Verhinderung / Befangenheit vs. Unterrichtung (Umgang mit Arbeitgeber)

WoBi, Wednesday, 20.05.2020, 11:40 (vor 1444 Tagen)

Hallo Forumsteilnehmer,
habe mal ein Diskussionsthema.

Rechtlicher Hintergrund:
Durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) wurde im § 177 (ex § 94) Abs. 1 Satz 1 SGB IX „durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben“ die Definition für eine Verhinderung der Vertrauensperson gestrichen.

Der § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX lautet nun:
„(1) In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt, das die Vertrauensperson im Falle der Verhinderung (hier durch BTHG gestrichen) vertritt.“

Dies war eine Folge u.a. des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 22. August 2013 mit dem Aktenzeichen 8 AZR 574/12.
Die Vertrauensperson und ein Stellvertreter bewarben sich gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen um die interne Stelle. Der Arbeitgeber hat die SBV nicht informieren wollen, noch eine Einsicht in die Bewerbungsunterlagen dulden wollen, weil die Vertrauensperson sich selbst beworben hat und damit ein Vorteil gehabt hätte.
Das BAG stellte fest, bewirbt sich ein Schwerbehinderter um eine Stelle, muss die SBV zwingend angehört werden. Weder der Arbeitgeberin noch der SBV steht es zu, diese Pflicht zu verletzen.
Es gab keine Verhinderung der Vertrauensperson, weil die Fälle einer Verhinderung in § 94 Abs. 1 Satz 1 a.F. SGB IX abschließend geregelt ist.

Die abschließende Regelung der Verhinderung wurde durch das BTHG entfernt, um z.B. auch bei eigener Betroffenheit / mögliche Befangenheit eine Verhinderungsvertretung zu ermöglichen.

Aktuelle Situation:
Der Arbeitgeber bestellt die Vertrauensperson z.B. zu einem Personalgespräch zu sich ein. Ladet gleichzeitigt das erste stellvertretende Mitglied der SBV und den Personalratsvorsitzenden zum Gespräch ein. Gründe oder Anlass für das Personalgespräch werden nicht genannt.
Begründet wird die Einladung des ersten stellvertretenden Mitglieds im Gespräch durch den Arbeitgeber damit, dass die Vertrauensperson wegen der eigenen Betroffenheit befangen ist.

Meine Frage:
Wie bewertet ihr das Handeln des Arbeitgebers?

--
Gruß
Wolfgang

Verhinderung / Befangenheit vs. Unterrichtung

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 20.05.2020, 12:13 (vor 1444 Tagen) @ WoBi

Hallo,

die durch den AG vorgenommenen Einladungen hlte ich für tendenziell rechtswidrig.

Es ist für mich keine Rechtsgrundlage im Personalvertretungsrecht erkennbar, auf deren Grundlage ein PR-Mitglied ein automatisches RRecht auf Teilnahme an derartigen Personalgesprächen haben könnte - erst recht nicht gegen den Willen des betroffenen Beschäftigten.

Auch die SBV entscheidet selbstständig über eine evtl. persönliche Betroffenheit bzw. Befangenheit sowie eine evtl. heranziehung eines/einer Stellvertreters/Stellvertreterin. der AG kann nicht selbst über diese Sachverhalte entscheiden.

--
&Tschüß

Wolfgang

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Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson

Cebulon, Thursday, 21.05.2020, 10:05 (vor 1443 Tagen) @ albarracin

Auch die SBV entscheidet selbstständig über evtl. persönliche Betroffenheit bzw. Befangenheit. Der AG kann nicht selbst über diese Sachverhalte entscheiden.

Nein - die pauschale Einzelmeinung ist m.E. abzulehnen: Arbeitgeber ist gehalten, vor Beteiligung einer SBV als Ein-Personen-Organ nach § 178 Abs. 2 SGB IX zu prüfen, ob die VP persönlich betroffen ist, diese also zuständig ist oder nicht wegen „rechtliche Verhinderung“.

