Präventionsverfahren während der Wartezeit (Allgemeines)

Holländermichel, Gevelsberg, Friday, 26.04.2024, 13:09 (vor 164 Tagen) @ Cebulon

Hallo in die Runde,

zunächst mal wäre nach meiner Ansicht zu klären ob die SBV beim ersten Auftreten von Schwierigkeiten, die zur Gefährdung des AV führen könnten informiert wurde. Ist das nicht der Fall könnte ich mir, je nach Sachverhalt so eine Stellungnahme vorstellen:

"Nach § 167 SGB IX (Prävention) schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
Diese Verpflichtung besteht bei Schwerbehinderten auch in der Probezeit, unabhängig davon, dass in diesem Fall die Wartezeit nicht erfüllt wurde.

Zu meinem Bedauern ist mir von derartigen Schwierigkeiten bis zur Vorlage an den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung nichts bekannt geworden.

Der Vorlage lassen sich die Gründe, die zu einer Kündigung geführt haben nur unzureichend entnehmen. Zu den prägenden Gründen für die beabsichtigte Kündigung lässt sich der Vorlage jedenfalls nichts Wesentliches entnehmen, vielmehr wird allgemein auf XXXXX verwiesen (Sachverhalt). Diese sehr allgemein gehaltene Mitteilung widerspricht der erforderlichen umfassenden Unterrichtung der SBV vor einer beabsichtigten Kündigung.

Im Kommentar zum SGB IX von Dau/Düwell/Joussen zu § 178 SGB IX Rdn. 62wird ausgeführt, dass die SBV ihre Aufgaben aus § 178 Absatz 1 Satz 1 SGB IX, die Eingliederung zu fördern sowie beratend und helfend zur Seite zu stehen, nur erfüllen kann, wenn sie einen umfassenden Überblick über die Hintergründe der beabsichtigten Kündigung erhält. Die Unterrichtung zum Sachverhalt, der zum Anlass der Kündigung genommen werden soll, muss so umfassend sein, das sich die SBV ohne eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben.

Dabei würde es dem Eingliederungsgedanken widersprechen, wenn Gründe für die beabsichtigte Kündigung prägend wären, die behinderungsbedingt sind und ggf. durch organisatorische oder andere Maßnahmen beseitigt werden könnten.

All dies kann die Schwerbehindertenvertretung, da eine rechtzeitige und umfassende Unterrichtung bislang unterblieben ist, aber nur eingeschränkt feststellen. Dies erschwert eine qualifizierte Stellungnahme zusätzlich.

Der/Die Kollegin xxx zählt als Schwerbehinderte Person zu einem besonders geschützten Personenkreis. Zwar ist während der Probezeit der Kündigungsschutz dahingehend eingeschränkt, dass die Zustimmung des Integrationsamtes gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht erforderlich ist, jedoch hat der EUGH hat in seiner Entscheidung vom 10.02.2022, C-485/20 HR Rail nun geurteilt, dass die Kündigung von Schwerbehinderten auch in der Probezeit nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist:
Das belgische Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie der Kündigung eines Schwerbehinderten in der Probezeit entgegenstehen könne.
Dies hat der EuGH bejaht. Der Arbeitgeber ist vor Ausspruch einer Kündigung (die erfolgen soll, weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner Behinderung für seinen Arbeitsplatz ungeeignet ist) verpflichtet zu prüfen, ob der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann. Voraussetzung sei, dass der Arbeitnehmer die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist, sofern der Arbeitgeber durch diese Maßnahme nicht unverhältnismäßig belastet wird.
Daraus folgt, das bei der Kündigung eines/einer Schwerbehinderten in der Probezeit aufgrund fehlender Eignung wegen der Schwerbehinderung, der Arbeitgeber nunmehr zunächst zu prüfen hat, ob der Arbeitsplatz behindertengerecht ausgestaltet werden kann oder ob dem Schwerbehinderten ein anderer behindertengerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann. Diese Fragen wird ein Arbeitsgericht im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens auch in der Probezeit nunmehr berücksichtigen müssen.
Bei einer rechtzeitigen und umfassenden Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung hätte diese Frage im vorliegenden Fall auch bereits im Vorfeld geklärt werden können und müssen."

Das soll nur ein Denkanstoß/Diskussionsbeitrag in die Runde sein. Sokönnte man es jedoch versuchen.

L.G


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