Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht (AGG)

sabsezicke, Wednesday, 13.11.2019, 08:52 (vor 1626 Tagen)

Hallo,

aus LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. 12. 2018, Az: 1 Sa 26 öD/18 geht ja hervor, dass externe schwerbehinderte nicht offensichtlich ungeeignete BewerberInnen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen, wenn man die zu besetzende Stelle mit einer internen Person besetzen konnte, da diese bei der Besetzung Vorrang haben.

Nun höre ich persönlich immer wieder und öfter davon, dass AG sich sehr gerne auf dieses Urteil stützen und schwerbehinderte nicht offensichtlich ungeeignete BewerberInnen, die eine Entschädigung geltend machen, dann im Nachgang, also nach erfolgter Absage, mitteilen, dass man sich für eineN interneN BewerberIn hat entschieden und entscheiden müssen, da diese Vorrang haben und externe BewerberInnen eben nur nachrangig behandelt werden dürfen.

Ob das jetzt dann aber wirklich so war, es schreckt ja erst einmal ab, weil es würde für die Betroffenen nur eine Klage bleiben, die, sagen wir mal, nicht umsonst für eineN Betroffenen ist (Nerven, evtl. viel Zeit, sich mit der Marterie zu beschäftigen, evtl. viel Geld, wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht, für einen Anwalt ...).

D. h., der AG ist fein raus, solang keine Klage erhoben wird und der AG dann vor Gericht belegen muss, dass wirklich einE interneR BewerberIn eingestellt wurde und keine anderen externen schwerbehinderten nicht offensichtlich ungeeigneteN BewerberInnen eingeladen worden sind.

Ein AG könnte also auch "zocken" und so versuchen, eine Entschädigungszahlung und somit das AGG zu umgehen, oder!?

Meint ihr, AG gehen ein solches Risiko ein? D. h., einfach mal externen schwerbehinderten nicht offensichtlich ungeeigneteN BewerberInnen mitteilen, dass man sich für eineN interneN BewerberIn entschieden hat und gut ist.

Vor Gericht könnte es ja richtig eng für den AG werden, oder!?

Gibt es eigentlich Ausnahmen zu diesem Urteil oder gilt dies allgemeingültig für solche Fälle?

Danke Euch.

GLG

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 13.11.2019, 09:27 (vor 1626 Tagen) @ sabsezicke

Hallo,

die Entscheidung des LAG SH widerspricht fast der gesamten Kommentarliteratur. Anscheinend ist das Urteil, das auch anderen LAGen widerspricht, rechtskräftig geworden.

Während der 1. Senat des BAG sich in der Vergangenheit nicht direkt zu einem möglichen Vorrang der internen Stellenbesetzung geäußert hat, hat der für die AGG-Entschädigung zuständige 8. Senat sehr wohl die Einladungspflicht auch bei beabsichtigtem internem Vorrang bejaht.
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2012-2-16&nr=15903&pos=10&anz=14 (ab Rn 62).

Der öffentliche AG kann also sehr wohl noch "auf die Nase fallen", wenn er wegen beabsichtigter interner Besetzung - auch auf Grund konkurrierender Rechtsvorschriften wie zB BGleiG - einen nicht offensichtlich ungeeigneten externen Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch einlädt.

Die vorherige Prüfpflicht gem. § 164 Abs. 1 SGB IX wird im Übrigen auch vom LAG SH nicht in Frage gestellt

--
&Tschüß

Wolfgang

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

sabsezicke, Wednesday, 13.11.2019, 11:41 (vor 1626 Tagen) @ albarracin

Dann ist doch das LAG-Urteil, obwohl es rechtskräftig geworden ist, warum auch immer, dennoch dem BAG-Urteil sozusagen "unterstellt"!? D. h., das BAG-Urteil "bricht" das LAG-Urteil, oder!?

