Frage nach Schwerbehinderung im Personalfragebogen (Allgemeines)

Cebulon, Thursday, 16.01.2020, 15:06 (vor 1561 Tagen) @ Vertigo

Fragebogen: Sind sie schwerbehindert oder gleichgestellt?

Hallo Vertigo, diese tätigkeitsneutrale Frage ist laut BAG und nach einhelliger Meinung in neuerer Standardliteratur schon seit vielen Jahren grundsätzl. unzulässig, wenn beispielsweise bei Einstellung im Personalfragebogen danach gefragt wird z.B. per Ankreuztext (ja/nein), entgegen verbreiteter, aber falscher landläufiger Meinung. Der Abschnitt 2.6 der schon arg in die Jahre gekommen bzw. der betagten Integrationsrichtlinien des Saarlandes von 2005 (nochmals verlängert bis zum 31.12.2020) erscheint - mal ganz zurückhaltend ausgedrückt, „etwas fragwürdig“. (Prof. Düwell, LPK-SGB IX, § 164 Rn. 28). Spätestens seit Einfügung des Benachteiligungsverbots wegen Behinderung in Art. 3 Abs. 3 GG und nach der EU-Richtlinie 2000/78/EG ist eine solche tätigkeitsneutrale Frage nicht mehr mit Verfassung bzw EU-Recht vereinbar (LPK-SGB IX § 168 Rn 24/26)
Leitsatz: „Die tätigkeitsneutrale Frage nach einer Schwer­be­hin­de­rung bei einer Einstellung ist unzulässig.“ (ArbG Hamburg, Urteil vom 27.06.2017 - 20 Ca 22/17). So schon LAG Hamm, Urteil vom 19.10.2006 – 15 Sa 740/06 – zum Umfang des Fragerechts nach Vorliegen einer Schwerbehinderung vor über zehn Jahren. In diesem Sinne auch LAG Hamburg, Urteil vom 30.11.2017, 7 Sa 90/17, mit Entschädigung von drei Monatsgehältern: Das Gericht sah wohl nur deshalb von einem weitaus höheren Schadensersatz ab, weil es sich nicht um einen arbeitslosen Bewerber handelte.

Ist übrigens ebenso unzulässig wie etwa die beliebte Befragung, ob ein schwerbehinderter Bewerber eine Beteiligung der SBV wünsche laut § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX lt. Düwell- und Knittel-Kommentar. Denn in § 178 SGB IX steht nichts, dass SBV-Beteiligung von einer Befragung abhängen würde, dass Zustimmung eingeholt werden müsse oder dass die Beteiligung gar von einem Antrag abhängig gemacht werden dürfe (Düwell, LPK-SGB IX, § 164 Rn. 152/153; Knittel, SGB IX, § 164 Rn. 74/75)

Er hat diesbezüglich doch keine Offenbarungspflicht!

Richtig. "Eine Pflicht zur Offenbarung der Schwerbehinderung schon bei einer Bewerbung besteht grundsätzlich nicht, ebenso wenig wie grundsätzliches Fragerecht des Arbeitgebers“ - urteilte bereits BAG, 18.09.2014 – 8 AZR 759/13 – in Abkehr von früherer Rspr. aus den 90-er Jahren, die seit jeher als „verfassungswidrig“ scharf kritisiert wurde wegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG 1994. Mit dieser unsäglichen vormaligen Rechtsprechung hatte BAG sbM einen „Bärendienst“ erwiesen, und der Bundestag hat sechs Jahre gebraucht, bis er das EU-Recht mit dem AGG endlich 2006 umsetzte, nachdem ihn die EU zuvor verklagte wegen Untätigkeit. Ferner BAG, 26.06.2014, 8 AZR 547/13, Rn. 53.

dass über Zulässigkeit der tätigkeitsneutralen Frage nach einer Schwerbehinderung nach wie vor nicht entschieden wurde.

Doch - das wurde zwischenzeitlich im Grundsatz schon vielfach über ein Dutzend Mal in ständiger verw.- und arbeitsgerichtlicher Rspr. entschieden zum Einstellungsverfahren. So etwa BAG vom 13.10.2011, 8 AZR 608/10 - wonach gerade die Nachfrage nach „tätigkeitsneutraler Schwerbehinderung“ Indz für unmittelbare oder mittelbare Ver­fah­rens­dis­krimi­nie­rung sein könne. Einfach mal ins Stichwortverzeichnis einer der führenden SGB IX-Kommentare schauen: So sollte man schnell mit Begriffen wie „Benachteiligung - Frage nach der Schwerbehinderung“ oder „Entschädigung - wegen einer Benachteiligung“ oder „Fragerecht - tätigkeitsneutrale Frage“ fündig werden bei der Suche nach (weiteren) Urteilen sowie Quellen: Im LPK-SGB IX, § 168 Rn. 28 findet man zum Bsp. in Fußnote 89 über ein Dutzend Fundstellen zur Unzulässigkeit solcher Fragen wg. unmittelbarer Diskriminierung, § 164 Abs. 2 SGB IX.

Gruß,
Cebulon


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion