Meldung einer tätigkeitsneutralen Schwerbehinderung? (Offenbarung des GdB bzw. Fragerecht des AG)

Wolfgang E., Sunday, 09.03.2008, 14:54 (vor 5902 Tagen) @ Ede vom Bayerwald

» Habe mich mit einem Gewerkschaftssekretär über das Thema Meldung der Schwerbehinderung an den Arbeitgeber unterhalten. Natürlich ist uns bekannt, dass laut Gesetz eine Meldung an den AG nicht unbedingt erzwungen werden kann.

Nachdem über ein Drittel aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, ist nur zu verständlich, dass einzelne schwerbehinderte Bewerber sich scheuen, ihre Schwerbehinderung anzugeben oder auf ihrer Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen u.a. mit der Folge, auf Nachteilsausgleiche zu verzichten und deshalb beispielsweise 42 statt 40 Wochenstunden zu arbeiten.

"Insgesamt gab es 106.653 private und öffentliche Arbeitgeber, die die Beschäftigungsquote von 5 Prozent nicht erfüllten und 37.550 von ihnen beschäftigten überhaupt keinen Menschen mit Schwerbehinderung..."

» Wenn der AG "bösartig" ist, kann er u.U. seinen Verlust einklagen, falls er auf andere Weise von der Schwerbehinderung eines AN erfährt, der seine anerkannte Schwerbehinderung über längere Zeit nicht gemeldet hat, vom AN aber solch eine Klausel im Arbeitsvertrag unterschrieben wurde. Die Nichtmeldung kann ja, wenn im Vertrag die Meldung vorgesehen ist, als Verletzuung vertraglicher Verpflichtungen angesehen werden, die u.U. zu einer fristlosen Kündigung führen könnte.

Diese Befürchtung zur "fristlosen Kündigung" ist regelmäßig unbegründet. Es ist zwar richtig, dass etwa Beamte im Öffentlichen Dienst gehalten sind, jede besoldungsrechtlich relevante Änderung in den persönlichen Verhältnissen, die Einfluss auf die Höhe des Ortszuschlags haben, dem Arbeitgeber unaufgefordert und unverzüglich zu melden. Die Verpflichtungserklärung dazu ist in der Ortszuschlagserklärung enthalten, die jeder Beamte unterschreiben muss. Beim Ortszuschlag handelt es sich aber um Besoldungsrecht, mit der die Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertenrecht überhaupt nichts zu tun hat. Ein Muster einer solchen besoldungsrechtlichen Erklärung zum Bezug von Ortszuschlag gibt’s als Worddatei unter
http://personal.verwaltung.uni-muenchen.de

Dies bedeutet nach meinem Verständnis aber noch lange nicht, dass etwa einem Beschäftigten Schadensersatz droht (§ 280 Abs. 1 BGB), der seine Schwerbehinderung oder Gleichstellung gegenüber dem Arbeitgeber nicht offen legt, besonders nicht seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14.08.2006 am 18.08.2006. Würde etwas anderes gelten, wären die Gerichte von findigen Advokaten damit längst befasst worden. Ich habe jedenfalls keine gegenteiligen Gerichtsentscheidungen trotz intensiver Recherche gefunden.

Würde man einmal rein hypothetisch eine solche Verpflichtung, sich zu outen, annehmen, würde das in letzter Konsequenz wohl bedeuten, dass der Arbeitgeber Behinderte mit einem GdB von 30 "nötigen" könnte, einen Gleichstellungsantrag zu stellen zwecks Reduzierung der Ausgleichsabgabe und zur Gewinnmaximierung; oder der Arbeitgeber könnte aus dem gleichen Grunde einen Beschäftigten "nötigen", beim Versorgungsamt einen Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis zu stellen.

Nichts davon trifft zu! Dafür spricht auch, dass der AG nicht antragsberechtigt ist für Gleichstellungen. Er ist rechtlich auch nicht Beteiligter im Gleichstellungsverfahren. Der AG kann auch keine Rechtsbehelfe gegen Gleichstellungsbescheide einlegen. Außerdem darf die Arbeitsagentur dem AG in Gleichstellungsverfahren nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des behinderten Beschäftigten anhören. Sie ist natürlich auch nicht befugt, dem AG das Ergebnis des Gleichstellungsverfahrens mitzuteilen.

» Interessant war der Hinweis auf den Arbeitsvertrag. Im Vertrag, zumindest des öffentlichen Dienstes steht, dass alle gravierenden Änderungen in den persönlichen Verhältnissen dem AG unverzüglich zu melden sind.