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

garda, Berlin, Wednesday, 13.11.2019, 12:29 (vor 1626 Tagen) @ sabsezicke

Dann ist doch das LAG-Urteil, obwohl es rechtskräftig geworden ist, warum auch immer, dennoch dem BAG-Urteil sozusagen "unterstellt"!? D. h., das BAG-Urteil "bricht" das LAG-Urteil, oder!?

Hallo,

mit der Formulierung riskierst du bei Juristen das Dauerrollen von Fußnägeln.

Jedes rechtskräftige Urteil gilt erstmal nur für den Prozess für den es ergangen ist. Wurde es rechtskräftig bleibt es dabei. Ob ein anderes Gericht auch so entscheidet, kann man annehmen aber nicht voraussetzen. Meist stellt sich der Fall in den Einzelheiten eben nicht identisch dar und deswegen muss ja auch immer wieder am Ende eines jeden Prozesses ein Urteil gesprochen werden.

Ein Urteil oder Beschluss ist auch nicht etwa geltendes Recht, auf das man sich berufen kann. Das gibt es so bei uns nicht, denn wir haben kein Case Law wie im angelsächsischen Recht. Nur das Bundesverfassungsgericht kann in Deutschland so Normen setzen wie gerade im Fall der Harz-IV-Sanktionen.

Sich also auf Rechtsprechung zu berufen kann zudem aus dem fatalen Grund in die Hose gehen, dass sich Rechtsprechung auch ändern und wandeln kann. Und dieser Wandel kann leider auch "in die falsche Richtung" gehen oder ein Gericht stellt eben die Unterschiede im Sachverhalt fest und folgt einem anderen Gericht nicht.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

sabsezicke, Thursday, 14.11.2019, 01:44 (vor 1625 Tagen) @ albarracin

Hallo,

gibts da also in dieser Frage andere Urteile von anderen LAGs, die pro externe Beweber sind?

Hast Du da bitte noch ein paar Beispiele?

Danke Dir.

LG

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

albarracin, Baden-Württemberg, Thursday, 14.11.2019, 09:14 (vor 1625 Tagen) @ sabsezicke

Hallo,

in einem guten Kommentar zum SGB IX solltest Du dazu Einiges an Verweisen zur Rechtsprechung finden.

--
&Tschüß

Wolfgang

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

sabsezicke, Thursday, 14.11.2019, 10:36 (vor 1625 Tagen) @ albarracin

Hallo,

stimmt natürlich! ;-)

Welchen kannst Du bitte empfehlen? Welcher ist Dein "Liebling"? ;-)

LG

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

albarracin, Baden-Württemberg, Thursday, 14.11.2019, 12:08 (vor 1625 Tagen) @ sabsezicke

Hallo,

mein derzeitiger "Liebling" ist der LPK-SGB IX
https://www.nomos-shop.de/Dau-D%C3%BCwell-Joussen-Sozialgesetzbuch-IX/productview.aspx?product=27932

Früher hatte ich auch den Neumann/Pahlen ..., der recht gut lesbar, allerdings etwas restriktiver in der Auslegung war. Da gab es aber fast 10 Jahre keine Neuauflage, deswegen hatte ich mich umorientiert.
Allerdings wurde auch die 12. Auflage von 2010 regelmäßig noch zitiert.
Mittlerweile gibt es jetzt doch eine aktuelle Ausgabe,
https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fkomm%2FNeumannPMPSGBIXKO_13%2Fcont%2FNeumannPMPSGBIXKO%2Ehtm
die ich evtl. als Zweitkommentar anschaffen werde.

--
&Tschüß

Wolfgang

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

maiklewa, Friday, 24.04.2020, 07:31 (vor 1463 Tagen) @ albarracin

Hallo Wolfgang,

ich klink mich mal hier ein. Kannst Du mir bitte die Seite der 5ten Auflage des NomosKommentar verraten?

Danke.

