Auflösungsvertrag (Umgang mit Arbeitgeber)

WoBi, Tuesday, 01.03.2016, 11:13 (vor 2980 Tagen) @ Cebulon

Hallo Cebulon,

das Arbeitsgericht Stuttgart hat am 29.09.2010 im Beschlussverfahren 22 BV 294/09 folgende Leitsätze beschlossen:

„1.) Der Antragsgegnerin wird untersagt, einen Aufhebungsvertrag mit einem im Eigenbetrieb Klinikum Stuttgart beschäftigten schwerbehinderten Menschen abzuschließen, bevor nicht der Antragsteller unterrichtet wurde und ihm Gelegenheit gegeben wurde, dazu Stellung zu nehmen.

2.) Kommt die Antragsgegnerin der Verpflichtung aus Ziff. 1 nicht nach, wird ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 25.000,-- €, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollziehen am Geschäftsführer des Eigenbetriebs Stuttgart, angedroht.
3.) Die Sprungrechtsbeschwerde wird zugelassen.“

Die Kammer hat dem Antrag der SBV entsprochen. Der Antrag war zukunftsgerichtet und generell gefasst, wie aus dem 1. Leitsatz ersichtlich. Dies wird durch die Strafandrohung „für jeden Fall“ im 2. Leitsatz verstärkt. Ungewöhnlich ist die Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde direkt zum Bundesarbeitsgericht (BAG) unter Auslassung der 2. Instanz Landesarbeitsgericht (LAG). Ein LAG-Beschluss hätte ggf. die Beschwerde beim BAG überflüssig gemacht.

Dieser Beschluss wurde durch das Rechtsbeschwerdeverfahren mit dem Aktenzeichen 7 ABR 67/10 angegriffen.
Bei der Beschwerde des Arbeitsgebers gegen den Beschluss wurde diese globale und umfassende Antragsstellung mit „Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht dem Hauptantrag stattgegeben. Dieser ist unzulässig, da er nicht hinreichend bestimmt ist.“ (Randnummer 7) festgestellt. Noch deutlicher wird dies in Randnummer 8 „Der Unterlassungsantrag ist unzulässig. Er ist nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.“ genannt.

Die 7. Kammer hat sich differenziert mit der Unterrichtung- und Anhörungsverpflichtung nach § 95 Absatz 2 auseinandergesetzt. Dies wird in der Randnummer 25 „c) Hiernach ist die Arbeitgeberin weder stets verpflichtet, den Schwerbehindertenvertreter vor dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem schwerbehinderten Menschen zu unterrichten, noch muss sie die Schwerbehindertenvertretung zuvor anhören. Der Abschluss eines solchen Vertrags ist zwar eine Angelegenheit iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX. Die Arbeitgeberin muss daher den Schwerbehindertenvertreter unverzüglich unterrichten. Der Zeitpunkt der Unterrichtung liegt aber nicht notwendig vor dem Abschluss des Aufhebungsvertrags. Jedenfalls in den Fällen, in denen ein Aufhebungsvertrag ohne zeitlich nennenswerte Vorverhandlungen geschlossen wird, genügt die Arbeitgeberin ihrer Unterrichtungspflicht, wenn sie den Schwerbehindertenvertreter unverzüglich nach dem Abschluss des Aufhebungsvertrags informiert. Eine Verpflichtung, den Schwerbehindertenvertreter vor dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags anzuhören, besteht schon deshalb nicht, weil der Abschluss keine Entscheidung iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX ist.“ deutlich.

Warum der 7. Senat teilweise abweichend gegenüber der gängigen Rechtsprechung des 9. Senats entschieden hat und dies nicht mit einem Aktenzeichen „GS“ für den Großen Senat entschieden wurde, könnte Fragen aufwerfen. Nur der 7. Senat hat eben mögliche Fallstellungen gesehen, die eine vorhergehende Unterrichtung und insbesondere die Anhörung eben nicht zwingend möglich machen. Die ist u.a. im Satz „Dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung vor dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu hören, überschießend wäre, wird insbesondere deutlich in Fallgestaltungen, in denen die Initiative zum Abschluss eines solchen Vertrags von dem Arbeitnehmer ausgeht.“ dargelegt.

Wobei ich diese Feststellung nicht in Einklang mit der Beratungsaufgabe der SBV bringen kann, denn durch die Hinweise bei einem Beratungsgespräch könnte der Aufhebungswillige sein Vorhaben überdenken, wenn er über mögliche Nachteile z.B. beim Arbeitslosengeld umfassend informiert ist. Für die Feststellung des Beratungsbedarfs benötigt die SBV eine unverzügliche und umfassende Unterrichtung. Wie sonst soll auf gleicher Augenhöhe mit dem Arbeitgeber gesprochen werden.

Auch nach dem Beschluss 7 ABR 67/10 besteht bei einem Aufhebungsvertrag weiterhin die Verpflichtung zur unverzüglichen Unterrichtung der SBV durch den Arbeitgeber nach diesem Beschluss grundsätzlich weiter. Außer es wäre ein Fall, wie mein genanntes Beispiel.

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Gruß
Wolfgang


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