Schwerbehinderte soll nicht eingestellt werden (Einstellung)

donnaantonia, Tuesday, 29.09.2009, 14:17 (vor 5342 Tagen)

Im Unternehmen soll eine Sekretärin für den juristischen Bereich eingestellt werden. Dazu hat ein Auswahlverfahren stattgefunden, woran auch mehrere Schwerbehinderte teilnahmen. Die SBV nahm ebenfalls an allen Vorstellungsgesprächen teil. Alle Bewerberinnen mussten wegen des hohen Anteils an Schreibarbeiten auf diesem Arbeitsplatz zusätzlich an einem Schreibtest teilnehmen. Dieser Schreibtest wurde von einer Schwerbehinderten mit Abstand am besten erfüllt. Weiterhin erfüllt sie alle in der Stellenanzeige verzeichneten Anforderungen und ist wegen ihrer einschlägigen, langjährigen Berufstätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei die aus Sicht der SBV mit Abstand geeignetste Bewerberin. Trotzdem beabsichtigt der Arbeitgeber eine andere Bewerberin (Nichtbehinderte) einzustellen. Was kann die SBV im Vorfeld des Antrags auf Einstellung dieser Bewerberin beim Betriebsrat noch tun> Alle Argumente zwischen Arbeitgeber und SBV sind ausgetauscht. Der Arbeitgeber bleibt bei seiner Entscheidung.

Schwerbehinderte soll nicht eingestellt werden

albarracin, Baden-Württemberg, Wednesday, 30.09.2009, 10:01 (vor 5341 Tagen) @ donnaantonia

Hallo,

die SBV kann den BR auf sein Recht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG hinweisen, wenn die SBV der Meinung ist, daß für die Nichtberücksichtigung kein sachlicher Grund vorliegt und somit der Verdacht auf einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Nr.1 AGG vorliegt.
Falls es im Betrieb mitbestimmte Auswahlrichtlinien gibt und/oder die Kriterien des konkreten Auswahlverfahrens mit dem BR abgestimmt waren, kommt natürlich auch § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG in Betracht.

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&Tschüß

Wolfgang

Schwerbehinderte soll nicht eingestellt werden

Doris, Wednesday, 30.09.2009, 11:43 (vor 5341 Tagen) @ donnaantonia

» Was kann die SBV im Vorfeld des Antrags auf Einstellung dieser Bewerberin beim Betriebsrat noch tun> Alle Argumente zwischen Arbeitgeber und SBV sind ausgetauscht. Der Arbeitgeber bleibt bei seiner Entscheidung.

Hallo donnaantonia,

sofern der Arbeitgeber die Pflichtquote nicht erfüllt und die SBV bzw. der BR mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist, muss der Arbeitgeber diese unter Darlegung der Gründe mit ihnen erörtern (§ 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX). Dabei hat der Arbeitgeber den betroffenen schwerbehinderten Bewerber anzuhören (§ 81 Abs. 1 Satz 8 SGB IX). Alle Beteiligten sind sodann vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten (§ 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX).

Versäumt der Arbeitgeber in derartigen Fällen die Erörterung oder die Unterrichtung, begeht er jeweils eine Ordnungswidrigkeit.

Tipps zur rechtlichen Möglichkeit zur Einstellung schwerbehinderter Menschen unter
www.schwbv.de/einstellung.html

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Viele Grüße
Doris

Schwerbehinderte soll nicht eingestellt werden

hackenberger, Wednesday, 14.10.2009, 21:00 (vor 5327 Tagen) @ donnaantonia

Hallo "donnaantonia",

sofern NUR schwerbehinderte Bewerber einen Schreibtest machen musstem, würde dieses ganz eindeutig einen Verstoß gegen § 1 AGG darstellen. Dieses hätte die SchwbV auch beanstanden müssen und dagegen einschreiten.


AG muss sofern er die Pflichtquote nicht erfüllt § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX weiter zu beachten.