Gibts für diese pauschale Ansicht denn irgendwelche Quellen? Halte die Ansicht für klar daneben! Ich meine, dass die Dienststelle sehr wohl über persönliche „individuelle“ Betroffenheit der VP zu befinden hat etwa wie hier bei einem sog. Mitarbeiter-Gespräch der VP, oder bei Bewerbung der Ehefrau oder der Tochter der VP, oder z.B. beim BEM der VP oder etwa einer Kündigung der VP, also bei „rechtlicher Verhinderung“ einer VP. In einer derartigen Konstellation wäre die Beteiligung der SBV lediglich dann ordnungsgemäß, wenn deren Stellvertretung beteiligt wird. Wurde schon von Düwell in jurisPR-ArbR 49/2016 Anm. 1, Abschn. IV.2. Neuregelung des Vertretungsfalles, klargestellt: „Durch die Streichung der einschränkenden Gründe soll auch eine Vertretung durch ein stellvertretendes Mitglied in den Fällen vorgeschrieben werden, in denen die Vertrauensperson befangen sein könnte.“

So schon im letzten Jahrhundert Cramer, SchwbG, 5. Auflage 1998, § 24 Rn. 7: „Die Verhinderung kann auch rechtliche Gründe haben, z.B. wenn VM von einer Angelegenheit persönlich betroffen ist. In all diesen Fällen wird der VM von dem Stellvertreter vertreten“. Diese SGB IX-Änderung 2016 entspricht übrigens inhaltlich exakt der Vertretungsregelung im vormaligen § 21 Abs. 1 SchwbG bis 1986 und § 24 Abs. 1 SchwbG bis 2000. BTHG „entspricht“ nun (wieder) betriebsverfassungsrechtlicher Verhinderungsregelung laut Schrifttum wie zeitweilig im SchwbG a.F.

Gegenteiliges BAG-Urteil ist „schnurzegal“, wie schon 2017 gepostet.

Gruß,
Cebulon

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Verhinderung / Befangenheit vs. Unterrichtung

Remhagen, NRW, Wednesday, 20.05.2020, 17:50 (vor 1444 Tagen) @ WoBi

Mein Stand ist: Betrifft eine Personalangelegenheit die Vertrauensperson selbst, wird der 1. Stellvertreter eingebunden, da die VP sich nicht selbst vertreten kann.

Liege ich da falsch?

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Verhinderung / Befangenheit vs. Unterrichtung

Monica99, Wednesday, 20.05.2020, 21:28 (vor 1444 Tagen) @ Remhagen

Hallo, das SGB IX kennt im Gegensatz zum BetrVG/PersVG NICHT die Befangenheit bei eigener Betroffenheit. Dieses ist auch so, weil die SBV eine Einpersonenvertretung ist und nicht wie beim BR ein Gremium.
Dieses ist auch so, weil sonst ggf. der Zustand eintreten könnte/ würde dass im Falle der eigenen Betroffenheit keine Vertretung gem. SGB IX möglich wäre, damit die besonderen Rechte gem. SGB IX nicht wahrgenommen werden könnte.

Die SBV kann, muss aber NICHT, sich aber bei eigener Betroffenheit als verhindert erklären und dann den Stellvertreter ins Verhinderungsmandat bringen.

--
mfg Monica

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Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson

Cebulon, Thursday, 21.05.2020, 00:54 (vor 1444 Tagen) @ Monica99

Hallo, das SGB IX kennt im Gegensatz zum BetrVG/PersVG NICHT die Befangenheit bei eigener Betroffenheit.

Hallo Monica, das war zwar mal früher so, wurde aber gesetzlich klar geändert nach Art. 1 und Art. 2 BTHG 2016, nun § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX 2018.

Dieses ist auch so, weil sonst ggf. der Zustand eintreten könnte/ würde dass im Falle der eigenen Betroffenheit keine Vertretung gem. SGB IX möglich wäre, damit die besonderen Rechte gem. SGB IX nicht wahrgenommen werden könnte.

Das ist nicht so, sondern anders. Der Gesetzgeber hat sich über diesen (ohnehin nicht zwingenden) Gesichtspunkt im BTHG hinweggesetzt. Es liegt am Wahlvorstand, genügend Mitglieder der SBV wählen zu lassen, damit so ein Fall nicht eintritt.

Die SBV kann, muss aber NICHT, sich bei eigener Betroffenheit als verhindert erklären und dann Stellvertreter ins Verhinderungsmandat bringen.

Nein, das ist falsch, weil Denkfehler: Dies galt so nicht nach alten Recht und das gilt so schon gar nicht nach neuem Recht! Diese Verhinderungs-Vertretung fällt der Stellvertretung - automatisch - von Rechts wegen zu, also unabhängig von irgendeiner Erklärung der VP. Demnach eine klare Stärkung bzw. erweiterte Vertretungsbefugnis und -pflicht der Stellv.