Gruß

Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht

WoBi, Wednesday, 13.11.2019, 12:57 (vor 1626 Tagen) @ sabsezicke

Hallo,

Nun höre ich persönlich immer wieder und öfter davon, dass AG sich sehr gerne auf dieses Urteil stützen und schwerbehinderte nicht offensichtlich ungeeignete BewerberInnen, die eine Entschädigung geltend machen, dann im Nachgang, also nach erfolgter Absage, mitteilen, dass man sich für eineN interneN BewerberIn hat entschieden und entscheiden müssen, da diese Vorrang haben und externe BewerberInnen eben nur nachrangig behandelt werden dürfen.

Hier ist der § 205 SGB IX zu beachten.
Mehr dazu unter: https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=26577

Ob das jetzt dann aber wirklich so war, es schreckt ja erst einmal ab, weil es würde für die Betroffenen nur eine Klage bleiben, die, sagen wir mal, nicht umsonst für eineN Betroffenen ist (Nerven, evtl. viel Zeit, sich mit der Marterie zu beschäftigen, evtl. viel Geld, wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht, für einen Anwalt ...).

Dazu müsste der externe Bewerber erstmal an die internen Informationen gelangen und Beweise sammeln. Eine Klage müsste fundiert erhoben und Indizien mit Beweisantritt vortragen werden, dass eine Diskriminierung z.B. wegen Behinderung vorliegt. Erstmal liegt die Beweislast beim Kläger. Dazu müssten mindestens Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Abgesehen von den Anforderungen im Vorfeld und den Fristen nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Erst dann kann nach § 61b Abs. 1 ArbGG eine Klageerhebung innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruches eingereicht werden.

D. h., der AG ist fein raus, solang keine Klage erhoben wird und der AG dann vor Gericht belegen muss, dass wirklich einE interneR BewerberIn eingestellt wurde und keine anderen externen schwerbehinderten nicht offensichtlich ungeeigneteN BewerberInnen eingeladen worden sind.

Wo kein Kläger, ist auch kein Richter. Der (öffentliche) Arbeitgeber hat das längere monetäre Durchhaltevermögen und durch den Weg über LAG zum BAG steigt das Kostenrisiko für den Kläger. Wenn der öffentliche Arbeitgeber verliert, sind es nur Steueraufkommen. Selbst bei einer Rechtschutzversicherung muss jede Instanz einzeln durch die Versicherung genehmigt werden.
Die Beweislast liegt erstmal beim Kläger und erst wenn belegbare Indizien dafür sprechen, greift die Erleichterungen nach § 22 AGG. Selbst wenn die Beweislast an den Arbeitgeber fällt, kann dieser immer noch entscheiden, was er vorträgt oder an Beweisen vorlegt. Der Arbeitgeber kann wählen, ob er im Gerichtsverfahren die näheren Umstände offenlegt, um eine Vermutung zu entkräften und ggf. einen Gegenbeweis zu führen oder ob er die ihm bekannten Tatsachen für sich behält und damit sein Unterliegen in Kauf nimmt.
Die Schwierigkeiten beginnen bereits mit dem Indiz, ob der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nachkommt und damit die besondere Anhörungspflicht nach § 164 Abs. 1 Satz 8 SGB IX besteht.

Ja, der Arbeitgeber kann hier "Zocken", zumal nicht jeder Bewerber über das erforderliche Wissen verfügt und die wenigsten abgelehnten Bewerber Klage erheben, selbst wenn diese gerechtfertigt wäre und Erfolgsaussichten hätte. Die Hürden sind hoch und der Ausgang ist offen. Selbst wenn der Arbeitgeber verlieren sollte, wird selten von Gerichten die auf drei Monatsgehälter begrenzte Summe, wenn der Arbeitsplatz nicht erlangt werden konnte, zugesprochen. Und vor einem Urteil steht erstmal die Vergleichsbemühungen, was nicht selten zu einer Zahlung führt, die nicht mal in der "Portokasse" bemerkbar ist.

--
Gruß
Wolfgang

RSS-Feed dieser Diskussion