Stellungnahme aus der Praxis Teil4 (Allgemeines)

Hendrik1, Niedersachsen, Thursday, 31.01.2019, 13:58 (vor 1905 Tagen) @ Hendrik1

Teil 4

4. Fehlender Punkt: Seltene Erkrankungen mit überwiegend deutlicher Auswirkung auf die Teilhabe am gesellschaftlichen und/oder Erwerbsleben bzw. tagesformabhängiger Geheinschränkung bei chronischen Erkrankungen, bei denen nach heutiger medizinischer Kenntnis keine Verbesserung zu erwarten ist

Außerdem fehlt uns ein wesentlicher Punkt, wenn wir diesen nicht überlesen haben. Aus unserer Sicht sollte die Versorgungsmedizin-Verordnung auch dazu dienen, die Voraussetzungen zu schaffen, um Menschen möglichst im Erwerbsleben zu halten, sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und Nachteile, die dieses verhindern oder erschweren, auszugleichen. Daher fehlen uns zum einen Hinweise für seltenere Erkrankungen mit außergewöhnlichen Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit, die aufgrund der geringen Fallzahl nicht einzeln geregelt werden können.

Dieses würden wir Ihnen gerne an einem Beispiel erläutern: Eine Kollegin hat Kälteantikörper, die sich bei Kälte und/oder zunehmender Luftfeuchtigkeit negativ bemerkbar machen.
Bei Temperaturen ab 10 Grad Celsius und kälter muss sie sich extrem warm anziehen (Skianzug) und ist mit diesem unbegrenzt gehfähig. Bei Temperaturen ab 5 Grad kann sie mit einem Skianzug und entsprechender weiterer Kleidung 500 Meter weit gehen, bevor sie in einem warmen Raum gelangt sein muss. Danach kommt es zu zunehmender Kälte in allen 4 Extremitäten und im nächsten Stadium zu einer livide Verfärbung und Unterversorgung bis hin zu Erfrierungen. Bei Temperaturen unter 0 Grad kann sie die Wohnung nicht verlassen. Auch langes Stehen und Warten auf die Straßenbahn ist ihr temperatur- und feuchtigkeitsabhängig schwer bis nicht mehr möglich.
Bei erhöhter Luftfeuchtigkeit bis hin zu Starkregen kommt es zu identischen Reduzierungen der Beweglichkeit.
Mit unserer Hilfe hat sie einen Schwerbehindertenantrag gestellt und das Merkzeichen G beantragt, weil es morgens und abends auf dem Weg zur und von der Arbeit am kältesten ist und sie somit oft im Frühjahr und Herbst, sowie im Winter, aber auch bei Regen im Sommer auf das Merkzeichen angewiesen ist und ohne dieses sehr viele Fehltage hat. Es wurde auch im Widerspruchsverfahren lediglich ein GdB von 30 festgestellt. Auch der Hinweis auf die Arbeitswege und dass sie sich mit kalten, steifen Händen in der Straßenbahn auch nicht festhalten kann, hat zu keinem höheren GdB geführt, weil sie ja das Merkzeichen nicht ständig benötigt und die Gehfähigkeit nicht dauerhaft beeinträchtigt ist, da sie sich im Frühjahr, Sommer, Herbst, tagsüber frei bewegen kann, wenn es nicht gerade regnet. Die daraufhin erfolgte Gleichstellung mit den Schwerbehinderten half ihr auch nicht weiter, weil für Hilfestellungen bei den Arbeitswegen eine Anerkennung der Einschränkung der Gehfähigkeit vorliegen muss. Dieses führt dazu, dass die Kollegin massive Fehlzeiten hat, nicht, weil sie arbeitsunfähig wäre, sondern, weil sie nicht zur Arbeit gelangen kann. Dauerhafte Taxifahrten kann sie sich nicht leisten. Diese Mehrkosten durch die Fehlzeiten für die Gesellschaft sind aus unserer Sicht nicht tragbar und sollten daher zu einer Neuregelung führen.

Zum anderen kommt es bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose, aber auch anderer z.B. rheumatischer Erkrankungen oder auch der PAVK, sowie der Herzinsuffizienz usw. oft zu einer zunehmenden Einschränkung der Gehfähigkeit. Bei diesen Menschen ist es häufig tagesformabhängig, ob sie noch selbständig zur Arbeit fahren und weitere Strecken laufen können, oder aber schon auf einen Sitzplatz in den öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen sind. Selbiges gilt mindestens für die MS aber auch teilweise bei starkem Rheuma für den Übergang zur Rollstuhlpflichtigkeit. Bei der multiplen Sklerose kommt auch oft die zunehmende Kraftlosigkeit im Tagesverlauf hinzu, sodass für den Rückweg von der Arbeit ggf. der Rollstuhl oder die Sitzplatzmöglichkeit benötigt wird.
Bei Rheuma kommt hinzu, dass auch Nässe und Feuchtigkeit wie im Beispiel oben sich negativ auf die betroffenen Gelenke bemerkbar machen und diese sich dann ggf. ebenfalls aufgrund der schmerzenden Fingergelenke in den öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht festhalten können. Auch das Krümmen der Finger ist dann deutlich schmerzhafter, als ohne erhöhte Luftfeuchtigkeit. Zudem können diese Menschen sich, wenn die unteren Gliedmaßen betroffen sind, auch nicht lange sicher auf den Beinen halten, weil die Gelenke durch den statischen Druck zunehmend zu schmerzen anfangen.

Soweit zu Teil 4


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