallo,
erst einmal vielen Dank für die Antworten.

Ich wollte nicht so ins Detail gehen, aber die Vorgespräche und die Abmahnung hatten ihre Berechtigung und auch erstmal nichts mit der Erkrankung zu tun. Die Voraussetzungen für ein BEM waren bis jetzt auch nicht gegeben.
Mich hat die Frage, was ist offenkundig, schon vorher zweimal bewegt. Zum einen bei der psychischen Erkrankung einer Kollegin, die wollte auch keinen Antrag stellen und ist inzwischen gekündigt. Zum anderen bei einer stark übergewichtigen Kollegin mit daraus resultierenden Folgeerkrankungen, die sich aber auch ohne GdB gegen eine Kündigung erfolgreich gewehrt hat. Auch hier haben wir zumindest behauptet, dass eine Schwerbehinderung vorlag, die offenkundig war und wo der AG das Integrationsamt um Zustimmung hätte bitten müssen.
Auch wenn es rechtlich korrekt ist, schreiben kann man es ja in die Stellungnahme zur Kündigung.

Ein schönes Wochenende wünscht
Paul

offensichtliche Schwerbehinderung!?

Paul, Hamburg, Friday, 08.05.2009, 11:45 (vor 5489 Tagen) @ Paul

Korrektur
»» Auch wenn es rechtlich nicht korrekt ist, schreiben kann man es ja in die
» Stellungnahme zur Kündigung.


» Ein schönes Wochenende wünscht
» Paul

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