Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen (Einstellung)

Gabi @, Thursday, 21.04.2005, 16:41 (vor 6957 Tagen)

Hallo,

ich bin Gesamtvertrauensperson eines Unternehmens mit ca. 5500 Mitarbeitern und lokale Vertrauensperson in meinem Betrieb mit ca. 1100 Mitarbeitern. Wir sind weit davon entfernt die Quote an schwerbehinderten Menschen zu erfüllen.

Wir haben durch eine Fürsorgerichtlinie und entsprechende Betriebsvereinbarungen geregelt, daß bei Einstellungen schwerbehinderte Bewerber bei fachlicher Eeignung bevorzugt berücksichtigt werden. Fachliche Eignung liegt vor, wenn ein Bewerber die Mindestqualifikation erfüllt. Ebenso sollen Schwerbehinderte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben in angemessenem Umfang berücksichtigt werden (lt. Fürsorgerichtlinie)

Es hat sich ein schwerbehinderter Mensch (50 Jahre alt) auf eine Position beworben. Er erfüllt nicht nur die Mindestqualifikation, sondern auch alle gewünschten Qualifikationen. Dennoch will der Arbeitgeber unbedingt einen anderen Bewerber einstellen.

Wer kann mir einen Rat geben, was ich noch machen kann, damit der schwerbehinderte Mensch eingestellt wird.

Vielen Dank

Gabi

Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen

hackenberger, Thursday, 21.04.2005, 20:22 (vor 6957 Tagen) @ Gabi

Hallo Gabi,

hier soll, kann, muss der BR/PerR weiterhelfen. Er kann, sollte die Einstellung eines anderen Bewerbers ablehnen, er hat hier auf Grund der geltenden Regelungen Ablehnunggründe.

Du solltes weiter mit dem AG reden und ihn nochmals ausdrücklich auf seine Pflichten hinweisen und auch mal auf die mögliche Folgen aus dem § 81 SGB IX (Schadenersatzansprüche des Bewerbers) hinweisen.

Weiter rede mit dem Beauftragten des AG für die Belange der Schwerbehinderten und weise auch diesen auf seine Pflichten hin und weise diesen auch auf die möglichen persönlichen Folgen für Ihn § 156 SGB IX (Bußgeld bis zu 10.000,- € gegen ihn pwersönlich) hin.

Du findest hier auf den Webseiten zu diesen Themen auch weitere Unterlagen.

Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen

Gabi @, Wednesday, 27.04.2005, 19:03 (vor 6951 Tagen) @ hackenberger

Nochmals hallo,

ich habe Euch schon über den Stand der Einstellung eines neuen Mitarbeiters informiert. Auf diese Stelle hatte sich u.a. ein schwerbehinderter Mensch beworben, der alle Qualifikationen erfüllt. Der Favorit der Geschäftsführung war aber ein anderer Bewerber. Ich widersprach der Einstellung des Favoriten und unser Betriebsrat schloß sich dem Widerspruch an. Die Geschäftsführung versuchte dann telefonisch den schwerbehinderten Menschen zu überreden, seine Bewerbung zurückzuziehen, was er aber nicht tat. Am 25.4. teilte ihr der Schwerbehinderte mit, dass er seine Bewerbung nicht zurückziehen wird.

Der Arbeitgebervertreter will sich nicht in die Pflicht nehmen lassen und sieht (wörtliches Zitat aus einer eimal):
"die Möglichkeit der Rücknahme der Ausschreibung und Neuausschreibung der Stelle mit anderen Qualifikationen. Dies wäre dann eine Arbeitgeberentscheidung, die von meiner Seite aus nicht zu verhindern wäre, denn im Zuge des Ausschreibungsverfahrens können sich durchaus Erkenntnisse für den Arbeitgeber ergeben, eine vakante Stelle mit geänderten Qualifikationen erneut auszuschreiben."

Ich möchte nochmals betonen, daß wir eine Fürsorgerichtlinie haben und unser Unternehmen sich gerne für Familienfreundlichkeit zertifizieren läßt. Ebenso fallen wir unter die Regelungen des BAT des Bundes.

Gerade, 27.4., finde ich in meiner Post, dass die betreffende Stellenausschreibung zurückgezogen wird.

Ich kann und will mir dieses Vorgehen nicht bieten lassen. Hier wird eindeutig gegen die Fürsorgerichtlinie verstoßen. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß jeder von Integration schwerbehinderter Menschen redet, es dann aber nicht gemacht wird.

