Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht (Kündigung)

Paul, Hamburg, Thursday, 30.07.2015, 11:16 (vor 3201 Tagen)

Hallo,

einer langjährig Beschäftigten wird gekündigt. Sie ist seit längeren mit dem Versorgungsamt im Streit und klagt auf eine Erhöhung ihres jetzigen GdS von 40. Eine Gleichstellung liegt leider nicht vor,auch war/ist dem Arbeitgeber der GdS von 40 nicht bekannt gemacht worden.
Die allgemeinen Regularien zur Kündigung sind mir bekannt. Hier zu finden unter Kündigungen ist dieser Satz:
Wird der Feststellungsantrag durch das Versorgungsamt abgelehnt, und legt der Antragsteller Widerspruch ein, entsteht nunmehr kein besonderer Kündigungsschutz.

Womit begründet sich dieses? Solange Widersprüche oder Klagen bestehen ist ein Bescheid doch noch nicht rechtskräftig?
Was ist der Kollegin zu raten?
Bin gespannt auf Eure Antworten.

Lieben Gruß
Paul

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

morgenröte, NRW, Thursday, 30.07.2015, 12:00 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Hallo,

einer langjährig Beschäftigten wird gekündigt. Sie ist seit längeren mit dem Versorgungsamt im Streit und klagt auf eine Erhöhung ihres jetzigen GdS von 40. Eine Gleichstellung liegt leider nicht vor,auch war/ist dem Arbeitgeber der GdS von 40 nicht bekannt gemacht worden.
Die allgemeinen Regularien zur Kündigung sind mir bekannt. Hier zu finden unter Kündigungen ist dieser Satz:
Wird der Feststellungsantrag durch das Versorgungsamt abgelehnt, und legt der Antragsteller Widerspruch ein, entsteht nunmehr kein besonderer Kündigungsschutz.

Womit begründet sich dieses? Solange Widersprüche oder Klagen bestehen ist ein Bescheid doch noch nicht rechtskräftig?
Was ist der Kollegin zu raten?
Bin gespannt auf Eure Antworten.

Lieben Gruß
Paul

Hallo Paul,
mit einem GdB 40 ist deine Mitarbeiterin nicht schwerbehindert. Wenn das Versorgungamt ablehnt, ist das ohne Frage ärgerlich, aber die Gleichstellung wird immer mit dem Datum im Feststellungsbescheid gültig.
Ein zu erwartende,positiven Feststellungsbescheid, der noch eingeklagt wird, ist dem AG nicht zumutbar. Eine Klage kann sich bekannter Weiser sehr lange hinziehen.
Was der Kollegin zu raten ist, kann hier nicht gesagt werden. Es fehlt an der Begründung der Kündigung.

--
Gruß
Morgenröte

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

Heinrich, Thursday, 30.07.2015, 12:09 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Hallo,

das ist nun einmal die Rechtslage. Es besteht hier in diesen Fällen erst einmal eine Feststellung eines GdB der besonderen Kündigungsdchutz NICHT auslöst.

Dieses ist auch rechtlich begründbar. Denn er schützt vor Missbrauch.

Begründung:
Wäre es nicht so, könnten einfach alle von Kündigung bedrohte AN einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung stellen, auch wenn klar die Schwerbehinderung nicht zuerkannt worden würde. Dann den Rechstweg ggf bis zum Bundessozialgericht gehen, der bekannterweise Jahre dauert. Damit wären AG hier über Jahre blockiert.

Dieses ist damit auch ein Schutz der Menschen die hier berechtigt in den besonderen Kündigungsschutz gelangen. Denn würde es hier in merklicher Anzahl zu Missbrauch kommen, weil es diese Einschränkung nicht gibt, würde der Gesetzgeber auch auf Druck der AG hier den Kündigungsschutz negativ verändern.

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

Paul, Hamburg, Thursday, 30.07.2015, 13:06 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Hallo,

damit ich nicht falsch verstanden werde! Es geht nicht darum die Kündigung über Jahre unmöglich zu machen. Entscheidend ist für mich die Frage wann das Integrationsamt zu beteiligen ist. Und so wie ich es lese ist das Kriterium ein positiver Bescheid oder ein gestellter Antrag, der älter als drei Wochen ist. Letzteres liegt vor. Ist irgendwo geregelt das nach der ersten Entscheidung des Amtes ohne Anhörung IA gekündigt werden darf.
Vielleicht hab ich ja auch eine Denkblockade.
Gruß
Paul

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

morgenröte, NRW, Thursday, 30.07.2015, 13:50 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Hallo Paul,

entscheidend ist hier doch ein negativer Feststellungsbescheid!
Das heißt: KEINE Schwerbehinderung im Sinne des SGB IX. Damit ist auch das IA nicht zuständig!
Alles andere sollte eine Erläuterung sein, damit du es verstehen kannst.

