Ausnahmen bei gestuften Ausschreibungsverfahren bzgl. Einladungspflicht (AGG)

WoBi, Wednesday, 13.11.2019, 12:57 (vor 1626 Tagen) @ sabsezicke

Hallo,

Nun höre ich persönlich immer wieder und öfter davon, dass AG sich sehr gerne auf dieses Urteil stützen und schwerbehinderte nicht offensichtlich ungeeignete BewerberInnen, die eine Entschädigung geltend machen, dann im Nachgang, also nach erfolgter Absage, mitteilen, dass man sich für eineN interneN BewerberIn hat entschieden und entscheiden müssen, da diese Vorrang haben und externe BewerberInnen eben nur nachrangig behandelt werden dürfen.

Hier ist der § 205 SGB IX zu beachten.
Mehr dazu unter: https://www.schwbv.de/forum/index.php?id=26577

Ob das jetzt dann aber wirklich so war, es schreckt ja erst einmal ab, weil es würde für die Betroffenen nur eine Klage bleiben, die, sagen wir mal, nicht umsonst für eineN Betroffenen ist (Nerven, evtl. viel Zeit, sich mit der Marterie zu beschäftigen, evtl. viel Geld, wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht, für einen Anwalt ...).

Dazu müsste der externe Bewerber erstmal an die internen Informationen gelangen und Beweise sammeln. Eine Klage müsste fundiert erhoben und Indizien mit Beweisantritt vortragen werden, dass eine Diskriminierung z.B. wegen Behinderung vorliegt. Erstmal liegt die Beweislast beim Kläger. Dazu müssten mindestens Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Abgesehen von den Anforderungen im Vorfeld und den Fristen nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Erst dann kann nach § 61b Abs. 1 ArbGG eine Klageerhebung innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruches eingereicht werden.

D. h., der AG ist fein raus, solang keine Klage erhoben wird und der AG dann vor Gericht belegen muss, dass wirklich einE interneR BewerberIn eingestellt wurde und keine anderen externen schwerbehinderten nicht offensichtlich ungeeigneteN BewerberInnen eingeladen worden sind.

Wo kein Kläger, ist auch kein Richter. Der (öffentliche) Arbeitgeber hat das längere monetäre Durchhaltevermögen und durch den Weg über LAG zum BAG steigt das Kostenrisiko für den Kläger. Wenn der öffentliche Arbeitgeber verliert, sind es nur Steueraufkommen. Selbst bei einer Rechtschutzversicherung muss jede Instanz einzeln durch die Versicherung genehmigt werden.
Die Beweislast liegt erstmal beim Kläger und erst wenn belegbare Indizien dafür sprechen, greift die Erleichterungen nach § 22 AGG. Selbst wenn die Beweislast an den Arbeitgeber fällt, kann dieser immer noch entscheiden, was er vorträgt oder an Beweisen vorlegt. Der Arbeitgeber kann wählen, ob er im Gerichtsverfahren die näheren Umstände offenlegt, um eine Vermutung zu entkräften und ggf. einen Gegenbeweis zu führen oder ob er die ihm bekannten Tatsachen für sich behält und damit sein Unterliegen in Kauf nimmt.
Die Schwierigkeiten beginnen bereits mit dem Indiz, ob der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nachkommt und damit die besondere Anhörungspflicht nach § 164 Abs. 1 Satz 8 SGB IX besteht.

Ja, der Arbeitgeber kann hier "Zocken", zumal nicht jeder Bewerber über das erforderliche Wissen verfügt und die wenigsten abgelehnten Bewerber Klage erheben, selbst wenn diese gerechtfertigt wäre und Erfolgsaussichten hätte. Die Hürden sind hoch und der Ausgang ist offen. Selbst wenn der Arbeitgeber verlieren sollte, wird selten von Gerichten die auf drei Monatsgehälter begrenzte Summe, wenn der Arbeitsplatz nicht erlangt werden konnte, zugesprochen. Und vor einem Urteil steht erstmal die Vergleichsbemühungen, was nicht selten zu einer Zahlung führt, die nicht mal in der "Portokasse" bemerkbar ist.

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Gruß
Wolfgang


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