Was kann ich jetzt noch machen > Soll ich mich an unseren Vorstand wenden > Oder soll ich versuchen auf politischer Ebene den Bundesbeauftragten anzusprechen >

Vielen Dank für Eure hoffentlich zahlreichen Antworten.

Gabi

Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen

Hans-Peter-Semmler, Regensburg, Thursday, 28.04.2005, 14:29 (vor 6950 Tagen) @ Gabi

Hallo Gabi,
...
» Ich kann und will mir dieses Vorgehen nicht bieten lassen. Hier wird
» eindeutig gegen die Fürsorgerichtlinie verstoßen. Es kann doch wohl nicht
» wahr sein, daß jeder von Integration schwerbehinderter Menschen redet, es
» dann aber nicht gemacht wird.

Da hast du vollkommen recht. Wenn du nun nachgibst probieren sie es immer wieder. Du schreibst Fürsorgerichtlinien. Klingt nach öD. Gibt es denn da keine "Obermufti", der die Entscheidung beeinflussen kann>
»
» Was kann ich jetzt noch machen > Soll ich mich an unseren Vorstand wenden
» > Oder soll ich versuchen auf politischer Ebene den Bundesbeauftragten
» anzusprechen >
»

Logisch. Reize alles aus, was du hast. Inegrationsamt, Agentur für Arbeit, politiker, Behindertenbeauftragter etc. - alle können u.U. helfen.

Bedenke aber auch, den Betroffenen einzubinden, denn nur dieser kann klagen.
Und dies (siehe Urteile im Beitrag von wolfgang E.) würde ich dem AG auch zeigen, dass er weiß, auf was er sich einlässt.
Wenn der Betroffene Mitglied bei der Gewerkschaft ist - dann sofort Kontakt wegen Rechtsschutz aufnehmen.

--
Herzlichen Gruß
Hans-Peter

Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen

merlincc8 @, Tuesday, 10.05.2005, 13:22 (vor 6938 Tagen) @ hackenberger

» Hallo Gabi,
»
» hier soll, kann, muss der BR/PerR weiterhelfen. Er kann, sollte die
» Einstellung eines anderen Bewerbers ablehnen, er hat hier auf Grund der
» geltenden Regelungen Ablehnunggründe.
»
» Du solltes weiter mit dem AG reden und ihn nochmals ausdrücklich auf seine
» Pflichten hinweisen und auch mal auf die mögliche Folgen aus dem § 81 SGB
» IX (Schadenersatzansprüche des Bewerbers) hinweisen.
»
» Weiter rede mit dem Beauftragten des AG für die Belange der
» Schwerbehinderten und weise auch diesen auf seine Pflichten hin und weise
» diesen auch auf die möglichen persönlichen Folgen für Ihn § 156 SGB IX
» (Bußgeld bis zu 10.000,- € gegen ihn pwersönlich) hin.
»
» Du findest hier auf den Webseiten zu diesen Themen auch weitere
» Unterlagen.

Hallo Gabi,

in dem Fall ist der AG aus meiner Sicht gesetzlich verpflichtet
den schwerbehinderten AN für diese Stelle einzustellen.
Hast Du schon mal Kontakt zu dem für euren Betrieb zuständigen
Integrationsamt aufgenommen>
Hier kann Dir ein Fachmann oder -frau sicher auch wertvolle
Informationen geben, wie man dem Schwerbehinderten die Stelle
sichern kann. Ich wünsch Dir viel Erfolg!

Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen

Diana, Erfurt, Monday, 03.03.2008, 09:51 (vor 5910 Tagen) @ merlincc8

ich habe dazu auch mal eine frage:

wir hatten 2 schwerbehinderte bewerber. der eine machte uns gleich klar, dass er keine lust hat bei uns zu arbeiten, und er sich nur beworben hat, da ihn das arbeitsamt dazu aufgefordert hat. diesen bewerber einzustellen, würde dem betrieb meiner meinung nach auch nicht viel nützen.

der andere bewerber wurde auch abgelehnt. nicht, weil er behindert ist, sondern weil er aus anderen gründen nicht genommen wurde.

ich habe aber bei beiden bewerbern keine information des arbeitgebers bekommen (schriftlich), warum diese abgelehnt wurden.

wie muss ich jetzt verfahren> soll ich den arbeitgeber auffordern, mir die begründung zukommen zu lassen> ich selber fand den 2. bewerber auch nicht geeignet.

Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen

hackenberger, Monday, 03.03.2008, 12:52 (vor 5910 Tagen) @ Diana

Hallo Diana,

» wir hatten 2 schwerbehinderte bewerber. der eine machte uns gleich klar,
» dass er keine lust hat bei uns zu arbeiten, und er sich nur beworben hat,
» da ihn das arbeitsamt dazu aufgefordert hat. diesen bewerber einzustellen,
» würde dem betrieb meiner meinung nach auch nicht viel nützen.
Ich persönlich würde hier bei solchen Scheinbewerbern mit der REHA-Stelle der AfA Kontakt aufnehmen und dieses besprechen. Denn solche Scheinbewerbungen schaden möglicher weise schwerbehinderten Bewerbern welche ernsthaft einen Job suchen.

» der andere bewerber wurde auch abgelehnt. nicht, weil er behindert ist,
» sondern weil er aus anderen gründen nicht genommen wurde.

» ich habe aber bei beiden bewerbern keine information des arbeitgebers
» bekommen (schriftlich), warum diese abgelehnt wurden.
» wie muss ich jetzt verfahren> soll ich den arbeitgeber auffordern, mir die
» begründung zukommen zu lassen>

Im Knittelkommentar ist zum § 81 (1) hierzu folgendes zu lesen:

Nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung über die beabsichtigte Einstellungsentscheidung zu informieren und sie anzuhören (vgl. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Ihr ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wobei eine besondere Form hierfür nicht vorgeschrieben ist. Die Stellungnahme kann sowohl mündlich als auch schriftlich abgegeben werden. Stets sind aber alle maßgeblichen Unterlagen mitzuteilen, damit eine ordnungsgemäße Beurteilung ermöglicht wird.

» ich selber fand den 2. bewerber auch nicht geeignet.

Im Knittelkommentar ist zum § 81 (1) hierzu folgendes zu lesen:

Nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung über die beabsichtigte Einstellungsentscheidung zu informieren und sie anzuhören (vgl. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Ihr ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben...,
Dieses trifft hier ja aber wohl nicht zu, da Du hier mit der Entscheidung des AG einverstanden bist.


Doch bitte auch noch folgendes beachten, sind die Bewerber nicht offentsichtlich ungeeignet, so hat der AG sofern er die Pflichtquote nicht erfüllt alle Bewerber anzuhören (Abs. 1 Satz 8).

Im Knittelkommentar ist zum § 81 (1) hierzu folgendes zu lesen:
Die Anhörungspflicht besteht gegenüber allen abgelehnten schwerbehinderten Bewerbern. Der Arbeitgeber darf nicht etwa einzelne Bewerbungen im Wege einer Vorauswahl von der Anhörung oder Erörterung ausschließen.

PS: Hast Du einen aktuellen Kommentar zum SGB IX, sollte Grundausstattung sein!

Arbeitgeber will schwerbehinderten Bewerber nicht einstellen

Wolfgang E., Sunday, 24.04.2005, 17:36 (vor 6954 Tagen) @ Gabi

Ich gehe davon aus, dass der schwerbehinderte Bewerber „alle gewünschten Qualifikationen“ erfüllt lt. Stellenausschreibung. Möglicherweise hat der Arbeitgeber während des Einstellungsverfahrens die „Hürden“ so erhöht oder die Einstellungsvoraussetzungen nach der Stellenausschreibung so abgeändert, dass jetzt nur noch der andere Bewerber in Frage kommt.

Hierzu gibt es eine erste Grundsatzentscheidung (Arbeitsgericht Frankfurt vom 19.02.2003, 17 Ca 8469/ 02), wonach das Nachschieben von Gründen u.U. diskriminierend sein kann mit Anspruch auf Entschädigung. Dieses Urteil erstreckt sich nicht nur auf den Öffentlichen Dienst, sondern gilt gleichermaßen für alle Arbeitgeber.

Urteilsauszug: "Ein Nachschieben kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Der Arbeitgeber könnte andernfalls unter Missachtung der Formvorschriften das Benachteiligungsverbot umgehen."

www.schwbv.de/urteile/13.html
www.arbeitsrecht-fa.de/hefte_05/200502/frankfurt.htm
www.lexisnexis.de/aktuelles/63622>or=0&tt=fachpresse

RSS-Feed dieser Diskussion