Aktuelles Urteil des BAG zu Fragen des AG nach einer Behinderung (Fragen zu einer Behinderung)

hackenberger, Saturday, 18.02.2012, 12:49 (vor 4457 Tagen) @ Hotte

Hallo Hotte, hallo Koll,

folgende Anmerkungen zu dieser Entscheidung.

Fragen durfte der AG schon immer nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung.

Es war nur stets die Frage, ist es eine erlaubte Frage und muss diese Frage wahrheitsgemäß beantwortet werden und was sind ggf. die Folgen einer unwahren Antwort>

Seit Einführung des SGB IX und des AGG gab es eine große mehrheitliche Rechtsmeinung, dass diese Frage wie die Frage nach Bestehen einer Schwangerschaft i.d.R. belogen werden darf.

Wobei man auch bei der Frage nach Bestehen einer Schwangerschaft beachten muss, auch diese durfte nicht grundsätzlich (immer) belogen werden. Denn wenn ein AG z.B. eine Schwangerschaftsvertretung einstellt oder eine Arbeitnehmerin für eine Stelle einstellt auf welcher für Schwangere ein Beschäftigungsverbot besteht, darf auch diese Frage nicht belogen werden, da dann erlaubt weil berechtigt. Belügt man dann diese Frage, kann der AG den ArbV wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Nun zu dem Thema, Frage nach Bestehen einer Schwerbehinderung.

Nun gab es ja im letzten Jahr schon eine Entscheidung betreffend des Themas, darf der AG nach einer Schwerbehinderung fragen und muss sie wahrheitsgemäß beantwortet werden, Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10.

Auch damals hatte der 2. Fachsenat des BAG diese Frage ja nicht grundsätzlich beantwortet. In dem damals zu Grunde liegenden Fall, hatte die unwahre Antwort keine negativen Folgen für den Schwerbehinderten. Es ist aber aus dem Urteil klar zu erkennen, es hätte ggf. auch anders ausgehen können. Also, kein grundsätzlicher "Freibrief".

Fest steht auch, der AG darf die neutrale Frage stellen, sie Sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage den angestrebten Jon vollumfänglich auszuüben> Diese muss dann wahrheitsgemäß beantwortet werden sonst kann der AG den ArbV wegen arglistiger Täuschung anfechten. LAG Hessen, Ents. v. 21.09.2011 - 8 Sa 109/11

Betreffend der nun aktuellen [link=http://www.juris.de/jportal/portal/t/0000/page/homerl.psml>nid=jnachr-JUNA120200505&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp]Entscheidung des 6. Fachsenates des BAG "6 AZR 553/10" [/link]
muss man die schriftliche Begründung (Volltext) des Urteils abwarten. Denn nun aus diesem kann man dann erkennen, ist es eine Grundsatzentscheidung> Also muss die Frage nach Ablauf der Probezeit bzw. 6. Monate wahrheitsgemäß beantwortet werden ohne dass dem Beschäftigten negative Folgen drohen, hier der Verlust des besonderen Kündigungsschutzes. Oder ist dieses Urteil nur eingeschränkt gültig wenn es um eine Kündigung geht>

Denn es könnte ja andere Gründe, ggf. auch berechtigte geben in welchen der AG einen Anspruch auf wahrheitsgemäße Beantwortung haben könnte, z.B. im Zusammenhang mit der zu zahlenden Ausgleichsabgabe, denn hier könnte ja ggf. 1 eingesparte Ausgleichsabgabe einen merklichen Betrag für den AG ergeben wenn 1 mehr oder weniger einen Stufensprung in der Ausgleichsabgabe bewirkt. Weiter ggf. wenn der AG Baumaßnahmen plant und hier auf Behindertengerechte Gestaltung achten möchte und sich dabei die Frage stellt "habe ich Anspruch auf Fremdmittel/ Mittel der SchwbAV". Der AG gezielt Schwerbehinderte einstellen möchte.

