Prüfpflicht (Allgemeines)

Martin Stöcklein, Monday, 20.12.2021, 13:00 (vor 870 Tagen)

Guten Morgen ihr Lieben!

Ich habe eine (etwas sehr dringende) Frage:

Vorab zur Info: es handelt sich hier um den öffentlichen Dienst.

Ich habe eine Stellenausschreibung zur Prüfung bekommen. Auf diese Stelle passt eine schwerbehinderte Kollegin, die zurzeit ausgesteuert ist. Weiterhin wurde für diese Kollegin die Kündigung beim Inklusionsamt beantragt.
Gleichzeitig ist aber noch ein BEM-Verfahren offen.
Der Antrag auf Kündigung wurde im August 2021 gestellt. Eine Entscheidung steht noch aus.

Ich habe nun der Personalabteilung vorgeschlagen, die Stelle mit der Kollegin zu besetzen.
Dort wird sich nun auf die Ausschreibungspflicht berufen und dass sich die Kollegin dann ja, wie alle anderen auch, auf diese Stelle bewerben kann.
Es handelt sich um eine Stelle, die mit einem Beamten/einer Beamtin oder einem Beschäftigten/einer Beschäftigten besetzt werden könnte.

Ich bin gerade ein bisschen überfragt, wie der §164 SGB IX hier zu interpretieren ist und daher meine folgenden Fragen:
Kann ein schwerbehinderter Mensch auf diese Stelle versetzt werden ohne sich zu bewerben? Auch, wenn dies mit einer Beförderung, bzw. wie hier einer Höhergruppierung, einhergehen würde? Kann die Kollegin vielleicht im Rahmen des BEM einfach versetzt werden ohne die Stelle auszuschreiben?
Oder ist hier Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz ausschlaggebend und die Stelle muss ausgeschrieben werden?
Verhält es sich anders, wenn die Kollegin nur in Teilzeit arbeiten möchte? Dann könnte ja zumindest die andere Hälfte ausgeschrieben werden…

Ich hoffe, ihr versteht mein Problem.
Für eine zeitnahe Antwort wäre ich euch wirklich seeeeeehr dankbar! Der Fall müsste nämlich heute noch geklärt werden…

Liebe Grüße
Simone

Prüfpflicht

WoBi, Monday, 20.12.2021, 18:28 (vor 869 Tagen) @ Martin Stöcklein

Hallo Martin Stöcklein,

der öffentliche Arbeitgeber hat nach § 165 SGB IX vor einer Ausschreibung zu prüfen, ob die Stelle intern mit bereits (schwer-)behinderten MBeschäftigten besetzt werden kann.
"Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 156)."
Dies in Verbindung mit § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, der für alle Arbeitgeber gilt. Die SBV und der PR sind entsprechend § 164 Abs. 1 Satz 6 SGB IX zu beteiligen.

Zu den Prüfpflichten einfach die Suche nutzen. So z.B. https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=27317

Kündigung ist das "ultia ratio" und wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht, kann eine Kündigung vor den Arbeitsgericht angegriffen werden. Aber noch ist keine Kündigung ausgesprochen worden.

--
Gruß
Wolfgang

Prüfpflicht

Cebulon, Monday, 20.12.2021, 22:44 (vor 869 Tagen) @ Martin Stöcklein

Auf diese Stelle passt eine schwerbehinderte Kollegin, die zurzeit ausgesteuert ist.

Hallo Simone, wenn langzeiterkrankt bis auf weiteres, so steht die arbeitsunfähige Ausgesteuerte für diese Stelle ja derzeit gar nicht zur Verfügung, oder? Evtl. aber stufenweise Wiedereingliederung als_sbM? Das müsste im noch offenen BEM-Verfahren bzw. im Zustimmungsverfahren geklärt werden. Dazu bedarf es zwingend eines ärztlichen Wiedereingliederungsplans mit Prognose für die erwogene Teilzeitarbeit. Dieser Stufenplan sollte dem Arbeitgeber und dem Inklusionsamt vorgelegt werden.

Ergänzung zur Aussteuerung:
„Der Bezug von Arbeitslosengeld-I oder Arbeitslosengeld-II steht der_stufenweisen Wiedereingliederung nicht entgegen, sofern das frühere Beschäftigungsverhältnis noch besteht und nicht gekündigt ist.“ StW folglich auch dann, wenn man ALG-II bezieht, da sowohl Krankengeld als auch ALG-I bereits ausgeschöpft sind lt LSG M-V, Urteil von 28.05.2020, L 6 KR 100/15 (rechtskräftig).

Gruß,
Cebulon

Prüfpflicht

albarracin, Baden-Württemberg, Tuesday, 21.12.2021, 08:42 (vor 869 Tagen) @ Cebulon

Hallo Cebulon,

das hier


Hallo Simone, wenn langzeiterkrankt bis auf weiteres, so steht die arbeitsunfähige Ausgesteuerte für diese Stelle ja derzeit gar nicht zur Verfügung, oder?

ist eine vorschnelle Schlußfolgerung. Denn die AU bezieht sich immer nur auf die aktuell geschuldete Arbeitsleistung. Es kann sehr wohl sein, daß für den bisherigen Arbeitsplatz weiterhin AU besteht, aber für einen neuen, leidensgerechten Arbeitsplatz nicht.