Verhinderungsvertretung hängt grds. nicht davon ab, ob VP „eigene Betroffenheit“ erklärt. Es geht wohl nicht primär um deren subjektive Einschätzung - sondern vielmehr um die rein „objektive“ individuelle Betroffenheit kraft Gesetzes i.S.d. § 177 Absatz 1 Satz 1 SGB IX, der sogenannten Besorgnis der Befangenheit. Gehts etwa um die Einstellung der Ehefrau oder des Sohnes der VP, dann ist nicht die VP, sondern allein deren Stellvertretung zu beteiligen. Wurde keine Stellvertretung gewählt, dann gibt es eben keine Beteiligung der SBV. Das hat der Gesetzgeber bewusst so in Kauf genommen.

Gruß,
Cebulon

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Verhinderung / Befangenheit vs. Unterrichtung

Monica99, Thursday, 21.05.2020, 10:08 (vor 1443 Tagen) @ Cebulon

Hallo, das SGB IX kennt im Gegensatz zum BetrVG/PersVG NICHT die Befangenheit bei eigener Betroffenheit.


Hallo Monica, das war zwar mal früher so, wurde aber gesetzlich klar geändert nach Art. 1 und Art. 2 BTHG 2016, nun § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX 2018.

Wo bitte findet sich dort das Thema Befangenheit wegen eigener Betroffenheit und daher Ausschluss der Beteiligung???

§ 177 SGB IX Wahl und Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung
(1) In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt, das die Vertrauensperson im Falle der Verhinderung vertritt. Ferner wählen bei Gerichten, denen mindestens fünf schwerbehinderte Richter oder Richterinnen angehören, diese einen Richter oder eine Richterin zu ihrer Schwerbehindertenvertretung. Satz 2 gilt entsprechend für Staatsanwälte oder Staatsanwältinnen, soweit für sie eine besondere Personalvertretung gebildet wird. Betriebe oder Dienststellen, die die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllen, können für die Wahl mit räumlich nahe liegenden Betrieben des Arbeitgebers oder gleichstufigen Dienststellen derselben Verwaltung zusammengefasst werden; soweit erforderlich, können Gerichte unterschiedlicher Gerichtszweige und Stufen zusammengefasst werden. Über die Zusammenfassung entscheidet der Arbeitgeber im Benehmen mit dem für den Sitz der Betriebe oder Dienststellen einschließlich Gerichten zuständigen Integrationsamt.

--
mfg Monica

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Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson

Cebulon, Thursday, 21.05.2020, 10:17 (vor 1443 Tagen) @ Monica99

Wo bitte findet sich dort das Thema Befangenheit wegen eigener Betroffenheit und daher Ausschluss der Beteiligung?

Ist gar nicht erforderlich gemäß Cramer, Ministerialrat a.D. im BMAS, SchwbG, 5. Auflage 1998, § 24 Randnr. 7: „Die Verhinderung kann auch rechtl. Gründe haben, z.B. wenn VM von einer Angelegenheit persönlich betroffen ist. In all diesen Fällen wird der VM von dem Stellvertreter vertreten“. Auch das BetrVG und BPersVG haben schließlich keinerlei ausdrückliche Norm zur Rechtsfolge bei Befangenheit. Denn im BetrVG kommt z.B. der Begriff „Befangenheit“ oder „befangen“ nirgends vor, insbesondere auch nicht in § 25 Abs. 1 BetrVG zum „verhinderten“ BR-Mitglied.

Das ergibt sich sowohl aus der amtlichen Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum BTHG und steht so gut wie in jedem neueren Standardkommentar zum SGB IX. Wurde ja auch schon ausgiebig und mehrfach im Forum diskutiert seit Jahren, bspw. hier und hier.

Gruß,
Cebulon

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Verhinderung / Befangenheit vs. Unterrichtung

Monica99, Thursday, 21.05.2020, 14:38 (vor 1443 Tagen) @ Cebulon

Befangenheit der SBV?

Montag, 16. Mai 2016, 10:20 (vor 1466 Tagen) @ garda

Zitatbeginn:
Hallo garda,
anders als ein Betriebsrat ist eine Schwerbehindertenvertretung kein Organ, sondern eine „Ein-Personen-Institution“ (§ 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Der oder die Stellvertreter treten im Fall der Verhinderung der Vertrauensperson der Schwerbehinderten an deren Stelle, es bleibt bei einer Ein-Personen-Institution. Bereits dies spricht gegen eine Übertragung von Befangenheitsregeln, die für die Mitglieder mehrköpfiger Gremien gelten (BAG, Urteil vom 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 -).