Auch über Arbeitsverträge (Meldung der persönlichen Verhältnisse) können schwerbehinderte Menschen jedenfalls bei einer - tätigkeitsneutralen - Schwerbehinderung regelmäßig nicht gezwungen werden, eine solche Schwerbehinderung dem AG zu offenbaren, da dies seit 2001 eine Umgehung des Schwerbehindertenrechts (§ 81 Abs. 2 SGB IX a.F.) oder seit 2006 eine Umgehung des AGG wäre (§ 81 Abs. 2 SGB IX n.F.) bzw. eine unmittelbare Diskriminierung schwerbehinderter Menschen darstellen würde.

Nach der Fachliteratur wird bei bestehenden Beschäftigungsverhältnissen ohnehin regelmäßig keine Pflicht zur Offenbarung angenommen (Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Rdnr. 33 Buchst. b zu § 69 SGB IX), weshalb die verbreiteten anderslautenden Formulare bzw. Personalbögen etwa für interne oder externe Ausschreibungen mit der Frage nach einem Schwerbehindertenausweis regelmäßig rechtswidrig und diskriminierend sein dürften.

» Unter diesen Vertragspassus fällt im Grunde auch die Meldung der Schwerbehinderung! Der Grund ist, dass der AG zumindest in Betrieben ohne Erfüllung der Quote einen geldwerten Nachteil verkraften muss, wenn die Schwerbehinderung nicht gemeldet wird. (Stichwort Ausgleichsabgabe!)

Nein! Hier geht’s nicht um einen einklagbaren "Verlust" oder einen "Nachteil" in Höhe der "Ausgleichsabgabe". Zweck der Ausgleichsabgabe ist deren "Ausgleichsfunktion" zwischen Arbeitgebern. Wenn eine Behinderung "tätigkeitsneutral" ist, was soll denn da ausgeglichen werden> Im Übrigen hätte der Arbeitgeber die Belastung durch die Ausgleichsabgabe hinzunehmen nach der BSG-Rechtsprechung von 1986, da "dies den Arbeitgeber nicht unzumutbar" belastet. Dies gilt auch für evtl. Mehrfachanrechnungen.


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Fazit: Die teils gegenteiligen früheren BAG-[link=http://www.jurawelt.de/gerichtsurteile/sonstige/arbeitsrecht/bag/1712>OUTPUTFORMAT=PRINT]Urteile[/link] wird man daher schon alleine wegen der erwähnten Rechtsänderung 2001 und nach EU-Recht sowie aufgrund BAG-naher Literatur als überholt anzusehen haben, zumal das Schwerbehindertenrecht nach der BSG-Rechtsprechung "allein zum Schutz"!!! des schwerbehinderten Menschen konzipiert ist. Die noch vereinzelt in der Literatur vertretene Auffassung, dass jedenfalls nach der Einstellung eine Offenbarungspflicht des schwerbehinderten Beschäftigten bestünde, halte ich daher nicht für stichhaltig und unvereinbar mit dem geänderten Recht.

Das BAG hätte seine bisherige Rechtsprechung wohl längst geändert, wenn sich nicht entsprechende Revisionsverfahren durch Vergleich - zugunsten des schwerbehinderten Beschäftigten - erledigt hätten.

Es sind [link=http://www.schwbv.de/forum/board_entry.php>id=7535#p7554]vielfältige[/link] Gründe denkbar, dass ein schwerbehinderter Mensch seine (tätigkeitsneutrale) Behinderung aus purem Selbstschutz nicht offenbart, beispielsweise der teils verbreitete [link=http://www.schwbv.de/forum/board_entry.php>id=2043#p2133]Neid[/link] bzw. die Mißgunst unsensibler Kollegen wegen Nachteilsausgleiche und die damit verbundene schleichende Ausgrenzung, dass sich Kollegen teils schwertun, mit Behinderten unbefangen umzugehen, oder schlicht die Tatsache, dass er nicht möchte, dass sein Name bei der nächsten Wahl der Schwerbehindertenvertretung in der Wählerliste erscheint, die ja im förmlichen Wahlverfahren zur Einsicht im Betrieb auszulegen ist.

Das potenzielle Problem Neid und Missgunst sollte man nicht unterschätzen: Gerade dann, wenn eine Behinderung nicht sichtbar ist, und das ist die Mehrzahl aller Behinderungen, reagieren Mitmenschen oft verständnislos oder neidisch, wenn ein schwerbehinderter Beschäftigter Nachteilsausgleiche einfordert.

Obergerichtliche Rechtsprechung (rechtskräftig)
sowie einschlägige Fachliteratur zum AGG unter
[link=http://www.schwbv.de/forum/board.php>category=24]www.schwbv.de/forum[/link]
[link=http://books.google.com/books>id=ilxg71ndGPcC&printsec=toc&dq=offenbarung+der+behinderung&hl=de&source=gbs_summary_s&cad=0#PPP1,M1]Rechtswissenschaft und Praxis 2004[/link]


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