--
&Tschüß

Wolfgang

Prüfpflicht

Cebulon, Tuesday, 21.12.2021, 08:51 (vor 869 Tagen) @ albarracin

ist eine vorschnelle Schlußfolgerung.

Das ist ganz falsch: Das ist keine „Schlussfolgerung“, sondern vielmehr eine Frage, schon auf dem ersten Blick erkennbar am Fragezeichen.

Gruß,
Cebulon

Prüfpflicht

garda, Berlin, Tuesday, 21.12.2021, 08:27 (vor 869 Tagen) @ Martin Stöcklein

Ich habe eine Stellenausschreibung zur Prüfung bekommen. Auf diese Stelle passt eine schwerbehinderte Kollegin, die zurzeit ausgesteuert ist. Weiterhin wurde für diese Kollegin die Kündigung beim Inklusionsamt beantragt.
Gleichzeitig ist aber noch ein BEM-Verfahren offen.
Der Antrag auf Kündigung wurde im August 2021 gestellt. Eine Entscheidung steht noch aus.

Ich habe nun der Personalabteilung vorgeschlagen, die Stelle mit der Kollegin zu besetzen.
Dort wird sich nun auf die Ausschreibungspflicht berufen und dass sich die Kollegin dann ja, wie alle anderen auch, auf diese Stelle bewerben kann.
Es handelt sich um eine Stelle, die mit einem Beamten/einer Beamtin oder einem Beschäftigten/einer Beschäftigten besetzt werden könnte.

Ich bin gerade ein bisschen überfragt, wie der §164 SGB IX hier zu interpretieren ist und daher meine folgenden Fragen:
Kann ein schwerbehinderter Mensch auf diese Stelle versetzt werden ohne sich zu bewerben? Auch, wenn dies mit einer Beförderung, bzw. wie hier einer Höhergruppierung, einhergehen würde? Kann die Kollegin vielleicht im Rahmen des BEM einfach versetzt werden ohne die Stelle auszuschreiben?
Oder ist hier Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz ausschlaggebend und die Stelle muss ausgeschrieben werden?
Verhält es sich anders, wenn die Kollegin nur in Teilzeit arbeiten möchte? Dann könnte ja zumindest die andere Hälfte ausgeschrieben werden…

Hallo,

die Ausschreibung ist nachrangig zur internen Ausschreibung, das kam ja bereits raus. Ist zu dieser Stellenbesetzung die SBV angehört worden?

Jetzt aber der Knackpunkt: es wurde gesagt, die Ausgesteuerte "passe auf diese Position" andererseits würde die Stellenbesetzung faktisch eine Beförderung bedeuten. Zu einer Beförderung verpflichtet das SGB 9 definitiv nicht!

Meine Fragen lauten:

1. Ist mit einer zeitnahen Rückkehr der Ausgesteuerten zu rechnen? Gibt es da eine ärztliche Prognose?
2. Wie passen "Eignung" und "Beförderung" zusammen? Hier wäre eine deutliche Sachaufklärung notwendig.

Erst nach den Antworten auf diese Fragen kann hier sinnvoll eine Antwort erfolgen.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

Prüfpflicht

Simone24, Tuesday, 21.12.2021, 09:02 (vor 869 Tagen) @ Martin Stöcklein

Guten Morgen zusammen,

zunächst einmal Danke für eure Antworten!

@garda: hier noch die Antworten zu deinen Fragen:
1. Grundsätzlich ist die Kollegin schon länger wieder arbeitsfähig. Nur halt nicht mehr in ihrem ursprünglichen Bereich.
2. Eignung und Beförderung schließen sich ja nicht grundsätzlich aus.

Letztendlich wird der Arbeitgeber die Stelle intern ausschreiben (das hat er bereits deutlich gemacht). Die Kollegin hat dann die Möglichkeit, sich zu bewerben.

Aber nochmal eine kurze andere Frage: WoBi schreibt: "Der öffentliche Arbeitgeber hat nach § 165 SGB IX vor einer Ausschreibung zu prüfen, ob die Stelle intern mit bereits (schwer-)behinderten MBeschäftigten besetzt werden kann."
Wie schaut diese Prüfung konkret bei euch aus bzw. was passiert, wenn bei der Prüfung rauskommt, dass die Stelle mit (schwer-)behinderten Menschen besetzt werden kann? Gibt es dann Fälle, in denen schwerbehinderte Menschen ohne weiteres Auswahlverfahren auf diese freie Stelle gesetzt werden?
Hier wäre ich tatsächlich sehr dankbar für ein paar Erfahrungswerte.