Und so wie ich es lese ist es das Kriterium ein positiver Bescheid oder ein gestellter Antrag, der älter als drei Wochen ist.
Das ist auch so richtig, aber "Dein" Antrag ist ja abgelehnt worden! Unabhängig ob Klage eingereicht wird oder nicht!

--
Gruß
Morgenröte

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

albarracin, Baden-Württemberg, Thursday, 30.07.2015, 13:56 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Hallo,

Hallo,


damit ich nicht falsch verstanden werde! Es geht nicht darum die Kündigung über Jahre unmöglich zu machen. Entscheidend ist für mich die Frage wann das Integrationsamt zu beteiligen ist. Und so wie ich es lese ist das Kriterium ein positiver Bescheid oder ein gestellter Antrag, der älter als drei Wochen ist.

Die Versorgungsämter vertreten in der Tat die Auffassung, daß ein Widerspruch oder eine Klage gegen einen Bescheid die Wirkung des § 90 Abs. 2a SGB IX nicht verlängert.
Dies wird aber in der Literatur und auch in der Rechtsprechung überwiegend anders gesehen ( So zB Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, Düwell, § 90 Rn 49ff u.a. mit Verweis auf LAG Köln)

Vielleicht hab ich ja auch eine Denkblockade.

Nein. Die betroffene AN sollte sich auf jeden Fall ggü. dem AG und auch in einer evtl. Klage vor dem Arbeitsgericht auf den vorläufigen Rechtsschutz beziehen.

Gruß
Paul

P.S.: Bei Zitaten ( wie in Deinem ersten Posting) ist es unerläßlich, auch die Quelle zu benennen, da nur so eine seriöse Auseinandersetzung und kritische Prüfung möglich ist.

--
&Tschüß

Wolfgang

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

Paul, Hamburg, Thursday, 30.07.2015, 14:07 (vor 3201 Tagen) @ albarracin

Hallo Wolfgang,

vielen Dank für Deine Meinung. Dann wäre der Kollegin zu raten den Arbeitgeber über ihren vorliegenden Bescheid zu informieren und auf das Sozialgerichtsverfahren hinzuweisen?
Das Zitat war übrigen hier auf dieser Seite zu finden.
So war auch mein Eintrag gemeint.
http://www.schwbv.de/04_10_kuendigungsschutz.html

Gruß
Paul

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

albarracin, Baden-Württemberg, Thursday, 30.07.2015, 16:05 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Hallo Wolfgang,
Hallo,
vielen Dank für Deine Meinung. Dann wäre der Kollegin zu raten den Arbeitgeber über ihren vorliegenden Bescheid zu informieren und auf das Sozialgerichtsverfahren hinzuweisen?

Ja, die AN soll ausdrücklich die Beteiligung des Integrationsamtes verlangen und vorsichtshalber auch zeitgleich Kündigungsschutzklage beim ArbG einreichen.

Das Zitat war übrigen hier auf dieser Seite zu finden.
So war auch mein Eintrag gemeint.
http://www.schwbv.de/04_10_kuendigungsschutz.html

Da hast Du aber die 3-Wochen-Fristen verwechselt. Der von Dir zitierte Satz bezieht sich auf die Klagefrist für eine Kündigungsschutzklage. Die beträgt ebenfalls 3 Wochen.


Gruß
Paul

--
&Tschüß

Wolfgang

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

Heinrich, Thursday, 30.07.2015, 14:15 (vor 3201 Tagen) @ albarracin

Hallo,

Düwell weist aber auch darauf hin, dass es nicht nur die eine LAG Meinung gibt. Also hier besteht noch keine endgültige Rechtsklarheit.

Den AG auf das lfd. Verfahren hinzuweisen ist aber immer gut, denn wenn am Ende das Recht auf der Seite des AN steht, hat er zumindest bei erfolgter Kündigung ggf Anspruch auf Schadenersatz. Ob dann die Kündigung letztlich aufgehoben werden muss, also eine Weiterbeschäftigung erfolgen muss, müsste auch dann rechtlich ggf erstritten werden.