Darüber hinaus fehlt es dem Schwerbehindertenrecht an einer hinreichend offenen Vertretungsregelung. Die Vertretung der Vertrauensperson durch das stellvertretende Mitglied wegen Betroffenheit in eigener Sache sieht das Gesetz gerade nicht vor.
Anders als § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG für die Vertretung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds durch ein Ersatzmitglied spricht § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX auch nicht allgemein von „zeitweiliger Verhinderung“, was auch die Verhinderung aus Rechtsgründen, etwa wegen Befangenheit, einschließen kann. Es ist nur die Rede von der Verhinderung der Vertrauensperson „durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben“. Der Fall der Betroffenheit in eigener Sache ist im Gesetz nicht vorgesehen (BAG Urteil vom 19. Juli 2012 – 2 AZR 989/11, Rn. 32 = BAGE 142, 351 = BehindertenR 2013, 18). „Abwesenheit“ ist dabei eng zu verstehen, etwa infolge Urlaubs, Krankheit, Kur, Dienstreise oder Fortbildungsmaßnahmen. Eine „rechtliche Verhinderung“ ist kein Fall der Abwesenheit (BAG, Urteil vom 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 -).

Vor allem aber sprechen Erwägungen der Gesetzessystematik gegen eine „Befangenheit“ der Schwerbehindertenvertretung im Rechtssinne.

Die Schwerbehindertenvertretung kann schon deswegen nicht „Richter in eigener Sache“ sein, weil ihr weder eine eigene Entscheidungsbefugnis zukommt noch – anders als bei betrieblicher Interessenvertretung – Mitbestimmungsrechte oder Zustimmungserfordernisse von Gesetzes wegen vorgesehen sind.

Nach der geltenden Gesetzeslage besteht daher kein Bedürfnis, Regeln für den Fall einer Selbstbetroffenheit zu schaffen (BAG, Urteil vom 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 -).
Zitatende des veralteten Beitrages.

Ab hier Monicas Meinung:
Es findet sich auch im auch im BTHG eben keine Aussage, dass sie zwingend wegen Betroffenheit verhindert ist.

Sonst bitte nicht irgendwelche Deutungen sondern §§ oder BAG Entscheidungen. Auch Kommentare bilden KEINE zwingende Rechtsgrundlagen sondern nur Meinungen.

--
mfg Monica

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Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson

Cebulon, Thursday, 21.05.2020, 17:40 (vor 1443 Tagen) @ Monica99

Montag, 16. Mai 2016, 10:20 (vor 1466 Tagen) ...

Hallo, mir leuchtet nicht ein, einen alten Beitrag zu zitieren zum BAG vom 22. August 2013 - 8 AZR 574/12, wo es um einen Paragraphen geht, welchen es so schon seit über drei Jahren nicht mehr gibt. Dies verwirrt doch nur den Leser und führt in die Irre! Wurde doch schon in jurisPR-ArbR 49/2016 Anm. 1, IV.2. Neuregelung des Vertretungsfalles, klargestellt: „Durch die Streichung der einschränkenden Gründe soll auch eine Vertretung durch ein stellvertretendes Mitglied in den Fällen vorgeschrieben werden, in denen die Vertrauensperson befangen sein könnte“, also bei sog. „rechtlicher Verhinderung“.

Es findet sich auch im BTHG eben keine Aussage, dass sie zwingend wegen Betroffenheit verhindert ist.

Naja, dieser auszugsweise zitierte „historische Beitrag“ vom 16. Mai 2016, welcher allenfalls noch antiquarischen Wert hat, ist halt nach der BTHG-Rechtsänderung nicht mehr aktuell und die damalige Rechtslage ist völlig obsolet seit 30.12.2016. Was BTHG mit der Rechtsänderung bezweckte, ist in der amtlichen Gesetzesbegründung der BReg. zum Art. 1 und Art. 2 BTHG eigens dokumentiert (einfach mal nachlesen!). Vgl. nur Prof. Düwell, in: Düwell/Beyer, "Das neue Recht für behinderte Beschäftigte" Rn. 50/53 zur Neuregelung des Vertretungsfalls, und Dr. Michael Karpf, HSBV, Neue Rechtsstellung der SBV und weitere Neuregelungen im Schwerbehindertenrecht durch das BTHG, Abschnitt II.6, br 2/2017, der sich ja eingehend mit amtl. Gesetzesbegründung auseinandersetzte. Ferner Dr. Till Sachadae, Der Personalrat 2/2017, zur "Ver­tre­tungs­be­fug­nis". Solche Gesetzesmaterialien sind nun mal gemäß BVerfG und der ganz h.M. bei der Auslegung von Gesetzen zu beachten. Gehts etwa um die Einstellung der Ehefrau oder des Sohnes der VP oder um eine Personalmaßnahme der VP selbst – dann ist keineswegs die VP, sondern deren Stellvertretung grds. zu beteiligen wie folgt:

BT-Drs. 18/9522, Seite 314
vom 05.09.2016 (Gesetzentwurf)
Zu Nummer 5a (§ 94 SGB IX a.F.)
„Bisher war Vertretung der Vertrauensperson durch ein stellvertretendes Mitglied nur in den Fällen der Verhinderung durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben mögl. Dem Schwerbehindertenrecht fehlte es somit an einer hinreichend offenen Vertretungsregelung (so Bundesarbeitsgericht vom 22. August 2013 – 8 AZR 574/12). Durch die Streichung dieser einschränkenden Gründe ist künftig damit auch eine Vertretung durch ein stellvertretendes Mitglied in Angelegenheiten möglich, in denen die Vertrauensperson individuell und unmittelbar betroffen ist und damit befangen sein könnte. In diesen Fällen war eine Vertretung bisher nicht möglich.“

Bitte nicht irgendwelche Deutungen sondern §§ oder BAG. Auch Kommentare bilden KEINE zwingende Rechtsgrundlagen, sondern nur Meinungen.

Naja, da könnte Blick in den renommierten Lehr- und Praxiskommentar SGB IX mit über einem Dutzend namhafter Fachautoren nicht schaden aus Lehre, Wissenschaft, Forschung, Justiz und Verwaltungspraxis: “Folglich wird die Vertrauensperson auch in den Fällen, in denen sie individuell und unmittelbar betroffen ist und damit „befangen“ sein könnte, durch ein stellvertretendes Mitglied vertreten“ (Prof. Düwell, LPK-SGB IX, § 177 Rn. 7 und 23, sowie § 179 Rn. 161) - und zwar zwingend und gerade nicht beliebig! Wenn man das jedoch einfach ignoriert, führt das schnell in die Sackgasse bzw. wäre ggf. objektive Amtsanmaßung der VP und reine Willkür!

anders als ein Betriebsrat ist eine SBV kein Organ

Völlig unsinnig bzw. eine „Freud'sche Fehlleistung“ die Einzelmeinung des Achten Senats des BAG, dass SBV angeblich „kein Organ“ sei. Denn selbstverständlich ist die SBV schon seit jeher ein Organ der Betriebsverfassung nach ständiger BAG-Rspr. und allgemeiner Ansicht, nämlich Ein-Personen-Organ. Da gilt für die SBV nichts anderes als etwa für Betriebsräte in Betrieben bis 20 Wahlberechtigte, welche ja auch nur aus „einer Person“ bestehen laut § 9 BetrVG, oder?

Gruß,
Cebulon

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Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson

Cebulon, Thursday, 21.05.2020, 09:45 (vor 1443 Tagen) @ WoBi

Der Arbeitgeber bestellt die Vertrauensperson z.B. zu einem Personalgespräch zu sich ein. Ladet gleichzeitig das erste stellvertretende Mitglied der SBV und den Personalratsvorsitzenden zum Gespräch ein. Gründe oder Anlass für das Personalgespräch werden nicht genannt. Wie bewertet ihr das?

Eher bescheiden, soweit das Thema dieses Personalgesprächs nicht zuvor genannt wird, sofern hier nicht ohnehin ein regelmäßiges „routinemäßiges“ jährliches oder zweijähriges Personalgespräch ansteht.

Begründet wird die Einladung des ersten stellvertretenden Mitglieds im Gespräch durch den Arbeitgeber damit, dass die Vertrauensperson wegen der eigenen Betroffenheit befangen ist. Wie bewertet ihr das Handeln des Arbeitgebers?

Klar positiv (da insoweit nicht überall selbstverständlich), dass Dienststelle die persönliche Teilnahme von SBV / PR akzeptiert. Corona-Hygiene wie Abstand, Lüftung bzw. Masken sollte im ÖD wohl Standard sein.

Ansonsten keine Bedenken, wobei anzumerken ist, wie ja schon zu Recht erwähnt, dass gegen den Willen einer VP selbstverständlich weder ihr Stelli noch PRV am Personalgespräch persönlich teilnehmen dürfen. Insoweit gilt prinzipiell auch nichts anderes als etwa bei einem BEM-Gespräch, wonach deren Teilnahme natürlich der Zustimmung der VP bedarf.