Liebe Grüße
Simone

Prüfpflicht

WoBi, Tuesday, 21.12.2021, 11:52 (vor 869 Tagen) @ Simone24

Hallo Simone24,

die Voraussetzungen für die Prüfung vor einer Stellenausschreibung sind:
Auszug aus https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=27317
„Der Arbeitgeber hat nach § 164 Abs. 1 S. 6 SGB IX i.V.m. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX die SBV bei der Ausübung der Prüfpflicht nach § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX zu beteiligen. Dabei hat der Arbeitgeber zu prüfen ob bereits schwerbehinderte oder gleichgestellte Beschäftigte z.B. im Rahmen von § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX auf diesen Arbeitsplatz versetzt oder befördert werden können. Die SBV und der BR/PR können dazu ebenfalls geeignete schwerbehinderte oder gleichgestellte Beschäftigte vorschlagen.

Dazu ist die SBV umfassend zu unterrichten, wann und welcher Arbeitsplatz neu geschaffen und besetzt bzw. welcher vorhandene Arbeitsplatz wieder besetzt werden soll. Dies hat unter Angabe einer genauen Arbeitsplatzbeschreibung, Informationen über Arbeitsbelastung, erforderliche berufliche Qualifikation und die Einordnung in den betrieblichen Ablauf zu erfolgen. Die Prüfung ist immer am konkret vorgesehenen Arbeitsplatz durchzuführen. Dazu ist das Anforderungsprofil für die Stelle, die Stellenbeschreibung, die Arbeitsplatzbeschreibung und die vorgesehene zukünftige Stellenausschreibung erforderlich.

Die Stellenbeschreibung ist ein Organisationsinstrument und beschreibt unabhängig von Personen, stellenbezogen und prozessorientiert, die mit einer Arbeitsstelle verbundenen Funktionen innerhalb der Ablauforganisation. In der Arbeitsplatzbeschreibung sind die vom Stelleninhaber auszuführenden Aufgaben und Tätigkeiten detailliert beschrieben. Beides findet sich oft in der Stellenausschreibung anteilig wieder.

Die SBV ist dazu anzuhören, ihre Stellungnahme bei der Entscheidung zu berücksichtigen und die getroffene Entscheidung durch den Arbeitgeber unverzüglich der SBV mitzuteilen. Ob ein Stellenangebot im Zusammenhang mit Fluktuation, Änderungen im Anforderungsprofil oder sonstigen unternehmerischen Überlegungen zusammenhängt ist für die Auslösung der Rechtsfolgen nach § 164 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 6 SGB IX unerheblich.“

Der Arbeitgeber hat anhand den Anforderungen der geplanten Stellenausschreibung gegenüber den bereits beschäftigten (schwer-)behinderten Menschen abzugleichen und den geeigneten Personen das Angebot einer Umsetzung oder Beförderung zu unterbreiten.

Die SBV / PR sind bei der Auswahl der geeigneten behinderten Beschäftigten einzubinden. Also auch die negative Rückmeldung, dass der behinderte Beschäftigte XY wegen fehlendem Zertifikat YX nicht geeignet ist.
Wenn ein geeigneter (schwer-)behinderter Beschäftigter Interesse an der freien/freiwerdenden/neuen Stellen hat, ist dieser Beschäftigter ohne Ausschreibung entsprechend nach § 164 Abs. 4 Ziffer 1 SGB IX ver-/umzusetzen oder zu befördern.
„Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf
Beschäftigung
, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,“

Es ist eine Art vorgezogene (interne) Stellenbesetzung mit den geplanten Anforderungen einer nicht mehr folgenden Stellenausschreibung.
Der Vorgang für den PR/BR entspricht, wie eine direkte Besetzung eines ausgelernten Auszubildenden auf den ersten Arbeitsplatz.

--
Gruß
Wolfgang

Prüfpflicht

Simone24, Tuesday, 21.12.2021, 13:38 (vor 869 Tagen) @ WoBi

Hallo Wolfgang,

vielen, vielen Dank für deine ausführliche Antwort!! :-)

Liebe Grüße
Simone

Prüfpflicht

garda, Berlin, Tuesday, 21.12.2021, 15:03 (vor 868 Tagen) @ Simone24

@garda: hier noch die Antworten zu deinen Fragen:
1. Grundsätzlich ist die Kollegin schon länger wieder arbeitsfähig. Nur halt nicht mehr in ihrem ursprünglichen Bereich.

Hallo Simone,

dann steht ja da nichts im Wege.

2. Eignung und Beförderung schließen sich ja nicht grundsätzlich aus.

Natürlich nicht aber es gibt eben auch kein Recht auf Beförderung.

Wie schaut diese Prüfung konkret bei euch aus bzw. was passiert, wenn bei der Prüfung rauskommt, dass die Stelle mit (schwer-)behinderten Menschen besetzt werden kann? Gibt es dann Fälle, in denen schwerbehinderte Menschen ohne weiteres Auswahlverfahren auf diese freie Stelle gesetzt werden?
Hier wäre ich tatsächlich sehr dankbar für ein paar Erfahrungswerte.

Ja, das ist in meinem Haus schon passiert. Da wird dann natürlich genau auf Qualifikation und Beurteilung geschaut aber wenn das passt, dann passiert das auch, sowohl mit, wie auch ohne BEM.

--
Mit freundlichen Grüßen

Michael

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