Hier Auszüge aus dem Knittelkomentar zum § 81 Abs. 1

Rn 38
Eine besondere Erörterungspflicht ist bei beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern vorgesehen. Diese kommt zum Tragen, wenn der Arbeitgeber die Pflichtquote nicht erfüllt hat und die Schwerbehindertenvertretung oder die betriebliche Interessenvertretungen mit der beabsichtigten Einstellungsentscheidung nicht einverstanden ist (Abs. 1 Satz 7). Der Arbeitgeber muss dann die beabsichtigte Einstellungsentscheidung mit der Schwerbehindertenvertretung und der betrieblichen Interessenvertretung in einem Gespräch erörtern und im Einzelnen begründen. Allein der Austausch gegensätzlicher schriftlicher Stellungnahmen genügt dem nicht (BAG Urteil vom 15. August 2006 – 9 AZR 571/05, zit. nach JURIS, unter II 2a der Gründe). “Erörtern” bedeutet den Austausch der Argumente und Meinungen mit dem Ziel, zu einer Verständigung zu gelangen (GK-SGB XI / Großmann Rdnr. 112) und die Führung eines Gesprächs, in dem die von der Vertretung “vorgetragenen Einwände erörtert werden” (Müller-Wenner / Schorn Rdnr. 23). Hierbei ist insbesondere darzulegen, weshalb die Einstellung des schwerbehinderten Bewerbers trotz Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht abgelehnt werden soll.

Rn 39
Der Arbeitgeber muss außerdem alle von der beabsichtigten Entscheidung betroffenen schwerbehinderten Bewerber anhören (Abs. 1 Satz 8). Das ist sowohl im Rahmen der Erörterungen mit der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebs- / Personalrat als auch in einem eigenen Gesprächstermin möglich. Bei diesem sind Schwerbehindertenvertretung und betriebliche Interessenvertretungen teilnahmeberechtigt (Hauck / Noftz / Schröder Rdnr. 10).

Rn 43
Der Arbeitgeber soll sich nur nach reiflicher Überlegung und unter Berücksichtigung aller Umstände gegen einen schwerbehinderten Bewerber entscheiden. Der Zwang für den Arbeitgeber, im Erörterungsgespräch die Ablehnungsgründe offenlegen zu müssen, erleichtert dem abgelehnten Bewerber, einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 81 Abs. 2 glaubhaft machen zu können, falls der Arbeitgeber nicht nur sachliche Gründe vorbringt (Müller-Wenner / Schorn Rdnr. 26).

Rn 44
Ist die Einstellungsentscheidung endgültig getroffen, hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich, d. h. hier in der Regel sofort, gem. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu informieren. Darüber hinaus müssen alle Beteiligten, also auch die betriebliche Interessenvertretung und die abgelehnten schwerbehinderten Bewerber, vom Arbeitgeber unterrichtet werden (Abs. 1 Satz 9). Die Unterrichtungspflicht ist nicht davon abhängig, dass zuvor eine Erörterung und Anhörung nach Abs. 1 Satz 7 und 8 stattgefunden hat (Großmann BehindertenR 2003, 125 [133]; Neumann u. a. / Neumann Rdnr. 9; a. A. Müller-Wenner / Schorn Rdnr. 27). Denn die Regelung hat eine eigenständige und von den vorhergehenden Sätzen unabhängige Stellung und Bedeutung. Die Pflicht zur Unterrichtung besteht also auch dann, wenn der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht verletzt hat bzw. das zumindest behauptet.

Rn 46
Das schließt nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht nur die Mitteilung der Entscheidung, sondern auch ihrer Begründung ein (ArbG Frankfurt a. M. Urteil vom 19. Februar 2003 = BehindertenR 2004, 199). Nur so können abgelehnte schwerbehinderte Bewerber gegebenenfalls die Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen oder Rechte aus § 81 Abs. 2 SGB IX geltend machen (Müller-Wenner / Schorn Rdnr. 27). Denn der Bewerber kann innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnungsentscheidung schriftlich einen Entschädigungsanspruch geltend machen, wenn er geltend macht, im Verlauf des Bewerbungs- und Einstellungsverfahrens wegen seiner Behinderung unzulässig benachteiligt worden zu sein (§ 81 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 15 Abs. 4 AGG).