[2017] Nach den Grundsätzen der Einpersonenvertretung der SBV bist du nicht verhindert und der Stellvertreter kann nicht tätig werden. Die VP ist gewählter Interessensvertreter für schwerbehinderte und gleichgestellte oder von Behinderung bedrohter Menschen.

Nein - Stelli kann und muss tätig werden, falls nicht gleichfalls betroffen, und eine Vertrauensperson ist stets rechtlich verhindert, falls betroffen. Steht nicht zur SBV-Disposition. „Verzicht“ auf Stelli-Zuständigkeit ist ausgeschlossen bzw. wäre vertretungsrechtlich ohne Belang.

Die Gegenansicht im Post 2017 halte ich für falsch. Unzutreffend auch, dass die SBV auch Interessenvertretung für „von Behinderung bedrohte Menschen“ sei. Dafür gibt’s im Teil 3 des SGB IX nach wie vor keinerlei Rechtsgrundlage. Die SBV ist weder für behinderte Beschäftigte ohne Gleichstellung noch für von Behinderung bedrohte Beschäftigte iSd § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB IX Interessenvertretung nach allg. Ansicht, sondern Betriebsrat/Personalrat. Siehe dazu auch hier und hier.

Nun ist auch früheres „Problem“ für BR-Sitzungen vom Tisch, dass bei BR/SBV-Doppelmandat diese Person als BR-Mitglied auszuschließen ist für BR-Sitzung, soweit persönlich betroffen, diese jedoch als SBV nicht gleichzeitig ausgeschlossen werden durfte. Nun ist persönlich betroffene VP auch als Mtgl. der SBV ausgeschlossen und ggf. durch ihren Stelli zu vertreten für diesen TOP in der BR-Sitzung wg. rechtlicher Verhinderung der Vertrauensperson.

Der frühere BAG-Rechtssatz: „Die Vertretung der Vertrauensperson durch das stellvertretende Mitglied wegen Betroffenheit in eigener Sache sieht das Gesetz gerade nicht vor“ ist Rechtsgeschichte, weil dies bekanntlich das Gesetz (BTHG) nunmehr vorsieht, da § 177 Absatz 1 Satz 1 SGB IX nunmehr alle Verhinderungsarten erfasst incl. rechtlicher Verhinderung.

Gruß,
Cebulon

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Verhinderung / Befangenheit vs. Unterrichtung

WoBi, Tuesday, 26.05.2020, 12:15 (vor 1438 Tagen) @ WoBi

Hallo zusammen,

Danke für euere Meinungen und Begründungen. Auch für die interessanten Link / Hinweise.

Ich könnte bei mehreren SBV beobachten, dass deren Arbeitgeber mit der Begründung der eigenen Betroffenheit die SBV kaltstellen will bzw. unter Berücksichtigung der dem Arbeitgeber bekannten Urlaubs-/Abwesenheitsplanung die Beiziehung der Stellvertreter verhindern, um die Vertrauensperson zu isolieren.
Es wurde z.B. die Vertrauensperson zum Personalgespräch zitiert, zu einem Zeitpunkt als alle Stellvertreter in Urlaub oder Krank waren. Gleichzeitig wurde der Vorsitzende des PR zum Gespräch geladen. Der Arbeitgeber wollte eine Abmahnung in einem „Abwasch“ abhandeln.

  • Keine umfassende und unverzügliche Unterrichtung bzw. nachfolgende Anhörung der SBV.
  • Direkte Hinzuziehung des Vorsitzenden und nicht eines Mitgliedes der Interessensvertretung des Vertrauens der abzumahnenden Person. Diente nur dem Interesse des Arbeitgebers, da damit das Gremium informiert ist.
  • Keine Klärung ob hier die Abmahnung wegen der geschuldeten Arbeit oder der ehrenamtlichen Tätigkeit erfolgt (volle Freistellung – welche geschuldete Arbeit)


Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 428/16 vom 12.08.16 - Seite 322 zum BTHG und damit zur Änderung im SGB IX