Hier wäre aber es auch ggf sinnvoll zu prüfen ob nicht ein Antrag auf Gleichstellung gestellt werden kann/sollte. Wenn er gestellt wird, sollte man dieses ebenfalls dem AG mitteilen. Denn wenn diesem stattgegeben wird, wird diesem ab Antragsdatum stattgegeben.

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

albarracin, Baden-Württemberg, Thursday, 30.07.2015, 16:24 (vor 3201 Tagen) @ Heinrich

Hallo,

Hallo,


Düwell weist aber auch darauf hin, dass es nicht nur die eine LAG Meinung gibt. Also hier besteht noch keine endgültige Rechtsklarheit.

Bitte ganz genau hinschauen: Düwell nennt in Rn. 50 als "ander Ansicht" lediglich ArbG Essen und OVG Rheinland-Pfalz, nicht aber LAGs.
Auch der ErfK, Rolfs, § 90 SGB IX, Rn. 7, mit ausdrücklichem Verweis auf BAG vom 6. September 2007, 2 AZR 324/06
https://openjur.de/u/172267.html
sieht das grundsätzlich so, daß Widerspruch und Klage den vorläufigen Rechtsschutz verlängern.

Und im Übrigen hatte ich ja geschrieben, daß das in der Literatur - trotz des o.a. BAG-Urteils - nicht einheitlich gesehen wird.

--
&Tschüß

Wolfgang

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

Hans-Peter-Semmler, Regensburg, Thursday, 30.07.2015, 17:22 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Servus Paul,

das Integrationsamt schreibt dazu:
Wenn eine Feststellung des Versorgungsamtes bzw. der nach Landesrecht zuständigen Behörde über einen GdB unterhalb von 50 bzw. eine ablehnende Entscheidung der Agentur für Arbeit erstinstanzlich erfolgt ist, kann der Arbeitnehmer den besonderen Kündigungsschutz auch dann in Anspruch nehmen, wenn gegen die erstinstanzliche Entscheidung Rechtsmittel eingelegt worden sind, das heißt diese noch nicht bestandskräftig ist.

Nachzulesen hier:
https://www.integrationsaemter.de/Fachlexikon/Kuendigungsschutz/77c426i1p/index.html

--
Herzlichen Gruß
Hans-Peter

Kündigung vs. Klage vor Sozialgericht

WoBi, Thursday, 30.07.2015, 17:52 (vor 3201 Tagen) @ Paul

Hallo Paul,

der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen findet seit dem 01.05.2004 aufgrund der Einschränkungen durch § 90 Absatz 2a SGB IX nur dann Anwendung, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig oder nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt in den Fristen des § 69 Absatz 1 Satz 2 SGB IX keine Feststellung getroffen hat, und dies nicht an der fehlenden Mitwirkung des Antragsstellers liegt.

Ein Antrag auf Feststellung einer Behinderung entfaltet sofort seine Wirkung hinsichtlich des Schutzes nach dem SGB IX. Nur hat das Bundesarbeitsgericht den besonderen Kündigungsschutz eingeschränkt und diesen mit einer 3 wöchigen Antragsfrist versehen, um Missbrauch zu verhindern. Z.B. Ein Beschäftigter erfahrt durch den Betriebsrats von der Kündigungsanhörung und stellt Antrag ohne Erfüllung der Voraussetzungen einer Behinderung.

Gegen den Feststellungsbescheid mit GdB 40 wurde Widerspruch eingelegt und später hoffentlich rechtzeitig Klage erhoben. Das Feststellungsverfahren ist damit nicht rechtskräftig abgeschlossen seit der Antragsstellung auf Feststellung einer Behinderung. Die Frist, um Missbrauch zu verhindern ist bei weitem erfüllt und der Antragsteller hat mitgewirkt. Also steht somit unter dem Schutz des SGB IX.

Den derzeitigen Schwebezustand bei der Feststellung der Schwerbehinderung innerhalb von 21 Kalendertagen nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber mitteilen und innerhalb von 21 Kalendertagen mit Hilfe eines Rechtsbeistandes Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Voraussetzung das Kündigungsschutzgesetz ist anwendbar. Nachlesbar in § 23 KSchG: http://www.gesetze-im-internet.de/kschg/__23.html
Wichtig ist die zusätzliche Information des Arbeitgebers. Denn die Information im Schriftsatz an das Arbeitsgericht könnte nicht fristgerecht bei Arbeitgeber ankommen.

Für den Tipp auf der Startseite mit der parallelen Antragsstellung auf Gleichstellung dürfte es zu spät sein. http://www.schwbv.de/urteile/291.html

--
Gruß
Wolfgang

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