Rn 47
Dabei ist es dem Arbeitgeber grundsätzlich verwehrt, sich auf Gründe zu beziehen, die er dem betroffenen Bewerber im Rahmen seiner Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nicht mitgeteilt hat (Hess. LAG Urteil vom 7. November 2005 = NZA-RR 2006, 213; ArbG Frankfurt a. M. Urteil vom 19. Februar 2003 a. a. O). Ein Nachschieben von Gründen kommt regelmäßig nicht in Betracht. Der Arbeitgeber könnte andernfalls unter Missachtung der Formvorschriften das Benachteiligungsverbot umgehen. Nachträglich, d. h. vor allem in dem Verfahren nach § 81 Abs. 2 SGB IX, vorgebrachte Gründe können ausnahmsweise nur dann herangezogen werden, wenn der Arbeitgeber sie vorher nicht geltend machen konnte. Das kann der Fall sein, wenn sich während des Einstellungsverfahrens z. B. die Aufgabenstellung und damit die Anforderungen an die Qualifikation des einzustellenden Arbeitnehmers geändert haben oder wenn aufseiten der Bewerber Veränderungen eingetreten sind. Im Übrigen ist der Arbeitgeber inhaltlich an die Begründung gebunden, die er im Rahmen seiner Mitteilung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX abgegeben hat (ArbG Frankfurt a. M. Urteil vom 19. Februar 2003 a. a. O.).

Rn 49
Ein Verstoß gegen das gesetzliche Beteiligungsverfahren kann eine Ordnungswidrigkeit darstellen bei Verletzung der Unterrichtungspflichten gem. § 156 Nr. 7 SGB IX sowie bei Verstoß gegen die Erörterungspflicht nach § 156 Nr. 8 SGB IX (näher hierzu Neumann BehindertenR 2004, 103). Das gilt nicht, wenn die Beteiligungspflicht deshalb entfällt, weil der schwerbehinderte Bewerber eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach Abs. 1 Satz 10 ausdrücklich abgelehnt hat.

Schwerbehinderte soll nicht eingestellt werden

donnaantonia, Thursday, 15.10.2009, 08:27 (vor 5326 Tagen) @ hackenberger

Hallo Herr Hackenberger,

zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass alle Bewerber/innen den Schreibtest absolvieren mussten.

Die Erörterung zwischen dem Arbeitgeber, dem BR und der SBV hat stattgefunden. In diesem Gespräch begründete der Arbeitgeber seine Entscheidung mit der Aussage: "Beide Bewerberinnen sind gleicht gut; nur die Nichtschwerbehinderte würde besser passen." Auf Nachfrage, was den mit einer Aussage "passt besser" gemeint ist, kamen leider keine substantiellen Beiträge vom Arbeitgeber. Jedoch sei dem Arbeitgeber wichtig zu erwähnen, dass die Entscheidung nicht aufgrund der Schwerbehinderung der Bewerberin getroffen wurde. SBV und BR stimmten jedoch nicht der Aussage zu, dass beide gleich gut geeignet sind, da die Schwerbehinderte eindeutig in Bezug auf Ausbildung, einschlägige Berufserfahrung, Schreibtest besser ist. Die Erörterung endete ohne Ergebnis.

Auf der monatlichen Besprechung zwischen der Geschäftsführung, dem BR und der SBV stellte die SBV noch einmal das Anforderungsprofil dar und verglich die Bewerberinnen anhand des Anforderungsprofils. Weiterhin wurden die Vorteile der Einstellung einer schwerbehinderten Bewerberin und die Nachteile bei der Einstellung der nicht schwerbehinderten Bewerberin aufgrund ihrer z. B. 25%igen schlechteren Schreibleistung (Quantität und Quantität) aufgezeigt. Die Geschäftführung teilte daraufhin mit, die Argumente noch einmal prüfen zu wollen.