„Bisher war die Vertretung der Vertrauensperson durch ein stellvertretendes Mitglied nur in den Fällen der Verhinderung durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben möglich. Dem Schwerbehindertenrecht fehlte es somit an einer hinreichend offenen Vertretungsregelung (so Bundesarbeitsgericht vom 22. August 2013 - 8 AZR 574/12). Durch die Streichung dieser einschränkenden Gründe ist künftig damit auch eine Vertretung durch ein stellvertretendes Mitglied in Angelegenheiten möglich, in denen die Vertrauensperson individuell und unmittelbar betroffen ist und damit befangen sein könnte. In diesen Fällen war eine Vertretung bisher nicht möglich.“

Aus dieser Begründung für die Streichung der zwei fixen Verhinderungsgründe geht hervor, dass die Vertrauensperson eine „hinreichend offene Vertretungsregelung“ benötigt, um sich auch aus anderen Gründen durch das stellvertretende Mitglied der SBV vertreten zu lassen.

Nur wer stellt fest, dass „die Vertrauensperson individuell und unmittelbar betroffen ist und damit befangen sein könnte“?
Doch nicht der Arbeitgeber ggf. bereits im Vorfeld ohne umfassende und unverzügliche Unterrichtung!

Der BR stellt z.B. selbst fest, ob eine Angelegenheit der Mitbestimmung vorliegt. Der Arbeitgeber hat den BR unabhängig zu informieren. Wie der BR ist die SBV ein Ehrenamt. Die SBV ist unabhängig und weisungsfrei in ihrem handeln.

Es kann doch nicht sein, dass der durch das BAG festgestellte eingeengte Entscheidungsbereich der Vertrauensperson für eine Verhinderung durch deren weitgehende Öffnung zu einem Ausschuss der Beteiligung der SBV führen kann. Durch die Formulierung „befangen sein könnte“ muss nicht einmal eine reale Situation vorliegen.
Es reicht z.B. aus, dass der Arbeitgeber für schwerbehinderte Beschäftigte eine allgemeine Veränderung plant, um die Vertrauensperson und die schwerbehinderten Stellvertreter auszuklammern.

--
Gruß
Wolfgang

Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson?

Cebulon, Tuesday, 26.05.2020, 15:09 (vor 1438 Tagen) @ WoBi

Es reicht z.B. aus, dass der Arbeitgeber für schwerbehinderte Beschäftigte eine allgemeine Veränderung plant, um die Vertrauensperson und die schwerbehinderten Stellvertreter auszuklammern.

Nein, das dürfte nicht ausreichen, da ja lediglich mitbetroffen. In diesem Fall wäre m.E. die VP zu beteiligen, egal ob diese nun schwerbehindert ist oder nicht. Daher kein Fall der rechtlichen Verhinderung. Insoweit hat sich m.E. durchs BTHG nichts geändert, da lediglich mittelbare Betroffenheit.

Das ist eben keine sogenannte individuelle, gerade eine Vertrauensperson betreffende Angelegenheit. Vgl. etwa sinngemäß VG Mainz, 19.06.2012 - 2 K 473/11.MZ, für BR-Wahl mit folgendem Leitsatz: "Wahlbewerber können auch Mitglieder des Wahlvorstandes sein und sind nur bei individueller, gerade ihre Person betreffenden Entscheidungen verhindert." Eine solche rechtliche Verhinderung gibt’s jedenfalls bei örtlicher SBV-Wahl von vorn herein nicht - niemals z.B. im Bereich des BetrVG (VG Mainz, Rn. 22: „zu kandidieren oder Wahlvorschläge zu unterschreiben“).

Gibts Quellen für die oben zitierte Gegenansicht, dass bloße „allgemeine“ Mitbetroffenheit ausreiche? Wäre dem so, so könnte z.B. der BR nie eine Betriebsvereinbarung abschließen, von der (wie so oft) alle Beschäftigten betroffen sind und damit auch jedes einzelne Mitglied und Ersatzmitglied des Betriebsrats. Reicht mitnichten aus für rechtliche Verhinderung.

Nur wer stellt fest, dass „die Vertrauensperson individuell und unmittelbar betroffen ist und damit befangen sein könnte“?

Siehe hier. Gibt’s Dissens, entscheidet ggf. Arbeitsgericht (in Dienststellen des öffentlichen Dienstes das Verwaltungsgericht, da Maßnahme der Geschäftsführung). Zur Frage der rechtlichen Verhinderung der VP vgl. sinngemäß Rechtsprechung für BR-Mitglieder zu § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.

Gruß,
Cebulon

Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson?

