Ablehnung eines Mobbing-Seminars: Rechtsprechung (Seminare / Fortbildung)

Wolfgang E., Thursday, 20.10.2005, 14:37 (vor 6772 Tagen) @ Peter Molter

Wenn Arbeitgeber die SBV nicht auf Mobbingseminare lassen, berufen sie sich gerne auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus den 90er Jahren (BAG, Urteil vom 15.01.1997, 7 AZR 670/ 94). Diese Gerichtsentscheidung aus den 90er Jahren dürfte überholt sein und kann insbesondere auch nach den zahlreichen SGB IX-Änderungen 2004 und dem geänderten § 81 Abs. 2 SGB IX im Jahre 2006 jedenfalls für die Schwerbehindertenvertretung keinen Bestand haben. Dazu folgende Anmerkungen:

1. Es kommt bei einem Seminarbesuch nicht darauf an, ob dem Arbeitgeber eine konkrete betriebliche Konfliktlage dargelegt wird oder bekannt ist. Auch ist es ohne Belang, ob eine solche Mobbing-Konfliktlage etwa dem Integrationsteam bekannt ist und den Arbeitgeber über das Problem konkret informiert. Eine solche Info an den Arbeitgeber wäre evtl. sogar strafbar, wenn sie ohne Einverständnis des Mobbingopfers namentlich erfolgen würde.

2. Die Prävention, das betriebliche Eingliederungsmanagement sowie die Integrationsvereinbarung wurden durch die Gesetzesänderungen 2004 deutlich ausgeweitet und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz 2006 erlassen. Es gilt u.a., dem vielfach unterschätzten Massenphänomen Mobbing vorzubeugen. Je früher man präventiv gegensteuert, umso besser. Besonders für potentiell gefährdete Beschäftige wie schwerbehinderte Menschen bzw. Frauen ist es wichtig, umfassende, schnelle und rechtzeitige Informationen und Hilfestellungen von ihren gewählten Interessensvertretungen wie der SBV zu erhalten - nicht zuletzt auch im Interesse des Betriebs. Abgesehen vom Leid der Betroffenen durch Mobbing wird die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern eines Betriebs dadurch erheblich gestört und damit dessen Rentabilität herabgesetzt.

Es wäre geradezu kontraproduktiv, erst dann - verspätet - mit einer Schulung zu beginnen, wenn sich ein Mobbingproblem zuspitzt und das Mobbingopfer ggf. monatelang leiden zu lassen bis zum nächsten Seminar, bei dem dann aber möglicherweise bereits alle Plätze belegt sind. Jederzeit können Menschen plötzlich in derartige Krisensituationen geraten, in denen sie kompetenter und rascher Hilfe bedürfen. Ohne vorherige Schulung ist die gebotene frühzeitige bzw. professionelle Hilfe, die Betroffene von ihrer gewählten SBV erwarten, regelmäßig ausgeschlossen.

Man kann derartige Schulungsmaßnahmen auch mit einer Grippeschutzimpfung vergleichen. Eine Grippeschutzimpfung wird auch "vor" der Zeit vorgenommen, in der eine Grippe drohen könnte. Man impft dann gegen einen Virus, der drohen könnte, um es erst gar nicht zu einer entsprechenden Erkrankung (Grippe) kommen zu lassen.

3. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist nach alledem, soweit ersichtlich, zwischenzeitlich von der oben zitierten apodiktischen BAG-Rechtsprechung zu Recht abgerückt zugunsten einer effizienten Prävention durch das betriebliche Integrationsteam entsprechend den SGB IX-Änderungen 2004, dem auch die SBV angehört.

Arbeitsgericht München, Beschluss vom 16.10.2001, 33 BV 157/01 (rechtskräftig)
Arbeitsgericht Bremen, Beschluss vom 17.12.2003, 9 BV 81/03 (rechtskräftig)

Kontextlinks:
[link=http://www.hensche.de/Arbeitsrecht_aktuell_Gleichbehandlungsgesetz_Mobbing.html>printer=true]Mobbing und das AGG[/link]
www.arbeiterkammer.at
[link=http://books.google.de/books>id=QKIj_zFiKU0C&printsec=frontcover&dq=%22die+45+mobbing-Antworten%22&source=bl&ots=uRi3UAuIHD&sig=jaGgIW3EqkGQfyUmNhMrOLTWypc&hl=de&ei=xNjzS7uDMpqImwOLl8GpDQ&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=3&ved=0CCUQ6AEwAg#v=onepage&q&f=false]Die 45 Mobbing-Antworten[/link]


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