Am gleichen Tag sandte man der schwerbehinderten Bewerberin ein Schreiben zu, in der man ihr mitteilte: "Sie verfüge über umfanreiche Fähigkeiten und Kenntnisse und erfülle insgesamt die an diese Stelle verknüpften Anforderungen. Wir haben jedoch eine Kandidatin gefunden, dessen Profil ebenfalls mit unseren Anforderungen übereinstimmt und nach unserem Eindruck, gewonnen aus den Vorstellungsgesprächen, noch besser ins Unternehmen passt."

Weiterhin bietet man ihr an, die Gründe für die getroffene Entscheidung näher zu erläutern. Sofern sie Interesse hat, kann sie sich binnen einer Woche mit dem Unternehmen in Verbindung setzen, um einen Termin abzustimmen.

Die SBV erhielt durch den Erhalt der Kopie des Ablehnungsschreibens an die schwerbehinderte Bewerberin über die getroffene Entscheidung am 14.10.2009 Kenntnis. Aus Sicht der SBV werden Fakten geschaffen.

Schon nach der Erörterung mit dem Arbeitgeber hat der BR und die SBV den Arbeitgeber informiert, dass die Gremien juristischen Sachverstand benötigen. Leider hat sich dazu der Arbeitgeber immer noch nicht durch Unterzeichnung der Kostenübernahme geäußert.

Was kann nun noch unternommen werden> Sollte die SBV die abgelehnte schwerbehinderte Bewerberin dazu ermutigen, das Angebot eines Gesprächstermin wahrzunehmen>

Schwerbehinderte soll nicht eingestellt werden

hackenberger, Thursday, 15.10.2009, 18:10 (vor 5326 Tagen) @ donnaantonia

Hallo "donnaantonia",

» zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass alle Bewerber/innen den
» Schreibtest absolvieren mussten.
Dann habe ich dieses falsch verstanden. Damit wäre der Schreibtest auch durchaus akzeptabel. Sollte aber ein Schwerbehinderter auf Grund der Behinderung beim Schreiben/ Schreibtest Probleme haben welche man mit geeigneten Hilfsmitteln ausgleichen könnte müsste dieses berücksichtigt werden.

» Schon nach der Erörterung mit dem Arbeitgeber hat der BR und die SBV den
» Arbeitgeber informiert, dass die Gremien juristischen Sachverstand
» benötigen. Leider hat sich dazu der Arbeitgeber immer noch nicht durch
» Unterzeichnung der Kostenübernahme geäußert.
Der BR sollte seine Möglichkeiten gem BetrVG nutzen und einen externen Sachverstand und ggf. RA nach entsprechendem Beschluss in Anspruch nehmen. Es bedarf hierzu keiner Zustimmung des AG. Der BR kann hier gem. § 40 BetrVG handeln.

Externer Sachverstand kann vom BR in Anspruch genommen werden, er muss nur erst prüfen ob es diesen nicht intern gibt.

Weiter sollte der BR einer Einstellung der nichtbehinderten Bewerberin nicht zustimmen und so den AG notfalls in die Ersatzzustimmung durch das ArbG zwingen. Er sollte dann nur all seine Gründe für die Verweigerung der Zustimmung, also incl. des Hinweises, dass er hier einen Verstoß der AG gegen das AGG sieht aufführen.

» Was kann nun noch unternommen werden> Sollte die SBV die abgelehnte
» schwerbehinderte Bewerberin dazu ermutigen, das Angebot eines
» Gesprächstermin wahrzunehmen>
Ja, durchaus. Man kann sogar durchblicken lassen, dass man auch prüft ob hier nicht rechtliche Unterstützung zur Prüfung einer Klage wegen Verstoß gegen das AGG mit dem Ziel des Schadenersatzes und ggf. weiterer Entschädigung in Anspruch genommen werden sollte, da man hier durchaus eine Verletzung des AGG als gegeben ansieht.

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