WoBi, Wednesday, 27.05.2020, 08:12 (vor 1437 Tagen) @ Cebulon

Hallo Cebulon,

Danke für die Klarstellungen.
Liege ich mit der Einschätzung richtig, dass der Arbeitgeber Informationen/Unterrichtung nicht nach seinem eigenen Ermessen einer Stellvertretung zukommen lassen kann. Der Informationseingang hat bei der Vertrauensperson, falls vorhanden im Funktionspostfach oder dem SBV-Büro zu erfolgen. Vergleichbar wie beim BR, wo der Vorsitzende die "Briefkasten-/Sprecherfunktion" inne hat.
(Was auch der Grund ist, warum der Arbeitgeber bevorzugt den Vorsitzenden einladet - Argument beim Widerspruch: "Haben Sie kein Vertrauen in Ihren Betriebsrat")

Vielleicht habe ich in meinem Umfeld gerade ein paar kreative Arbeitgeber, die diesen Weg austesten wollen? Aber es ist seltsam, dass z.B. bei Veränderungen in Abteilungen, auch immer der Bereich der Vertrauensperson von den jeweiligen geplanten Maßnahmen betroffen sein soll und Auskünfte wegen der "eigenen" Betroffenheit der Vertrauensperson verweigert werden.

Für mich ist das ein Versuch die SBV "kaltzustellen". Die anderen SBV sind jedenfalls davor gewarnt. Hier kommt jede Menge Psychologie ins Spiel, um einen zu überrumpeln.

--
Gruß
Wolfgang

Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson?

Cebulon, Wednesday, 27.05.2020, 15:14 (vor 1437 Tagen) @ WoBi

... dass z.B. bei Veränderungen in Abteilungen, auch immer der Bereich der Vertrauensperson von den jeweiligen geplanten Maßnahmen betroffen sein soll und Auskünfte wegen der "eigenen" Betroffenheit der Vertrauensperson verweigert werden.

Hallo, das ist mir momentan alles zu abstrakt. Geht‘s evtl. etwas konkreter, damit man sich da besser reindenken kann? Welche Veränderungen sowie welche „geplanten Maßnahmen“?

Bei Frage zu rechtlicher Verhinderung der VP könnte Kommentar und Rechtsprechung zu dem § 25 Absatz 1 Satz 2 BetrVG sinngemäß evt. weiterhelfen.

Gruß,
Cebulon

Rechtliche Verhinderung der Vertrauensperson?

WoBi, Thursday, 28.05.2020, 10:53 (vor 1436 Tagen) @ Cebulon

Hallo,

wenn im Bereich X mit behinderten KollegInnen wegen Arbeitsanfall Mehrarbeit erforderlich ist, wird der kleine und unabhängige Bereich Y, wo die behinderte Vertrauensperson tätig ist, auch gleichzeitig Mehrarbeit beantragt. Die SBV wird nicht über die Beantragung der Mehrarbeit und die Anordnung der Mehrarbeit im Bereich X informiert, weil für den Bereich Y auch Mehrarbeit beantragt, aber nicht angeordnet worden ist.
Begründung: Die Mehrarbeit hätte die Vertrauensperson betreffen können.

Dies wurde auch bei zusätzlichen Schreibtischen in den Räumen durch Zusammenlegungen oder Einstellungen im Bereich X angewendet, nur wurde dafür im Bereich Y ein kleiner Arbeitstisch für einen Azubi aufgestellt. Bis jetzt wurde kein Azubi eingestellt.
Begründung: Durch die zusätzliche und erforderliche Möblierung war die Vertrauensperson betroffen.

Der Arbeitgeber hat die SBV in allen Angelegenheiten die einen schwerbehinderten Beschäftigten berühren zu unterrichten. Dieser Verpflichtung kann sich der Arbeitgeber wegen einer möglichen Betroffenheit der Vertrauensperson nicht entziehen. Es obliegt nicht dem Arbeitgeber zu den internen Abläufen der SBV Vorentscheidungen zu treffen.

Es ist gut, dass sich die Vertrauensperson nunmehr durch einen Stellvertreter zu einem Personalgespräch z.B. Abmahnung begleiten lassen kann und nicht mehr gezwungen ist "Betroffener und Fürsprecher" in Personalunion zu sein.
Nur ist die Anzahl der Stellvertreter endlich und ggf. situationsbedingt nicht verfügbar.

Durch den Arbeitgeber wird die Umkehrung zur Unterrichtungspflicht praktiziert und dies durch die Begründung der Bundesregierung im Gesetzesentwurf "befangen sein könnte" gerechtfertigt. Besonderen Wert wird auf das "könnte" gelegt.

--
Gruß
Wolfgang

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