Nach 6 Monaten besteht zwar der besondere Kündigungsschutz und man könnte daher dann sagen, warum soll dann die Frage noch belogen werden dürfen denn der Schwerbehinderte ist ja dann geschützt und es könnten ihm daher keine Nachteile aus der wahrheitsgemäßen Beantwortung erwachsen auch weil wir ja auch noch das AGG haben>

Doch diesem ist leider ja nicht grundsätzlich so, denn was ist mit den vielen prekären Beschäftigungs-verhältnissen> Wenn also ein befristet beschäftigter Schwerbehinderte dieses Frage dann nach 6 Monaten wahrheitsgemäß beantwortet, hat er dann ggf. aus diese wahrheitsgemäßen Beantwortung Nachteile weil er dann ggf. keine Entfristung oder ggf. neue zulässige befristete Beschäftigung erhält> Denn hier könnte ein AG dann durchaus so handeln, ohne dass er mit den Gesetzen (SGB IX und AGG) in Konflikt gerät. Er müsste es nur entsprechend „geschickt“ anstellen. Dürfte also seine dann negative Entscheidung nicht von der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach Bestehen einer Schwerbehinderung abhängig machen.

Also, man erkennt ein weites Thema mit noch sehr vielen offenen Fragen und unterschiedlichen Rechtsbedürfnissen.

Grundsätzlich darf/sollte aber auch nicht vergessen werden, dass der Beschäftigte hier i.d.R. stets der Schwächere der Beteiligten ist. Daher sollten deren Rechte und berechtigte Interesse an einem Arbeitplatz und keine Benachteiligungen/ Einschränkungen aus Gründen der Behinderung eigentlich auch stets vorrangig sein.

Es könnte dann letztlich so kommen, dass die Frage ggf. i.d.R. belogen werden darf ohne negative Rechtsfolgen, doch es auch bestimmte feststehende Gründe geben kann in welcher die Frage dann eben nicht belogen werden darf, z.B. wie hier bei einer Kündigung. Denn hier soll ja dann, so auch aus dem Kurztext erkennbar, dem AG hier Insolvenzverwalter rechtskonformes Handeln ermöglicht werden. Doch sollte man die Pflicht der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage auf solche Gründe wie Kündigung und "schwergewichtige wirtschaftliche Gründe welche dann mit dem Thema Behinderung zwangsweise" verbunden sind beschränken.

Kontextlinks zu älteren Forumsbeiträgen zu diesem Thema:
[link=http://www.schwbv.de/forum/board_entry.php>id=2887#p6936]Meldung einer tätigkeitsneutralen Schwerbehinderung>[/link]
[link=http://www.schwbv.de/forum/board_entry.php>id=12098#p12431]Offenbarungspflicht für Beamte>[/link]

Interessantes, wenn auch schon etwas älterer Rechtsstand, Buch zum Thema
"Zulässigkeit der Frage nach einer Schwerbehinderung>"

[link=http://books.google.de/books>id=ilxg71ndGPcC&pg=PA130&lpg=PA130&dq=Ablauf++von+sechs+Monaten+den+neu+eingestellten+Arbeitnehmer+nach+einer+Schwerbehinderung+fragen+darf,+ist+nichts+entgegenzusetzen&source=bl&ots=mMpei7lZ5Z&sig=dKL72sTkXEdiSQzdXCT5yXmfy3M&hl=de&sa=X&ei=W5c_T7LwMcnLtAaWsOTSBA&ved=0CCAQ6AEwAA#v=onepage&q=Ablauf%20%20von%20sechs%20Monaten%20den%20neu%20eingestellten%20Arbeitnehmer%20nach%20einer%20Schwerbehinderung%20fragen%20darf%2C%20ist%20nichts%20entgegenzusetzen&f=false]Auszug aus dem Buch:[/link]
"Der Auffassung von Müller-Wenne, dass der Arbeitgeber nach Ablauf von sechs Monaten den neu eingestellten Arbeitnehmer nach einer Schwerbehinderung fragen darf, ist nichts entgegenzusetzen."

Diese von Anja Euler 2004 in ihrer Dissertation verbreitete pauschale Einschätzung, die ohne irgendwelche näheren Überlegungen dazu lapidar meinte, dass es keine Gründe gebe, die gegen das Fragerecht in einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis sprächen (Seite 130 im o.a.Buch). Doch mit dieser hat sich das Schrifttum bis heute, soweit ersichtlich, leider noch nicht näher auseinandergesetzt.

Das es hierzu dringende Gründe und besonders den gebotenen Schutz der Schwerbehinderten sowohl in bestehenden wie auch angestrebten Beschäftigungsverhältnissen (Verlängerung/ Entfrisitung und Anschluss) gibt habe ich o. aufgeführt.

Siehe weiter auch diesen [link=http://www.schwbv.de/forum/index.php>id=14154]Beitrag zum gleichen Thema[/link]!


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